Merkel in Georgien: Euphorie und Ernüchterung

Shutter­stock

Georgien will in die NATO und die Europäische Union. Beim Besuch von Kanzerlin Angela Merkel hofft das ganze Land auf ein Signal der Unter­stützung. Eine Reportage aus Tiflis, das zwei Tage lang zwischen Euphorie und Ernüch­terung schwankt.

Schon die offizielle Ankün­digung auf der Webseite der Bundes­re­gierung zum Besuch der Kanzlerin in Georgien dürfte der Regierung in Tbilissi alles andere als gefallen haben. Dort heißt es spröde und knapp in zwei Sätzen: „Die Bundes­re­gierung unter­stützt bis heute die Bemühungen um eine fried­liche Konflikt­lösung in Abchasien und Südos­setien. Das Format sind die „Geneva Inter­na­tional Discus­sions“ unter dem Co-Vorsitz der Organi­sation für Sicherheit und Zusam­men­arbeit in Europa.“

Ende der Ansage, keine weiteren Infor­ma­tionen zu Sinn und Zweck der Reise und der Gespräche mit der Führung des Landes.

Eine Regierung unter Druck

Die georgische Regierung sah sich aller­dings im Vorfeld des Merkel-Besuches mit einer deutlich anderen Erwar­tungs­haltung in den georgi­schen Medien und in der Opposition konfron­tiert. Die deutsche Kanzlerin hat nicht den Ruf einer zuver­läs­sigen Verbün­deten Georgiens, wird ihr doch noch immer nachge­tragen, dass sie beim Bukarester NATO-Gipfel im Jahr 2008 die von George W. Bush voran­ge­triebene sofortige Mitglied­schaft Georgiens in der NATO verhindert hat. Seitdem gilt Berlin als der Brems­klotz in Sachen NATO/EU-Ambitionen schlechthin, obwohl Angela Merkel immer wieder betont, Georgien könne in beiden Insti­tu­tionen Mitglied werden. Doch was den Zeitpunkt angeht, hört man von Merkel nur Nebulöses.

Entspre­chend wurden von Angela Merkel bei ihrem zweiten Besuch genau zehn Jahre später deutliche Signale in Richtung Moskau erwartet. Medien forderten, Merkel müsse erklären, warum sie beim Treffen mit Putin in Schloss Meseberg vergangene Woche nicht über Georgien gesprochen habe. Auch müsse sie sich endlich trauen, in Bezug auf Abchasien und Südos­setien von einer „Okkupation“ durch Russland zu sprechen. Und zuletzt müsse Merkel versprechen, die euro-atlan­tische Integration Georgiens zu befördern – und nicht weiter zu behindern.

Keine leichte Situation für die Tbilisser Regierung, die seit Wochen nichts unver­sucht lässt, diesen Staats­besuch zehn Jahre nach dem verlo­renen Krieg um Südos­setien zu einem beson­deren Ereignis zu stili­sieren – nicht unbedingt zur Freude der Partner in Berlin. Denn schon während der Vorbe­rei­tungen wurde deutlich, dass der Gast die vielen Wünsche Georgiens, etwa nach einer strate­gi­schen Partner­schaft mit Deutschland, nicht erfüllen wird. Und es wurde deutlich, dass Angela Merkel mit dem neuen Premier Mamuka Bakhtadse, der erst vor einigen Monaten überra­schend einge­setzt wurde, noch nicht das Vertrau­ens­ver­hältnis aufgebaut hat, das sie mit seinem Vorgänger Giorgi Kwiri­ka­schwili pflegte. Minuten vor der Landung Angela Merkels sah sich Außen­mi­nister Davit Zalka­liani auf dem Tbilisser Flughafen noch einem Trommel­feuer an kriti­schen Journa­lis­ten­fragen zu Angela Merkel ausge­setzt, auf die er nicht viel mehr antworten konnte als, das der Besuch Angela Merkels doch zeige, dass Georgien auf der Agenda Deutsch­lands stehe. 

Portrait von Rainer Kaufmann

Rainer Kaufmannist Journalist und lebt in Tiflis

Kein Foto am Grenzzaun

In ihrem Presse-Statement listete die Kanzlerin einige Minuten lang akribisch die Erfolge in der deutsch-georgi­schen Zusam­men­arbeit auf, angefangen vom Bahnsektor, dem Bildungs­wesen oder der Wasser- und Abwas­ser­wirt­schaft bis hin zur Frank­furter Buchmesse (auf der Georgien Ehrengast ist), der EU-Assozi­ierung und der Visa-Libera­li­sierung. Zum Konflikt mit Russland jedoch nur dünne Sätze: „Ich habe ganz klar den Abzug der russi­schen Truppen gefordert und nach zehn Jahren unter­stütze ich noch weiter die terri­to­riale Integrität Georgiens. Wir werden für die Lösung des Problems einen Beitrag leisten.“ Im Übrigen wisse der russische Präsident von ihrer Einschätzung, dass er sich gegenüber Georgien und der Ukraine ungerecht verhalte und dass sie diese Fragen immer wieder auf die Tages­ordnung setze. Das habe sie auch neulich mit ihm besprochen. Von Okkupation sprach sie nicht.

Zum georgi­schen Standard-Protokoll bei Staats­be­suchen gehört ein Besuch an der „Verwal­tungs­grenze von Südos­setien“. Angela Merkel besuchte am zweiten Tag natürlich auch die „Demar­ka­ti­ons­linie“ zwischen Zentral­ge­orgien und der von Russland anerkannten de-facto Republik Südos­setien. Aller­dings hat sie eine Begleitung durch Vertreter der georgi­schen Regierung strikt abgelehnt. Sie besuchte die offizielle Friedens­mission der EU, die European Union Monitoring Mission (EUMM), und ließ sich von dieser über die Situation an der Konflikt­grenze infor­mieren. Etwaige Presse­fotos zusammen mit einem georgi­schen Minister mit Stachel­draht­ver­hauen im Hinter­grund, wie sie Tbilissi fast von jedem Staats­besuch veröf­fent­licht, sollte es nicht geben. Merkels Strategie zielt nicht auf oberfläch­liche Propa­ganda. Sie setzt auf Geduld und einen langfris­tigen Dialog, der auch Russland mit einbezieht.

Opposition nimmt Merkel ins Kreuzverhör

Dann, am Morgen des zweiten Tages fällt dann doch noch das lange ersehnte O‑Wort. Vielleicht motiviert vom kargen Medien-Echo des ersten Tages erklärt die Kanzlerin in einer Diskussion mit Studenten, sie habe kein Problem, zu sagen, dass es sich um eine Besatzung handele. Die Studenten spendeten spontanen Beifall und die georgi­schen Medien berich­teten eupho­risch, dass die Kanzlerin das einge­for­derte O‑Wort endlich gesagt habe.

Probleme gab es mit der Opposition: Salome Samadishvili von der Natio­nalen Bewegung, der Partei des ehema­ligen Präsi­denten Saaka­schwili, erklärte, sie hoffe, dass Angela Merkel nach diesem Besuch ein klareres Bild habe von den Heraus­for­de­rungen, vor denen Georgien stehe. Ihre Partei wolle der Kanzlerin in einem Gespräch deshalb die wirklichen Probleme schildern. Zu diesem Zeitpunkt war aller­dings noch nicht klar, ob sich im dicht gedrängten 24-Stunden-Programm Angela Merkels überhaupt Zeit finden ließe für einen Termin mit der Opposition.

Irgendwann kurz nach dem Frühstück durften die Opposi­ti­ons­führer dann im Hotel antreten und Merkel ihre Aufwartung machen. Das Ergebnis fasste Grigol Waschadse, früher Außen­mi­nister und jetzt UNM-Kandidat für die Präsi­dent­schafts­wahlen im Herbst zusammen: Er sei besorgt über die wenig optimis­ti­schen Anmer­kungen der Kanzlerin zur Frage der euro-atlan­ti­schen Integration Georgiens. Merkel habe in beiden Fällen – EU und NATO – Geduld angemahnt und die Erwartung auf schnelle Entschei­dungen gedämpft.

Mal wieder.

 

Textende

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