Wie die Kommu­nis­tische Partei die Wissen­schaft gefährdet

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Es ist erklärtes Ziel der Kommu­nis­ti­schen Partei Chinas, die Wissen­schaft zu politi­sieren. Forscher, die sich kritisch mit ihr ausein­an­der­setzen, werden bedroht und sanktio­niert. Eine unpoli­tische China­for­schung kann es daher nicht geben. 

In dem jüngsten Debat­ten­beitrag zum Verhältnis von China­wis­sen­schaft und Politik argumen­tiert Volker Stanzel, dass [sich die] leben­dige, fas­zi­nie­rende Land­schaft der Sino­lo­gie (...) nur zu ihrem Schaden über den Kamm poli­ti­scher Wirk­sam­keit scheren [lässt]Dabei übersieht Stanzel, dass die Politi­sierung der Wissen­schaft erklärtes Ziel der Kommu­nis­tische Partei Chinas (KPCh) ist. Eine unpoli­tische China­for­schung kann es daher nicht geben.

Portrait von Andreas Fulda

Andreas Fulda ist Dozent an der University of Nottingham.

Unter Staats- und Parteichef Xi Jinping hat die Zensur der Wissen­schaft innerhalb und ausserhalb Chinas seit 2012 stark zugenommen. In China wurde diese besonders deutlich im Rahmen der politi­schen Richt­linien „Die sieben Tabus und des „Dokuments 9. Sie machen klar, dass Themen wie univer­selle Werte, Presse­freiheit, Zivil­ge­sell­schaft und Menschen­rechte an chine­si­schen Univer­si­täten nicht länger frei disku­tiert werden dürfen. Die Tentakel des Zensur­ap­parats reichen mittler­weile aller­dings weit über die Landes­grenzen heraus. Der Versuch der KPCh, china­be­zogene Publi­ka­tionen der renom­mierten Cambridge University Press zu zensieren, schei­terte erst nach einem inter­na­tio­nalen Aufschrei von Wissen­schaftlern. Doch die Front gegen politische Einfluss­nahme auf die Wissen­schaft ist nicht immer so solide und effektiv.

Seit Beginn meiner China­studien im Jahr 1996 habe ich wiederholt erlebt, dass Sinologen und China­wis­sen­schaftler sich der Zensur der Partei beugen. Eine europäische Profes­sorin erzählte mir jüngst, dass sie den Zusam­menhang zwischen chine­si­scher Zivil­ge­sell­schaft und Demokra­ti­sierung schon deswegen nicht in ihrer Forschung behandle, da sie nicht den ameri­ka­ni­schen Neo-Cons zugeordnet werden wolle. Ein leutse­liger ameri­ka­ni­scher China-Wissen­schaftler gestand mir vor wenigen Jahren, dass er sich nicht zur Menschen­rechtslage in China infor­miere: Dies würde ihm nur das Land madig machen. Auch wenn sich die Recht­fer­ti­gungen unter­scheiden, im Ergebnis bleiben sie gleich: Kritische Themen wie Demokratie und Menschen­rechte werden von solchen Wissen­schaft­le­rInnen ausge­klammert. Statt­dessen schließen sie sich – bewusst oder unbewusst – dem offizi­ellen Diskurs der KPCh an.

„Cultu­ra­listic, relativist, and exotic convictions“

Der deutsche Sinologe Heiner Roetz hat es auf den Punkt begracht: „Western sinology seems to be on the wrong side in the conflict between the government and its opponents. This does not neces­s­arily mean that the sympa­thies of sinolo­gists are with the dicta­torial regime and not its victims. But they tend to treat the latter with a kind of benevolent incom­pre­hension.“ Seine substan­zielle Kritik an der Sinologie lässt sich auch auf die sozial und politik­wis­sen­schaft­liche China­for­schung übertragen. Roetz führt aus: „Parts of Chinese Studies hesitate to openly take sides with the Chinese civil rights movement.“ Er argumen­tiert, und es lohnt sich, das in Gänze zu zitieren, wie folgt: „The reasons can be found above all in a syndrome of cultu­ra­listic, relativist, and exotic convic­tions according to which (a) the question of dissi­dence has to be posed as a question concerning the cultural identity of China and thus as a pre-political instead of a political question, (b) dissi­dence is something like a foreign body in Chinese culture, and (c) this is due to the absence of or, in contrast to the West, weak develo­pment of trans­cen­dence. Part of the syndrome is in many instances an under­standing of the legitimacy of gover­nance oriented not according to principles of parti­ci­pation, but, in a Hobbesian manner, to the preser­vation of stability. The image of a China that is opposed to dissent, a China that is addicted to harmony and devoted to order, is thereby created. This image is reminiscent of the World State in Aldous Huxley’s Brave New World which likewise promotes ’stability, identity and community‘ and is indeed at odds with a modern democratic culture of debate (Streit­kultur). The conse­quence of this view is the direct or indirect, even if rarely ever outright, partis­anship in favor of the autho­ri­tarian dicta­torship of the People’s Republic and a form of benign lack of under­standing for its critics.

Ich habe wiederholt erlebt, was Wissen­schaftlern passiert, wenn sie sich der Zensur der Partei nicht beugen. Bei einer Veran­staltung zum zehnten Jahrestag der sogenannten europäisch-chine­si­schen strate­gi­schen Partner­schaft gab ich dem europäi­schen Auswär­tigen Dienst EEAS in Brüssel aussen­po­li­tische Ratschläge. Daraufhin wurde ich von einem anwesenden chine­si­schen Diplo­maten öffentlich kriti­siert. Anstelle von europäi­scher Solida­rität erhielt ich nach der Veran­staltung eine empörte E‑Mail einer deutschen Akade­mi­kerin, welche sich darüber echauf­fierte, dass mein Vortrag angeblich zu Spannungen im europäisch-chine­si­schen Verhältnis geführt habe. Dieses Muster gespielter Empörung auf chine­si­scher und europäi­scher Seite habe ich wiederholt erlebt. Bei einer anderen Konferenz in Brüssel stellte ich zusammen mit einem Kollegen chine­sische Demokra­tie­dis­kurse vor. Nach unserem Vortag unter­stellte uns ein deutscher Konfe­renz­teil­nehmer Kultur­im­pe­ria­lismus und forderte uns auf, diese Art von Forschung zu unterlassen.

Wissen­schaftler, die sich kritisch mit der KPCh ausein­an­der­setzen, werden sanktio­niert. In China gibt es mittler­weile kaum noch Intel­lek­tuelle, die sich noch frei zu äussern wagen. Doch auch auslän­dische KPCh-Kritiker wie die Neusee­län­derin Anne-Marie Brady wurdeOpfer einer anhal­tenden Einschüch­te­rungs­kam­pagne. In Reaktion auf eine Publi­kation zur Einheits­front-Politik unter Xi wurde in ihre Wohnung einge­brochen. Der britische Menschen­rechtler Benedict Rogers erhielt für einen kriti­schen Internet-Aufsatz zur Unter­wan­derung des Autono­mie­ver­spre­chens für Hongkong eine Vielzahl von Drohbriefen. Solche Beispiele unter­streichen, dass der Sicher­heits­ap­parat der KPCh wenig Skrupel hat, Kritiker im Inland und Ausland einzuschüchtern. Die ordnungs­po­li­tische Frage, kurz: die Macht­frage, darf nicht gestellt werden. Wer es dennoch tut, muss mit Konse­quenzen rechnen.

Dies wirft die Frage auf, wie die Autonomie china­be­zo­gener Wissen­schaft gewahrt bzw. wieder­her­ge­stellt werden kann? Während die von Didi Kirsten Tatlow angestoßene Debatte auf LibMod bislang vorwiegend disku­tiert hat, ob die deutsche China-Debatte auf dem Stand der Zeit ist, muss eigentlich eine viel weiter­ge­hende Frage gestellt werden: Wie kann kritische Forschung zu China in allen relevanten Wissen­schafts­be­reichen – der Politik‑, Sozial- und Kultur­wis­sen­schaft sowie Ökonomie – organi­siert werden, ohne dass sich Forscher Sorgen über ihr Wohlergehen machen müssen? Die Polito­login Judith Shklar hat einmal argumen­tiert, dass „(every) adult should be able to make as many effective decisions without fear or favor about as many aspects of her or his life as is compa­tible with the like freedom of every other adult“. Aus meiner Sicht kann dies nur gelingen, wenn sich Wissen­schaftler solida­risch verhalten. Darüber hinaus ist es höchste Zeit, dass sich Wissen­schafts­ver­bände wie die Deutsche Gesell­schaft für Asien­kunde e.V. (DGA) der Proble­matik annehmen. Hier in Großbri­tannien, wo ich lebe und arbeite, setze ich mich als Ratsmit­glied der British Association for Chinese Studies (BACS) für eine wehrhafte China­wis­sen­schaft ein. Diese wichtige Debatte steht ganz am Anfang. Es bedarf der Mitwirkung aller Wissen­schaftler, um eine gemeinsame Antwort auf die ausufernden Zensur­be­stre­bungen der KPCh zu finden. Dafür müssen wir die politische Dimension der china­be­zo­genen Wissen­schaft annehmen. Aus meiner Sicht bedeutet dies, sich kritisch zum „offizi­ellen China“ (reprä­sen­tiert durch die KPCh) zu äussern und sich mit dem „inoffi­zi­ellen China“ (reprä­sen­tiert durch an Autonomie inter­es­sierten Wissen­schaftlern, zivil­ge­sell­schaft­liche Aktivsten und Demokra­tie­be­für­wortern) zu solidarisieren.


Weiter­füh­rende Literatur: 

  1. Roetz, Heiner (2016), „Who is Engaged in the ‚Complicity of Power‘? On the Diffi­culties Sinology Has with Dissent and Trans­cen­dence“, in: Brown, Nahum and William Franke (Eds.) (2016), Trans­cen­dence, Immanence, and Inter­cul­tural Philo­sophy, Palgrave Macmillan: Cham, 284.
  2. Shklar, Judith (1989), The Liberalism of Fear, in: Rosenblum, Nancy (1989), Liberalism and the Moral Life, Harvard University Press: Cambridge, Massa­chu­setts, 21.

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