Warum Afrikas Wirtschaften brummen

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Viele afrika­nische Volks­wirt­schaften verzeichnen derzeit Zuwächse beim Brutto­in­lands­produkt (BIP), die weit über dem Niveau entwi­ckelter Indus­trie­na­tionen liegen. Das für die nächsten Jahrzehnte prognos­ti­zierte Bevöl­ke­rungs­wachstum lässt einen zusätz­lichen Boom erwarten. Aber dass die demogra­fisch günstige Entwicklung tatsächlich zu einem Aufschwung führt, ist nicht garantiert.

Wirtschafts­wachstum – wo steht Afrika?

In seinem aktuellen „World Economic Outlook“ weist der Inter­na­tionale Währungs­fonds (IWF) die Verän­derung des realen Brutto­in­lands­pro­dukts (BIP) für rund 190 Länder aus. Unter den Top-10-Ländern mit der höchsten Zuwachsrate sind sechs afrika­nische Staaten zu finden. Zu ihnen gehören Äthiopien, die Elfen­bein­küste, Ruanda und Senegal. Sie alle erreichten nach den vorläu­figen Schät­zungen 2018 ein Wirtschafts­wachstum, das bei sieben Prozent und mehr lag. 

Portrait von Albrecht Sonntag

Thieß Petersen ist Senior Advisor der Bertelsmann Stiftung und Lehrbe­auf­tragter an der Europa-Univer­sität Viadrina in Frankfurt (Oder).

Vereinzelt wird Afrika daher als der nächste (und letzte) große Wachs­tums­motor der Welt angesehen. Exempla­risch zeigt sich dies etwa an Ruanda, das immer wieder gerne „das Singapur Afrikas“ genannt wird.

Die hohen Wachs­tums­raten müssen jedoch relati­viert werden:

  • Im weltweiten Vergleich ist die durch das BIP gemessene Wirtschafts­leistung Afrikas gering. So ist das BIP aller 54 afrika­ni­schen Volks­wirt­schaften zusammen immer noch geringer als die Wirtschafts­leistung Frank­reichs. Gegen­wärtig produ­ziert Afrika, das knapp 17 Prozent der Weltbe­völ­kerung behei­matet, lediglich drei Prozent der globalen Wirtschaftsleistung.
  • Der für den materi­ellen Wohlstand der Menschen entschei­dende Indikator ist das BIP pro Einwohner. Dieses liegt in Afrika erheblich unter dem Niveau aller anderen Regionen. Nach Angaben der United Nations Confe­rence on Trade and Develo­pment (UNCTAD) erreichte das reale und um Kaufkraft­un­ter­schiede berei­nigte BIP pro Kopf in Afrika 2017 lediglich 1.900 US-Dollar. Das entspricht nicht einmal 20 Prozent des weltweiten Durch­schnitts­werts von rund 10.500 US-Dollar.
  • Schließlich ist zu beachten, dass die wirtschaft­liche Trans­for­mation Afrikas in den letzten Jahren vielfach zum Still­stand gekommen ist. Nach der Aufbruch­stimmung zu Beginn der Nuller­jahre verlang­samte sich das Wirtschafts­wachstum von 2015 bis 2017. Gründe dafür waren sinkende Weltmarkt­preise für Rohstoffe, die fehlende Diver­si­fi­zierung vieler Volks­wirt­schaften, steigende Infla­ti­ons­raten und politische Insta­bi­lität.

Starker Zuwachs der Bevöl­kerung im erwerbs­fä­higen Alter, …

Ein Treiber der wirtschaft­lichen Entwicklung eines Landes ist dessen Ausstattung mit Arbeits­kräften. Nach gängiger Konvention sind das die Personen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren. Zwischen 2015 und 2050 ist Afrika die Weltregion mit dem stärksten erwar­teten prozen­tualen Bevöl­ke­rungs­zu­wachs in dieser Alters­gruppe. Die Zahl der Menschen zwischen 15 und 64 Jahren steigt den Prognosen der Vereinten Nationen zufolge von 663 Millionen im Jahr 2015 auf 1.565 Millionen im Jahr 2050; ein Plus von 136 Prozent. In Europa nimmt die absolute Zahl der Menschen in dieser Alters­gruppe zwischen 2015 und 2050 voraus­sichtlich um 17 Prozent ab.

Neben dieser rein zahlen­mä­ßigen Entwicklung zeichnet sich die Bevöl­kerung Afrikas dadurch aus, dass sie im globalen Vergleich sehr jung ist. Nach den Projek­tionen der Vereinten Nationen werden selbst 2050 lediglich rund sechs Prozent der afrika­ni­schen Gesamt­be­völ­kerung 65 Jahre und älter sein. In Europa und Nordamerika lag dieser Anteil bereits 1950 bei acht Prozent.

… aber nur geringer Anteil der Erwerbs­be­völ­kerung an der Gesamtbevölkerung

Trotz dieser auf den ersten Blick günstigen Bevöl­ke­rungs­struktur ist ein weiterer Aspekt zu bedenken: Die Erwerbs­tä­tigen einer Volks­wirt­schaft müssen die von ihnen produ­zierten Güter und Dienst­leis­tungen nicht nur mit den alters­be­dingt nicht mehr erwerbs­fä­higen, alten Menschen teilen, sondern auch mit Kindern und Jugend­lichen, die noch nicht für die Produk­ti­ons­pro­zesse zur Verfügung stehen.

Gegen­wärtig machen die Personen im erwerbs­fä­higen Alter in Afrika rund 56 Prozent aus. Im weltweiten Durch­schnitt liegt der Anteil bei rund 65 Prozent der Gesamt­be­völ­kerung. Bis 2050 wird für Afrika ein Anstieg dieser Alters­gruppe auf 62 Prozent der Bevöl­kerung erwartet. Dieser Wert liegt dann aber immer noch gering­fügig unter dem globalen Durch­schnitt von 63 Prozent.

Bevöl­ke­rungs­zu­wachs kann Wirtschafts­wachstum bedeuten

Grund­sätzlich lässt sich mit einem Anstieg der Arbeits­be­völ­kerung ein größeres BIP bewirken. Dies setzt jedoch eine entspre­chende Kapital­aus­stattung voraus: Selbst extrem arbeits­in­tensive Produk­ti­ons­ver­fahren kommen nicht ohne Werkzeuge, Maschinen, Energie, ein funktio­nie­rendes Straßen- und Trans­port­we­genetz aus.

Wegen der niedrigen Einkommen sind die gesamt­wirt­schaft­lichen Erspar­nisse in den afrika­ni­schen Ländern häufig nur gering. Die im eigenen Land herge­stellten Güter und Dienst­leis­tungen werden zudem für die Versorgung der Bevöl­kerung mit lebens­not­wen­digen Dingen benötigt. In der Regel sind kaum genügend produktive Ressourcen vorhanden, um neben der Versorgung der Bevöl­kerung auch noch Inves­ti­ti­ons­güter und Infra­struk­tur­ein­rich­tungen herstellen zu können. Es herrscht also Kapital­knappheit. Daher ist nicht gesichert, dass die auf den Arbeits­markt drängenden Arbeits­kräfte alle mit Maschinen und Werkzeugen ausge­stattet werden können.

Damit die Arbeits­kräfte die notwendige Kapital­aus­stattung erhalten, ist deshalb der Import von Sachka­pital aus dem Ausland erfor­derlich. Hierbei bieten sich für die Entwick­lungs­länder Afrikas zwei grund­sätz­liche Wege an:

  • Wenn das Land über Rohstoffe verfügt, kann es diese expor­tieren und die Export­erlöse für den Erwerb von Inves­ti­ti­ons­gütern verwenden.
  • Falls es jedoch keine Rohstoffe hat (oder die Rohstoff­ex­port­erlöse zu gering sind), ist das Land auf eine Kredit­fi­nan­zierung durch das Ausland angewiesen.

Sofern der Import von Inves­ti­ti­ons­gütern statt­findet, können sich die afrika­ni­schen Volks­wirt­schaften in die Weltwirt­schaft integrieren und arbeits­in­tensiv herge­stellte Produkte expor­tieren. Ohne diesen Import droht jedoch eine weitere Abkop­pelung von der inter­na­tio­nalen Arbeits­teilung und der weltwirt­schaft­lichen Entwicklung. In diesem Fall wächst der Anreiz, das eigene Land zu verlassen. Der Fortzug von quali­fi­zierten Menschen kann die wirtschaft­liche Entwicklung in den vom Brain­drain betrof­fenen Regionen weiter schwächen und so eine wirtschaft­liche Abwärts­tendenz hervorrufen.

Ausblick

Ohne eine Unter­stützung beim Kapital­stock­aufbau und Techno­lo­gie­transfer durch die entwi­ckelten Indus­trie­länder droht Afrika – wirtschaftlich betrachtet –, vom Rest der Welt abgehängt zu werden. Die Folge wäre eine erheb­liche Zunahme gesell­schaft­licher Konflikte in Afrika und damit auch des Migra­ti­ons­drucks. Ziel dieser Migration dürften vor allem die entwi­ckelten Volks­wirt­schaften Europas sein. Um die nicht auszu­schlie­ßenden sozialen Spannungen zu verringern, die aus einer verstärkten Zuwan­derung entstehen können, liegt die Förderung des wirtschaft­lichen Wachstums in Afrika – neben ethischen Erwägungen – im ureigenen Interesse der westlichen Indus­trie­na­tionen, allen voran der europäi­schen. Mögliche Ansatz­punkte hierfür sind beispielsweise:

  • Eine Steigerung der Ausgaben für Entwick­lungs­hilfe und finan­zielle Unter­stüt­zungen für Inves­ti­tionen in Afrika zur Förderung der privaten und staat­lichen Infrastruktur.
  • Eine bessere Integration Afrikas in die Weltwirt­schaft, indem die europäi­schen Indus­trie­staaten ihre Märkte für Produkte aus Afrika öffnen, ohne gleich­zeitig zu verlangen, dass Afrika dies auch tut. (Weil die afrika­ni­schen Volks­wirt­schaften häufig noch nicht wettbe­werbs­fähig sind.)
  • Die Verrin­gerung oder sogar der Abbau von Subven­tionen für Agrar­pro­dukte in den Indus­trie­ländern, um die damit verbundene Wettbe­werbs­ver­zerrung gegenüber den stärker von der Agrar­wirt­schaft abhän­gigen afrika­ni­schen Volks­wirt­schaften zu beseitigen.

Einschränkend ist darauf hinzu­weisen, dass diese Strategie der Wirtschafts­för­derung die Zahl der Migranten aus Afrika zunächst einmal ansteigen lassen dürfte. Grund dafür ist der einfache Umstand, dass sich dann auch mehr Menschen die Kosten der Auswan­derung leisten können.

Entscheidend für den Erfolg dieser unter­stüt­zenden Maßnahmen und die wirtschaft­liche Entwicklung des Konti­nents insgesamt wird jedoch sein, wie die afrika­ni­schen Länder selbst ihr Schicksal in die Hand nehmen und ihre demokra­tische Regie­rungs­führung verbessern. Politische Insta­bi­lität, anhal­tende Konflikte, zu geringe Fortschritte bei der Bekämpfung von Korruption, ein Mangel an Regie­rungs­le­gi­ti­mität in vielen Ländern und fehlende Anstren­gungen der rohstoff­reichen Länder, wirtschaftlich zu diver­si­fi­zieren oder regionale Integration voran­zu­treiben, schränken die wirtschaft­lichen Chancen vieler afrika­ni­scher Staaten ein. Die Ergeb­nisse des Trans­for­ma­ti­ons­index „BTI 2018“ stellten für die letzten Jahre eine sinkende Qualität von Demokratie, Markt­wirt­schaft und Gover­nance im regio­nalen Durch­schnitt fest.

Gleich­zeitig stellt nicht zuletzt der demogra­fische und gesell­schaft­liche Wandel einen der Silber­streife am Horizont dar: Der Zuwachs an Bildung, die zuneh­mende Verbreitung von inter­net­fä­higen Mobil­te­le­fonen sowie die rasante Urbani­sierung haben auch dazu geführt, dass immer mehr kritische Bürger ihre Unzufrie­denheit mit schlecht funktio­nie­renden und korrupten Regie­rungen äußern.

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