Taiwans neuer Präsident Lai Ching-te ist kein „Frie­dens­zer­störer“

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Chinas Medien bezeich­neten den neuen Präsi­denten als „Frie­dens­zer­störer“, doch Lai Ching-te strebt keine Unab­hän­gig­keit von China an. Warum westliche Staaten auf den Wahlsieg Lais dennoch besorgt reagierten und welche Rolle der Vatikan spielt, kommen­tiert Alexander Görlach.

Mit der Wahl von Lai Ching-te zum neuen Präsi­denten brachte das taiwa­ne­si­sche Volk seine deutliche Unter­stüt­zung für den Kandi­daten der Demo­kra­ti­schen Fort­schritts­partei DPP zum Ausdruck – und damit für den Erhalt des Status quo in den Bezie­hungen zu seinem auto­ri­tären Nachbarn, der Volks­re­pu­blik China.

Im Vorfeld der Abstim­mung bezeich­neten Chinas staatlich kontrol­lierte Medien Lai jedoch als „Frie­dens­zer­störer“, der angeblich „Unab­hän­gig­keit“ von China anstrebe. Nach der Wahl wieder­holte Pekings Sprecher Xi Jinpings Aussage aus seiner Neujahrs­an­sprache: Die „Wieder­ver­ei­ni­gung“ mit der Volks­re­pu­blik China werde „unver­meid­lich“ kommen.

Besorgte Glück­wün­sche west­li­cher Länder

Ange­sichts der Reak­tionen west­li­cher Regie­rungen auf Lais Wahlsieg scheint es, dass viele von ihnen unver­ständ­li­cher­weise die Ansicht Pekings teilen, dass Lai tatsäch­lich eine Unab­hän­gig­keit im Sinne hätte. US-Präsident Joe Biden sagte in seinen Glück­wün­schen daher präventiv, dass die Verei­nigten Staaten keine Unab­hän­gig­keits­er­klä­rung unter­stützen würden, und betonte, dass Washington bestrebt sei, den Status quo zwischen den beiden Nationen aufrechtzuerhalten.

Das Außen­mi­nis­te­rium in Berlin sagte, es begrüße die weitere Zusam­men­ar­beit mit Taiwan im Rahmen seiner „Ein-China“-Politik – eine Formu­lie­rung, die Pekings Behaup­tung unwi­der­spro­chen lässt, Taiwan sei ein Teil der Volks­re­pu­blik. Das Verei­nigte König­reich und Frank­reich äußerten ihre Hoffnung, dass die Akteure auf beiden Seiten der Taiwan­straße ihre Meinungs­ver­schie­den­heiten friedlich beilegen mögen.

Nutzt China den Sieg Lais als Vorwand für einen Militärschlag?

Aufgrund der immer aggres­si­veren Rhetorik und des Vorgehens Pekings vor der Wahl (es schickte unter anderem Spio­na­ge­bal­lons über die Insel) wuchs die Befürch­tung, dass Xi Jinping Lais Sieg nutzen würde, um den Krieg zu beginnen, von dem er in den letzten Jahren häufiger gespro­chen hatte. Chinas „Paramount Leader“ hat mehrfach erklärt, dass die „Wieder­ver­ei­ni­gung“ mit Taiwan notfalls auch mit Gewalt herbei­ge­führt würde. Aller­dings versäumte er dabei, Alter­na­tiven zu einem Mili­tär­schlag aufzu­zeigen, was zu dem Schluss führte, dass Peking letztlich sein Ziel ausschließ­lich mit mili­tä­ri­schem Zwang verfolgen würde.

Säbel­ras­seln als probates Mittel in schwie­rigen Zeiten

Xi Jinping steht im eigenen Land zunehmend unter Druck: Die Wirt­schaft schrumpft, die Jugend­ar­beits­lo­sig­keit ist unter seiner Amtszeit in die Höhe geschossen, der Immo­bi­li­en­sektor befindet sich im freien Fall und ein schlecht regu­lierter Banken­sektor gefährdet weiterhin die Erspar­nisse der neu entste­henden Mittel­schicht Chinas. In solchen Momenten gehört das Säbel­ras­seln zur Spezia­lität eines jeden Diktators, um von seinen eigenen Unzu­läng­lich­keiten abzulenken.

Die besorgten und zurück­hal­tenden Reak­tionen auf Lais Sieg und die vorsichtig formu­lierten Erklä­rungen west­li­cher demo­kra­ti­scher Regie­rungen (Berlin vermied es beispiels­weise sorg­fältig, Lai „Präsident“ zu nennen, um Peking nicht zu verärgern) zeigten, wie real die Kriegs­ge­fahr in den Haupt­städten von Berlin bis Washington wahr­ge­nommen wurde.

Taiwan verfügt bereits über alle Merkmale eines souve­ränen Staates

Im Gegensatz zu den Behaup­tungen Pekings und den Warnungen Washing­tons haben Lai Ching-te und seine Demo­kra­ti­sche Fort­schritts­partei in den vergan­genen acht Jahren, in denen Tsai Ing-wen Präsi­dentin war, keinerlei Neigung gezeigt, den Status quo zu ändern. Lai meint vielmehr – und zu Recht –, dass Taiwan, mit vollem Namen „Republik China“, bereits ein unab­hän­giger Staat ist, der keine Unab­hän­gig­keit anstreben muss. Tatsäch­lich hat der Auswär­tige Ausschuss des briti­schen Parla­ments im vergan­genen August einen Bericht heraus­ge­geben, wonach Taiwan über alle notwen­digen Merkmale eines souve­ränen Staates verfügt: ein Terri­to­rium, ein Staats­volk, eine funk­tio­nie­rende Regierung und die Fähigkeit, Außen­be­zie­hungen aufzu­bauen und aufrechtzuerhalten.

Erkennt Peking die Eigen­stän­dig­keit Taiwans still­schwei­gend an?

Da Peking sich sehr bemüht, Taiwans verblei­bende zwölf diplo­ma­ti­sche Verbün­dete (der Insel­staat Nauru wechselte zwei Tage nach der Wahl zur Freude Pekings seine diplo­ma­ti­sche Loyalität) auf seine Seite zu ziehen, scheint es still­schwei­gend und wider­willig zuzu­stimmen, dass Taiwan tatsäch­lich ein eigen­stän­diger Staat ist.

Ohne die diplo­ma­ti­schen Partner Taiwans könnte China die Insel für sich beanspruchen

Denn ohne diplo­ma­ti­sche Partner würde die „Republik China“ als Staat nicht mehr exis­tieren und Peking könnte die Insel für sich bean­spru­chen. In Europa unterhält nur der Vati­kan­staat diplo­ma­ti­sche Bezie­hungen zu Taiwan, einem Land mit reli­giösem Plura­lismus und einer leben­digen christ­li­chen Minder­heit im Vergleich zu Xi Jinpings ausge­spro­chen feind­se­ligem Staat, in dem religiöse Gruppen jeglicher Herkunft heftig verfolgt werden.

Westliche Nationen betonten in ihren Glück­wunsch­schreiben (das deutsche Telegramm war übrigens das erste seiner Art seit der Wahl im Jahr 2012), dass Taiwan eine erfolg­reiche, beispiel­ge­bende Demo­kratie sei. In der Tat steht die Insel­na­tion im welt­weiten Demo­kratie-Index des Magazins The Economist auf Platz 10 (Deutsch­land liegt Platz 14, die Verei­nigten Staaten abge­schlagen auf Platz 30). Wenn dieses Lob ernst gemeint ist, dann kann das nur heißen, dass man auf die Regierung Lai setzen und ihren Aussagen glauben muss – und nicht den Behaup­tungen Xi Jinpings und seiner Nomen­kla­tura in Peking.

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