Carlsen kuscht vor Chinas PR-Maschine

Screenshot, Carlsen Verlag
Screenshot, Carlsen Verlag

Der Carlsen-Verlag schreibt in einem Kinderbuch über Corona. Nachdem in China Rassismus-Vorwürfe laut werden, stoppt der Verlag das Buch. Hat Carlsen politi­schem Druck nachge­geben – oder ist er auf eine koordi­nierte Propa­ganda-Aktion herein­ge­fallen? Ein Lehrstück über Rassismus und Rassismus-Propaganda.

Woher kommt das Corona­virus? Und wie hat es sich verbreitet?

Während die Weltge­sund­heits­or­ga­ni­sation (WHO) noch über den Antworten auf diese Fragen brütet, ist der Hamburger Carlsen-Verlag nach vorne geprescht und hat sich an einer kinder­ge­rechten Erklärung versucht. Bereits im vergan­genen Jahr brachte er das Kinderbuch „Ein Corona-Regen­bogen für Anna und Moritz“ heraus. In dem Bilderbuch für Kinder ab drei Jahren werden nach Verlags­an­gaben „die wichtigsten Tipps für Kita und Grund­schule zum richtigen Verhalten in der Corona-Zeit leicht verständlich in einer liebe­vollen Sachge­schichte erzählt“. So weit, so pädago­gisch wertvoll.

Aller­dings geht es in dem Buch auch um den Ursprung des Virus. Es fällt ein Satz, der auf den ersten Blick harmlos aussieht, der inzwi­schen aber für einen Eklat gesorgt hat – erzürnte Wortmel­dungen von Diplo­maten und Medien­häusern inklusive.

In dem Buch sagt der Grund­schüler Moritz: „Das Virus kommt aus China und hat sich von dort aus auf der ganzen Welt ausge­breitet.“ Es ist ein Satz, der nicht falsch ist. Schließlich ist – nach derzei­tigem Wissens­stand – das Virus zuerst in China aufge­treten. Es ist aber auch ein Satz, der unter Umständen nicht ganz richtig ist. Denn es könnte sein, dass das Virus an einem anderen Ort entstanden – und erst in China zutage getreten ist. 

Einer­seits ist dieser Satz also völlig harmlos, weil ihn ein Grund­schulkind wohl genau so sagen würde. Anderer­seits ist dieser Satz aber auch hochpo­li­tisch, weil die chine­sische Führung seit dem Ausbruch der Pandemie wie besessen daran arbeitet, genau diesen Verdacht zu zerstreuen.

Im vergan­genen März raunte ein Sprecher des chine­si­schen Außen­mi­nis­te­riums, dass das US-Militär das Virus nach China einge­schleppt haben könne. Und als die WHO jüngst in China die Ursprünge des Virus unter­suchte, versuchten ihr chine­sische Wissen­schaftler weiszu­machen, dass das Virus über Tiefkühl­pro­dukte ins Land gekommen sein könne. Unter Experten gilt das als Humbug.

Und tatsächlich: Auch der harmlose Kinder­buchsatz von Carlsen blieb nicht lange unkom­men­tiert. Anfang März veröf­fent­lichte das chine­sische General­kon­sulat in Hamburg eine Mitteilung, in der es vor dem „latenten Sicher­heits­risiko“ warnte, dass von einer „unsach­ge­mäßen Darstellung“ in „einem Kinderbuch“ ausgehe. Das Konsulat riet Chinesen in Hamburg, das „Bewusstsein für Vorsichts­maß­nahmen zu schärfen“ und warnte vor „Provo­ka­tionen, Diskri­mi­nierung und Hass“. Auch behauptet es, einen „strengen Einspruch“ an den Verlag geschickt zu haben. Die Mitteilung ist auf Chine­sisch verfasst. Sie ist nur auf der chine­si­schen Webseite des General­kon­sulats zu finden, nicht aber auf der deutschen.

Nur kurz darauf, am 5. März, veröf­fent­lichte der Carlsen-Verlag auf seiner Homepage dann eine Entschul­digung. „Die Aussage, die im Buch ein Kind zur Herkunft des Virus traf, entsprach dem damaligen Stand der Bericht­erstattung, wir würden sie heute so nicht mehr formu­lieren“, heißt es dort.  Doch damit nicht genug: Die Auslie­ferung des Buches sei mit sofor­tiger Wirkung gestoppt worden. Noch vorhandene Exemplare würden vernichtet, die Korrektur der Nachauflage sei bereits veranlasst.

Die prompte und weitrei­chende Reaktion des Verlags ließ den Eindruck entstehen, Carlsen habe auf Drängen des General­kon­sulats einge­lenkt. Schon meldeten sich auf Twitter Stimmen, die es als Fehler bezeich­neten, politi­schem Druck nachzugeben.

Aller­dings ergibt sich bei genauem Hinsehen ein anderes Bild. 

Auf Anfrage von WELT erklärt Carlsen, keine „direkte Mitteilung“ des General­kon­sulats „wahrge­nommen“ zu haben. Statt­dessen betont der Verlag, „zahlreiche Zuschriften“ erhalten zu haben, die sich über die Formu­lierung beschwert hätten. Heißt im Klartext: Carlsen wider­spricht der Aussage des General­kon­sulats – das ja behauptet, sich bei dem Verlag beschwert zu haben.

Auch ist unklar, was es mit den „zahlreichen Zuschriften“ auf sich hat. Kurz nachdem das chine­sische General­kon­sulat seine Mitteilung verschickt hatte, begann für Carlsen ein Shitstorm. Die „Global Times“ veröf­fent­lichte einen namen­losen Artikel, der behauptete, dass die chine­sische Gemeinde in Deutschland über das Buch verärgert sei. Der Artikel zitiert zahlreiche Chinesen. Aller­dings wird keine der zitierten Personen namentlich genannt. Damit lässt sich nicht überprüfen, ob die Personen existieren – oder ob die „Global Times“, eines der einfluss­reichsten chine­si­schen Propa­gan­da­medien, sie einfach erfunden hat.

Auch tauchten auf Amazon zahlreiche negative Rezen­sionen des Buchs auf. Insgesamt sind es – bei Redak­ti­ons­schluss – 39 Rezen­sionen, die dem Buch nur einen von fünf Sternen geben und ihm Rassismus vorwerfen. Aller­dings stammen 37 davon von Anfang März – also der Zeit, zu der das General­kon­sulat seine Erklärung veröf­fent­lichte. Es lässt sich nicht überprüfen, ob es sich bei den negativen Rezen­sionen um Bewer­tungen von echten Menschen handelt, die durch das General­kon­sulat auf das Buch aufmerksam geworden sind – oder um eine koordi­nierte Aktion der chine­si­schen Propa­ganda, die den Verlag in schlechtem Licht erscheinen lassen soll.

Antiasia­ti­scher Rassismus ist ein echtes Problem. 

Erst Ende des vergan­genen Jahres gab die Antidis­kri­mi­nie­rungs­stelle des Bundes bekannt, dass die Zahl der Beratungs­an­fragen bis Ende November auf mehr als 6000 Fälle gestiegen sei – fast das Doppelte des Vergleichs­zeit­raums 2019. Corona habe für die Diskri­mi­nierung einzelner Gruppen wie ein Brand­be­schleu­niger gewirkt, erklärte Bernhard Franke, der Leiter der Behörde, seinerzeit. Auch WELT berichtete im vergan­genen Jahr über eine Anti-China-Stimmung, die sich im Schatten der Pandemie in Deutschland ausge­breitet hat.

Aller­dings haben inzwi­schen auch die chine­si­schen Propa­gan­disten begriffen, dass Rassismus-Vorwürfe in westlichen Gesell­schaften verfangen. Im Februar veröf­fent­lichte die von der Kommu­nis­ti­schen Partei gesteuerte „Global Times“ einen Kommentar, in dem sie in westlichen Staaten eine „Achse weißer Vorherr­schaft“ ausmachte.

Für Deutschland bedeutet dass, dass es zunehmend wichtig wird, gegen antiasia­ti­schen Rassismus im eigenen Land vorzu­gehen – ohne auf die propa­gan­dis­tisch aufge­ladene Rassismus-Rhetorik aus Peking herein­zu­fallen. Aber was den Pro­pa­gan­dis­ten in die Hände spielt, ist, dass es inzwi­schen auch in Deutsch­land Stimmen gibt, die überall nichts als Ras­sis­mus sehen.

Denn was für Vor­würfe der harm­lose Satz des Kindes Moritz her­vor­ruft, zeigt ein Blick auf Twitter: Ein Sozio­loge schrieb dort, dass es klar sei, dass deut­sche Kinder ihren Frust über so einen Satz an chi­ne­si­schen Kindern aus­las­sen würden. Und eine Poli­tik­wis­sen­schaft­le­rin warf dem Kinderbuch sogar „Ent­mensch­li­chung“ vor.

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