Zwischen Pride Parade und „Konver­si­ons­the­rapie“

U.S. Embassy Tel Aviv [CC BY-SA 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)]

Das Leben der LGBTQ-Community bewegt sich in Israel zwischen Extremen. Beginnen wir zunächst mit den positiven Seiten und die sind, wie so vieles im Land, verbunden mit: Tel Aviv.

Gal Ochovski, ein bekannter Drehbuch­autor und bekennend schwul, bringt es so auf den Punkt: „Tel Aviv – das ist das Paradies für Homose­xuelle“. Angeblich gehört jeder sechste Bewohner in Tel Aviv zur LGBTQ-Community. Längst ist die Mittel­meer­me­tropole zum Anzie­hungs­punkt der Schwu­len­szene aus der ganzen Welt geworden. An der letzten Pride Parade vor wenigen Wochen nahmen mehr als 250.000 Menschen teil, unter ihnen auch Hetero­se­xuelle, die einfach Spaß am ausge­las­senen Feiern hatten.

Portrait von Richard C. Schneider

Richard C. Schneider ist Buchautor und Dokumen­tar­filmer. Er war Leiter der ARD-Studios in Rom und in Tel Aviv, und bis Ende 2022 Editor-at-Large beim BR/​ARD. Er schreibt heute als freier Korre­spondent für den SPIEGEL aus Israel und den Paläs­ti­nen­si­schen Gebieten..

Es gibt keine Berüh­rungs­ängste zwischen Schwulen und Heteros in Tel Aviv. Selbst in Berlin ist es in manchen Stadt­teilen immer noch so eine Sache, wenn sich homose­xuelle Paare auf offener Straße umarmen oder küssen. In Tel Aviv inter­es­siert das niemanden. Es geschieht und die Menschen gucken nicht hin, ganz einfach, weil es für sie nichts beson­deres ist. Diese Selbst­ver­ständ­lichkeit ist es, die vor allem auch viele Schwule aus Berlin nach Tel Aviv lockt. Bernd, 32 Jahre alt und das erste Mal in Tel Aviv, konnte es kaum fassen, was ihm an einem Abend unter Hetero­se­xu­ellen passierte. Er kannte sich in der Stadt nicht aus, war auf der Suche nach Gay-Clubs und mehrere nicht-schwule Israelis erklärten ihm, wo er sie finden könne. „Kannst du dir sowas in Deutschland vorstellen? Da hat doch niemand eine Ahnung, wo die Szene-Kneipen sind, geschweige denn, dass jemand dann noch so locker darüber redet und mir Tipps gibt!“

Die Norma­lität in Israel geht sogar noch einen Schritt weiter. Hier dürfen selbst schwule Paare Kinder adoptieren, nur bei der Leihmut­ter­schaft sind homose­xuelle Männer benach­teiligt. Und es gibt seit Jahren die geregelte Eltern­schaft für Menschen, die einfach Kinder wollen, aber keinen Partner. Man fragt jemanden, ob man gemeinsam ein Kind haben will. Wenn ja, geht man zum Anwalt, legt alles fest, dann erfolgt die Befruchtung (ohne Sex) und das war’s. Gilt für Hetero­se­xuelle wie für Schwule. Allein die Tatsache, daß ich hier in diese beiden Gruppen unter­teile, ist in Tel Aviv ungewöhnlich, in diesen Kategorien wird nicht gedacht. Und es geht sogar noch ein Stückchen liberaler: Die Stadt Tel Aviv kümmert sich um Trans­se­xuelle, die aufgrund ihrer Identität keine Wohnung bekommen und bietet ihnen günstigen Mietraum an.

Amir Ohana ist der erste schwule Minister Israels – bis September

Womit wir bei den Problemen und der negativen Seite wären. Denn so wie Berlin nicht Deutschland ist, so ist auch Tel Aviv nicht Israel. Das Land macht nicht nur seit vielen Jahren einen Rechtsruck durch, sondern es wird auch zunehmend religiöser und funda­men­ta­lis­ti­scher. Und das heißt natürlich: Schwule haben in vielen Teilen des Landes nichts zu lachen. Als Premier Benjamin Netanyahu im Juni Amir Ohana für die Zeit bis zu den nächsten Wahlen im September zum Justiz­mi­nister machte, schien das nur im ersten Moment ein Akt der Emanzi­pation. Immerhin ist Ohana der erste beken­nende schwule Minister Israels. Doch Ohana hat in der Vergan­genheit nicht nur wenig für die LGBTQ-Community getan, er gilt obendrein als „Bibis“ treuer Vasall, der auch sofort in seinem neuem Amt schwa­dro­nierte, man müsse das Oberste Gericht in seiner Unabhän­gigkeit einschränken – der Traum der extremen Rechten und vor allem Netan­yahus, dem in drei Fällen Anklagen wegen Korruption drohen. Doch es kam noch schlimmer. Dem Protest der religiösen Parteien darüber, dass „Bibi“ nun einen Schwulen in ein Minis­teramt berufen hatte, begegnete Netanyahu mit der Erklärung, Ohana sei ja nur bis September im Amt, die Frommen bräuchten sich nicht aufregen. Netanyahu, der persönlich mit Homose­xua­lität kein Problem hat, war sofort bereit, den schwulen Ohana zu opfern, um nur ja seine funda­men­ta­lis­ti­schen Koali­ti­ons­partner bei Laune zu halten.

Den Vogel schoss aber der rechts­extreme Rafi Peretz ab. Der orthodoxe Rabbiner und bis vor kurzem auch Führer der radikalen Siedler­partei, wurde im Juni Bildungs­mi­nister im Kabinett Netanyahu. Als solcher erklärte er in einem Interview, dass er Homose­xua­lität für thera­pierbar halte und dass er deswegen sogenannte Konver­si­ons­the­rapien befür­worte. Der Aufschrei in Israel war gewaltig, nicht nur von der LGBTQ-Community. Peretz hatte eindeutig eine Linie überschritten und „Bibi“ war klar, dass viele Eltern homose­xu­eller Kinder Sorge hatten, in den Schulen Israels könne unter diesem Bildungs­mi­nister mögli­cher­weise ein ganz neuer Ton gegenüber ihren Söhnen und Töchtern angeschlagen werden. Der Extremist Peretz mußte schließlich peu à peu von seiner Position abrücken und alles wider­rufen, was er zuvor gesagt hatte. Glaub­würdig ist das nicht, aber immerhin war die Empörung der Zivil­be­völ­kerung groß genug, um Peretz‘ „Konversion“ zu erzwingen.

Das war ein Hinweis darauf, was man für die Zukunft der LGBTQ-Community in Israel zu erwarten hat. Natürlich wird es Bemühungen von Religiösen und Rechts­extre­misten geben, das Schwulsein zu brand­marken, zu verfolgen und zu unter­drücken. Es wird, wie schon in der Vergan­genheit, Angriffe und sogar Morde geben. Doch die „normative Kraft des Fakti­schen“, wie Georg Jellinek es nannte, wird dies letzt­endlich nicht aufhalten, das Rad der Zeit läßt sich nicht mehr zurück­drehen. „Das sollen die Frommen doch mal versuchen“, lacht Tomer, ein junger Israeli aus der High-Tech-Branche, „die haben keine Ahnung, was wir LGBTQ-Menschen ausrichten können, wenn man uns unter­drücken will. We’re out of the closet. Wir gehen nicht mehr dahin zurück. Nie mehr!“

Textende

Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unter­stützen damit die publi­zis­tische Arbeit von LibMod.

Wir sind als gemein­nützig anerkannt, entspre­chend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spenden­be­schei­nigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adress­daten bitte an finanzen@libmod.de

 

Verwandte Themen

Newsletter bestellen

Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regel­mäßig Neuig­keiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mungen
erklären Sie sich einverstanden.