Wahler­geb­nisse im Südwesten sind keine Glaskugel für die Bundes­tagswahl – Dr. Thomas Petersen

Foto Shutterstock, vchal
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Dr. Thomas Petersen vom Institut für Demoskopie Allensbach ordnet die Wahler­geb­nisse in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ein und warnt mit einem Blick auf vergangene Trends und Wahler­geb­nisse davor, hier zu große Rückschlüsse für die Bundes­tagswahl zu ziehen.

Vor genau vier Jahren, im März 2017, zog die SPD in den Umfragen zur Bundes­tagswahl mit den Unions­par­teien gleich. Der Entschluss des SPD-Vorsit­zenden Sigmar Gabriel, nicht als Kanzler­kan­didat anzutreten, sondern Kandi­datur und Partei­vorsitz an Martin Schulz zu übergeben, führte zu einer Welle von Speku­la­tionen in den Medien über neue Wahlchancen für die Sozial­de­mo­kraten. In der März-Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach lag die SPD in der Zweit­stimmen-Wahlab­sicht bei 33 Prozent. Doch ein halbes Jahr später, bei der Bundes­tagswahl am 24. September des Jahres, erhielt die Partei nur 20,5 Prozent. Das war das schlech­teste Ergebnis seit Gründung der Bundes­re­publik Deutschland.

Wenig später im Jahr konnte die CDU bei Landtags­wahlen eine Serie von Wahlsiegen verbuchen: Am 26. März gab es im Saarland einen Zugewinn von 5,5 Prozent­punkten. In Nordrhein-Westfalen waren es am 14. Mai sogar 6,7, in Schleswig-Holstein eine Woche vorher immerhin 1,2 Prozent­punkte Zuwachs. Bei der Bundes­tagswahl im September verbuchte die Union dagegen einen Verlust von 8,6 Prozent­punkten gegenüber der Wahl 2013 und fuhr mit 32,9 Prozent das zweit­schlech­teste Ergebnis seit 1949 ein.

Kaum lagen die ersten Nachwahl­be­fra­gungen zu den Landtags­wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz vom vergan­genen Sonntag vor, beeilten sich zahllose Kommen­ta­toren, die Frage zu beant­worten, was diese Wahler­geb­nisse für die Bundes­tagswahl im September bedeuten. Doch aus Sicht eines Umfra­ge­for­schers lautet die einzig richtige Antwort auf diese Frage: Nichts – oder zumindest fast nichts.

Tatsächlich erscheinen die Wahler­geb­nisse in beiden Ländern wenig spekta­kulär: Zwei äußerst populäre Minis­ter­prä­si­denten wurden im Amt bestätigt, ihre Heraus­for­derer konnten sich im Schatten der in der Öffent­lichkeit übermäch­tigen Amtsin­haber nicht profi­lieren. Die Wahler­geb­nisse entsprachen recht genau dem seit vielen Wochen erkenn­baren Trend. Die SPD hat ihre Ergeb­nisse vom letzten Mal gehalten, was angesichts der Entwicklung auf Bundes­ebene schon als Erfolg gewertet werden muss. Die Zuwächse der Grünen sind in Baden-Württemberg wahrscheinlich der Popula­rität des Minis­ter­prä­si­denten sowie der Schwäche der Heraus­for­derin geschuldet, in Rheinland-Pfalz bedeuten sie eine Norma­li­sierung im Vergleich zum außer­or­dentlich schwachen Ergebnis von 2016. Die FDP zeigte sich stabil, die Verluste der CDU sind nicht unerheblich, halten sich aber angesichts der politi­schen Konstel­lation in beiden Ländern noch in einiger­maßen überschau­baren Grenzen. Wirklich substan­tiell scheinen nur die Verluste der AfD zu sein, der die wichtigste Argumen­ta­ti­ons­grundlage fehlt, solange das Thema Einwan­derung in der öffent­lichen Diskussion hinter anderen Themen wie allen voran der Bewäl­tigung der Corona-Krise im Hinter­grund bleibt.

Für die Beurteilung der Lage der Parteien vor der Bundes­tagswahl bieten die Landtags­wahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg nur wenige Anhalts­punkte. Aufschluss­reicher sind die gesamt­ge­sell­schaft­lichen Trends der letzten Monate. Da ist zum einen festzu­halten, dass das, was man „Stunde der Exekutive“ nennt, im zweiten Jahr der Corona-Pandemie allmählich an Kraft verliert: Angesichts der drohenden Gefahr hatte sich die Bevöl­kerung vom Frühjahr 2020 an hinter der Regierung versammelt. Die Beliebt­heits­werte der Kanzlerin und mit ihr die der CDU/​CSU stiegen. Doch inzwi­schen ist die Zufrie­denheit mit der Regierung seit dem vergan­genen Herbst deutlich zurück­ge­gangen. Hatten im Sommer vergan­genen Jahres regel­mäßig noch drei Viertel der Befragten in den Umfragen des Instituts für Demoskopie Allensbach gesagt, sie seien mit der Arbeit der Regierung in der Corona-Krise einver­standen, waren es Anfang März dieses Jahres nur noch 43 Prozent. Eine Mehrheit von 50 Prozent äußerte sich unzufrieden. Es ist noch nicht absehbar, inwieweit sich diese Stimmungs­än­derung in den Partei­zahlen nieder­schlagen wird, doch sie wirkt sich tenden­ziell natürlich zu Ungunsten der Regie­rungs­par­teien aus.

Eine Beson­derheit der derzei­tigen Situation liegt in der Tatsache, dass die CDU erst kürzlich einen neuen Vorsit­zenden gewählt hat und noch kein Kanzler­kan­didat der Union bestimmt wurde. Man muss annehmen, dass die aktuellen Popula­ri­täts­werte der CDU/​CSU eine Reaktion auf das Handeln der Regierung unter Angela Merkel sind. Über die Chancen ihres Nachfol­ge­kan­di­daten sagen sie allen­falls sehr begrenzt etwas aus. Sicherlich wird es für die Unions­par­teien aber eher schwerer als leichter, ohne die über lange Zeit so sehr dominie­rende Angela Merkel ihre Position im Partei­en­system zu behaupten,

Zur Unsicherheit der derzei­tigen politische Lage kommen noch weitere Faktoren hinzu: Niemand kann derzeit sagen, wann die Corona-Pandemie nicht mehr das dominie­rende Thema in der öffent­lichen Diskussion sein wird, und noch weniger lässt sich vorher­sagen, welches Thema dann in den Vorder­grund rücken wird: Kehren die Medien zur inten­siven Betonung von Umwelt und Klima zurück? Drängt sich das Thema Einwan­derung wieder in den Vorder­grund oder werden die ökono­mi­schen und sozialen Folgen der Corona-Krise die Debatte bestimmen? Je nachdem, wie diese Fragen beant­wortet werden, wird sich dies auf die Wahlchancen der mit diesen Themen verbun­denen Parteien auswirken.

Schließlich sind auch die Mecha­nismen der Medien­be­richt­erstattung nicht zu vernach­läs­sigen. Im Wahlkampf ändern sich die, wie es in der kommu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft­lichen Sprache heißt, Nachrich­ten­fak­toren, das heißt, die Kriterien, nach denen in den Redak­tionen Nachrichten ausge­wählt und kommen­tiert werden. Politiker kommen ausführ­licher selbst zu Wort als in der Zeit zwischen den Wahlen, und es gibt anscheinend ein stärkeres Bestreben nach einer gewissen Ausge­wo­genheit in der Bericht­erstattung. Dies führt zu charak­te­ris­ti­schen Mustern, die in der Umfra­ge­for­schung bereits in den 80er und 90er Jahren als „Kohl-Effekt“ bekannt waren: Regel­mäßig in der Mitte einer Legis­la­tur­pe­riode schienen die von Kohl geführten Regie­rungen am Ende zu sein, rangierten in den Umfragen weit hinter den Opposi­ti­ons­par­teien. Dann aber, mit Beginn des Wahlkampfes, erholten sich die Werte für die CDU/​CSU überra­schend, Kohl gewann die Wahl, und die Redak­teure der Magazin­re­dak­tionen in Hamburg fragten sich, wie er das nur wieder geschafft habe, ohne zu erkennen, dass sie selbst den Effekt erzeugt hatten. Hätten sie die Regie­rungs­par­teien in den Jahren zuvor nicht so entschlossen herun­ter­ge­schrieben, hätten diese durch die Druck­ent­lastung infolge der verän­derten Bericht­erstattung im Wahlkampf nicht so spekta­kulär wieder aufsteigen können.

Das gleiche Muster zeigt sich sein einiger Zeit spiegel­ver­kehrt bei den Grünen, zuletzt in Rheinland-Pfalz, wo die Partei bei der Landtagswahl 2016 5,3 Prozent der Stimmen erhielt. 2019 lag sie bei den Umfragen bei bis zu 21 Prozent, bei der Landtagswahl am vergan­genen Sonntag erreichte sie schließlich 9,3 Prozent. Ähnliche Verläufe sind auch auf Bundes­ebene zu beobachten.

Wir stehen erst am Anfang des Bundes­tags­wahl­kampfes 2021, und es gibt viele Unbekannte in der Rechnung: Die Stimmung in der Bevöl­kerung in Bezug auf die Corona-Krise, die ökono­mische Entwicklung des Landes, die Kandi­da­ten­frage bei der CDU/​CSU, der Tenor der Medien­be­richt­erstattung. Es kann durchaus sein, dass das Partei­en­system im Bundes­tags­wahl­kampf durch­ein­an­der­ge­wirbelt wird, es muss aber nicht so sein. Aus den aktuellen Landtags­wahlen lässt sich kaum etwas auf die Bundes­tagswahl schließen, Der Versuch, den Verlauf des Bundes­tags­wahl­kampfes heute vorher­zu­sagen, gleicht einem Blick in die Glaskugel.

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