Kapita­lismus neu denken

Der Kapita­lismus steht vielfach als ungerechtes Wirtschafts­system in der Kritik. Drei Vorschläge für seine Erneuerung könnten helfen, eine faire und nachhaltige Wirtschafts­ordnung zu schaffen.


Die Debatte über eine grund­le­genden Erneuerung des Kapita­lismus nimmt Fahrt auf. Ihr Ausgangs­punkt ist die Diagnose, dass die „neoli­berale“ Deregu­lierung von Märkten, Priva­ti­sierung öffent­lichen Eigentums und der Abbau sozialer Schutz­rechte zu einer wachsenden sozialen Polari­sierung führt. Die Vorteile globaler Märkte und beschleu­nigter techni­scher Innovation werden weitgehend von den gesell­schaft­lichen Gruppen verein­nahmt, die über Inves­ti­ti­ons­ka­pital verfügen, hoch quali­fi­ziert und hoch mobil sind. Wer kein Vermögen besitzt und nur über einfache (oder veraltete) beruf­liche Quali­fi­ka­tionen verfügt, gerät zunehmend unter Druck. Die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen wächst, die soziale Unsicherheit breiter Schichten nimmt zu, das Versprechen von Aufstiegs­chancen für alle verflüchtigt sich. Mit dem Klima­wandel kommt noch ein weiteres Motiv ins Spiel, den Kapita­lismus infrage zu stellen und einen Kurswechsel zu fordern.

Damit bröckelt die ohnehin prekäre Legiti­mation des kapita­lis­ti­schen Wirtschafts­systems. Kapita­lismus gilt vielen als eine unfaire Lotterie, in der die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Besonders ausge­prägt ist dieses Klischee ausge­rechnet in Deutschland, einem der erfolg­reichsten Indus­trie­länder mit einem ausge­prägten Mittel­stand. Es liegt auf der Hand, dass die Melange aus Abstiegs­ängsten und gefühlter Ungerech­tigkeit einen Nährboden für antili­berale Bewegungen (zumeist von rechts) bildet.

Aus der vielfachen Kritik an den desin­te­gra­tiven Wirkungen des globalen Kapita­lismus ist aller­dings bisher kaum eine ernst­hafte „Syste­mal­ter­native“ hervor­ge­gangen. Die Kritik von Autoren wie Piketty zielt vielmehr auf eine Reform des kapita­lis­ti­schen Systems. Sie will mehr soziale Teilhabe, mehr Chancen­gleichheit und geringere Krisen­an­fäl­ligkeit. Dabei zeichnen sich drei Haupt­linien einer Erneuerung des Kapita­lismus ab:

A) Eine stärkere Betei­ligung breiter Schichten am Produk­tiv­ka­pital – klassisch heißt das „Vermö­gens­bildung in Arbeit­neh­merhand“. Mehr Mitei­gentum der Beschäf­tigten an den Unter­nehmen gibt ihnen nicht nur mehr Möglich­keiten zur Mitbe­stimmung, sondern eröffnet auch zusätz­liche Einkom­mens­quellen. Über die letzten 25 Jahre sind Kapital­ein­kommen deutlich stärker gewachsen als die Löhne. Dieser Zug ging an den Arbeit­nehmern weitgehend vorbei.

B) Eine Reduzierung sozialer Ungleichheit durch stärkere Besteuerung hoher Einkommen und Vermögen und eine aktive staat­liche Struk­tur­po­litik. In Zeiten rapider techno­lo­gi­scher und wirtschaft­licher Verän­derung ist Bildung und Quali­fi­zierung ein Schlüssel für beruf­liche Chancen und soziale Teilhabe.

C) Ein „Green New Deal“, der in einer Kombi­nation von markt­wirt­schaft­liche Anreizen, öffent­lichen Inves­ti­tionen und ordnungs­po­li­ti­schen Vorgaben eine Welle von „grünen Innova­tionen“ freisetzen und für nachhal­tiges Wachstum sorgen soll.

Gemeinsam ist diesen Denkrich­tungen, dass sie das Verhältnis von Markt und Staat neu justieren wollen. Sie zielen auf eine stärkere Regulierung und Steuerung von Märkten, ohne die Rolle des privaten Sektors außer Kraft zu setzen. Und sie besinnen sich wieder auf die Bedeutung öffent­licher Insti­tu­tionen für eine faire und nachhaltige Wirtschafts­ordnung. Über Art und Umfang politi­scher Eingriffe kann man streiten, aber ein Kurswechsel zu mehr öffent­lichen Inves­ti­tionen und einer sozial-ökolo­gi­schen Ordnungs­po­litik ist überfällig.

Dass ein solcher Paradig­men­wechsel zu einem sozial integra­tiven und ökolo­gisch nachhal­tigen Kapita­lismus inter­na­tionale Abkommen und Insti­tu­tionen braucht, liegt auf der Hand. Wenn es die EU nicht schon gäbe, müssten wir sie jetzt erfinden.


Link: Weforum

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