„Wir müssen Orbán ablösen“

Foto: Shut­ter­stock, Alex­an­dros Michailidis

Mit einem breiten Bündnis will die unga­ri­sche Oppo­si­tion im Frühjahr einen Regie­rungs­wechsel erreichen. Die liberale Euro­pa­ab­ge­ord­nete Anna Júlia Donath spricht mit Ludwig Greven über die Proteste gegen Orbáns Anti-Homo­se­xu­ellen-Gesetz, EU-Sank­tionen und den gemein­samen Kampf gegen Korrup­tion und für ein gerech­teres, west­li­ches Ungarn.

In der EU gibt es heftige Proteste gegen das neue unga­ri­sche Anti-Homo­se­xu­ellen-Gesetz. Die EU-Kommis­sion droht deswegen mit einem weiteren Vertrags­ver­let­zungs­ver­fahren und finan­zi­ellen Sank­tionen. Schaden die Proteste Orbán oder helfen sie ihm, die Reihen hinter ihm zu schließen?

Anna Donáth: Wenn es Unge­rech­tig­keit gibt und die Regierung schwache Gruppen ins Visier nimmt, müssen wir uns zu Wort melden. Wir können nicht schweigen und sie einen einsei­tigen Dialog konstru­ieren lassen. Wir sind dafür da, um Minder­heiten zu schützen und Entschei­dungen der Regierung heraus­zu­for­dern, nicht um Orbán populärer zu machen. Wir müssen zeigen, dass Ungarn nicht gleich Orbán ist, vor allem, wenn die Ungarn laut den letzten Umfragen tole­ranter und soli­da­ri­scher gegenüber Minder­heiten sind, als es die Regierung darzu­stellen versucht.

Orbán behauptet, er habe nichts gegen Homo­se­xu­elle. Warum hat er dann dieses Gesetz verab­schieden lassen?

Es ist sein übliches gefähr­li­ches Spiel, von seinen Absichten und Problemen abzu­lenken, indem er verschie­dene Gruppen atta­ckiert. Er tat es zuvor mit den Flücht­lingen, mit den Roma, jetzt hat er es auf die LGBTQ+ Menschen abgesehen. Dieser Schachzug war ein weiterer Weg, um von der Tatsache abzu­lenken, dass sie durch Stif­tungen öffent­li­ches Vermögen stehlen und das Land mit Krediten an die chine­si­schen und russi­schen Dikta­turen verkaufen. Der Fidesz hetzt immer Ungarn gegen die Ungarn auf, um die Aufmerk­sam­keit auf anderes zu richten.

Ist er nicht nur in der EU, sondern auch in Ungarn unter Druck?

Ich denke, er spürt die Änderung in der Einstel­lung der Bevöl­ke­rung. Die Leute sind genervt und müde von den ekla­tanten Lügen und der Propa­ganda, die aus dem Parlament kommt, und sie werden wütend, dass sie als etwas darge­stellt werden, was sie nicht sind. Denn die Ungarn zeigen Soli­da­rität gegenüber Minder­heiten und untereinander.

Ihre Partei Momentum hat sich mit anderen Oppo­si­ti­ons­par­teien zusam­men­ge­schlossen, um Orbán und seine Fidesz-Partei bei der Wahl im kommenden Frühjahr abzulösen. Zu dem Bündnis gehört auch Jobbik, die früher noch rechts von Fidesz stand und sich jetzt rechts-konser­vativ nennt. Wie posi­tio­niert die sich in dieser Frage?

Um Fidesz und ihren Koali­ti­ons­partner, die Christ­de­mo­kraten, abzulösen und die zahllosen Gesetze, wie das Propa­gan­da­ge­setz oder andere, die den Diebstahl fördern oder zur Stig­ma­ti­sie­rung von Gruppen oder zur Unter­gra­bung der Rechts­staat­lich­keit einge­setzt werden, rück­gängig zu machen und zu ändern, müssen wir zusam­men­ar­beiten. Denn ein Wechsel dieser Regierung ist nur gemeinsam möglich. Momentum wird an seinen Kern­werten fest­halten und sich weiterhin gegen Korrup­tion einsetzen. Wir werden weiter gegen Hassreden kämpfen und daran arbeiten, so viele Vorwahlen wie möglich zu gewinnen, um den Verän­de­rungen, die in Ungarn dringend nötig sind, eine echte Stimme zu geben.

Orbán hat die unga­ri­sche Gesell­schaft sehr stark pola­ri­siert, er hat auch die anderen EU-Staaten immer wieder provo­ziert. Wie wollen Sie diese Spaltung überwinden?

Zual­ler­erst müssen wir die Regierung wechseln. Bis dahin sollten wir uns auf das konzen­trieren, was uns eint, und gemeinsam auf ein gerech­teres und humaneres Ungarn hinarbeiten.

Ein Haupt­punkt ihrer Kritik an Orbán ist die stark verbrei­tete Korrup­tion, besonders in seinem unmitt­tel­baren Umfeld. Die EU-Kommis­sion wendet sich deshalb auch gegen die Regie­rungs­pläne zur Verwen­dung der Corona-Hilfen der EU. Aber würde es nicht den Ungarn und den unga­ri­schen Unter­nehmen schaden, wenn diese Hilfen deswegen nicht ausge­zahlt würden?

Ich setze mich dafür ein, dass das unga­ri­sche Volk die EU-Gelder bekommt, die es verdient. Aber im Moment ist die Politik von Viktor Orbán und der Fidesz das größte Hindernis, damit dies geschieht. Wir brauchen einen Regie­rungs­wechsel, damit alle EU-Gelder, die nach Ungarn kommen, die Menschen erreichen, die sie wirklich brauchen, und sie nicht bei den Olig­ar­chen landen. Dann werden sie endlich für das ausge­geben, wofür sie gebraucht werden: für Schulen, Kran­ken­häuser und die Schaffung von Arbeits­plätzen. Der Rechts­staats­me­cha­nismus ist genau dafür da, dass endlich das Volk und nicht die Olig­ar­chen die EU-Gelder erhalten.

Zum Oppo­si­ti­ons­bündnis gehört die Demo­kra­ti­sche Koalition, gegen deren Vorsit­zenden Gyurcsány es ebenfalls Korrup­ti­ons­vor­würfe gibt. Als früherer Minis­ter­prä­si­denten steht er für die von vielen Skandalen geprägte sozia­lis­tisch-liberale Regie­rungs­zeit von 2002 bis 2010, die den Aufstieg von Fidesz erst ermög­licht hat. Wie wollen Sie da glaub­würdig einen Neuanfang verkörpern?

Das derzei­tige System, das eine Spiel­wiese für Fidesz war, funk­tio­niert so, dass wir alle zusam­men­ar­beiten müssen, wenn wir die Regierung stürzen und jene Gesetze rück­gängig machen wollen, die von der Regierung verab­schiedet wurden, um bestimmte Gruppen zu krimi­na­li­sieren, zu stig­ma­ti­sieren, und all jene, die dazu benutzt werden, den Ungarn öffent­liche Gelder zu stehlen. Damit dies Realität wird, haben alle Parteien Wieder­gut­ma­chung geleistet und Kompro­misse gefunden und arbeiten zusammen auf dieses gemein­same Ziel hin.

Wer wird Orbán als gemein­samer Spit­zen­kan­didat heraus­for­dern: Klára Dobrev, die Frau von  Gyurcsány  und Spit­zen­kan­di­datin der DK, oder Budapests Bürger­meister Gergely Karácsony?

Wir haben auch unseren Momentum-Kandi­daten, András Fekete-Győr, für das Amt des Minis­ter­prä­si­denten. Er arbeitet hart daran, die Vorwahlen zu gewinnen, damit Momentum an die Spitze kommt und den Ton für die Wahlen angibt.

Orbán hat das Wahlrecht kürzlich noch einmal verschärfen lassen, um es der Oppo­si­tion schwer zu machen, seine Regierung abzulösen. Getrennte Wahl­listen sind danach aussichtslos. Hat er sich damit einen Bären­dienst geleistet, weil er Sie zur Zusam­men­ar­beit gezwungen hat?

Welche Tricks Orbán auch immer versucht, es werden die Wähler sein, die im Frühjahr entscheiden. Wir müssen uns nur darum kümmern, die Wähler davon zu über­zeugen, dass ein west­li­ches Ungarn die Lösung und der richtige Weg in eine erfolg­reiche Zukunft ist.

Bei den Lokal­wahlen im vergan­genen Herbst haben Sie das Modell in vielen Städten erfolg­reich erprobt, jeweils der aussichts­reichtsten Oppo­si­ti­ons­kan­di­daten zu unter­stützen. Was machen sie, wenn sich eine Partei nicht an die Abspra­chen hält?

Die Wähler werden über ihr Schicksal entscheiden.

Jobbik gibt sich geläutert und gemäßigt. Aber bei einer Lokalwahl in Ostungarn trat kürzlich eine Jobbik-Politiker als gemein­samer Kandidat der Oppo­si­tion an und verlor auch wegen früherer anti­se­mi­ti­scher Äuße­rungen. Wie wollen Sie so etwas bei der Parla­ments­wahl verhindern?

Es wurden Regeln aufge­stellt, um zu vermeiden, dass es inak­zep­table Kandi­daten gibt. Zum Beispiel müssen sie eine Vermö­gens­er­klä­rung, eine Werteer­klä­rung und eine Inte­gri­täts­er­klä­rung abgeben und einen Ethik­kodex unterschreiben.

In Umfragen liegt das Oppo­si­tions-Bündnis derzeit knapp vor Fidesz. Wie sehen Sie Chancen, dass sie Orbán tatsäch­lich ablösen können?

Die Menschen sehen und wissen, dass Ungarn zum Westen gehört. Es ist kein Zufall, dass die Unter­stüt­zung für die EU-Mitglied­schaft im Vergleich zum rest­li­chen Europa auf einem Rekord­hoch ist. Und es ist auch kein Zufall, dass die meisten Menschen über die Einfüh­rung des Euro sprechen, die wir in naher Zukunft anstreben.

Welche Unter­stüt­zung erhoffen Sie sich von der EU und aus anderen EU-Staaten?

Die EU hilft, wofür wir dankbar sind. Aber lassen Sie uns klar sagen: Wir, die Ungarn, müssen die unga­ri­sche Demo­kratie wieder­her­stellen und ein gerechtes und humanes Land aufbauen, in dem echte Rechts­staat­lich­keit herrscht.


Anna Júlia Donáth, 33, ist Abge­ord­nete der oppo­si­tio­nel­len sozi­al­li­be­ra­len Partei Momen­tum im Euro­päi­schen Parlament.

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