Warum Protek­tio­nismus mehr­heits­fähig ist

© Shut­ter­stock

Stahl, Aluminium, Autos: Nicht nur die USA greifen verstärkt auf Zölle zurück, um die heimische Wirt­schaft zu schützen. Tatsäch­lich aber schaden protek­tio­nis­ti­sche Maßnahmen der Volks­wirt­schaft des Landes, das sie anwendet. Polit­öko­no­mi­sche Über­le­gungen zu einem paradox erschei­nenden Phänomen.

Warum schwächt Protek­tio­nismus Wachstum und Beschäf­ti­gung im eigenen Land?

Import­zölle und andere protek­tio­nis­ti­sche Maßnahmen schwächen die Wirt­schaft des Landes, das diese handels­po­li­ti­schen Instru­mente einsetzt, auf viel­fäl­tige Weise: Sie erhöhen die Preise für Konsum­güter und redu­zieren so die Kaufkraft der heimi­schen Verbrau­cher. Sie verteuern die Vorleis­tungen für Unter­nehmen und verrin­gern dadurch deren inter­na­tio­nale Wett­be­werbs­fä­hig­keit. Damit gehen die Exporte des Landes, das den Zoll erhebt, zurück. Wenn sowohl die Konsum­nach­frage als auch die Exporte geringer werden, lässt die Inves­ti­ti­ons­nach­frage der Unter­nehmen nach. Alle diese Entwick­lungen verrin­gern nach­fra­ge­seitig die Produk­tion, die Beschäf­ti­gung und die Einkommen in dem Land, das den Import­zoll erhebt. 

Portrait von Albrecht Sonntag

Thieß Petersen ist Senior Advisor der Bertels­mann Stiftung und Lehr­be­auf­tragter an der Europa-Univer­sität Viadrina in Frankfurt (Oder).

Darüber hinaus bean­sprucht der inter­na­tional nicht mehr wett­be­werbs­fä­hige und geschützte Sektor zu viele Ressourcen, die anderen Sektoren fehlen. Protek­tio­nismus fördert also eine Fehl­al­lo­ka­tion knapper Ressourcen. Damit wird das Wirt­schafts­wachstum auch ange­bots­seitig gedämpft. Vergel­tungs­maß­nahmen der vom Protek­tio­nismus betrof­fenen Handels­partner schwächen das wirt­schaft­liche Wachstum zusätzlich.

Bisherige Erfah­rungen mit protek­tio­nis­ti­schen Maßnahmen

Es gibt eine Vielzahl von Beispielen aus der Geschichte, in denen Länder zum Schutz einzelner Branchen handels­be­schrän­kende Maßnahmen ergriffen haben und damit der eigenen Volks­wirt­schaft per Saldo geschadet haben. Gerade die USA haben derartige Maßnahmen besonders häufig ange­wendet – mit negativen Konse­quenzen für die eigene Wirt­schaft. Ein paar Beispiele:

  • Ein frühes Beispiel ist das generelle Handels­em­bargo, das unter Präsident Thomas Jefferson beschlossen wurde und von Dezember 1807 bis März 1809 galt. Es führte zu einem nahezu voll­stän­digen Zusam­men­bruch des US-Außen­han­dels. Nach Schät­zungen von Douglas Irwin führte dieser Schritt zu einem fünf­pro­zen­tigen Rückgang des ameri­ka­ni­schen Bruttonationaleinkommens.
  • Eine ebenfalls sehr weit­ge­hende Beschrän­kung des ameri­ka­ni­schen Außen­han­dels erfolgte durch den „Smoot-Hawley Tariff Act“. Das 1930 erlassene Bundes­ge­setz hob die Import­zölle für mehr als 20.000 Produkte erheblich an. Diese Handels­be­schrän­kungen verschärften den wirt­schaft­li­chen Abschwung der Welt­wirt­schafts­krise. Das reale US-Brut­to­na­tio­nal­ein­kommen ging zwischen 1929 und 1933 um rund 30 Prozent zurück. Mario Crucini und James Kahn gehen davon aus, dass bis zu einem Drittel dieses Rückgangs auf den „Smoot-Hawley Tariff Act“ zurück­zu­führen ist.
  • Ein Beispiel aus der jüngeren Vergan­gen­heit sind die Schutz­zölle für Stahl, die unter Präsident Bush 2002 einge­führt wurden. Der damit verbun­dene Anstieg des Stahl­preises führte nach Schät­zungen von Joseph Francois und Laura Baughma im Laufe des Jahres 2002 in den USA insgesamt zu einem Verlust von rund 200.000 Arbeits­plätzen. Das sind mehr Arbeits­plätze als die ameri­ka­ni­sche Stahl­in­dus­trie im Jahr 2002 hatte: Im Dezember 2002 waren es 187.500 Arbeitsplätze.

Protek­tio­nismus und die poli­ti­sche Ökonomie von Anthony Downs

Selbst wenn ein protek­tio­nis­ti­sches Instru­ment einer geschützten Branche kurz­fristig helfen kann, richtet es gesamt­ge­sell­schaft­lich Schäden an, die größer sind als die Einkom­mens­zu­wächse in dem geschützten Sektor. Warum kommt es zu poli­ti­schen Entschei­dungen, deren Vorteile für eine kleine Gruppe geringer sind als die Verluste, die der gesamten Gesell­schaft entstehen? Eine Antwort auf diese Frage findet sich bei Anthony Downs und seinen Über­le­gungen zur „Ökono­mi­schen Theorie der Demokratie“.

Zentrale Annahme seiner Über­le­gungen ist die Über­zeu­gung, dass sich sowohl Politiker als auch Wähler als Maxi­mierer ihres Nutzens verhalten. Politiker streben Einkommen, Macht und Prestige an. Um diese Ziele zu erreichen, müssen sie in das Parlament gewählt werden und am besten auch die Regierung über­nehmen. Politiker agieren daher als Stim­men­ma­xi­mierer. Auch die Wähler wollen durch ihr poli­ti­sches Handeln den eigenen Nutzen maximieren.

Vor dem Hinter­grund dieser Über­zeu­gung lässt sich die Einfluss­nahme der Bürger auf die poli­ti­sche Entschei­dung über den Schutz einer bestimmten Branche vor auslän­di­scher Konkur­renz wie folgt erklären: Selbst wenn die Politiker wissen, dass dieser Schutz der gesamten Volks­wirt­schaft schadet, bedeutet dies keines­falls die auto­ma­ti­sche Ablehnung dieser Maßnahme. Falls die Politiker erwarten, dass ihnen die Einfüh­rung eines Import­zolls auf Stahl per Saldo einen Stim­men­zu­wachs einbringt, entscheiden sie sich für diesen Zoll. Zu dieser Einschät­zung kann es leicht kommen, weil es für die Gewinner und Verlierer eines solchen Zolls unter­schied­lich starke Anreize zur Beein­flus­sung der Politiker gibt.

Gewinner und Verlierer eines Zolls

Von einem Zoll profi­tieren die Unter­neh­mens­ei­gen­tümer und Beschäf­tigten der geschützten Stahl­branche. Diese Menschen haben viel zu verlieren. Es geht um Arbeits­plätze, die damit verbun­denen Einkommen und den Verlust des einge­setzten Kapitals. Für sie lohnt sich daher der Einsatz von Zeit und Geld, um Politiker zur Einfüh­rung eines Import­zolls zu bewegen. Zudem handelt es sich bei den Profi­teuren dieses Zolls um eine kleine, über­schau­bare Gruppe, in der ein Tritt­brett­fah­rer­ver­halten schnell erkannt und sozial sank­tio­niert wird. Dies lässt erwarten, dass sich mehr oder weniger alle betrof­fenen Personen an der poli­ti­schen Über­zeu­gungs­ar­beit beteiligen.

Getragen wird die wirt­schaft­liche Last des Import­zolls von den inlän­di­schen Verbrau­chern. Sie müssen einen höheren Preis für alle Stahl­pro­dukte zahlen. Da die Konsu­menten ihr Geld jedoch für zahl­reiche Produkte ausgeben, fällt der durch den Zoll verur­sachte Kauf­kraft­ver­lust relativ gering aus. Weil die Verbrau­cher nur wenig zu verlieren haben, lohnt sich der Einsatz von Zeit und Geld nicht, um Politiker zu beein­flussen. Zudem stellen die Verbrau­cher eine große Gruppe dar, in der Tritt­brett­fah­rer­ver­halten nicht erkannt wird.

Ange­sichts dieser Motivlage über­rascht es nicht, dass poli­ti­sche Entscheider eher auf die Minder­heit hören und für protek­tio­nis­ti­sche Maßnah­men­stimmen stimmen, obwohl dies der gesamten Gesell­schaft per Saldo schadet.

Was tun?

Für ein demo­kra­tisch orga­ni­siertes Wirt­schafts- und Gesell­schafts­system ergeben sich meiner Ansicht nach zwei entschei­dende Stell­schrauben, um poli­ti­sche Entschei­dungen dahin­ge­hend zu beein­flussen, dass gesamt­wirt­schaft­lich schäd­liche protek­tio­nis­ti­sche Maßnahmen unterbleiben.

Zum einen sollte mehr Trans­pa­renz über die gesamt­wirt­schaft­li­chen Schäden, die Zölle und andere protek­tio­nis­ti­sche Maßnahmen anrichten, geschaffen werden. Eine höhere Sensi­bi­li­sie­rung der Gesell­schaft für die Nachteile wirt­schaft­li­cher Abschot­tungs­ten­denzen erhöht die Wahr­schein­lich­keit, dass poli­ti­sche Entscheider nicht auf die Parti­ku­lar­in­ter­essen einzelner Wirt­schafts­sek­toren hören.

Zum anderen gilt es, die in nicht mehr wett­be­werbs­fä­higen Branchen tätigen Personen besser an den Einkom­mens­zu­wächsen einer offenen Volks­wirt­schaft zu betei­ligen. Wie bereits in einem früheren Beitrag skizziert, sind hier viele Poli­tik­be­reiche gefordert. Drei Bereiche spielen hier eine besondere Rolle:

  1. Das Steuer-Transfer-System ist das klas­si­sche Instru­ment zur breiteren Vertei­lung von Globa­li­sie­rungs­di­vi­denden. Hier spielen vor allem die sozialen Siche­rungs­sys­teme eine wichtige Rolle, denn sie federn die negativen Einkom­mens­ef­fekte ab. Dies erleich­tert struk­tu­relle Anpas­sungen, die sich aus der Globa­li­sie­rung und dem tech­no­lo­gi­schen Fort­schritt ergeben.
  2. Bildungs- und Quali­fi­zie­rungs­an­ge­bote machen es den Menschen leichter, in die Branchen zu wechseln, die stärker von der Globa­li­sie­rung profi­tieren. Wenn Menschen in expor­tie­renden Unter­nehmen arbeiten, profi­tieren sie doppelt von der Globa­li­sie­rung. Zum einen haben sie einen relativ sicheren Arbeits­platz. Zum anderen zahlen expor­tie­rende Unter­nehmen in der Regel höhere Löhne als Unter­nehmen, die ihre Produkte nur im Inland verkaufen.
  3. Flan­kie­rend bietet sich der Einsatz von Mobi­li­täts­hilfen an (Umzugs­kosten, Fahr­kosten sowie bezahl­barer Wohnraum). Selbst wenn es in einer Region offene Stellen gibt, ist noch nicht garan­tiert, dass diese auch von Personen besetzt werden, die einen Arbeits­platz suchen. Falls diese Stellen in Regionen sind, in denen es keinen bezahl­baren Wohnraum gibt und die auch nicht durch den öffent­li­chen Perso­nen­nah­ver­kehr erreichbar sind, kann dies Arbeits­su­chende davon abhalten, die freien Stellen zu besetzen.

Textende

Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spen­den­tool. Sie unter­stützen damit die publi­zis­ti­sche Arbeit von LibMod.

Wir sind als gemein­nützig anerkannt, entspre­chend sind Spenden steu­er­lich absetzbar. Für eine Spen­den­be­schei­ni­gung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adress­daten bitte an finanzen@libmod.de

 

Verwandte Themen

News­letter bestellen

Mit dem LibMod-News­letter erhalten Sie regel­mäßig Neuig­keiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mungen
erklären Sie sich einverstanden.