Was ist mit den Deutschen los?

In Israel ist man erstaunt über die bislang zöger­liche Unter­stützung der Ukraine.

Im Augen­blick hat Israel sein Augenmerk vor allem auf die antise­mi­ti­schen und ungeheu­er­lichen, geschichts­ver­dre­henden Ausbrüche des russi­schen Außen­mi­nisters Sergej Lawrow gerichtet. Dennoch fragen sich hierzu­lande viele Israelis, die einen Bezug zu Europa und Deutschland haben, was „da drüben“ eigentlich los sei. Mit Befremden sah man dem Zögern und Zaudern der Bundes­re­gierung zu, oder soll man besser sagen: dem Zaudern des Bundes­kanzlers. Niemand konnte in einem Land, das sein Überleben seiner militä­ri­schen Stärke verdankt, verstehen, wieso Deutschland der Ukraine nicht sofort sehr viel mehr Hilfe und militä­ri­sches Material schickte. Das deutsche Zögern kommt in Israel nicht gut an. Es bestätigt den Israelis, dass ihre Doktrin richtig ist: „Verlass dich auf niemanden. Verlass dich nur auf dich selbst. Nur die israe­lische Armee kann das Land vertei­digen. Nur die eigene Armee soll das Land verteidigen.“

Dazu muss sie stets bestens ausge­rüstet und vorbe­reitet sein. Eine Situation wie in der Ukraine ohne ausrei­chend Waffen, ohne vernünftige Defensiv- und Offen­siv­systeme würde für Israel das sichere Ende bedeuten. Anders als die Ukraine ist Israel ja nur ein winziger Fleck auf der Landkarte. Einen Einmarsch in das Land würde Israel wohl kaum überleben. Mögli­cher­weise dann aber auch die ganze Region nicht, denn Israel verfügt über Kapazi­täten, von denen jeder weiß, welche das sind, über die man aber nicht spricht.

Das Zögern des Kanzlers wird hier aber natürlich auch in einem histo­ri­schen Kontext gesehen. Haben die Deutschen nicht immer und immer wieder betont, sie hätten aus der Geschichte gelernt? Bei jeder Gelegenheit wird „Nie wieder!“ und „Wehret den Anfängen!“ gerufen. Aber hat sich irgend­jemand mal wirklich Gedanken gemacht, was das eigentlich bedeutet? Dass man Tyrannen mit Macht, auch militä­ri­scher Macht, entge­gen­treten muss und nicht mit Appease­ment­ver­halten? Die meisten Israelis können die deutsche Haltung nicht verstehen. Sie begreifen nicht, dass sie in den Anfängen der Bundes­re­publik eine Konse­quenz, eine Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg beinhaltete. Nie wieder Krieg. Nie wieder darf Krieg von deutschem Boden ausgehen. Das war früher sicher richtig und nobel ‑vor allem vor der Wieder­ver­ei­nigung. Aber längst ist die Bundes­re­publik kein kleines Nischenland mehr, in dem man es sich gemütlich einrichten kann, sondern eine Mittel­macht, das stärkste und größte Land der EU. Da erwarten auch israe­lische Experten für europäische Politik Führungs- und Gestal­tungs­willen in Deutschland, gerade wenn es darum geht, einen neuen Völkermord zu verhindern.

Für Israelis, die mit größter Selbst­ver­ständ­lichkeit in eine Gesell­schaft hinein­wachsen, in der die Armee ein integraler Bestandteil des eigenen Lebens ist, ist es schwierig zu begreifen, dass Deutsche das Militär eher ablehnen. Natürlich, vor allem Ältere verstehen die Gründe. Deutscher Natio­na­lismus war nach der NS-Zeit verpönt, ebenso eine deutsche Armee. Doch das ist doch längst vorbei, so argumen­tieren jüngere Israelis, die Berlin und Deutschland lieben und Angela Merkel während ihrer Amtszeit immer wieder als belieb­teste auslän­dische Politi­kerin in Umfragen angaben. Dass sie mit verant­wortlich ist für das Desaster, das man jetzt erleben muss, verstehen die meisten nicht, dazu sind ihnen die Details deutscher und europäi­scher Politik zu fremd.

Was aber sehr wohl wahrge­nommen wurde, war der Offene Brief, den Alice Schwarzer und andere deutsche Intel­lek­tuelle veröf­fent­licht hatten. Ich selbst wurde in den letzten Tagen mehrfach von israe­li­schen Journa­listen gefragt, ob die Unter­zeichner des Briefes eigentlich begreifen, was sie da fordern. „Was ist das für eine arrogante Haltung, den Ukrainern letzt­endlich zu unter­sagen, sich wehren zu wollen. Und im Grunde zu wollen, dass die Russen gewinnen, damit endlich Ruhe herrscht.“ Solche Sätze hörte ich in den letzten Tagen mehrfach. Es sind zum Teil dieselben Sätze, die Robert Habeck zu dem Brief von Schwarzer & Co. geäußert hat.

Wenn man zurück­blickt auf die Zeit des Golfkrieges 1991, so gab es schon damals dieses komplette Unver­ständnis zwischen deutschen und israe­li­schen Friedens­ak­ti­visten. Deutsche Intel­lek­tuelle um Günter Grass, von denen viele einen beinahe bedin­gungs­losen Pazifismus predigten, standen Schrift­stellern wie Yoram Kaniuk und Amos Oz gegenüber, die in der „Peace Now“ Bewegung für ein Ende der israe­li­schen Besatzung kämpften, gleich­zeitig aber betonten, jederzeit für ihr Land in den Krieg zu ziehen, wenn es existen­tiell bedroht sei. Schon damals verstand man sich nicht. Die Lebens­ent­würfe, die politische Situation Deutsch­lands und Israels war und ist grund­sätzlich anders.

Darum schütteln viele Israelis hier den Kopf über die Deutschen. Dass es viele gibt, die Alice Schwarzer und ihre Gefährten offen und lautstark kriti­sieren, mag wahrge­nommen werden. Doch der primäre Eindruck, Deutschland ducke sich vor Putin weg, ist stärker. Und wirft kein gutes Licht auf das Land, das in Israel eigentlich viele bewundern und beneiden.

Immerhin, es bewegt sich was. Die Entsendung schwerer Waffen beginnt. Außen­mi­nis­terin Baerbock wird nach Kiew reisen. Ob Israel das als echten Lernprozess Deutsch­lands werten wird, ist noch unklar. Denn der Eindruck bleibt: Berlin hat lange gebraucht, um wirkungsvoll zu reagieren.

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