Ukraine: Auf dem Weg zur Export­na­tion für grünen Wasserstoff?

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Trotz der kata­stro­phalen Zerstö­rung von Ener­gie­an­lagen durch russische Luft­an­griffe will die Ukraine einer der größten Liefe­ranten grünen Wasser­stoffs für die EU werden. Das Land verfügt über enormes Potenzial für erneu­er­bare Energien – und über die nötige Transportinfrastruktur.

Nach der russi­schen Angriffs­welle gegen die ukrai­ni­sche Ener­gie­infra­struktur im Frühjahr verzeich­nete die Ukraine Verluste von mehr als einer Milliarde US-Dollar. Den größten Schaden erlitten die Wärme- und Wasser­kraft­werke sowie die Strom­über­tra­gungs­sys­teme. Insbe­son­dere beschä­digten die Russen etwa 80 Prozent der Kapazität von DTEK, dem größten privaten Ener­gie­ver­sorger der Ukraine.

Nach Angaben des ukrai­ni­schen Ener­gie­mi­nis­ters Herman Galuscht­schenko ist die Lage kritisch, aber das Stromnetz weiterhin relativ stabil. „Dank günstiger Wetter­be­din­gungen wird das Strom­system jetzt durch Kapa­zi­täten der erneu­er­baren Energien ausge­gli­chen“, sagte Galuschtschenko.

Riesiges Erneu­er­baren-Potenzial

In einer Rede auf der Ukraine Recovery Confe­rence 2023 zeigte Galuscht­schenko sich überdies zuver­sicht­lich, dass erneu­er­bare Energien eine entschei­dende Rolle beim Wieder­aufbau des Landes nach dem Krieg spielen werden.

Im vergan­genen Jahr hat die Ukraine eine Ener­gie­stra­tegie verab­schiedet, in der der grüne Kurs des Landes fest­ge­schrieben ist. Sie sieht vor, dass der Anteil der erneu­er­baren Energien am Strommix bis 2030 auf mindes­tens 25 Prozent steigt.

Nach Berech­nungen des Instituts für erneu­er­bare Energien der Natio­nalen Akademie der Wissen­schaften der Ukraine beträgt das Potenzial des Landes für Erneu­er­baren-Kapa­zi­täten rund 770 Gigawatt (GW) auf einer Fläche von 1655 Quadrat­ki­lo­me­tern. Das entspricht lediglich 0,27 Prozent des ukrai­ni­schen Terri­to­riums. Das Gesamt­po­ten­zial für die Produk­tion grünen Wasser­stoffs beträgt fast 45 Millionen Tonnen pro Jahr.

Vor dem Krieg lag die instal­lierte Erneu­er­baren-Kapazität in der Ukraine über 10 GW. Infolge der russi­schen Aggres­sion sank diese Zahl auf 6,5 GW. Um die Kapazität wieder­her­zu­stellen und Inves­ti­ti­ons­an­reize für grüne Energie anzu­ziehen, beschloss das Minis­ter­ka­bi­nett im März 2024 die Einfüh­rung von Herkunfts­nach­weisen für Strom aus erneu­er­baren Energiequellen.

Bis 2050 hat die Ukraine das Potenzial, ihre Wind­ener­gie­leis­tung auf 140 GW, die Solar­energie auf 94 GW, die Ener­gie­spei­che­rung auf 38 GW, die Kern­energie auf 30 GW, die Kraft-Wärme-Kopplung und die Bioen­ergie auf 18 GW und die Wasser­kraft auf 9 GW zu erhöhen. Neben der Strom­erzeu­gung aus Sonne und Wind hat die Produk­tion von erneu­er­baren Gasen wie Biomethan und grünem Wasser­stoff gute Aussichten, ein wichtiger Bestand­teil der Ener­gie­wende in der Ukraine zu werden.

Bestehende EE-Kapa­zi­täten und ihre Bedeutung für das Ener­gie­system, EE-Perspek­tiven in der Ukraine bis 2025

Inter­na­tio­nale Partnerschaften

Das ukrai­ni­sche Ener­gie­mi­nis­te­rium will den Entwurf einer natio­nalen Wasser­stoff­stra­tegie bis 2050 noch dieses Jahr fertig­stellen, den es gemeinsam mit dem Institut für erneu­er­bare Energien der Natio­nalen Akademie der Wissen­schaften erar­beitet. Die Exper­tinnen und Experten orien­tieren sich dabei an der euro­päi­schen Wasser­stoff­stra­tegie, der deutschen und anderen natio­nalen Wasserstoffstrategien.

Auf der anderen Seite benennen zentrale euro­päi­sche Programme, insbe­son­dere die Wasser­stoff­stra­tegie der EU-Kommis­sion und die „Green Hydrogen for the European Green Deal: 2x40 GW Initia­tive“ die Ukraine als einen stra­te­gi­schen Partner bei grünem Wasser­stoff. Diese Dokumente sehen den Bau von bis zu 10 GW Elek­tro­ly­se­ka­pa­zität in der Ukraine bis 2030 vor. Nur etwa 1,8 GW davon sind für den heimi­schen Markt bestimmt, haupt­säch­lich für die Produk­tion von grünem Ammoniak, einem wichtigen Rohstoff für den Agrarsektor.

Deutsch­land betrachtet die Ukraine als einen seiner poten­zi­ellen Partner auf dem euro­päi­schen Kontinent, um seine eigenen Wasser­stoff­ziele zu erreichen. Nach Ansicht des deutschen Natio­nalen Wasser­stoffrats könnte dazu der geplante soge­nannte mittel­eu­ro­päi­sche Wasser­stoff­kor­ridor zwischen der Ukraine und Deutsch­land für den Wasser­stoff­trans­port genutzt werden. Ein Konsor­tium aus vier euro­päi­schen Gasnetz­be­trei­bern schlug ihn erstmals im September 2021 vor und bestä­tigte seine Mach­bar­keit im November 2022.

Katerina Reiche, die Vorsit­zende des Natio­nalen Wasser­stoffrats (NWR), sagte kürzlich: „Als NWR sind wir davon überzeugt, dass das Wachstum der Wasser­stoff­wirt­schaft einen wichtigen Beitrag zur Erneue­rung der Ener­gie­ver­sor­gung der Ukraine leisten kann und auch für Europa ein wichtiges Potenzial bietet.“

Der Weg des ukrai­ni­schen Wasser­stoffs in die EU

Die Ukraine erwägt unter­schied­liche Möglich­keiten des Trans­ports von Wasser­stoff in die EU.

Die erste ist der Transport durch Pipelines des ukrai­ni­schen Fern­lei­tungs­netzes. Diese Option korre­liert mit dem Vorhaben, einen mittel­eu­ro­päi­schen Wasser­stoff­kor­ridor von der Ukraine durch die Slowakei, Tsche­chien, Öster­reich und Deutsch­land zu schaffen, dessen Unter­stüt­zung die EU-Kommis­sion am 28. November 2023 erklärte.

Pipe­line­route von der Ukraine nach Deutschland

Nach Angaben von Ihor Syrota, dem Vorstands­vor­sit­zenden des staat­li­chen Ener­gie­vor­sor­gers Ukrhy­dro­en­ergo, wird in der West­ukraine auf einem separaten Pipeline-Abschnitt mit einer spezi­ellen Hülle im Inneren der Leitung expe­ri­men­tiert, die Wasser­stoff­ver­luste während des Trans­ports mini­mieren soll.

Der ukrai­ni­sche Wasser­stoffrat hat eine Studie über die Kosten der Umrüstung des ukrai­ni­schen Gastrans­port­sys­tems auf Wasser­stoff erstellt. Dabei wurde ein gemein­sames Projekt des Versor­gers Avacon und der Deutschen Verei­ni­gung des Gas- und Wasser­fa­ches (DVGW) zur Umrüstung von Leitungs­in­fra­struktur in Sachsen-Anhalt als eines der viel­ver­spre­chendsten identifiziert.

Wasser­stoff­trans­port auch über Wasser und Straße möglich

Eine weitere Trans­port­me­thode ist der Binnen­schiffs- oder Stra­ßen­trans­port, der verschie­dene tech­no­lo­gi­sche Ansätze beinhaltet, darunter die Verflüs­si­gung von Wasser­stoff. Die wirt­schaft­liche Mach­bar­keit hängt von der Nachfrage nach und der Verfüg­bar­keit der dazu nötigen Behälter und den dazu­ge­hö­rigen Anlagen zur Kühlung und Verflüs­si­gung des Wasser­stoffs sowie zur Rück­wand­lung in den gasför­migen Zustand. Verflüs­sigter Wasser­stoff muss auf einer Tempe­ratur von minus 254 Grad gehalten werden. Die Kosten für einen Container betragen zwischen 250.000 bis 700.000 Euro.

Aus Sicht von Oleksandr Repkin eignen sich für den Transport per See- oder Binnen­schiff jedoch die Ener­gie­träger Ammoniak und Methanol am besten, die aus grünem Wasser­stoff herge­stellt werden können. Die Ukraine verfügt über eine Flotte von mehr als 60 geeig­neten Schiffen der Ukrai­nisch-Donaui­schen Schiff­fahrts­ge­sell­schaft und über die dazu­ge­hö­rige Verla­de­infra­struktur in Häfen.

Im Rahmen einer Mach­bar­keits­studie für ein Wasser­stoff­pro­jekt in der Region Odessa wurde der Einsatz eines flüssigen „orga­ni­schen Trägers“ unter­sucht, in den H2 einge­spei­chert werden kann. „Die effek­tivste Tech­no­logie“, sagt Repkin, „ist derzeit die von Hydro­ge­nious LOHC Tech­no­lo­gies vorge­schla­gene deutsche Tech­no­logie, nämlich die Verwen­dung von Benzo­to­luol.“ Verwende man einen solchen orga­ni­schen Träger, müssten „keine Ände­rungen an den bestehenden Tanks und Behältern für den Transport klas­si­scher Erdöl­pro­dukte vorge­nommen werden, was die tatsäch­li­chen Endkosten für Wasser­stoff senkt“, so Repkin.

„Wasser­stoff-Täler“ im Süden und Westen

Eine der am weitesten entwi­ckelten und ehrgei­zigsten Wasser­stoff­initia­tiven in der Ukraine ist das Pilot­pro­jekt H2U Hydrogen Valley, das von Projekt­ge­sell­schaft Hydrogen Ukraine durch­ge­führt wird. Das Vorhaben ist Teil der inter­na­tio­nalen Initia­tive Mission Innovation.

Im Rahmen von H2U Hydrogen Valley werden in den Regionen Odessa und Trans­kar­pa­tien zwei „Hydrogen Valleys“ geschaffen. Laut Jaroslaw Kryl, dem CEO von Hydrogen of Ukraine, ist das Zustan­de­kommen der Projekte noch ungewiss. „Das vom Krieg zerris­sene Land kann keine großen öffent­li­chen Inves­ti­tionen in Wasser­stoff­pro­jekte tätigen und ist statt­dessen auf das Enga­ge­ment des Privat­sek­tors ange­wiesen. Das entschei­dende Kriterium für Wasser­stoff­pro­duk­ti­ons­pro­jekte in der Ukraine ist in erster Linie ihre wirt­schaft­liche Mach­bar­keit“, sagt Kryl.

In der ersten Phase des Projekts soll eine 100-Megawatt-Elek­tro­ly­se­an­lage in der Hafen­stadt Reni an der Donau im Gebiet Odessa errichtet werden. Mittel­fristig soll die Kapazität auf 200 Megawatt erhöht werden. Das deutsche Unter­nehmen Ludwig Bölkow System­technik berät bei dem Projekt.

Den Strom für die Elek­tro­lyse sollen Wind- und Solar­kraft­werke liefern. Das deutsche Bera­tungs­un­ter­nehmen Windguard hat die benötigte Windhöf­fig­keit unter­sucht. Das für die Elek­tro­lyse benötigte Wasser soll der Donau entnommen werden.

Jaroslaw Kryl sagt, dass für den Betrieb von 3 GW Elek­tro­ly­se­ka­pa­zität 0,0036 Prozent des durch­schnitt­li­chen jähr­li­chen Wasser­durch­flusses benötigt werden. Jede Sekunde fließen 6400 Kubik­meter Wasser aus der Donau ins Schwarze Meer. Diese Zahlen richtet Kryl in erster Linie an Kritiker, die bezwei­feln, dass die Ukraine genügend Wasser­res­sourcen zur Herstel­lung von grünem Wasser­stoff hat.

Wasser­stoff für die slowa­ki­sche Stahlindustrie

Das zweite Hydrogen Valley liegt in der Region Trans­kar­pa­tien an den Grenzen zur Slowakei und zu Ungarn. Auf einer Fläche von 120 Hektar soll dort eine Elek­tro­ly­se­ka­pa­zität von 1100 MW mit der Möglich­keit zur Erwei­te­rung auf 1500 MW entstehen.

Das Projekt umfasst eine 120-MW-Solar­an­lage mit einer skalier­baren Kapazität von bis zu 1200 MW und 160-MW-Wind­tur­bi­nen­leis­tung. Ziel ist die voll­stän­dige Inte­gra­tion zusätz­li­cher erneu­er­barer Ener­gie­quellen in das Ener­gie­system der Ukraine.

Der erzeugte Wasser­stoff ist für den Export an ein Stahlwerk in Košice (Slowakei) bestimmt, das bei der Eisen­erz­ver­ar­bei­tung den Ener­gie­träger Koks durch Wasser­stoff und das Verfahren der Direkt­re­duk­tion ersetzen will. Außerdem ist geplant, eine Verbin­dung zum trans­eu­ro­päi­schen Trans­port­kor­ridor nach Deutsch­land herzustellen.

H2-Perspek­tiven für DniproHES nach dem russi­schen Luftangriff

Laut Ihor Syrota hat der Wasser­kraft­werk­be­treiber Ukrhy­dro­en­ergo die Produk­tion von grünem Wasser­stoff bereits vor dem Krieg in Betracht gezogen. Es ging um ein diver­si­fi­ziertes Geschäfts­mo­dell auf Grundlage von Wasser­kraft, Wind- und Solarenergie.

Im Dezember 2022 stellte Ukrhy­dro­en­ergo ein Pilot­pro­jekt für die Erzeugung grünen Wasser­stoffs im Wasser­kraft­werk DniproHES mit einer Nenn­leis­tung von 1 MW vor. Das Unter­nehmen kündigte eine Zusam­men­ar­beit mit euro­päi­schen Partnern an, um einen Elek­tro­ly­seur zu bauen, der 210 Kubik­meter grünen Wasser­stoff pro Stunde produ­zieren soll.

Im Oktober 2023 wurde dazu ein Memo­randum zwischen Ukrhy­dro­en­ergo und dem deutschen Anla­gen­bauer Andritz Hydro über eine Zusam­men­ar­beit im Kontext der Natio­nalen Wasser­stoff­stra­tegie Deutsch­lands unterzeichnet.

Laut Ihor Syrota hat das Projekt eine Laufzeit von 3 bis 5 Jahren. Man werde sich um einen Zuschuss von 6 Millionen Euro für ein Pilot­pro­jekt bemühen. „Was die Finan­zie­rung anbelangt, suchen wir Unter­stüt­zung bei der Euro­päi­schen Bank für Wieder­aufbau und Entwick­lung, der Euro­päi­schen Inves­ti­ti­ons­bank und der Weltbank“, so Syrota.

Planung trotz russi­scher Zerstörung

Nach dem russi­schen Luft­an­griff am 22. März 2024 verlor DniproHES mehr als 1000 MW seiner insgesamt 1500 MW Leistung. Trotz der Zerstö­rung wurde das Wasser­stoff­pro­jekt nicht gestoppt. Nach Angaben des Ukrhy­dro­en­ergo-Chefs setzt der deutsche Partner Andritz Hydro die Vorbe­rei­tungs­ar­beiten fort. Die Repa­ra­turen an dem Wasser­kraft­werk werden parallel zur Umsetzung des Wasser­stoff­pro­jekts durchgeführt.

Im Sommer 2020 war DTEK das erste ukrai­ni­sche Unter­nehmen, das dem euro­päi­schen Dach­ver­band der Wasser­stoff­branche, Hydrogen Europe, beitrat. Für 2021 hatte der Ener­gie­ver­sorger geplant, Pilot­pro­jekte zur Produk­tion von grünem Wasser­stoff zu starten. „Grüner Wasser­stoff ist ein Bereich, in dem wir führend sein wollen“, sagte damals DTEK-CEO Maxim Timchenko gegenüber ukrai­ni­schen Medien.

Laut Timchenko sieht man bei DTEK weiterhin das Potenzial des grünen Wasser­stoffs für die Ukraine und analy­siert die lang­fris­tigen Möglich­keiten, in diesen künftigen Markt einzu­steigen. In naher Zukunft wird sich das Unter­nehmen demnach aber auf die Entwick­lung eines inte­grierten Port­fo­lios von Wind- und Solar­energie, Netz­pro­jekten sowie Batte­rie­spei­chern konzentrieren.

Die Analyse entstand im Rahmen eines Stipen­diums des Europe-Ukraine Desk des Jour­na­lis­ten­netz­werks n‑ost.

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