Russland und China: der digitale Systemkonflikt

Quelle: Shut­ter­stock

Die Digi­ta­li­sie­rung befeuert die Ausein­an­der­set­zung der Gesell­schafts­mo­delle. China perfek­tio­niert die Total­über­wa­chung und auch Russland forscht inten­siver über Künst­liche Intel­li­genz als man denkt. Der liberale Westen muss die Demo­kratie im Internet-Zeitalter mutig fort­ent­wi­ckeln und zugleich Freiheit und Privat­sphäre schützen – sonst werden ihm auto­ri­täre Regime den Rang ablaufen.

Der Weg zur Hölle ist bekannt­lich mit guten Vorsätzen gepflas­tert. Zwar ist die Digi­ta­li­sie­rung kein Teufels­werk, aber man fühlt sich doch an diese Lebens­weis­heit erinnert. Was wurde sie doch gefeiert. Das Internet, so glaubten viele, sei der Schlüssel in eine helle Zukunft. Die Tech­no­lo­gie­kon­zerne aus Kali­for­nien galten als Weltverbesserer.

Die Digi­ta­li­sie­rung ist keine bloße tech­ni­sche Ange­le­gen­heit. Sie stellt die Macht­frage und ist damit zutiefst politisch. 

Mitt­ler­weile ist die Euphorie verflogen. In der Tat haben digitale Tech­no­lo­gien ganz neue Möglich­keiten eröffnet. Aber zugleich wurden die Schat­ten­seiten sichtbar: Cyber­an­griffe, Fake News, mani­pu­lierte Wahlen, eine Verrohung der Debat­ten­kultur,  Einbruch in die Privat­sphäre, digitale Persön­lich­keits­pro­file, massive Umbrüche in der Wirt­schafts- und Arbeits­welt. Die Liste lässt sich fortführen.

Russland und China nutzen Digitaltechnologie

Und die Politik? Auto­ri­täre Regimes haben die digitale Revo­lu­tion früh unter ihre Fittiche genommen und für ihre Zwecke genutzt. Dagegen wurde Digi­ta­li­sie­rung in Europa und Amerika im Wesent­li­chen als apoli­ti­sche Tech­no­logie-Förderung betrieben, obwohl auch hier Geheim­dienste und Militär ihre Finger im Spiel haben. Aber die Digi­ta­li­sie­rung ist keine bloße tech­ni­sche Ange­le­gen­heit. Sie stellt die Macht­frage und ist damit zutiefst politisch. 

Portrait von Roderick Kefferpütz

Roderick Keffer­pütz ist stell­ver­tre­tender Leiter des Grund­satz­re­fe­rats im Staats­mi­nis­te­rium Baden-Württemberg.

Wer beherrscht wen? Dieses macht­po­li­ti­sche Leitmotiv steht im Mittel­punkt der Digi­ta­li­sie­rung, von den indi­vi­du­ellen Nutzern bis zur Geopo­litik. Es zieht sich quer durch alle Ebenen, denn die digitale Revo­lu­tion wälzt alles um.

Tech­no­lo­gi­scher Kalter Krieg

Russlands Präsident Putin hat schon erkannt: Wer die Künst­liche Intel­li­genz dominiert, beherrscht die Welt. Er hat nicht Unrecht. Geopo­li­ti­sche Dominanz beruht auch auf der Kontrolle einer bedeu­tenden Infor­ma­tions-Infra­struktur. Wissen ist Macht. Das römische Reich kontrol­lierte die Straßen, Groß­bri­tan­nien die Seewege. Wer in Zukunft die digitalen Tech­no­lo­gien und Daten­ströme kontrol­liert, kann die Welt­ord­nung prägen. Data is king.

Wir befinden uns in einen tech­no­lo­gi­schen Kalten Krieg. Die USA und China wett­ei­fern um die tech­no­lo­gi­sche Führung bei der Künst­li­chen Intel­li­genz. Staaten schließen ihre digitalen Märkte ab und wollen ihre Daten­sou­ve­rä­nität schützen. Gesetze werden einge­führt, um den Daten­fluss in andere Länder zu verhin­dern. Das Internet wird zum „Splin­ternet“.

Indus­trien des 20. Jahr­hun­derts in Gefahr

Wirt­schaft­lich fordert die Digi­ta­li­sie­rung die alte, analoge Wirt­schafts­ord­nung heraus. Vor allem Europa ist betroffen. Europa ist stark in den Indus­trien des 20. Jahr­hun­derts. Es ist nicht ausge­macht, ob sie die digitale Revo­lu­tion überleben werden. Im 21. Jahr­hun­dert dominiert Software die Hardware. Euro­päi­sche Unter­nehmen könnten schnell zu Zulie­ferer großer Tech­no­lo­gie­firmen werden. Schon heute hat Software einen angeb­li­chen Anteil von 40 Prozent an der Wert­schöp­fung eines Autos.

Die weltweit größten Unter­nehmen sind mitt­ler­weile junge Tech­no­lo­gie­firmen aus Amerika und China. Daten sind ihr Treib­stoff. Anhand dieser Daten breiten sich die Unter­nehmen mit ihren Platt­form­öko­no­mien und Netzwerk-Effekten aus. Chinas Tencent ist zugleich eine Chat-Plattform, eine Reise­agentur, eine Film­agentur, eine Such­ma­schine, ein Compu­ter­spie­le­ent­wickler, ein Musik­un­ter­nehmen, eine Versi­che­rungs­agentur und so weiter. Die Tech­no­lo­gie­titanen erobern Branchen, schaffen Abhän­gig­keiten und mächtige Mono­pol­struk­turen. Wenn Europa nicht selber eine starke Digi­tal­in­dus­trie entwi­ckelt, muss es sich, so Joschka Fischer, als Cyber­ko­lonie zwischen Silicon Valley und Shenzhen entscheiden.

Quali­fi­ka­ti­ons­druck nimmt zu

Die digitale Macht­frage wird auch in der Arbeits­welt gestellt. Der Druck auf die Quali­fi­ka­tion von Arbeitnehmer/​innen nimmt zu. Die Digi­ta­li­sie­rung stellt tradi­tio­nelle Jobs in Frage. In welchem Umfang sie neue schafft, ist eine offene Frage. Arbeiter und Ange­stellte werden zwischen Arbeits­kosten und Robotern in die Zange genommen. Einige ameri­ka­ni­sche Studien belegen, dass eine Anhebung des Mindest­lohns die Auto­ma­ti­sie­rung stärkt. Neue Formen prekärer Selb­stän­dig­keit breiten sich aus. Risiken werden auf digitale Subun­ter­nehmer abgewälzt. Während die Chancen und Einkommen der hoch­qua­li­fi­zierten, global vernetzten digitalen Eliten eher steigen, fühlt sich ein anderer Teil der Gesell­schaft überrollt. Die Digi­ta­li­sie­rung der Arbeits­welt stellt auch den Sozi­al­staat vor Heraus­for­de­rungen. Wenn Beschäf­ti­gung durch Roboter ersetzt wird, woher kommen die Einnahmen, um den Sozi­al­staat zu finanzieren?

Zweifel am demo­kra­ti­schen Verfahren

Die Digi­ta­li­sie­rung mischt selbst­ver­ständ­lich auch gesell­schaft­lich mit. Ähnlich wie der Buchdruck im 15. Jahr­hun­dert hat sie die Bedeutung von Infor­ma­tion radikal verändert. Der Buchdruck machte Infor­ma­tionen leichter verfügbar und schuf eine neue Form der Öffent­lich­keit. Das förderte Reflek­tion, Zweifel und Kritik. Das war, so Henry Kissinger, die Grundlage für das Zeitalter der Aufklä­rung. Die Digi­ta­li­sie­rung zieht dies ins Extreme. Infor­ma­tionen verbreiten sich in atem­be­rau­bender Geschwin­dig­keit. Es bleibt kaum Zeit für Reflek­tion. Alles kann in Zweifel gezogen und das Gegenteil behauptet werden. Fake News verbreiten sich und immer mehr Menschen stecken in einer Infor­ma­tions-Echo­kammer, wo man nur das hört, was man hören will. Mittels Künst­li­cher Intel­li­genz können Bilder oder Videos auf raffi­nierte Weise verfälscht und Stimmen imitiert werden. Mani­pu­lierte Infor­ma­tionen werden durch Bots verbreitet und erreichen ein Millio­nen­pu­blikum. Mit gezielten Werbe­bot­schaften (micro-targeting) werden zahl­reiche Nutzer im Netz beeinflusst.

Das gefährdet die Grundlage jeder zivilen Gesell­schaft: Vertrauen. Vertrauen ist das unsicht­bare Band, das eine Gesell­schaft zusam­men­hält. Aber das Vertrauen schwindet. Facebook und Cambridge Analytica haben gezeigt, wie parti­zi­pa­tive Verfahren mani­pu­liert werden können. Das schafft Kontrolle. Denn Macht ist nicht nur der „Sturm auf die Bastille“. Es ist, im Hege­mo­nie­be­griff Gramscis, auch der Kampf um Ideen und die Narrative einer Gesellschaft.

Ausein­an­der­set­zung der Gesellschaftsmodelle

Die Digi­ta­li­sie­rung befeuert die Ausein­an­der­set­zung der Gesell­schafts­mo­delle. China nutzt die Digi­ta­li­sie­rung, um sein auto­kra­ti­sches System mit einer Total­über­wa­chung und mensch­li­cher Kondi­tio­nie­rung zu verfes­tigen. Peking hat die beste Gesichts­er­ken­nungs­soft­ware. Läuft man bei Rot über die Straße, wird die Person samt Name und Adresse gleich auf einer Leinwand aufge­zeichnet und öffent­lich an den Pranger gestellt. Mit dem chine­si­schen Sozi­al­kre­dit­punk­te­system sammelt man dazu gleich Minus­punkte ein. Wer gegen die Verhal­tens­re­geln verstößt und zu viele Minus­punkte hat, bekommt Schwie­rig­keiten beim Erwerb einer Wohnung oder bei Schul­plätzen für Kinder. Total­über­wa­chung und Sozi­al­kre­dit­punk­te­system – hier trifft Big Brother den Pawlow­schen Hund.

In den USA wiederum herrscht ein weit­ge­hend unre­gu­lierter Hyper-Daten­ka­pi­ta­lismus. Die Privat­sphäre ist Markt­platz. Daten werden an den höchsten Bieter verkauft und soziale Medien verkaufen Einfluss­mög­lich­keiten auf ihre Platt­formen – gerne auch an unbe­kannte Firmen aus Russland. So werden demo­kra­ti­sche Wahlen beeinflusst.

Internet als Chance

Vor Jahren bedrohte die neue Welt des Internets noch auto­kra­ti­sche Staaten. Sie schien ein Werkzeug der Demo­kra­ti­sie­rung. Die sozialen Medien beschleu­nigten den arabi­schen Frühling. Aber das Blatt hat sich gewendet. Mitt­ler­weile bedroht die Inter­net­welt die Demokratie.

Digitale Tech­no­lo­gien schaffen Kontroll­ge­winn und Kontroll­ver­lust. Sie ermäch­tigen und entmachten. So ist es mit den meisten Tech­no­lo­gien. Sie enthalten Keim­formen der Freiheit und der Unter­drü­ckung. Das Besondere der digitalen Tech­no­lo­gien ist ihre enorme Hebel­wir­kung. Sie durch­dringen alle Branchen und breiten sich mit enormer Geschwin­dig­keit aus. Sie eröffnen enorme Chancen für Kosten­re­duk­tion, Öko-Effizienz und soziale Teilhabe und enorme Poten­tiale für Kontrolle, Mani­pu­la­tion und wachsende soziale Polarisierung.

Vor diesem Hinter­grund müssen die liberalen Demo­kra­tien die neuen digitalen Tech­no­lo­gien aktiv gestalten. Sonst werden es andere tun.

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