Sanktionen gegen China – „Jetzt ist die inter­na­tionale Gemein­schaft gefragt“

Foto: Shutterstock, Karl Nesh
Foto: Shutter­stock, Karl Nesh

Zum ersten Mal seit mehr als 30 Jahren hat Europa Sanktionen gegen China verhängt. Peking reagierte prompt mit Gegen­sank­tionen – unter anderem gegen den Forscher Adrian Zenz. Hier spricht der Deutsche über Pekings Unter­drü­ckung der Uiguren, die chine­sische Angst vor Allianzen und darüber, warum sich die Volks­re­publik mit ihren Gegen­maß­nahmen wohl ins eigene Bein geschossen hat.

Am Montag hat die Europäische Union (EU) Sanktionen gegen vier chine­sische Offizielle verhängt. Brüssel reagierte damit auf die Menschen­rechts­ver­let­zungen gegen die musli­mische Minderheit der Uiguren. Nach Schät­zungen von Menschen­rechts­gruppen hat der chine­sische Staat in der Provinz Xinjiang ein System von Umerzie­hungs­lagern aufgebaut, in dem bis zu eine Million Uiguren und Mitglieder anderer Minder­heiten inter­niert worden sind.

Peking reagierte prompt. Noch am Montag belegte die Volks­re­publik zehn Europäer und vier europäische Einrich­tungen mit Sanktionen. Was sofort auffällt: Die Gegen­maß­nahmen sind nicht reziprok, Pekings Sankti­ons­liste ist mehr als dreimal so lang wie die aus Brüssel. Zudem belegte die Volks­re­publik nicht nur Politiker mit Sanktionen, sondern auch zivil­ge­sell­schaft­liche Akteure.

Einer der betrof­fenen zivil­ge­sell­schaft­lichen Akteure ist Adrian Zenz. Der Deutsche hat quasi im Alleingang dafür gesorgt, dass die Welt weiß, was im Nordwesten Chinas passiert. Die Provinz Xinjiang ist für Journa­listen und Wissen­schaftler praktisch unzugänglich. Aber Zenz wühlte sich durch öffentlich zugäng­liche Dokumente, die er auf chine­si­schen Regie­rungs­web­seiten fand, etwa Bauaus­schrei­bungen und Budgets. Anhand dieser Dokumente rekon­stru­ierte er das Lager­wesen – und Verbrechen wie Zwangs­arbeit und Gebur­ten­ver­hin­derung. Seine Recherchen sind von inter­na­tio­nalen Medien­häusern vielfach bestätigt worden.

Heute arbeitet Zenz für die Victims of Communism Memorial Foundation in Washington. Er lebt in Minnesota. Wir erreichen ihn am Telefon.

LibMod: Herr Zenz, haben Sie erwartet, dass der chine­sische Staat Sie mit Sanktionen belegt?

Adrian Zenz: Nein, das habe ich nicht. Die Volks­re­publik hat mich ja bereits seit einer Weile auf dem Kieker. Aber aus chine­si­scher Sicht ist es inkon­sistent, mich zusammen mit anderen Europäern zu sanktio­nieren. Die Propa­ganda hat immer viel Energie darauf verwendet, mich als Handlanger der Ameri­kaner darzu­stellen. Mich jetzt mit den Europäern in einen Topf zu werfen, konter­ka­riert dieses Propaganda-Narrativ.

Sie sagen, der chine­sische Staat habe Sie auf dem Kieker. Was macht er?

In der Propa­ganda-Presse erscheinen fast täglich Berichte und Meinungs­ar­tikel, die mich als Pseudo­wis­sen­schaftler bezeichnen und diffa­mieren. Nach Berichten von staat­lichen Medien wollen mich inzwi­schen sogar chine­sische Unter­nehmen wegen wirtschaft­licher Verluste verklagen. Es finden auch Presse­kon­fe­renzen statt, deren allei­niges Ziel es ist, mich zu diskre­di­tieren. Erst im März veran­staltete die Kommu­nis­tische Partei (KP) in Peking eine dreistündige Presse­kon­ferenz, mit der sie mich zu diffa­mieren versuchte. Zwischen den Zeilen fielen da auch viele nur leicht verhüllte Drohungen.

Sie dürfen nun nicht mehr nach China einreisen. Schränkt Sie das in Ihrer Arbeit ein?

Nein, ich reise schon seit Längerem nicht mehr nach China. Es ist einfach zu gefährlich. 2018 wurden zwei Kanadier unter dem vagen Vorwurf der „Spionage“ festge­nommen. Sie werden bis heute festge­halten, gerade wird ihnen unter Ausschluss der Öffent­lichkeit der Prozess gemacht. So etwas kann heute in China jedem Forscher und NGO-Mitar­beiter passieren.

Peking hat nicht nur europäische Politiker sanktio­niert, sondern auch zivil­ge­sell­schaft­liche Akteure. Sehen Sie darin eine politische Botschaft?

Der chine­sische Staat schießt ganz gezielt gegen alle Insti­tu­tionen, die sich kritisch mit dem Land befassen. Er handelt nach dem Freund-Feind-Prinzip und versucht, Forscher auf der ganzen Welt mundtot zu machen. In Australien ist es etwa der Thinktank Australian Strategic Policy Institute, der ins Faden­kreuz geraten ist. Und am Montag wurde dann der deutsche Thinktank Merics sanktio­niert, Europas führende Forschungs­ein­richtung zu China.

Am Montag hat nicht nur Brüssel Sanktionen gegen China erlassen. In einer gemein­samen Aktion haben auch Großbri­tannien, die USA und Kanada China wegen der Menschen­rechts­ver­let­zungen gegen die Uiguren mit Sanktionen belegt. Beein­druckt das Peking?

Ja, Peking hat große Angst davor, dass Joe Biden eine Allianz gegen die Volks­re­publik schmiedet. Die gemein­samen Sanktionen sind deswegen aus chine­si­scher Sicht besorg­nis­er­regend. Der chine­sische Staat geht gewöhnlich nach dem Teile-und-herrsche-Prinzip vor. Er versucht, Blöcke ausein­an­der­zu­di­vi­dieren und Konflikte bilateral auszu­tragen, etwa mit Schweden und Australien. Dass sich eine Allianz gegen die Menschen­rechts­ver­let­zungen gegen die Uiguren bildet, ist für Peking eine schlechte Nachricht.

Bei den europäi­schen Maßnahmen handelt es sich um die ersten EU-Sanktionen gegen China seit 1989. Damals schlug Peking eine von Studenten getragene Demokra­tie­be­wegung unter Einsatz von Panzern nieder. Sind die Sanktionen eine Zäsur im europäisch-chine­si­schen Verhältnis?

Ich denke schon, denn sie haben eine starke Signal­wirkung. Europa verfolgt tradi­tionell den Ansatz, wirtschaft­liche Inter­essen und Menschen­rechte zu trennen. Ende des vergan­genen Jahres einigten sich Brüssel und Peking etwa auf ein Inves­ti­ti­ons­ab­kommen. Das kam nur zustande, weil Brüssel der Meinung war, man könne den Schutz von Menschen­rechten nur mit anderen Mecha­nismen durch­setzen, etwa mit Sanktionen. Ich halte diesen Ansatz für falsch, denn Peking trennt wirtschaft­liche Inter­essen und Menschen­rechte nicht. Für den chine­si­schen Staat ist das eine Einheit. Aber genau deswegen sind die harten Gegen­maß­nahmen aus China auch ein Fehler: Sie nutzen die europäische Trennung nicht aus, sondern bringen noch mehr Europäer gegen China auf. Letzen Endes sorgt die Volks­re­publik mit ihren überzo­genen Gegen­sank­tionen für die tiefere Zäsur.

Die Verhand­lungen über das Inves­ti­ti­ons­ab­kommen wurden Ende des vergan­genen Jahres abgeschlossen. Das Abkommen soll Anfang 2022 vom Europäi­schen Parlament ratifizier werden. Ist das noch wahrscheinlich?

Das ist ziemlich unwahr­scheinlich geworden. Am Montag hat die sozial­de­mo­kra­tische Fraktion im EU-Parlament erklärt, dass sie die Aufhebung chine­si­scher Sanktionen gegen Europa­ab­ge­ordnete zur Bedingung dafür macht, dass das Parlament Gespräche über das Inves­ti­ti­ons­ab­kommen aufnimmt. Natürlich muss man abwarten, was in den nächsten Monaten noch passiert. Aber es sieht so aus, als hätte sich Peking ins eigene Bein geschossen.

Seit 2018 haben Sie mit Ihren Enthül­lungs­be­richten ganz wesentlich dazu beigetragen, die syste­ma­tische Unter­drü­ckung und Verfolgung der Uiguren in China aufzu­decken. Kennen wir inzwi­schen das ganze Ausmaß? Oder rechnen Sie noch mit neuen Enthüllungen?

Das hängt davon ab, auf was ich in Zukunft bei meiner Recherche stoße. Aber ich bin nach wie vor motiviert. Auch die Berichte über eine Klage von chine­si­schen Unter­nehmen sehe ich eher als Beleg dafür, dass ich mit meiner Arbeit einen wichtigen Beitrag leiste. Denn wenn chine­sische Unter­nehmen, die von Zwangs­arbeit profi­tieren, mich wegen wirtschaft­licher Verluste verklagen wollen, zeigt das doch, dass meine Arbeit dazu führt, dass westliche Unter­nehmen ihre Liefer­ketten überdenken. Aber um das große Ganze im Auge zu behalten: Ich glaube, die Phase der Enthül­lungen geht zu Ende. Jetzt ist die inter­na­tionale Gemein­schaft gefragt. Sie muss die richtigen Schlüsse aus den Enthül­lungen ziehen.

Textende

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