Wie die Kommunistische Partei die Wissenschaft gefährdet
Es ist erklärtes Ziel der Kommunistischen Partei Chinas, die Wissenschaft zu politisieren. Forscher, die sich kritisch mit ihr auseinandersetzen, werden bedroht und sanktioniert. Eine unpolitische Chinaforschung kann es daher nicht geben.
In dem jüngsten Debattenbeitrag zum Verhältnis von Chinawissenschaft und Politik argumentiert Volker Stanzel, dass „[sich die] lebendige, faszinierende Landschaft der Sinologie (...) nur zu ihrem Schaden über den Kamm politischer Wirksamkeit scheren [lässt]“. Dabei übersieht Stanzel, dass die Politisierung der Wissenschaft erklärtes Ziel der Kommunistische Partei Chinas (KPCh) ist. Eine unpolitische Chinaforschung kann es daher nicht geben.
Unter Staats- und Parteichef Xi Jinping hat die Zensur der Wissenschaft innerhalb und ausserhalb Chinas seit 2012 stark zugenommen. In China wurde diese besonders deutlich im Rahmen der politischen Richtlinien „Die sieben Tabus“ und des „Dokuments 9″. Sie machen klar, dass Themen wie universelle Werte, Pressefreiheit, Zivilgesellschaft und Menschenrechte an chinesischen Universitäten nicht länger frei diskutiert werden dürfen. Die Tentakel des Zensurapparats reichen mittlerweile allerdings weit über die Landesgrenzen heraus. Der Versuch der KPCh, chinabezogene Publikationen der renommierten Cambridge University Press zu zensieren, scheiterte erst nach einem internationalen Aufschrei von Wissenschaftlern. Doch die Front gegen politische Einflussnahme auf die Wissenschaft ist nicht immer so solide und effektiv.
Seit Beginn meiner Chinastudien im Jahr 1996 habe ich wiederholt erlebt, dass Sinologen und Chinawissenschaftler sich der Zensur der Partei beugen. Eine europäische Professorin erzählte mir jüngst, dass sie den Zusammenhang zwischen chinesischer Zivilgesellschaft und Demokratisierung schon deswegen nicht in ihrer Forschung behandle, da sie nicht den amerikanischen Neo-Cons zugeordnet werden wolle. Ein leutseliger amerikanischer China-Wissenschaftler gestand mir vor wenigen Jahren, dass er sich nicht zur Menschenrechtslage in China informiere: Dies würde ihm nur das Land madig machen. Auch wenn sich die Rechtfertigungen unterscheiden, im Ergebnis bleiben sie gleich: Kritische Themen wie Demokratie und Menschenrechte werden von solchen WissenschaftlerInnen ausgeklammert. Stattdessen schließen sie sich – bewusst oder unbewusst – dem offiziellen Diskurs der KPCh an.
„Culturalistic, relativist, and exotic convictions“
Der deutsche Sinologe Heiner Roetz hat es auf den Punkt begracht: „Western sinology seems to be on the wrong side in the conflict between the government and its opponents. This does not necessarily mean that the sympathies of sinologists are with the dictatorial regime and not its victims. But they tend to treat the latter with a kind of benevolent incomprehension.“ Seine substanzielle Kritik an der Sinologie lässt sich auch auf die sozial und politikwissenschaftliche Chinaforschung übertragen. Roetz führt aus: „Parts of Chinese Studies hesitate to openly take sides with the Chinese civil rights movement.“ Er argumentiert, und es lohnt sich, das in Gänze zu zitieren, wie folgt: „The reasons can be found above all in a syndrome of culturalistic, relativist, and exotic convictions according to which (a) the question of dissidence has to be posed as a question concerning the cultural identity of China and thus as a pre-political instead of a political question, (b) dissidence is something like a foreign body in Chinese culture, and (c) this is due to the absence of or, in contrast to the West, weak development of transcendence. Part of the syndrome is in many instances an understanding of the legitimacy of governance oriented not according to principles of participation, but, in a Hobbesian manner, to the preservation of stability. The image of a China that is opposed to dissent, a China that is addicted to harmony and devoted to order, is thereby created. This image is reminiscent of the World State in Aldous Huxley’s Brave New World which likewise promotes ’stability, identity and community‘ and is indeed at odds with a modern democratic culture of debate (Streitkultur). The consequence of this view is the direct or indirect, even if rarely ever outright, partisanship in favor of the authoritarian dictatorship of the People’s Republic and a form of benign lack of understanding for its critics.“
Ich habe wiederholt erlebt, was Wissenschaftlern passiert, wenn sie sich der Zensur der Partei nicht beugen. Bei einer Veranstaltung zum zehnten Jahrestag der sogenannten europäisch-chinesischen strategischen Partnerschaft gab ich dem europäischen Auswärtigen Dienst EEAS in Brüssel aussenpolitische Ratschläge. Daraufhin wurde ich von einem anwesenden chinesischen Diplomaten öffentlich kritisiert. Anstelle von europäischer Solidarität erhielt ich nach der Veranstaltung eine empörte E‑Mail einer deutschen Akademikerin, welche sich darüber echauffierte, dass mein Vortrag angeblich zu Spannungen im europäisch-chinesischen Verhältnis geführt habe. Dieses Muster gespielter Empörung auf chinesischer und europäischer Seite habe ich wiederholt erlebt. Bei einer anderen Konferenz in Brüssel stellte ich zusammen mit einem Kollegen chinesische Demokratiediskurse vor. Nach unserem Vortag unterstellte uns ein deutscher Konferenzteilnehmer Kulturimperialismus und forderte uns auf, diese Art von Forschung zu unterlassen.
Wissenschaftler, die sich kritisch mit der KPCh auseinandersetzen, werden sanktioniert. In China gibt es mittlerweile kaum noch Intellektuelle, die sich noch frei zu äussern wagen. Doch auch ausländische KPCh-Kritiker wie die Neuseeländerin Anne-Marie Brady wurden Opfer einer anhaltenden Einschüchterungskampagne. In Reaktion auf eine Publikation zur Einheitsfront-Politik unter Xi wurde in ihre Wohnung eingebrochen. Der britische Menschenrechtler Benedict Rogers erhielt für einen kritischen Internet-Aufsatz zur Unterwanderung des Autonomieversprechens für Hongkong eine Vielzahl von Drohbriefen. Solche Beispiele unterstreichen, dass der Sicherheitsapparat der KPCh wenig Skrupel hat, Kritiker im Inland und Ausland einzuschüchtern. Die ordnungspolitische Frage, kurz: die Machtfrage, darf nicht gestellt werden. Wer es dennoch tut, muss mit Konsequenzen rechnen.
Dies wirft die Frage auf, wie die Autonomie chinabezogener Wissenschaft gewahrt bzw. wiederhergestellt werden kann? Während die von Didi Kirsten Tatlow angestoßene Debatte auf LibMod bislang vorwiegend diskutiert hat, ob die deutsche China-Debatte auf dem Stand der Zeit ist, muss eigentlich eine viel weitergehende Frage gestellt werden: Wie kann kritische Forschung zu China in allen relevanten Wissenschaftsbereichen – der Politik‑, Sozial- und Kulturwissenschaft sowie Ökonomie – organisiert werden, ohne dass sich Forscher Sorgen über ihr Wohlergehen machen müssen? Die Politologin Judith Shklar hat einmal argumentiert, dass „(every) adult should be able to make as many effective decisions without fear or favor about as many aspects of her or his life as is compatible with the like freedom of every other adult“. Aus meiner Sicht kann dies nur gelingen, wenn sich Wissenschaftler solidarisch verhalten. Darüber hinaus ist es höchste Zeit, dass sich Wissenschaftsverbände wie die Deutsche Gesellschaft für Asienkunde e.V. (DGA) der Problematik annehmen. Hier in Großbritannien, wo ich lebe und arbeite, setze ich mich als Ratsmitglied der British Association for Chinese Studies (BACS) für eine wehrhafte Chinawissenschaft ein. Diese wichtige Debatte steht ganz am Anfang. Es bedarf der Mitwirkung aller Wissenschaftler, um eine gemeinsame Antwort auf die ausufernden Zensurbestrebungen der KPCh zu finden. Dafür müssen wir die politische Dimension der chinabezogenen Wissenschaft annehmen. Aus meiner Sicht bedeutet dies, sich kritisch zum „offiziellen China“ (repräsentiert durch die KPCh) zu äussern und sich mit dem „inoffiziellen China“ (repräsentiert durch an Autonomie interessierten Wissenschaftlern, zivilgesellschaftliche Aktivsten und Demokratiebefürwortern) zu solidarisieren.
Weiterführende Literatur:
- Roetz, Heiner (2016), „Who is Engaged in the ‚Complicity of Power‘? On the Difficulties Sinology Has with Dissent and Transcendence“, in: Brown, Nahum and William Franke (Eds.) (2016), Transcendence, Immanence, and Intercultural Philosophy, Palgrave Macmillan: Cham, 284.
- Shklar, Judith (1989), The Liberalism of Fear, in: Rosenblum, Nancy (1989), Liberalism and the Moral Life, Harvard University Press: Cambridge, Massachusetts, 21.
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