100 Jahre Kommunistische Partei Chinas – vom Westen unverstanden
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Während den hundert Jahren ihres Bestehens hat die KPCh sich mehrfach gewandelt und es so geschafft, zur mächtigsten politischen Organisation der Welt zu werden. Doch der Westen blickt aus der Perspektive des Kalten Kriegs auf dieses Phänomen, über das er zu wenig weiß und das er nicht einschätzen kann, analysiert Maximilian Kalkhof.
Wie oft ist sie totgesagt worden. Und wie oft hat sie ihre Kritiker eines Besseren belehrt.
Die Rede ist von der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), die dieser Tage ihren 100. Geburtstag feiert. Was sich anhört wie ein Witz, ist Wirklichkeit: 1921 treffen sich ein paar Kommunisten in Shanghai, um eine Partei zu gründen. 100 Jahre später regieren sie die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt.
Die KPCh – mit mehr als 90 Millionen Mitgliedern die größte Kommunistische Partei und nach der indischen BJP die zweitgrößte politische Partei der Welt – hat epochemachende Ereignisse überstanden, allen voran den Zerfall der Sowjetunion. Als dann die Rede vom „Ende der Geschichte“ aufkam, also vom vermeintlichen Siegeszug von liberaler Demokratie und Marktwirtschaft, dachten viele Kommentatoren im Westen, es sei nur eine Frage der Zeit, bis auch die KPCh in sich zusammenfallen werde. Doch sie warten bis heute.
Die Kommunistische Partei Chinas als Fehler im System
Trotzdem hält sich im Westen – auch nach dem Ende des Kalten Krieges – die Wahrnehmung der KPCh als Fehler im System. Als die chinesische Wirtschaft anfing zu boomen, hieß es, die entstehende Mittelschicht werde politische Rechte einfordern. (Nicht passiert.) Als das Internet aufkam, hieß es, das Netz werde das Meinungsmonopol der Partei aufbrechen. (Nicht passiert.) Und als die Corona-Pandemie ausbrach, hieß es, sie werde den Niedergang der Volksrepublik beschleunigen – so wie die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl den Fall der Sowjetunion beschleunigt hat. (Nicht passiert.)
Die Wahrnehmung der KPCh als Fehler im System liegt aber nicht nur an der Fantasievorstellung vom „Ende der Geschichte“. Sie liegt auch an zahlreichen Mythen. Da der Westen wenig über die KPCh weiß, hält er sie meist für einen Monolith. Dabei ähnelt sie eher einem Chamäleon. Ihre Langlebigkeit ist auf ihre Anpassungsfähigkeit zurückzuführen.
Der Leviathan
Zum einen ist sie skrupellos. Sie herrscht alleine und hat einen totalitären Anspruch, der keinen Raum für Dissens duldet. Unzählige Dissidenten haben das schmerzhaft am eigenen Leib erfahren. Auch das Internet hat sie sich Untertan gemacht und nutzt es, um ihr Meinungsmonopol und die soziale Kontrolle auszubauen. Die Partei als Leviathan.
Zudem ist sie ein gut geölter Verwaltungsapparat. Ihr Einfluss reicht in Unternehmen und in die letzten Winkel des Landes – das das Ausmaß eines Kontinents hat. Als das Coronavirus ausbrach, versank China nicht etwa im Chaos. Im Gegenteil: Wie im Zeitraffer entstanden auf der grünen Wiese Krankenhäuser. Nachbarschaftskomitees, kleine Parteieinheiten auf lokaler Ebene, fuhren ältere Menschen ins Krankenhaus und lieferten Medizin aus. Die Partei als Regierungsform.
Auch ist sie ideologisch außerordentlich flexibel. Als eine Schicht aus Privatunternehmern entstand, verteufelte die KPCh diese nicht etwa. Im Gegenteil: Sie ebnete ihnen den Weg in die Partei. Heute ist die KPCh eine Partei der Millionäre. Die einzige Ideologie, die ihr heilig ist, ist die ihrer eigenen Vorherrschaft. Die Partei als lernendes System.
Und nicht zuletzt hat sie es verstanden, kleptokratische Zustände zu vermeiden. Natürlich gibt es unter dem politischen Führungspersonal – Recherchen von US-Medien haben das aufgedeckt – Bereicherung und Nepotismus. Aber in den vergangenen Jahrzehnten hat sich der Lebensstandard von Hunderten Millionen Chinesen verbessert. Diesen Menschen ist klar: Wer aufsteigen will, muss drin sein. Die Partei als Karrierenetzwerk.
Die Partei ist nicht das Volk
Der Westen sollte die KPCh nicht mit China und erst recht nicht mit dem chinesischen Volk gleichsetzen. Dass die Parteipropagandisten das zunehmend tun, zeugt nur davon, wie falsch diese Gleichung ist. Die Bemühungen der Propagandisten zeugen aber auch davon, wie viel Angst die Partei vor dem Kontrollverlust hat.
Seit Xi Jinping 2012 zum Parteichef aufgestiegen ist, hat er die Rolle der Partei massiv gestärkt. Nach dem Tod von Mao Tse-tung hatte die politische Führung Trennlinien zwischen Partei und Staat eingeführt. Die Partei gab die großen Linien vor, aber die Regierung mit ihren Ministerien setzte sie um. Unter Xi ist all das rückabgewickelt worden. Die Partei ist der Staat. Auch hat Xi, der während der Wirren der Kulturrevolution aufgewachsen ist, die Rolle sozialistischer Ideologie aufgewertet. Er diffamiert liberale Werte, schränkt die Zivilgesellschaft ein – und versucht sogar, Technologiefirmen wie Alibaba auf Linie zu bringen.
Nackte Angst
Der Grund dafür ist die nackte Angst: Nach allem, was über ihn bekannt ist, glaubt Xi tatsächlich, dass die KPCh und China zwei Enden einer Gleichung sind. Er fürchtet, dass die Partei zerbrechen und das Land in kulturrevolutionärem Chaos versinken könnte – besonders vor dem Hintergrund des Konflikts mit den USA eine Horrorvision. Ganz abwegig ist das nicht. Den noch 2012 tobte in der Partei ein desaströser Machtkampf. Bo Xilai, ein aufstrebender Lokalpolitiker und Rivale von Xi, hatte so etwas wie eine Partei in der Partei aufgebaut. Erst wurde er abgesetzt, dann zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach allem, was heute bekannt ist, sprang die Partei dem Tod von der Schippe.
Der Westen sollte aber auch nicht den Fehler machen und einen fundamentalen Gegensatz zwischen der KPCh und dem chinesischen Volk annehmen. Ja, es gibt Dissidenten, die ins Ausland fliehen. Und ja, es gibt unter Chinesen Unzufriedenheit über soziale Probleme wie explodierende Bildungskosten und Landnahme. Aber die Zustimmung der Chinesen zur KPCh ist groß – wer durch das Land reist, spürt das. Das Verhältnis der Chinesen zur KPCh liegt irgendwo im Graubereich zwischen Zustimmung und Ablehnung.
Westliche Unkenntnis
Die KPCh ist die mächtigste politische Organisation der Welt. Dennoch weiß der Westen so gut wie nichts über sie. Wie Entscheidungen gefällt werden und was die Partei im Innersten zusammenhält – kaum etwas ist bekannt. Einer der prominentesten Kenner der KPCh, der Australier Richard McGregor, mutmaßte jüngst in einem Interview, dass nicht einmal die amerikanischen Geheimdienste einen Einblick in das Innenleben der Partei haben.
Auch für Deutschland ist dieser Mangel an Wissen ein Problem. Er lädt dazu ein, in der Logik des Kalten Krieges zu verharren. Und wie sehr die Kanzlerkandidaten von Union und SPD in diesem Denkmuster verhaftet sind, zeigte sich jüngst auf der Münchner Sicherheitskonferenz.
Nach dem Umgang mit China befragt, faselte erst CDU-Kandidat Armin Laschet von der Bedeutung der Ostpolitik. Kurz darauf stimmte SPD-Kandidat Olaf Scholz in die Hymne ein und hob ebenfalls die Bedeutung von „Entspannungspolitik“ gegenüber China hervor. In anderen Worten: Sowohl Laschet als auch Scholz sind der Meinung, dass sich Meinungsverschiedenheiten mit dem chinesischen Parteistaat durch freundlichen und beharrlichen Dialog auflösen lassen.
Aber hinter dem Lob der deutschen Ostpolitik verbirgt sich nichts anderes als der Unwille, der Wirklichkeit ins Gesicht zu blicken. Laschet und Scholz glauben immer noch an das „Ende der Geschichte“. Sie glauben, man müsse mit Partnern, die einem nicht wohlgesonnen gegenüberstehen, nur lange genug reden – bevor diese schließlich Einsicht zeigen und einlenken.
Aber die KPCh ist der lebende Beweis, dass es kein „Ende der Geschichte“ gibt. Sie redet von „Demokratie“, „Kooperation“ und „Rechtsstaatlichkeit“, meint aber die Absicherung ihrer eigenen Vorherrschaft. Wer das nicht versteht, gefährdet die liberale Ordnung.
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