Wie weiter in Syrien?

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Israels militä­ri­sches Vorgehen im Nachbarland wird von den einen schon jetzt als Bruch des Völker­rechts kriti­siert, von den anderen aber als verständ­liche Vertei­di­gungs­maß­nahme gesehen, wie unser Kolumnist Richard Schneider schreibt.

Während im deutschen Fernsehen darüber disku­tiert wird, ob Israels Luftschläge in Syrien dem Völker­recht entsprechen und man sich schnell einig darüber ist, dass dies nicht der Fall ist und der jüdische Staat also ein weiteres Verbrechen begeht, sieht die Realität in Nahost aus der Sicht aller Betei­ligten natürlich ganz anders aus.

Fehlein­schät­zungen des naiven Westens

Die Frage, was dem Völker­recht entspricht und was nicht, inter­es­siert niemanden in dieser brutalen Gegend – mit Sicherheit nicht die neuen Macht­haber in Damaskus, die, das darf nicht vergessen werden, Islamisten sind. Inwiefern sie ein Syrien schaffen wollen ohne die Scharia, also ohne das islamisch-religiöse Geset­zeswerk, bleibt abzuwarten. In Europa gibt man sich vorsichtig optimis­tisch, aber das war man nach dem Sturz von Hosni Mubarak in Ägypten ebenfalls. Umso entsetzter, weil naiv, war man, als ein Muslim­bruder Präsident wurde durch, ja, das stimmt, demokra­tische Wahlen. Doch während der Westen damals auf die Demons­tranten am Tahrir-Platz blickte, übersah man, dass diese vielleicht ein oder zwei Millionen Menschen, die sich über Facebook organi­sierten – ein extrem kleiner Teil der ägypti­schen Gesell­schaft – abbil­deten. Man übersah, dass sie keinerlei Struk­turen im Land hatten, anders als die Muslim­brüder. Man übersah auch, dass sie von 60 Millionen weiteren Ägyptern kaum wahrge­nommen wurden, weil es fast nirgendwo Internet gab, manchmal sogar nicht einmal genug Strom fürs Fernsehen. Das alles wurde kaum bedacht. Und so war zwar den Kennern der Region klar, was bei den freien Wahlen geschehen würde, aber vielen Hoffnungs­frohen eben nicht.

Al-Julani: Ein „moderater Islamist“?

Und nun also Syrien. Ist es gut, dass der Schlächter Assad verschwunden ist? Keine Frage. Doch mögli­cher­weise geht es jetzt erst einmal nur um die Frage, was man lieber hat, Pest oder Cholera. Der neue starke Mann in Syrien, Abu Mohammad al-Julani, muss erst einmal beweisen, dass er kein al-Qaida Mann mehr ist, dass er nicht einmal mehr ein «moderater» Islamist ist, was eigentlich bereits ein Paradoxon wäre. Da aber die Zukunft in Syrien nicht klar ist, da es sehr viele Inter­es­sens­gruppen im Staat gibt, von denen sich viele gar nicht grün sind, ist es – Völker­recht hin oder her – aus israe­li­scher Sicht geradezu logisch, die Initiative zu ergreifen und das gesamte militä­rische Arsenal des Staates zu vernichten, bis hin zu dessen Marine. Aktuell sind es über 450 Luftan­griffe, die Israel geflogen hat, dabei wurden auch militä­rische Forschungs­zentren zerstört, mögli­cher­weise auch noch existie­rende biolo­gische und chemische Waffen­lager. Israel will verhindern, dass all diese Waffen in die Hand der Islamisten fallen.

Selbst wenn diese Sunniten und keine Schiiten sind, also keine Muslime, die dem Iran nahestehen – dass auch sie Israel hassen, dürfte allen klar sein, selbst wenn Jerusalem im syrischen Bürger­krieg immer wieder al-Nusra, den syrischen Ableger von al-Qaida, im Kampf gegen die Schiiten, also der Hizbollah, den irani­schen Revolu­ti­ons­garden und dem Alewiten Assad selbst, unter­stützten. Der Feind meines Feindes ist mein Freund, dieses alte Sprichwort gilt im Nahen Osten natürlich immer.

Einen zweiten „7. Oktober“ verhindern

Für Israel hat sich der Sturz Assads als einmalige Chance erwiesen. Die Hamas ist so gut wie besiegt, sie ist auf alle Fälle isoliert, die Hizbollah ist mächtig reduziert, insbe­sondere deren Raketen­ar­senal. Der Iran wurde zweimal von der israe­li­schen Luftwaffe in Vergel­tungs­ak­tionen so getroffen, dass mittler­weile die gesamte Luftabwehr des Landes zerstört ist und Israel im irani­schen Luftraum jederzeit agieren könnte, ohne auf irgendeine Gegenwehr zu stoßen. Und nun das. Syrien, die Verbin­dungs­linie zwischen dem Iran und der Hizbollah im Libanon, ist gekappt. Den Weg für den Waffen­schmuggel in den Libanon gibt es nicht mehr, ein weiterer wichtiger Proxy der sogenannten irani­schen «Achse des Wider­stands» ist gefallen. Aus israe­li­scher Sicht haben sich die Macht­ver­hält­nisse im Nahen Osten innerhalb eines Jahres massiv verschoben. Zugunsten Israels natürlich.

Doch noch gibt es keinen Grund für die Israelis, wirklich zu frohlocken. Die israe­lische Luftwaffe hat nach eigenen Angaben inzwi­schen rund 80% des syrischen Waffen­ar­senals vernichtet, von dort droht bis auf weiteres keine Gefahr mehr; man hat auf dem Golan eine Pufferzone einge­richtet und sogar strate­gische Positionen auf dem Hermon einge­nommen. Es ist der höchste Punkt in der Region, von dem aus man tief hinein nach Syrien und in den Libanon blicken kann. Dort will man bis auf weiteres bleiben, egal, ob das nach inter­na­tio­nalem Recht akzep­tabel ist oder nicht. Es geht darum, auch in Syrien einen neuen «7.Oktober» zu verhindern. Dieses Trauma sitzt tief und wird Israels Militär­doktrin auf Jahrzehnte hin bestimmen. Aber, was auch immer Israel gerade in Syrien macht, all das bedeutet noch lange nicht, dass der Iran wirklich «aus dem Spiel» ist.

Engagement Europas in Syrien nötig

Im Gegenteil, Israels Angriffe dürften vielen Gruppen in Syrien überhaupt nicht gefallen und sie in ihrem Hass auf den Juden­staat bestärken. Diffe­renzen könnten überbrückt werden, in dem man sich über kurz oder lang auf die Bekämpfung eines gemein­samen Feindes einigt. Doch mit welchen Waffen? Genau hier könnte der Iran wieder ins Spiel kommen. Dann nämlich, wenn niemand sonst die neuen Macht­haber in Damaskus beim Aufbau ihres Staates mit fried­lichen Mitteln unter­stützt und ihnen sozusagen eine fried­liche Zukunft schmackhaft macht. Wenn der Westen seine Chance verpasst, hier womöglich sinnstiftend und mit entspre­chenden Anreizen eine andere Zukunft für das Land und seine Menschen ermög­licht. Das klingt utopisch, aber nichts tun ist auf alle Fälle keine Option, erst recht nicht, wenn man bedenkt, dass eine erneute Gewalt­herr­schaft in Damaskus zu neuen Flücht­lings­strömen führen würde. Der Westen, sprich Europa, hätte allein schon aus Eigen­in­teresse allen Grund, in Syrien aktiv zu werden.

Neue Allianzen vereint im Kampf gegen Israel?

Sunni­tische Islamisten und die irani­schen Schiiten würden niemals gemeinsame Sache machen, mag so mancher glauben. Schließlich war der Alewit Assad auch Teil der schii­ti­schen Glaubenswelt, wie also sollte der Iran nach Syrien «zurück­kehren»? Es wäre töricht zu glauben, dass es im Nahen Osten keine Zweck­bünd­nisse über Religi­ons­grenzen hinweg geben kann. Allein die Verbin­dungen zwischen den sunni­ti­schen Taliban in Afgha­nistan und dem schii­ti­schen Iran zeigen das. Doch nicht nur dort. Der Iran versucht seinen verlo­renen Einfluss schon lange anders zu kompen­sieren. Mit einem diplo­ma­ti­schen Schmu­sekurs in Richtung der Saudis, der Emirate und sogar Ägypten. Mit gemischtem Erfolg, doch klar ist: Nichts ist unmöglich. Vielleicht also werden die israe­li­schen Angriffe in diesen Tagen al-Julani direkt in die Arme Teherans treiben. Vielleicht.

Aber was wäre die Alter­native aus israe­li­scher Sicht? Nicht eine unmit­telbare Gefahr – die militä­ri­schen Mittel Syriens – auszu­schalten? Welcher Staat würde sich in so einer einma­ligen Situation zurück­halten? Insofern folgt Israels Vorgehen einer Kriegs- und Bedro­hungs­logik, selbst wenn der einzige demokra­tische Staat im Nahen Osten das Völker­recht bricht. Für Israel ist sein Vorgehen jedoch eine präemptive Abwehr­maß­nahme. Und das ist den Israelis nach dem 7. Oktober allemal wichtiger als kritische Äußerungen aus Deutschland und von anderswo.

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