Ungarn – mit russischem Vakzin gegen die EU?
Auf dem russische Impfstoff „Sputnik V“, der nach einer in Lancet veröffentlichten Studie wirksam sein soll, sowie auf chinesischen Vakzinen ruht die Hoffnung auf schnellere Impfungen in Ungarn. Für die Anbieterstaaten bedeutet das exzellente PR – für die EU ein weiteres Problem.
Die Tabelle überrascht. Dass Israel Impf-Weltmeister ist, hat sich dieser Tage herumgesprochen. Das Neun-Millionen-Einwohner Land impft seine Bürger im Rekordtempo durch. Auch dass die Vereinigten Arabischen Emirate, Großbritannien und die USA mit ihren Impfkampagnen schneller vorankommen als Europa, ist inzwischen bekannt. Aber wer ist eigentlich Impf-Europameister?
Ein Blick auf die Impf-Tabelle von „Our World in Data“, einem Projekt der Universität Oxford, gibt Antwort: Es ist Serbien, ein Land, das nicht einmal Mitglied der Europäischen Union (EU) ist, sondern seit fast einem Jahrzehnt auf den Beitritt wartet.
Zwar liegen in Europa – in absoluten Zahlen – die Länder Deutschland, Italien und Frankreich vorne. Aber schaut man sich an, wie viele Impfdosen pro 100 Menschen verabreicht worden sind, führt das Sieben-Millionen-Einwohner-Land Serbien die Tabelle an. Der Balkanstaat kam am Wochenende auf einen Wert von 6,4. Deutschland kam zum selben Zeitpunkt nur auf einen Wert von rund 2,8, die EU sogar nur auf 2,7. Die Zahl der verabreichten Impfdosen ist nicht gleichzusetzen mit der Gesamtzahl der geimpften Personen. Denn „Our World in Data“ zählt Einzeldosen – und die Impfregularien unterscheiden sich von Land zu Land.
Aber klar ist: Serbien, das seit 2012 darauf wartet, in die EU aufgenommen zu werden, führt den Club der 27 Staaten und rund 450 Millionen Menschen vor. Während sich die EU mit dem Impfstoffhersteller AstraZeneca zankt, impft Belgrad seine Bürger durch – und greift dabei nicht nur auf das Vakzin von Biontech/Pfizer zurück, sondern auch auf Impfstoffe aus China und Russland, die in der EU noch gar nicht zugelassen sind. Ein epidemiologischer Erfolg mit politischem Beigeschmack.
Doch Serbien ist nicht das einzige Land, das die EU mithilfe von Russland und China vorführt. Inzwischen hat auch Ungarn Impfstoff bei dem chinesischen Hersteller Sinopharm bestellt. Vergangene Woche orderte Budapest fünf Millionen Dosen des chinesischen Vakzins – zusätzlich zu dem russischen Impfstoff „Sputnik V“. Damit vollzieht das EU-Mitglied einen Alleingang. Denn in der EU sind bislang nur die Impfstoffe der Hersteller Biontech/Pfizer, Moderna und AstraZeneca zugelassen. Auch Budapest spielt – ähnlich wie Belgrad – ein ganz eigenes Spiel, das unter anderem darauf abzielt, die EU dumm aus der Wäsche gucken zu lassen.
China hat darauf gehofft, das eigene Versagen zu Beginn der Pandemie durch einen selbst entwickelten Impfstoff vergessen zu machen. Das Wettrennen um den ersten Corona-Impfstoff glich dem Space Race, dem Wettlauf ins All, bei dem die USA und die Sowjetunion in den 50er- und 60er-Jahren um die Vorherrschaft in der Raumfahrt rangen. Das Rennen ging für China verloren: Das deutsch-amerikanische Konsortium Biontech/Pfizer präsentierte den ersten erfolgreichen Corona-Impfstoff.
Doch das Wettrennen um die Impfstoff-Verteilung war damit noch nicht entschieden. Im Gegenteil, was Verfügbarkeit und Beschaffung angeht, war China nach wie vor im Rennen. Und wie sich jetzt zeigt, führt das Impfstoffdebakel der EU dazu, dass chinesische Vakzine als Lösung in der Not gelten. Jüngst forderte etwa schon der bayrische Ministerpräsident Markus Söder im Interview mit der Tageszeitung WELT, die europäischen Behörden sollten auch den russischen und chinesischen Impfstoff auf eine Zulassung prüfen – und zwar „schnellstens“. Eine Nachricht, die die chinesischen Staatsmedien genüsslich aufgriffen.
Die Impfstoffpolitik Serbiens und Ungarns folgt einem Muster: Beide Länder nutzen die Nähe zu China als Mittel, um Druck auf die EU auszuüben. Serbien verhandelt mit Brüssel seit 2012 über einen EU-Beitritt. Mit zur Schau gestellter China-Euphorie will Belgrad seine Verhandlungsposition gegenüber Brüssel verbessern.
Und auch Ungarn befindet sich mit der EU in zahllosen Konflikten, etwa in Fragen der Rechtsstaatlichkeit und des Budgets. Im November blockierte Budapest sogar den europäischen Corona-Rettungsfonds. Dadurch wurden insgesamt fast zwei Billionen Euro verzögert auf den Weg gebracht, alleine 750 Milliarden Euro, die für die Unterstützung wirtschaftlich von Corona besonders hart getroffener Staaten vorgesehen waren. Die Politik Viktor Orbáns hat also nicht nur dafür gesorgt, dass europäische Staaten langsamer an Hilfsgelder herankommen. Sie führt jetzt auch einen chinesischen Impfstoff durch die Hintertür in der EU ein – und erhält dafür in den chinesischen Staatsmedien viel Lob.
Doch was es Serbien und Ungarn ermöglicht, die EU vorzuführen, ist in erster Linie das Impfstoffdebakel in Brüssel. Denn was die Wirksamkeit der chinesischen Impfstoffe angeht, bestehen nach wie vor Fragen.
Ende Dezember stellte Sinopharm Ergebnisse für den ersten eigenen Impfstoff vor. Das Unternehmen bezifferte die Wirksamkeit des Vakzins auf 79 Prozent – deutlich niedriger als etwa die Wirksamkeit des Impfstoffs von Biontech/Pfizer, die bei 95 Prozent liegt. Die begleitende Pressemitteilung machte keine Angaben zu möglichen Nebenwirkungen und der Zahl der Teilnehmer am Phase-III-Test. Die Vereinigten Arabischen Emirate, die den Impfstoff auch getestet hatten, meldeten, dass er zu 86 Prozent wirksam sei – ohne die Abweichung zu erklären. Auch zu der Wirksamkeit des Impfstoffs des chinesischen Herstellers Sinovac gibt es unterschiedliche Angaben.
In den chinesischen Staatsmedien ist inzwischen eine Kampagne angelaufen, die darauf abzielt, die im Westen bestehenden Zweifel an chinesischen Impfstoffen als antichinesische Stimmung darzustellen – und Erfolge chinesischer Impfstoffe hochzujubeln.
Als es in Deutschland im Januar zu Todesfällen von älteren Menschen in scheinbarem Zusammenhang mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer kam, beschwerte sich beispielsweise die Moderatorin des englischsprachigen Staatsenders CGTN, Liu Xin, auf Twitter darüber, dass internationale Medien die Fälle angeblich ignorierten. Liu folgen auf Twitter mehr als 230.000 Menschen.
Die Wahrheit ist: Das für Impfstoffe zuständigen Paul-Ehrlich-Institut hatte sich die Fälle angeschaut. Es geht davon aus, „dass die Patienten an ihrer Grunderkrankung gestorben sind – in zeitlich zufälligem Zusammenhang mit der Impfung“.
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