Wie wir Klima­schutz, Demokratie und Markt­wirt­schaft unter einen Hut bekommen

Shutter­stock /​ MikeDotta

Ein Teil der Klima­be­wegung vertritt einen Öko-Purita­nismus, der Verzicht zur Tugend erhebt: Du sollst nicht fliegen, kein privates Auto besitzen, kein Fleisch essen, deinen Konsum einschränken. So richtig der Appell an die persön­liche Verant­wortung ist, so weltfremd ist die Vorstellung, der Klima­wandel ließe sich durch die Abkehr von der Konsum­ge­sell­schaft aufhalten. Die Weltwirt­schaft wird weiter wachsen; die große Mehrheit der Weltbe­völ­kerung will Anschluss an ein modernes, komfor­tables Leben finden. Es kommt darauf an, wirtschaft­lichen Wohlstand und Natur­ver­brauch zu entkoppeln und die ökolo­gische Wende zu einem wirtschaft­lichen Erfolgs­modell zu machen. Die grüne indus­trielle Revolution hat schon begonnen. Damit sie sich durch­setzt, muss die Politik die Weichen für eine ökolo­gische Markt­wirt­schaft stellen.

Die Ausein­an­der­setzung um den Klima­wandel ist in eine neue Phase getreten. Hundert­tau­sende junger Leute sind Vorreiter einer neuen „Klima-APO“ (Außer­par­la­men­ta­ri­schen Opposition). Die Jungen ziehen die Alten nach. Klima­schutz war schon bei der jüngsten Europawahl ein ausschlag­ge­bender Faktor. Er hat das Zeug, die politische Landschaft nicht nur in Deutschland umzupflügen. Der Druck zum Handeln wächst nicht nur aus ökolo­gi­schen Gründen: Wenn die Kluft zwischen klima­po­li­ti­scher Ungeduld der außer­par­la­men­ta­ri­schen Bewegung und klima­po­li­ti­scher Trägheit von Politik und Wirtschaft wächst, kann daraus ruck, zuck eine Legiti­ma­ti­ons­krise von Markt­wirt­schaft und liberaler Demokratie werden. Wer beide zukunftsfest machen will, muss sich der ökolo­gi­schen Heraus­for­derung stellen.

Zugleich birgt die Ausein­an­der­setzung um die Klima­frage den Keim eines Kultur­kampfs. Je deutlicher die Gefährdung unserer ökolo­gi­schen Lebens­grund­lagen zutage tritt, desto lauter ertönt der Ruf „Du musst Dein Leben ändern!“ Das Zeitalter des „immer höher, schneller, weiter“ gehe dem Ende zu, Selbst­be­grenzung sei das neue Gebot. Für die Verfechter eines neuen Öko-Purita­nismus resul­tiert der Klima­wandel aus der Lebens­weise jener wohlha­benden Milliarde Erden­bürger, die alle Segnungen der Moderne ohne Rücksicht auf die Folgen genießen. Die Freude am Fahren, der Flugurlaub, die große Wohnung, die perma­nente Online-Kommu­ni­kation, die jährlich wechselnden Moden, die jahreszeit-unabhängige Verfüg­barkeit von Lebens­mitteln aus der ganzen Welt und der hohe Fleisch­konsum gelten als ökolo­gische Sünden­fälle. Unser Streben nach „immer mehr“ ruiniere den Planeten. „Tuet Buße und kehrt um!“ ist deshalb der neue katego­rische Imperativ.

Richtig ist: die indus­trielle Moderne mit ihrem Credo extro­ver­tierter Selbst­ver­wirk­li­chung basiert bislang auf der scheinbar unbegrenzten Verfüg­barkeit fossiler Energien. Sie waren der Treib­stoff einer ungeheuren Steigerung von Produktion und Konsum und einer immer weiter ausgrei­fenden Mobilität. Jetzt, da sich erweist, dass die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas das Erdklima aus den Fugen hebt, gerät auch der Hedonismus der Moderne unter Kritik. Eine Freiheit, die auf Kosten anderer ausgelebt wird, wird zum bloßen Egoismus. Sie zerstört die Freiheit künftiger Genera­tionen, in einer halbwegs intakten Umwelt zu leben. Statt die Grenzen des Möglichen ständig auszu­weiten, sollen wir uns jetzt in Selbst­be­grenzung üben. Die Ethik der Restriktion gebietet Demut, Entschleu­nigung, Sein statt Haben.

Wider die Priva­ti­sierung der Klimafrage

Die bisherige Wirkung all dieser Bußpre­digten ist aller­dings sehr überschaubar. Es gibt zwar neuer­dings vegane Burger im Discounter; unter den Jungen und Gebil­deten geht der Fleisch­konsum ebenso zurück wie der Drang zum eigenen Auto. Zugleich steigen die Zulas­sungs­zahlen für SUVs ebenso wie der Strom­ver­brauch der digitalen Kommu­ni­kation, und von einem Einbruch der Touris­mus­branche ist nichts bekannt. Die Zahl derje­nigen, die ihre persön­liche CO2-Bilanz radikal gesenkt haben, fällt kaum ins Gewicht. Das liegt nicht nur an der Macht alter Gewohn­heiten und an indivi­du­eller Bequem­lichkeit. Unsere persön­liche Klima­bilanz hängt stark von Struk­turen ab, die sich indivi­duell nur sehr bedingt verändern lassen: von der Art der Energie­er­zeugung, den Gebäuden, in denen wir wohnen, den verfüg­baren Alter­na­tiven zum Automobil und den Berufen, in denen wir tätig sind.

Nehmen wir den Flugverkehr als Beispiel: Es zählt wohl nicht zu den unver­äu­ßer­lichen Menschen­rechten, mal eben zum Einkaufen nach London oder zum Wochen­end­urlaub nach Mallorca zu düsen. Aber derlei Eskapaden sind nur ein Bruchteil des rasch wachsenden globalen Flugver­kehrs. Das Fliegen ist Bestandteil einer weltum­span­nenden Wirtschaft und einer zuneh­menden Globa­li­sierung aller Lebens­ver­hält­nisse. Familien sind über Länder und Konti­nente zerstreut, junge Leute studieren im Ausland, Wissen­schaft, Kultur und Sport sind inter­na­tional. Politik kommt ohne Flugreisen nicht aus, die persön­liche Begegnung mit Menschen ist durch keine digitale Kommu­ni­kation ersetzbar. Auch die Protago­nisten der „globalen Zivil­ge­sell­schaft“ gehören zu den Vielfliegern, sie treffen sich auf inter­na­tio­nalen Konfe­renzen und koope­rieren mit Partne­rinnen rund um den Globus. Je mehr Menschen weltweit in die Mittel­schicht aufsteigen, desto stärker wächst der Flugverkehr. China hat inzwi­schen die Bundes­re­publik als „Reise­welt­meister“ im Flugtou­rismus überholt. In einer solchen Welt den Verzicht auf Flugreisen zu einem Gebot ökolo­gi­scher Tugend zu machen, ist schlicht weltfremd.

Wer die schäd­lichen Klima­folgen des Flugver­kehrs reduzieren will, muss die Weichen für klima­neu­trales Fliegen stellen. Die Lösung liegt in Innovation, nicht in der Abkehr von der Moderne. Synthe­ti­scher Wasser­stoff statt Kerosin, Algen­treib­stoffe, Elektro­an­trieb im Boden­verkehr, leichte und dennoch robuste Materialien sind längst in der Entwicklung. Die Einbe­ziehung des Flugver­kehrs in den CO2-Emissi­ons­handel würde mehr helfen als alle Verzichts­pre­digten, ebenso der Ausbau eines attrak­tiven, schnellen Bahn-Netzes in Europa.

Nicht zuletzt lebt auch in einer reichen Gesell­schaft wie der Bundes­re­publik die Mehrheit keineswegs im Überfluss, sondern kommt gerade so über die Runden. Der Aufruf, „wir“ müssten uns einschränken, kommt in der Regel aus den höheren Etagen der Gesell­schaft. Von einer Massen­be­wegung der Besser­ver­die­nenden für Gehalts­sen­kungen und höhere Steuern hat man aber bislang nichts gehört.

Damit wir uns recht verstehen: Es gibt keine Freiheit ohne persön­liche Verant­wortung. Es ist gut und richtig, mit Rad oder Bahn zu fahren und keine Produkte zu kaufen, für die Menschen geschunden werden oder Tiere leiden. Jedem steht es frei, das „gute Leben“ in einem Mehr an freier Zeit und sozialen Bezie­hungen statt in einer Steigerung von Einkommen und Konsum zu suchen. Aber ein nüchterner Blick auf die Größe der ökolo­gi­schen Heraus­for­derung zeigt, dass sie mit dem Appell zur Genüg­samkeit nicht zu lösen ist. Ohne eine grüne indus­trielle Revolution werden wir den Wettlauf mit dem Klima­wandel nicht gewinnen. Ihr Kern besteht in einer Entkopplung von Wohlstands­pro­duktion und Natur­ver­brauch. Das ist ambitio­niert, aber machbar.

Die autoritäre Versu­chung der Ökologie

Wenn der Appell zum Verzicht auf taube Ohren stößt, liegt der Ruf nach Verboten nahe. Sie schränken die Freiheit des Einzelnen ein, um das Leben der nachrü­ckenden Genera­tionen zu schützen. Diese Logik der Restriktion erscheint moralisch unangreifbar und in der Sache zwingend. Was zählt schon die Bequem­lichkeit des Einzelnen, was zählen „Luxus­be­dürf­nisse“ wie Urlaubs­reisen, geräumige Wohnungen, hochge­züchtete Autos angesichts der drohenden Klima­ka­ta­strophe? Wäre nicht sogar eine spürbare Absenkung des Wohlfahrts­ni­veaus in Kauf zu nehmen, wenn damit eine wachsende Insta­bi­lität des Ökosystems verhindert werden kann? Der Ruf nach Einschränkung und Verzicht ist dennoch die falsche Antwort auf Klima­wandel und Arten­sterben. Ökolo­gisch springt sie zu kurz, gesell­schaftlich mündet sie in eine scharfe Polari­sierung, politisch führt sie auf die schiefe Ebene eines Autori­ta­rismus im Namen der Weltrettung.

Der Philosoph Peter Sloterdijk hat den neuen Kultur­kampf bereits vor Jahren vorausgesehen:

„Die expres­sions- und emissi­ons­feind­liche Ethik der Zukunft zielt geradewegs auf die Umkehrung der bishe­rigen Zivili­sa­ti­ons­richtung. Sie verlangt Vermin­derung, wo bisher Vermehrung auf dem Plan stand, sie fordert Minimierung, wo bisher Maximierung galt, sie will Zurück­haltung, wo bisher Explosion erlaubt war, sie verordnet Sparsamkeit, wo bisher Verschwendung als höchster Reiz empfunden wurde, sie mahnt die Selbst­be­schränkung an, wo bisher die Selbst­frei­setzung gefeiert wurde. Denkt man diese Umschwünge zu Ende, so gelangt man im Zuge der meteo­ro­lo­gi­schen Refor­mation zu einer Art von ökolo­gi­schem Calvinismus.“ 

Die Erbit­terung, mit der um Geschwin­dig­keits­be­grenzung und Fahrverbote gestritten wird, ist der Vorschein dieses neuen Kultur­kampfs zwischen den Anhängern einer moralisch aufge­la­denen Politik der Restriktion und jenen, die diese Politik als Angriff auf ihre Lebensform empfinden. Die einen berufen sich auf Klima­schutz als zwingendes Gebot, die anderen sehen eine Verschwörung von grünen Autogegnern, die keine Ahnung vom realen Leben haben. Dieser Konflikt hat eine soziale Schlag­seite, weil es insbe­sondere die privi­le­gierten Kinder der Wohlstands­ge­sell­schaft sind, die eine „Wende zum weniger“ propa­gieren. Wenn dann heraus­kommt, dass die vehemen­testen Befür­worter von Fahrver­boten für Diesel­autos zur Klasse der Vielflieger gehören, ist das ein gefun­denes Fressen für alle Grünen-Hasser und Vertei­diger des Status quo. Die Priva­ti­sierung der Klima­frage frisst ihre Kinder.

Klima­wandel und Demokratie

Die Kritik an der Langsamkeit der Demokratie mit ihren ewigen Kompro­missen hat eine lange Tradition. Es ist kein Zufall, dass promi­nente Umwelt­schützer wie der Norweger Jorgen Randers mit dem chine­si­schen Modell sympa­thi­sieren. Wenn man Ökologie in erster Linie als Einschränkung von Produktion und Konsum versteht, ist das konse­quent. Autoritäre Regime sind dann eher in der Lage, die notwen­digen Verzichts­leis­tungen durch­zu­setzen. Demokratie wird zum Luxus, den wir uns nicht mehr leisten können; Freiheit schnurrt auf die Einsicht in die ökolo­gische Notwen­digkeit zusammen. Gegen die autoritäre Versu­chung der Ökologie zu argumen­tieren bedeutet nicht, die ökolo­gische Krise zu verharm­losen. Wenn die Erder­wärmung außer Kontrolle gerät und die Meere kippen, wird das große Verwer­fungen nach sich ziehen, von wirtschaft­lichen Einbrüchen bis zu weltweiten Wande­rungs­be­we­gungen. Insofern gefährdet die Umwelt­krise auch die Demokratie. Wir müssen deshalb alles tun, um die ökolo­gische Trans­for­mation der Indus­trie­ge­sell­schaft voran­zu­treiben, um zu verhindern, dass die Klima­krise die liberale Demokratie zerstört.

Die Anhänger einer restrik­tiven Umwelt­po­litik berufen sich gern auf die Maxime „Mit dem Klima lässt sich nicht verhandeln.“ Darin liegt eine anti-politische, wenn nicht anti-demokra­tische Berufung auf ökolo­gische Sachzwänge, die über der Politik stehen. In der Konse­quenz schrumpft Politik dann auf die Umsetzung von Vorgaben, die aus den Progno­se­mo­dellen der Klima­for­schung abgeleitet werden, um die Erder­wärmung unter zwei Grad zu halten. „Die Wissen­schaft“ gibt die Ziele und das Tempo vor, die Politik kann allen­falls noch die Wege festlegen, auf denen die jährlichen CO2-Reduk­ti­ons­ziele erreicht werden sollen. Aber keine Regierung der Welt (nicht einmal eine autoritäre Macht) kann Klima­ziele ohne Rücksicht auf wirtschaft­liche, soziale und regionale Belange umsetzen. Auch die Umwelt­po­litik steht nicht über dem politi­schen Prinzip des Abwägens zwischen unter­schied­lichen Zielen und wider­strei­tenden Inter­essen. Außerdem führt jede isolierte Betrachtung einzelner volks­wirt­schaft­licher Sektoren ebenso in die Irre wie eine national begrenzte Sichtweise.

Zugespitzt formu­liert ist es für das Erdklima irrelevant, ob das letzte Kohle­kraftwerk in Deutschland im Jahr 2038 oder 2035 abgeschaltet wird. Viel wichtiger ist, dass die Energie­wende zu einem Erfolgs­modell wird, das inter­na­tionale Anzie­hungs­kraft entwi­ckelt. Dazu gehört, dass sie von einem Großteil der Bevöl­kerung getragen wird, statt die Gesell­schaft zu spalten. Dazu gehört auch, dass der Umstieg auf ein klima­freund­liches Energie­system wirtschaftlich erfolg­reich ist, also Wettbe­werbs­fä­higkeit, Beschäf­tigung und Einkommen stärkt. Nur dann wird sie zum Pilot­projekt für andere Nationen, bei denen Wachstum und Wohlstand nach wie vor einen hohen Stellenwert haben.

Nullwachstum oder grüne indus­trielle Revolution?

Freiwil­liger oder erzwun­gener Verzicht auf dieses und jenes wird den Klima­wandel allen­falls verlang­samen, aber nicht stoppen. Das gilt erst recht mit Blick auf die Milli­arden Menschen auf unserem Planeten, die nichts sehnlicher wollen als den Anschluss an ein modernes Leben: gut ausge­stattete Wohnungen, Bildung und profes­sio­nelle Gesund­heits­ver­sorgung, die Möglichkeit zu reisen, eine reich­haltige Ernährung. Für die große Mehrheit der Weltbe­völ­kerung ist „Nullwachstum“ keine Alter­native. Für sie ist die Steigerung der Wirtschafts­leistung (vulgo Wachstum) nach wie vor der Hebel für höhere Einkommen, bessere Bildung und Gesund­heits­ver­sorgung und mehr materi­ellen Komfort.

Bei Lichte besehen gilt das auch für die wohlha­benden Länder des globalen Nordens. In einer stagnie­renden oder gar schrump­fenden Ökonomie sinken auch die Inves­ti­tionen und damit das Innova­ti­ons­tempo. Gerade weil die Zeit angesichts des Klima­wandel drängt, brauchen wir umgekehrt ein höheres Tempo bei der Umstellung auf erneu­erbare Energien, umwelt­freund­liche Landwirt­schaft und klima­neu­trale Mobilität. Die ökolo­gische Erneuerung der Industrie, unserer Städte und der öffent­lichen Infra­struktur erfordert steigende Inves­ti­tionen in alter­native Energie­systeme und neue Produk­ti­ons­an­lagen, in den Ausbau des öffent­lichen Verkehrs und die ökolo­gische Moder­ni­sierung des Gebäu­de­be­stands. Wenn wir es richtig anstellen, entsteht daraus eine neue ökono­mische Dynamik, eine lange Welle umwelt­freund­lichen Wachstums der Weltwirtschaft.

Nüchtern betrachtet geht es ohnehin nicht um die Frage, ob die Weltwirt­schaft weiterhin wächst. Angesichts einer auf zehn Milli­arden anwach­senden Weltbe­völ­kerung, der fortschrei­tenden Indus­tria­li­sierung der Länder des Südens und des anhal­tenden Wachstums der Städte lautet die alles entschei­dende Frage, ob es gelingt, Wertschöpfung und Umwelt­be­lastung zu entkoppeln. Bei einer jährlichen Wachs­tumsrate von drei Prozent wird sich die globale Wirtschafts­leistung in den kommenden 20 Jahren in etwa verdoppeln. Im gleichen Zeitraum müssen die Treib­hau­se­mis­sionen drama­tisch sinken, um den Tempe­ra­tur­an­stieg im Zaum zu halten. Das erfordert nichts weniger als eine grüne indus­trielle Revolution mit einer ähnlich durch­schla­genden Wirkung wie die Erfindung der Dampf­ma­schine, die Elektri­fi­zierung oder der Siegeszug des Automobils. Im Kern geht es um eine dreifache Trans­for­mation der alten Indus­trie­ge­sell­schaft: erstens von fossilen Energie­quellen zu erneu­er­baren Energien, zweitens um eine konti­nu­ier­liche Steigerung der Ressour­cen­ef­fi­zienz (aus weniger Rohstoffen und Energie mehr Wohlstand erzeugen) und drittens um den Übergang zu einer modernen Kreis­lauf­wirt­schaft, in der jeder Reststoff wieder in die biolo­gische oder indus­trielle Produktion zurück­ge­führt wird.

Deutschland besitzt – wie andere europäische Länder – alle Voraus­set­zungen, um eine führende Rolle bei der ökolo­gi­schen Erneuerung der Indus­trie­ge­sell­schaft zu spielen. Statt lähmende Panik zu verbreiten, sollten wir Klima­schutz als Geschichte eines großen Aufbruchs erzählen, als neues Wirtschafts­wunder in grün.

Öko-liberale Ordnungs­po­litik

Wer Freiheit und Ökologie in Einklang bringen will, muss vor allem auf Innovation setzen und den Wettbewerb um die besten  Lösungen fördern. Auch eine liberale Ordnungs­po­litik kommt nicht ohne Grenz­werte und Verbote aus. Aber sie sind nicht der Königsweg für die Lösung der ökolo­gi­schen Frage. Zielfüh­render ist die Einbe­ziehung ökolo­gi­scher Kosten in die Preis­bildung. Markt­wirt­schaft funktio­niert nur, wenn die Preise die ökolo­gische Wahrheit sagen. Eine ökolo­gische Steuer­reform, die Treib­hausgas-Emissionen und den Verbrauch knapper natür­licher Ressourcen schritt­weise verteuert, hätte einen weitaus größeren Effekt als immer neue Gebote und Verbote. Die Mehrbe­las­tungen, die durch Umwelt­steuern entstehen, können in Form eines pauschalen Öko-Bonus an alle Bürge­rinnen und Bürger zurück­er­stattet werden. Ein solcher Pro-Kopf-Betrag hätte sogar einen sozialen Umver­tei­lungs­effekt, weil die Gering­ver­die­nenden in der Regel einen gerin­geren CO2-Fußab­druck aufweisen als die Wohlhabenden.

Die alte Frage „wieviel Staat braucht der Markt?“ stellt sich angesichts der Geschwin­digkeit und Tragweite des Klima­wandels neu. Es geht um nicht weniger als um einen funda­men­talen Umbau der Indus­trie­ge­sell­schaft innerhalb weniger Jahrzehnte. Eine solche Heraus­for­derung, vergleichbar allen­falls mit dem Wieder­aufbau des zerstörten Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, erfordert eine unvor­ein­ge­nommene Diskussion über Strategien und Instru­mente. Aus einer markt­wirt­schaft­lichen Perspektive ist der Dreh- und Angel­punkt einer Wende zur Nachhal­tigkeit die Einbe­ziehung ökolo­gi­scher Kosten in die Preis­bildung. Nur dann können Märkte ihre Innova­tions- und Alloka­ti­ons­funktion auch im Hinblick auf den Schutz unserer natür­lichen Lebens­grund­lagen erfüllen.

Der Weg über einen sukzessiv anstei­genden CO2-Preis ist der kosten­güns­tigste Weg zum Klima­schutz – er setzt die Maßnahmen zur Senkung von Kohlen­dioxid-Emissionen frei, bei denen das günstigste Kosten-Nutzen-Verhältnis erzielt werden kann. Der zweite große Vorteil gegenüber einer staat­lichen Detail-Steuerung von Produktion und Konsum liegt darin, dass sie die Eigen­in­itiative von Unter­nehmen und Verbrau­chern in eine nachhaltige Richtung lenkt, ohne ihnen Vorschriften zu machen, was genau sie zu tun oder zu lassen haben. Der CO2-Preis ist eine Infor­mation, was im Interesse eines stabilen Erdklimas zu unter­lassen ist. Zugleich liefert er Anreize für umwelt­freund­liche Inves­ti­tionen und Kaufent­schei­dungen auf Seiten der Produ­zenten und Konsumenten.

Er ist aber keine eierle­gende Wollmilchsau, die alle andere regula­tiven und struk­tur­po­li­ti­schen Maßnahmen ersetzt. Das gilt umso mehr, als ein adäquater CO2-Preis, der die Kosten des Klima­wandels abbildet, in Größen­ord­nungen liegt, die aus wirtschaft­lichen und sozialen Gründen nur sukzessive erreicht werden können. Klima­öko­nomen kommen auf lenkungs­wirksame Einstiegs­preise von rund 60 Euro/​Tonne, die bis auf deutlich dreistellige Beträge ansteigen. In Schweden, das bereits Anfang der 1990er-Jahre eine nationale CO2-Steuer einführte, liegt der Preis gegen­wärtig bei 115 Euro/​Tonne. Er gilt für wirtschaft­liche Aktivi­täten, die nicht vom europäi­schen CO2-Emissi­ons­handel erfasst werden. Im inter­na­tio­nalen Wettbewerb stehende Unter­nehmen zahlen geringere Sätze.

Staat und Markt

Jede staat­liche Inves­ti­tions- und Konsum­lenkung unter­liegt dem Dilemma unvoll­stän­diger Infor­mation – niemals überblicken Politik und Verwaltung die Vielzahl möglicher Wirkungen und Neben­wir­kungen, und niemals wissen sie mit Sicherheit, was mit Blick auf künftige Entwick­lungen die „richtige“ Maßnahme für die Lösung bestimmter Umwelt­pro­bleme ist. Deshalb unter­liegt auch jede staat­liche Indus­trie­po­litik dem Risiko, auf das falsche Pferd zu setzen, also heute mit Milli­ar­den­aufwand Techno­logien zu fördern, die morgen schon überholt sein können. Am Beispiel der Batte­rie­technik ist das evident. Soll die Bundes­re­gierung den Bau einhei­mi­scher Batte­rie­fa­briken auf der Basis der Lithium-Ionen-Technik subven­tio­nieren, während schon an der nächsten Batte­rie­ge­ne­ration auf ganz anderer techni­scher Grundlage geforscht wird? Und soll sie eine politische Entscheidung zugunsten batte­rie­be­trie­bener Elektro­fahr­zeuge treffen, obwohl etwa Japan die Brenn­stoff­zellen-Technik forciert und synthe­ti­scher Wasser­stoff zum Binde­glied zwischen Strom- und Wärme­sektor, Verkehr und indus­tri­ellen Produk­ti­ons­pro­zessen werden könnte?

Die Antwort auf diese Frage fällt weniger eindeutig aus, als es zunächst scheinen mag. Keine der bahnbre­chenden techni­schen Innova­tionen des Indus­trie­zeit­alters, von der Eisenbahn bis zum Internet, hat sich allein „über den Markt“ durch­ge­setzt. Sie alle wurden mehr oder weniger stark politisch flankiert: durch recht­liche Rahmen­be­din­gungen, staat­liche Forschungs­po­litik, öffent­liche Aufträge, Infra­struktur-Inves­ti­tionen oder direkte Subven­tionen. Das gilt auch für die Internet-Ökonomie des Silicon Valley. Es wäre naiv, allein auf markt­ba­sierte Innova­tionen zu setzen. Das gilt erst recht, wenn das „Upscaling“ neuer Techno­logien von Infra­struk­turen abhängt, die nicht allein durch die Industrie bereit­ge­stellt werden können. So ist ein dichtes Netz von Ladesta­tionen auf öffent­lichem Grund eine Voraus­setzung für den Umstieg auf Elektro­autos. In die gleiche Richtung wirken staat­liche Zuschüsse beim Kauf von Elektro­fahr­zeugen, privi­le­gierte Parkmög­lich­keiten in Innen­städten und Vorrang­spuren auf dicht befah­renen Straßen. Ein höherer CO2-Preis wäre auch hier der wirksamste Hebel, um den Übergang zu umwelt­freund­licher Mobilität zu befördern.

Es braucht deshalb einen intel­li­genten Politik-Mix, der größt­mög­lichen Spielraum für Innova­ti­ons­wett­bewerb und Eigen­ver­ant­wortung lässt und dort nachsteuert, wo markt­wirt­schaft­liche Instru­mente nicht (oder zu langsam) wirken. Ökolo­gische Ordnungs­po­litik muss Entschie­denheit in den Zielen mit Flexi­bi­lität der Wege, Innova­ti­ons­of­fenheit und Lernfä­higkeit verbinden. Sie muss einen langfris­tigen Orien­tie­rungs­rahmen für Unter­nehmen und Bürger bieten, ohne ihnen engma­schige Vorgaben zu machen. Die einst im Grund­satz­pro­gramm der Grünen formu­lierte Leitlinie „So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig“ ist zeitlos gültig. Wie dieses Spannungs­ver­hältnis aber austa­riert werden soll, muss jeweils entlang konkreter Heraus­for­de­rungen bestimmt werden. Der Verzicht auf eine sektor­über­grei­fende CO2-Steuer führt aller­dings genau in die engma­schige Klein-Klein-Regulierung einzelner Sektoren, Techno­logien und Produkte, die markt­wirt­schaft­lichen Prinzipien widerspricht.

Es führt deshalb in die Irre, eine Ausweitung des CO2-Emissi­ons­handels gegen eine schritt­weise steigende CO2-Steuer auszu­spielen. Zum einen unter­liegen sie unter­schied­lichen regula­to­ri­schen Bedin­gungen: der Emissi­ons­handel wird auf EU-Ebene verhandelt, während eine CO2Steuer national oder (besser) im Verbund einer europäi­schen „Koalition der Willigen“ erhoben werden kann. Zum anderen beziehen sie sich auf unter­schied­liche Wirkungs­be­reiche: Landwirt­schaft, Verkehr und Gebäu­de­sektor werden nicht vom Emissi­ons­handel erfasst. Er passt auf eine überschaubare Zahl von großen Emittenten, ist aber kaum auf eine Vielzahl von kleinen Unter­nehmen, Hausbe­sitzern etc. anwendbar und beein­flusst nur den kleineren Teil der Nachfrage. Wie die Abstimmung zwischen beiden Regula­tiven zu gestalten ist und welche Grenz­aus­gleichs-Mecha­nismen eine CO2-Steuer erfordert, ist eine komplexe Aufgabe, aber kein Hexenwerk.

Klima­schutz und soziale Frage

Die „soziale Frage“ hat sich wieder stärker in den Vorder­grund geschoben. Die Polari­sierung zwischen Verlierern und Gewinnern der Globa­li­sierung, die zuneh­mende Unwucht bei der Vermö­gens­ver­teilung, die Heraus­bildung einer neuen Klasse von „Working Poor“, die trotz harter Arbeit kaum das Nötige zum Leben verdienen, die anhal­tende Ungleichheit der Bildungs­chancen sowie die Verdrängung von Normal­ver­dienern aus den städti­schen Wohnquar­tieren – all das hat die Frage sozialer Gerech­tigkeit neu aufge­laden. Wenn Umwelt­po­litik auf Dauer erfolg­reich sein will, muss sie sich der sozialen Frage stellen: sie muss ihre beschäf­ti­gungs­po­li­ti­schen Auswir­kungen ebenso bedenken wie die vertei­lungs­po­li­ti­schen Effekte bestimmter Maßnahmen und ihre Auswir­kungen auf das Alltags­leben der Bevöl­kerung. Das gilt für die Ausweitung von Umwelt­steuern und ‑abgaben wie für Eingriffe in den Indivi­du­al­verkehr, die vor allem zu Lasten von Pendlern und kleinen Gewer­be­trei­benden gehen.

Es hilft deshalb nichts, den Vorrang der Klima­frage zu beschwören: wenn eine ambitio­nierte Klima­po­litik hinrei­chenden gesell­schaft­lichen Rückhalt gewinnen will, muss sie die ökolo­gische wie die wirtschaft­liche und soziale Dimension im Auge behalten. Andern­falls wird sie antili­be­ralen Gegen­be­we­gungen neue Nahrung verschaffen. Es zeichnet sich schon ab, dass populis­tische Parteien und Bewegungen versuchen, sich ein zweites Rekru­tie­rungsfeld neben der Flücht­lings- und Migra­ti­ons­po­litik zu verschaffen. Sie spielen sich als Anwälte der „kleinen Leute“ gegen die Bevor­mundung durch die „ökolo­gi­schen Eliten“ auf, wettern gegen steigende Energie­preise und den Verlust indus­tri­eller Arbeits­plätze, die sie den „Öko-Spinnern“ zuschreiben. Donald Trump hat vorex­er­ziert, dass anti-ökolo­gi­scher Populismus durchaus kurzfristig Erfolg haben kann, obwohl er sich gegen die langfris­tigen Inter­essen gerade der ärmeren Bevöl­ke­rungs­schichten richtet.

Angesichts einer drohenden Zuspitzung ökolo­gi­scher Krisen stehen wir vor drei abseh­baren Optionen. Die erste liegt in der Radika­li­sierung einer Umkehr­be­wegung. Sie sucht die Rettung in der freiwil­ligen oder erzwun­genen Umpro­gram­mierung des Menschen, in Verzicht und Verbot. Ihr Gegenpol ist ein trotziges „Weiter so“. Sloterdijk nennt das eine „komple­mentäre Welle der Resignation, des Defätismus und des zynischen Nach-uns-die-Sintflut.“ Die Wahrschein­lichkeit, dass sie die Oberhand gewinnt, ist hoch. Die dritte Möglichkeit liegt in einer neuen Synthese zwischen Natur und Technik. Sie verbindet das noch unaus­ge­schöpfte Potenzial der Evolution mit der Erfin­dungs­kraft des mensch­lichen Geistes. Angesichts der Belas­tungs­grenzen des Erdsystems bleiben uns zwei Quellen des Fortschritts, deren Grenzen nicht absehbar sind: Die Einstrahlung von Sonnen­en­ergie auf die Erde und die mensch­liche Kreati­vität. Auf einer Kombi­nation von beidem muss eine freiheit­liche und nachhaltige Gesell­schaft aufbauen.

Textende

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