Zwischen Pride Parade und „Konversionstherapie“
Das Leben der LGBTQ-Community bewegt sich in Israel zwischen Extremen. Beginnen wir zunächst mit den positiven Seiten und die sind, wie so vieles im Land, verbunden mit: Tel Aviv.
Gal Ochovski, ein bekannter Drehbuchautor und bekennend schwul, bringt es so auf den Punkt: „Tel Aviv – das ist das Paradies für Homosexuelle“. Angeblich gehört jeder sechste Bewohner in Tel Aviv zur LGBTQ-Community. Längst ist die Mittelmeermetropole zum Anziehungspunkt der Schwulenszene aus der ganzen Welt geworden. An der letzten Pride Parade vor wenigen Wochen nahmen mehr als 250.000 Menschen teil, unter ihnen auch Heterosexuelle, die einfach Spaß am ausgelassenen Feiern hatten.
Es gibt keine Berührungsängste zwischen Schwulen und Heteros in Tel Aviv. Selbst in Berlin ist es in manchen Stadtteilen immer noch so eine Sache, wenn sich homosexuelle Paare auf offener Straße umarmen oder küssen. In Tel Aviv interessiert das niemanden. Es geschieht und die Menschen gucken nicht hin, ganz einfach, weil es für sie nichts besonderes ist. Diese Selbstverständlichkeit ist es, die vor allem auch viele Schwule aus Berlin nach Tel Aviv lockt. Bernd, 32 Jahre alt und das erste Mal in Tel Aviv, konnte es kaum fassen, was ihm an einem Abend unter Heterosexuellen passierte. Er kannte sich in der Stadt nicht aus, war auf der Suche nach Gay-Clubs und mehrere nicht-schwule Israelis erklärten ihm, wo er sie finden könne. „Kannst du dir sowas in Deutschland vorstellen? Da hat doch niemand eine Ahnung, wo die Szene-Kneipen sind, geschweige denn, dass jemand dann noch so locker darüber redet und mir Tipps gibt!“
Die Normalität in Israel geht sogar noch einen Schritt weiter. Hier dürfen selbst schwule Paare Kinder adoptieren, nur bei der Leihmutterschaft sind homosexuelle Männer benachteiligt. Und es gibt seit Jahren die geregelte Elternschaft für Menschen, die einfach Kinder wollen, aber keinen Partner. Man fragt jemanden, ob man gemeinsam ein Kind haben will. Wenn ja, geht man zum Anwalt, legt alles fest, dann erfolgt die Befruchtung (ohne Sex) und das war’s. Gilt für Heterosexuelle wie für Schwule. Allein die Tatsache, daß ich hier in diese beiden Gruppen unterteile, ist in Tel Aviv ungewöhnlich, in diesen Kategorien wird nicht gedacht. Und es geht sogar noch ein Stückchen liberaler: Die Stadt Tel Aviv kümmert sich um Transsexuelle, die aufgrund ihrer Identität keine Wohnung bekommen und bietet ihnen günstigen Mietraum an.
Amir Ohana ist der erste schwule Minister Israels – bis September
Womit wir bei den Problemen und der negativen Seite wären. Denn so wie Berlin nicht Deutschland ist, so ist auch Tel Aviv nicht Israel. Das Land macht nicht nur seit vielen Jahren einen Rechtsruck durch, sondern es wird auch zunehmend religiöser und fundamentalistischer. Und das heißt natürlich: Schwule haben in vielen Teilen des Landes nichts zu lachen. Als Premier Benjamin Netanyahu im Juni Amir Ohana für die Zeit bis zu den nächsten Wahlen im September zum Justizminister machte, schien das nur im ersten Moment ein Akt der Emanzipation. Immerhin ist Ohana der erste bekennende schwule Minister Israels. Doch Ohana hat in der Vergangenheit nicht nur wenig für die LGBTQ-Community getan, er gilt obendrein als „Bibis“ treuer Vasall, der auch sofort in seinem neuem Amt schwadronierte, man müsse das Oberste Gericht in seiner Unabhängigkeit einschränken – der Traum der extremen Rechten und vor allem Netanyahus, dem in drei Fällen Anklagen wegen Korruption drohen. Doch es kam noch schlimmer. Dem Protest der religiösen Parteien darüber, dass „Bibi“ nun einen Schwulen in ein Ministeramt berufen hatte, begegnete Netanyahu mit der Erklärung, Ohana sei ja nur bis September im Amt, die Frommen bräuchten sich nicht aufregen. Netanyahu, der persönlich mit Homosexualität kein Problem hat, war sofort bereit, den schwulen Ohana zu opfern, um nur ja seine fundamentalistischen Koalitionspartner bei Laune zu halten.
Den Vogel schoss aber der rechtsextreme Rafi Peretz ab. Der orthodoxe Rabbiner und bis vor kurzem auch Führer der radikalen Siedlerpartei, wurde im Juni Bildungsminister im Kabinett Netanyahu. Als solcher erklärte er in einem Interview, dass er Homosexualität für therapierbar halte und dass er deswegen sogenannte Konversionstherapien befürworte. Der Aufschrei in Israel war gewaltig, nicht nur von der LGBTQ-Community. Peretz hatte eindeutig eine Linie überschritten und „Bibi“ war klar, dass viele Eltern homosexueller Kinder Sorge hatten, in den Schulen Israels könne unter diesem Bildungsminister möglicherweise ein ganz neuer Ton gegenüber ihren Söhnen und Töchtern angeschlagen werden. Der Extremist Peretz mußte schließlich peu à peu von seiner Position abrücken und alles widerrufen, was er zuvor gesagt hatte. Glaubwürdig ist das nicht, aber immerhin war die Empörung der Zivilbevölkerung groß genug, um Peretz‘ „Konversion“ zu erzwingen.
Das war ein Hinweis darauf, was man für die Zukunft der LGBTQ-Community in Israel zu erwarten hat. Natürlich wird es Bemühungen von Religiösen und Rechtsextremisten geben, das Schwulsein zu brandmarken, zu verfolgen und zu unterdrücken. Es wird, wie schon in der Vergangenheit, Angriffe und sogar Morde geben. Doch die „normative Kraft des Faktischen“, wie Georg Jellinek es nannte, wird dies letztendlich nicht aufhalten, das Rad der Zeit läßt sich nicht mehr zurückdrehen. „Das sollen die Frommen doch mal versuchen“, lacht Tomer, ein junger Israeli aus der High-Tech-Branche, „die haben keine Ahnung, was wir LGBTQ-Menschen ausrichten können, wenn man uns unterdrücken will. We’re out of the closet. Wir gehen nicht mehr dahin zurück. Nie mehr!“
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