Sondie­rungs­ver­ein­ba­rungen – Deutschland macht sich klein

Sondie­rungs­ver­ein­ba­rungen: Weltflucht statt inter­na­tionale Verant­wortung, Fortschreibung des Status quo statt Aufbruch zu neuen Ufern.

Niemand konnte erwarten, dass die Verein­ba­rungen zwischen Union und SPD Begeis­terung auslösen. Angesichts des Gewürges der letzten Monate muss man schon würdigen, dass beide ernsthaft anstreben, eine handlungs­fähige Regierung zu bilden. Insbe­sondere für die SPD ist es arg mühsam, aus der selbst­ge­wählten Schmollecke heraus­zu­finden. Ein guter Teil der Häme, der jetzt in den sozialen Netzwerken auf Schulz & Co herein­prasselt, ist selbst­ge­recht und allzu billig. Auch die Kritik spezi­eller Inter­es­sen­gruppen, dass die Verein­ba­rungen auf diesem und jenem Feld nicht weit genug gehen, ist nicht überra­schend. Politik ist kein Wunschkonzert.

Wenn man das Dokument mit etwas mehr Distanz liest, fällt vor allem das krasse Missver­hältnis zwischen gesell­schafts­po­li­ti­schen Verein­ba­rungen und dem extrem mageren außen­po­li­ti­schen Teil auf. Das Papier versucht erst gar nicht, die Heraus­for­de­rungen zu beschreiben, die sich aus der neuen Weltlage ergeben. Sicher­heits­po­litik kommt allen­falls am Rande vor. Russland und die Ukraine sind nicht der Rede wert, dito die NATO und die Zukunft des trans­at­lan­ti­schen Bündnisses. China ist so wenig ein Thema wie der Brenn­punkt Naher Osten. Der Europateil klammert die antili­berale Heraus­for­derung ebenso aus wie die östliche Nachbar­schaft. Immerhin geht er mit Blick auf die finan­zielle Stärkung der EU einen Schritt auf Macron zu. Mit etwas gutem Willen kann man die Bereit­schaft heraus­lesen, ein Inves­ti­ti­ons­budget für die Eurozone zu schaffen. Dafür sind aber keine Mittel in der Finanz­planung ausgewiesen.

Für Bundeswehr und Entwick­lungs­zu­sam­men­arbeit sollen zusammen 2 Milli­arden zusätzlich in den nächsten 4 Jahren ausge­geben werden – das ist angesichts der Absichts­er­klä­rungen zur „Bekämpfung der Flucht­ur­sachen“ und zur Stärkung der europäi­schen Vertei­digung ein Witz. Über die Milita­ri­sierung der deutschen Außen­po­litik muss sich jeden­falls niemand Sorgen machen.

Nimmt man dieses Papier einer künftigen GroKo zum Maßstab, dann steckt Deutschland nach wie vor in einer zutiefst selbst­be­züg­lichen, nach innen gekehrten (um nicht zu sagen provin­zi­ellen) Menta­lität. Die Außenwelt wird allen­falls als Bedrohung wahrge­nommen, nicht als Gestal­tungs­aufgabe. Das gilt auch für die Klima­po­litik. In der Präambel kommen unter den „zentralen Fragen“, denen sich die Koalition widmen will, Klima­wandel und ökolo­gische Krise schlicht nicht vor – in den Sachka­piteln schon, wenn auch sehr verhalten. Man will die Lücke zu den Klima­zielen 2020 verringern und die Ziele für 2030 einhalten – konkrete Maßnahmen sollen erst einmal in einer Exper­ten­kom­mission disku­tiert werden. Ein großes Anliegen ist das den Unter­händlern offen­kundig nicht. Im Hinblick auf nachhaltige Innova­ti­ons­po­litik und den ökolo­gi­schen Struk­tur­wandel der Wirtschaft ist das Papier frei von jeder Ambition. Die Zeiten, in denen auch die SPD und sogar Teile der Union von Ökologie als Chance für ökono­mische Innovation sprachen, sind offenbar vorbei. Es drohen weitere verlorene Jahre im Wettlauf mit dem Klima­wandel und im Übergang zu einer postfos­silen Ökonomie.

Generell fällt das Fehlen jeder übergrei­fenden gesell­schafts­po­li­ti­schen und inter­na­tio­nalen Idee auf. Man findet viele kleine Fortschritte (Bildung, Rente, Wohnungsbau etc), aber alles atmet ein „Mehr vom Gleichen“ – Fortschreibung des Status quo statt Aufbruch zu neuen Ufern.

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