Wie weiter mit der Rente? Die Pläne der Ampel-Koalition für die Altersvorsorge
Der demographische Wandel stellt Deutschland vor große Herausforderungen – auch in Sachen Altersvorsorge. Immer weniger Menschen zahlen ein, während die Zahl der Beitragsempfänger wächst. Wie sind die Vorhaben der neuen Ampel-Koalition einzuschätzen? Tabea Schroer hat sie sich für Libmod angesehen.
Die private Altersvorsorge bildet neben gesetzlicher und betrieblicher Rente eine der drei Säulen des deutschen Rentensystems. In jüngster Zeit sind zahlreiche Dienstleister*innen aus dem Boden geschossen, die eine junge, weibliche und gutverdienende Zielgruppe ansprechen und über ihr potenzielles Armutsrisiko aufklären wollen. Sie propagieren die regelmäßige Investition in sog. Exchange Traded Funds (ETF) als Lösung für die erwartete Rentenlücke. Zwar ist die Vermittlung fehlenden Börsen- und Finanzwissens sehr wichtig, die Investition in ETFs allerdings nicht für alle umsetzbar. Insbesondere Geringverdienende werden nicht genügend Geld beiseitelegen können, um ihre erwartete Rentenlücke selbst zu schließen. Es droht die Altersarmut und braucht demnach politische Lösungen, um eine Armut im Alter für möglichst viele zu verhindern. Die bisher bekannten Pläne der Ampel-Regierung reichen dabei voraussichtlich nicht aus. Es wird Zeit, von anderen Ländern zu lernen.
Zwei Probleme mit der Rente: Demographischer Wandel und steigendes Risiko für Altersarmut
Das gesetzliche Rentensystem in Deutschland ist umlagefinanziert. Das bedeutet, dass die Beitragszahlende die Renten der derzeitigen Rentner:innen finanzieren. Bereits heute bezuschusst der Bund die gesetzliche Rente mit 100 Milliarden Euro jährlich, was ein Viertel des gesamten Bundeshaushalts ausmacht. Das liegt u.a. daran, dass immer mehr Personen in Rente gehen und Renten beziehen, während aufgrund des demographischen Wandels immer weniger Menschen Beiträge einzahlen. Der sog. Altenquotient liegt aktuell bei 36%, d.h. auf 100 Personen zwischen 20 und 65 Jahren kommen 36 Menschen, die 65 Jahre oder älter sind. Bis 2040 könnte dieser Quotient auf knapp 53 % steigen.[1] Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Marcel Fratzscher rechnet damit, dass man in 20 Jahren über die Hälfte des Bundeshaushalts für die gesetzliche Rente ausgeben müsse, was unter Umständen trotzdem nicht genug sein könnte.
Stellt diese Entwicklung die Politik bereits heute vor große Herausforderungen, kommt jedoch ein weiteres, nicht zu vernachlässigendes Problem hinzu: Ein potenzieller Anstieg der Altersarmut. Analysen im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung zeigen, dass die Armutsrisikoquote unter den 67-Jährigen „von etwa 16% in den Jahren 2015–2020 auf etwa 20% in der ersten Hälfte der 2030er Jahre“[2] steigen könnte. Das Risiko für Altersarmut bestehe dabei vor allem „für Personen mit geringer Bildung, alleinstehende Frauen, Personen, die von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen waren, Personen mit geringen Anwartschaften in der GRV oder mit Migrationshintergrund“ (ebd.). Darüber hinaus verdopple sich das Armutsrisiko für Menschen in Ostdeutschland potenziell, was v.a. mit einer hohen Arbeitslosigkeit in den 1990er und 2000er Jahren zusammenhänge (ebd.).
Private Investition in ETFs – diskursive Individualisierung der Altersarmut?
Zwar propagieren Finanzexpert:innen wie Madame Moneypenny oder die Finanzheldinnen seit einigen Jahren sog. Exchange Traded Funds (ETF) als Lösung der Altersarmut: Sie sprechen insbesondere Frauen an, die in der Tat aufgrund von Erwerbsunterbrechungen durch Erziehungszeiten und vermehrter Beschäftigung in Teilzeit eher von Altersarmut bedroht sind als Männer. Die Vermittlung von Finanz- und Börsenwissen und finanziellen Grundlagentipps wie der Einrichtung eines eigenen Kontos, unabhängig von (Ehe-) Partner:innen, sind eine wichtige Komponente und Errungenschaft für viele Frauen. Allerdings kommt dieses Modell vor allem für die, die nur noch wenige Jahre bis zur Rente und daher eine kurze Ansparphase haben, wahrscheinlich zu spät. Geringverdiener*innen werden darüber hinaus nicht genug Einkommen haben, um ihre Rentenlücke selbst zu schließen.
Die Rhetorik der Finanzexpert:innen, nach denen es vor allem das richtige „Mindset“ brauche, um das eigene Einkommen und damit das monatliche Sparpotenzial zu heben, erscheint vor dem Hintergrund geringer Einkommen fast zynisch und individualisiert das Problem der Altersarmut. Es wird zu einem Problem des Individuums, das individuell gelöst werden soll, obwohl es eigentlich strukturell bedingt ist. Sie suggerieren, dass ein sorgenfreies Leben im Alter und eine Art sozialer Aufstieg durch Leistung für alle möglich seien. Tatsächlich ist genau das Gegenteil der Fall: Die soziale Mobilität in Deutschland wird seltener, d.h. heute schaffen weniger Menschen den sog. sozialen Aufstieg von der einen in eine andere, ‚höhere‘ soziale Klasse. Deutschland gehört zu den Ländern weltweit, in dem die Lebenschancen stark von der sozialen Herkunft abhängen.
Die Vorhaben der Ampel-Regierung: Ein Tropfen auf den heißen Stein?
In ihrem Koalitionsvertrag kündigt die Ampel-Regierung die Sicherung des Mindestrentenniveaus von 48% sowie einen Verzicht auf Rentenkürzungen sowie auf die Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters an (Koalitionsvertrag 2021: 73). So fallen zwei mögliche Stellschrauben für die künftige Finanzierung der Rente weg. Weitere Möglichkeiten der Finanzierung wären ein Anstieg der Rentenbeiträge oder des Bundeszuschusses. Der Koalitionsvertrag weiter:
„Um diese Zusage generationengerecht abzusichern, werden wir zur langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und Rentenbeitragssatz in eine teilweise Kapitaldeckung der Gesetzlichen Rentenversicherung einsteigen.“ (Koalitionsvertrag 2021: 73)
Diese Kapitaldeckung ist in Deutschland neu und sieht für 2022 zunächst einen Zuschuss von zehn Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt vor, den die Deutsche Rentenversicherung erhält, um ihn am Kapitalmarkt anzulegen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Zuschüsse des Bundes zur Rentenversicherung hält Geyer vom DIW diese Summe für zu niedrig und fordert einen „Kapitalstock in mittlerer dreistelliger Milliardenhöhe“ um den Beitragsanstieg zu dämpfen und das Niveau zu stabilisieren.
Darüber hinaus plant die Ampel-Regierung einen „öffentlich verantworteten Fonds“ als Angebot für die private Altersvorsorge. Dies kann als Eingeständnis gelesen werden, dass die Riester-Rente nicht die gewünschten Ergebnisse erzielt hat. Stattdessen sollen hohe Kosten, die viele Riester-Verträge unattraktiv und wenig rentabel machen, vermieden und mit der Aussicht auf eine höhere Rendite gekoppelt werden. Die Idee klingt erst einmal attraktiv, allerdings sind hier noch viele Fragen offen. Darüber hinaus ist der Fonds nicht obligatorisch, sondern mit Abwahlmöglichkeit vorgesehen, bleibt also freiwillig. Auch wird ein solches Produkt Personen, die in den nächsten Jahren in Rente gehen und von Altersarmut bedroht sind, nicht davor bewahren können.
Als positiv kann hingegen die Ausweitung des Rentensplittings auf unverheiratete Paare sowie eine bessere Bekanntmachung dieser Möglichkeit durch die Deutsche Rentenversicherung bewertet werden. Beim Rentensplitting können Rentenansprüche innerhalb einer Partnerschaft zu gleichen Teilen auf beide Partner:innen aufgeteilt werden. So kann die Person, die beispielsweise aufgrund von Kinderbetreuung in Teilzeit arbeitet, trotzdem höhere Rentenansprüche sammeln und potenzielle sozialversicherungsrechtliche Nachteile der Teilzeittätigkeit teilweise ausgleichen. Wenn auch die besonders von Altersarmut bedrohte Gruppe der Alleinerziehenden von diesem Modell potenziell nicht profitieren wird, so ist es dennoch wichtig, Paare auf die Möglichkeit der Aufteilung der Rentenansprüche hinzuweisen und diese Option für Unverheiratete zu öffnen.
Ideen aus anderen Ländern: Garantierente und Stärkung der betrieblichen Rente
Wie könnten also politische Lösungen für die Herausforderungen des Rentensystems aussehen? In den vergangenen Jahren wurden immer wieder Modelle anderer Länder, beispielsweise das schwedische oder das niederländische Modell als Inspiration für mögliche Lösungen bemüht. Sie bieten nach wie vor Ideen, von denen Deutschland lernen könnte.
Entsprechend des schwedischen Modells schlägt Klammer, Direktorin des Instituts Arbeit und Qualifikation von der Universität Duisburg-Essen, vor, „dauerhaft einen kleinen Anteil der gesetzlichen Rentenbeiträge am Kapitalmarkt zu investieren“. In Schweden beträgt dieser Anteil 2,5% des gesetzlichen Rentenbeitrags. Wie bereits erwähnt, könnte eine solche Regelung in Form eines öffentlich verwalteten Fonds als freiwilliges Angebot mit der Ampel-Regierung Wirklichkeit werden.
Eine weitere Möglichkeit wäre eine langfristige Stärkung der betrieblichen Rente, wie in den Niederlanden. Dort ist die betriebliche Rente die wichtige Säule der Altersvorsorge neben der gesetzlichen Rente und macht bei vielen die Hälfte der Bezüge im Alter aus. In Deutschland zahlen etwa 60% der Beschäftigten in eine Art der betrieblichen Altersvorsorge ein, allerdings macht diese einen weitaus geringeren Anteil an den Gesamtbezügen aus als in den Niederlanden. Natürlich käme es auch dabei auf die Ausgestaltung an. So kommt eine Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung zu dem Schluss, dass eine gesetzliche Pflicht zur Altersvorsorge zwar die Armuts- und Grundsicherungsquote reduzieren würde, aber von Altersarmut bedrohte Gruppen nur wenig davon profitieren würden, weil ihre betrieblichen Rentenansprüche gering wären.
Für akut von Altersarmut Bedrohte und Betroffene könnte eine Garantierente, wie die Grünen sie im Wahlkampf vorgeschlagen haben, eine Antwort sein[3]: Niedrige Renten sollten „bei Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen“ (ebd.: 3) auf 30 Entgeltpunkte aufgestockt werden. Dies entspräche einer Bruttorente von 1025,70€ für Westdeutschland und 996,90€ für Ostdeutschland. Die Mehrausgaben dieses Modells für die Gesetzliche Rentenversicherung lägen laut Berechnungen zwischen 8,7 und 15 Milliarden Euro, wenn die damit einhergehenden „Minderausgaben bei der Grundsicherung, die Mehrausgaben beim Wohngeld und das zusätzliche Steueraufkommen“ (ebd.) berücksichtigt würden. Ein ähnliches Modell in Form einer Mindestrente gibt es auch in Schweden und den Niederlanden.
Um speziell die Renten von Frauen zu erhöhen, die oftmals aufgrund von Care Arbeit unterbrochene Erwerbsbiographien aufweisen, gibt es verschiedenste Vorschläge. Würde man die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärken, um mehr Frauen* in Erwerbsarbeit und vor allem in Vollzeitarbeit zu bringen, würde das nicht nur den individuellen Rentenansprüchen zugutekommen, sondern auch mehr Geld für das Umlageverfahren der DRV bedeuten. So könnten die Folgen des demographischen Wandels zumindest anteilig ausgeglichen werden. Ähnliche Effekte könnten über eine Förderung der Einwanderung nach Deutschland erzielt werden, um so mehr Beitragszahlende zu haben, die für die Renten aufkommen.
Das Wissenschaftszentrum Berlin wirbt außerdem für eine Abschaffung des sog. Ehegattensplittings, das einen Steuervorteil für verheiratete Paare mit sich bringt, wenn die Einkommen der Partner*innen unterschiedlich hoch sind. Dies fördere die Entscheidung, dass eine Person (meist die Frau*) dauerhaft weniger als Vollzeit arbeite, was sich letztlich in niedrigeren Rentenansprüchen niederschlägt.
Zwar geht die Ampel-Regierung mit der Anlage am Kapitalmarkt einen für die Bundesrepublik neuen Weg, er wird jedoch die künftigen Herausforderungen des demographischen Wandels nicht abfedern können. Es bleibt zu hoffen, dass die Regierung die Legislaturperiode nutzt, um tragfähige Konzepte für die gesetzliche Rente zu diskutieren. Ansonsten bleibt ihr nichts übrig als ein über die Jahre immer weiter ansteigender Zuschuss des Bundes.
[1] Geyer, Johannes; Buslei, Hermann (2021b): Einkommenswirkung und fiskalische Kosten der Grünen Garantierente. Endbericht; Forschungsprojekt im Auftrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. DIW Berlin: Politikberatung kompakt, Nr. 165. https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.815710.de/diwkompakt_2021-165.pdf, S. 1.
[2] Haan, Peter; Stichnoth, Holger; Blämer, Maximilian; Buslei, Hermann; Geyer, Johannes; Krolage, Carla; Müller, Kai-Uwe (2017): Entwicklung der Altersarmut bis 2036. Trends, Risikogruppen und Politikszenarien. DIW & ZEW im Auftrag der Bertelsmann Stiftung Gütersloh. https://www.bertelsmannstiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/Entwicklung_der_Altersarmut_bis_2036.pdf, S. 18.
[3] Geyer Johannes; Haan, Peter; Ludwig, Alexander (2021): Mindestrente: Absicherung gegen Altersarmut und notwendiger Baustein für weitere Reformen. DIW Berlin: DIW aktuell, Nr. 72. https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.823995.de/diw_aktuell_72.pdf.
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