Ralf Fücks im Gespräch mit Matthias Machnig zur Rolle von Staat und Markt in der ökolo­gi­schen Transformation

Foto: Shutter­stock, Circlephoto

Für den „Blog politische Ökonomie“ sprach Matthias Machnig, Ex-Staats­se­kretär im BMWi unter Sigmar Gabriel mit Ralf Fücks. Der Blog wird vom Wirtschafts­forum der SPD e.V. betrieben, einem unabhän­gigen unter­neh­me­ri­schen Berufs­verband an der Seite der Sozial­de­mo­kratie. Wir dokumen­tieren den Beitrag.

Matthias Machnig: Herzlich willkommen Ralf Fücks. Ein bekannter Vordenker aus dem grünen Spektrum. Lange Zeit einer der Vorsit­zenden der Heinrich Böll Stiftung, davor Bürger­meister, Senator. Herzlichen Dank für die Gesprächs­mög­lichkeit. Ich würde gerne mit folgender Frage beginnen: Die Trans­for­mation wird eine der Schlüs­sel­fragen sein in Hinblick auf Klima aber auch in Hinblick auf die Frage von Wettbe­werbs­fä­higkeit und Beschäf­ti­gungs­si­cherung. Was heißt das für die Rollen­ver­teilung zwischen Staat und Markt und wie muss das definiert werden, dass die Ziele erreicht werden und Zielkon­flikte aufgelöst werden können?

Ralf Fücks: Ich definiere mich selbst gerne als grüner Ordoli­be­raler. Die klassische ordoli­berale Antwort wäre natürlich, dass der Staat die Rahmen­be­din­gungen setzen muss, um ökolo­gische Innova­tionen und Inves­ti­tionen auf der Seite von Unter­nehmen und privaten Haushalte anzuschieben. Aber das ist, so richtig es im Grundsatz bleibt, sicher keine hinrei­chende Antwort auf die enormen Heraus­for­de­rungen, vor denen wir jetzt in den nächsten 20–30 Jahren stehen, weil der Staat neben seiner regula­tiven Funktion eine starke Rolle auch als Investor spielen muss.

Man muss sich klarmachen, dass das histo­rische Projekt „Klima­neu­trale Indus­trie­ge­sell­schaft“ vor allem ein enormes Inves­ti­ti­ons­projekt ist. Das gilt für die ökolo­gische Sanierung des Gebäu­de­be­stands, der zum überwie­genden Teil Privat­ei­gentum ist, über den Umbau unserer Grund­stoff­in­dustrie, also Chemie, Zement und Stahl bis hin zu Elektro­mo­bi­lität. Davon wird der Löwen­anteil über die Unter­nehmen und privaten Haushalte kommen müssen. Wir brauchen aber auch in einem hohen Umfang staat­liche Inves­ti­tionen in die öffent­liche Infra­struktur, insbe­sondere im öffent­lichen Verkehr. Dazu kommen Zuschüsse und Steuer­erleich­te­rungen, um die Kosten­lücke bei Öko-Inves­ti­tionen zu überbrücken, die sich noch nicht am Markt amorti­sieren. Ein Beispiel sind die Contracts for Diffe­rence bei der Umstellung auf klima­neu­trale Stahlproduktion.

Matthias Machnig: Wir haben in einem Papier des Wirtschafts­forums von einer Pionier­funktion des Staates gesprochen.

Ralf Fücks: Was ist mit Pionier­funktion gemeint? Der Löwen­anteil der Innova­tionen kommt von privaten Unter­nehmen, die ca. 80% der FuE-Ausgaben tätigen.

Matthias Machnig: Pionier­funktion heißt ja nicht, dass der Staat alles abdeckt. Das EEG ist ein klassi­sches Beispiel für eine Pionier­funktion. Wenn wir Elektro­mo­bi­lität fördern, dann macht der Staat das, um einer Techno­logie zum Durch­bruch zu helfen. Das ist mit der Pionier­funktion gemeint und in der Tat bleibt die Frage: Wie triggern wir über öffent­liche Inves­ti­tionen private Inves­ti­tionen? Welche Instru­mente brauchen wir? Und brauchen wir nicht ein neues ökolo­gi­sches, trans­for­ma­tives ordnungs­po­li­ti­sches Denken?

Ralf Fücks: Da gehe ich sofort mit. Stichwort ordnungs­po­li­tische Funktion des Staates – das führt zurück auf die Frage der Preis­setzung. Preise sind das zentrale Lenkungs­in­strument in einer Markt­wirt­schaft. Der CO2-Preis ist auf Dauer der effek­tivste Hebel, um die Dekar­bo­ni­sierung voran­zu­treiben. Ein Emissi­ons­han­dels­system mit einer degres­siven Begrenzung von CO2-Emissionen prämiert klima­freund­liche Innova­tionen und lenkt Inves­ti­tionen in die Bereiche, in denen Treib­hausgas-Emissionen mit dem günstigsten Kosten­aufwand reduziert werden können. Der Preis für Emissi­ons­zer­ti­fikate bildet sich am Markt – aber ihr Volumen wird politisch festge­setzt. Flankierend brauchen wir bessere Abschrei­bungs­be­din­gungen für Inves­ti­tionen in Forschung und Entwicklung, die Förderung von Pilot­pro­jekten und öffent­liche Inves­ti­ti­ons­pro­gramme. Das ist ja auch der Kern des European Green Deal.

Der Durch­bruch neuer Techno­logien ist vielfach von Voraus­set­zungen abhängig, die der Staat gewähr­leisten muss. Elektro­autos werden sich nur durch­setzen, wenn eine flächen­de­ckende Ladeinfra­struktur aufgebaut wird. Für die Umstellung auf klima­neu­trale Stahl- oder Chemie­in­dustrie braucht es eine massive Erwei­terung der Produktion erneu­er­barer Energien und den Aufbau einer Wasser­stoff-Infra­struktur. Das geht nur in Private-Public-Partnership.

Machnig: Absolut. Die deutsche Debatte krankt an einem: Sie baut eine Dicho­tomie auf von Markt und Staat und das ist aus meiner Sicht eine überholte Diskussion. In Amerika wird viel pragma­ti­scher agiert – man denke beispiels­weise an Bidens Konjunk­tur­pro­gramm – während es in Deutschland zwei Schulen gibt, die scheinbar unver­meidbar neben­ein­an­der­stehen. Deswegen meine Frage nochmal: Brauchen wir nicht ein ökolo­gi­sches, trans­for­ma­ti­ons­ori­en­tiertes, ordnungs­po­li­ti­sches Denken, das eben nicht Staat gegen Markt positio­niert, sondern immer über eines nachdenkt: Welche Impulse, finan­zielle, aber natürlich auch Rahmen­be­din­gungen, muss der Staat geben, damit die Trans­for­mation – und das ist die gewal­tigste Aufgabe seit Beginn der Indus­trie­ge­sell­schaft überhaupt – gelingen kann?

Fücks: Das ist vor allem eine Frage des Markt­de­signs. Du hast selbst das Beispiel EEG genannt. Da wurde ein Markt für erneu­erbare Energien durch staat­liche Ordnungs­po­litik in Gang gesetzt. Ich würde dieses Modell gerne weiter­denken für die nächste Stufe der Klima­po­litik. Was nach dem Urteil des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts von der Großen Koalition im Eilver­fahren beschlossen wurde – minus 65% CO2-Emissionen bis 2030 -, bedeutet, dass wir in knapp 10 Jahren annähernd im gleichen Umfang CO2-Emissionen reduzieren müssen wie in den 30 Jahren zuvor.

Machnig: Nicht ganz. 38 zu 27 in etwa. 31 Jahre 38% oder 37%. Jetzt innerhalb von 9 Jahren 27% bis 28%.

Fücks: Das ist die Größen­ordnung. Wir haben aber nicht die ökolo­gi­schen Windfall-Profits zur Verfügung wie die Still­legung der CO2-inten­siven Fabriken und Braun­koh­le­kraft­werke der DDR. Und die Unter­nehmen haben schon einen Großteil ihrer Effizi­enz­re­serven in den letzten 20 Jahren ausge­schöpft. Das heißt, wir stehen jetzt vor einem struk­tu­rellen Umbau. Jetzt geht es ans Einge­machte. Wenn wir den Kohle­aus­stieg vorziehen, gleich­zeitig aus der Atomenergie aussteigen und parallel auch Öl und Erdgas substi­tu­ieren wollen, ist der massive Ausbau erneu­er­barer Energien und darauf aufbauend der Hochlauf von Wasser­stoff und synthe­ti­schen Kraft­stoffen der entschei­dende Faktor.

Das funktio­niert nur mit einer aktiven Rolle des Staates. Ein Beispiel ist die Inter­na­tio­na­li­sierung der Energie­wende: Ein Verbund erneu­er­barer Energien von Skandi­navien bis zum Mittelmeer, der auch die osteu­ro­päi­schen Länder und die Sahara-Staaten Nordafrikas einschließt. Dazu gehören die entspre­chenden Leitungs­systeme, also Strom­trassen und Wasser­stoff-Pipelines. Das geht nur über politische Verein­ba­rungen und staat­liche Koordi­nation mit den entspre­chenden Garantien für private Investoren.

Ein kriti­scher Punkt ist, wieweit es öffent­liche Zuschüsse für privat­wirt­schaft­liche Inves­ti­ti­ons­pro­jekte geben muss. Der Einsatz klima­neu­traler synthe­ti­scher Kraft­stoffe in der Chemie­in­dustrie oder in der Luftfahrt ist gegen­wärtig noch 4–5‑mal so teuer wie der Einsatz fossiler Energie­träger. Wer deckt die Kosten­dif­ferenz? Wenn wir die Klima­ziele für 2030 erreichen wollen, läuft es darauf hinaus, dass bestehende Produk­ti­ons­an­lagen vorzeitig abgeschrieben und durch neue Techno­logien ersetzt werden müssen. Man kann Unter­nehmen, die im inter­na­tio­nalen Wettbewerb stehen, nicht beliebig höhere Produk­ti­ons­kosten aufbu­ckeln. Ich habe meine Zweifel, ob dieses Problem durch den anvisierten CO2-Grenz­aus­gleich der EU (Border Adjus­tment Mechanism) gelöst werden kann.

Machnig: Ist nicht erkennbar, dass alte ordnungs­po­li­tische Gegen­sätze aufbrechen? Vor Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass das Institut der Deutschen Wirtschaft, gemeinsam mit dem Institut für Makro­öko­nomie der Hans Böckler Stiftung eine gemeinsame Studie in Auftrag gibt, die zum Ergebnis kommt: Wir brauchen staat­liche Inves­ti­tionen, zusätz­liche Inves­ti­tionen der Größen­ordnung von 50 Milli­arden pro Jahr auf 10 Jahre, um das zu tun. Ich möchte ein zweites Beispiel nennen. Wenn man mit Spitzen­ver­tretern der Deutschen Wirtschaft redet, ist die Tonlage sehr klar: Ohne staat­liche Hilfe, das heißt vor allem Inves­ti­ti­ons­hilfen aber auch Unter­stützung bei Betriebs­kosten, Carbon Contracts for Diffe­rence oder ähnliches, wird es nicht gehen. Zeigt das nicht, dass das alte ordnungs­po­li­tische Denken an sein Ende gekommen ist? Was nicht heißt, dass wir eine Staats­öko­nomie machen. Sondern wir müssen darüber nachdenken: Wie können staat­liche und private Initia­tiven so inein­an­der­greifen, dass die Ziele eigentlich erreicht werden können? Jeder für sich allein ist nicht in der Lage, Rahmen­be­din­gungen zu schaffen oder die Ziele wirklich reali­sieren zu können.

Fücks: Das rührt an einen wunden Punkt. Welche Art von Beziehung zwischen Staat und Markt, ich würde sogar sagen, welche Art von Wirtschafts­ordnung erfordert die ökolo­gische Trans­for­mation? Diese Frage ist für mich unter­dis­ku­tiert. Wir konzen­trieren uns auf ambitio­nierte Ziele und dann disku­tieren wir einzelne Instru­mente. Aber wir disku­tieren kaum die darüber liegende ordnungs­po­li­tische Frage, ob die ökolo­gische Trans­for­mation als ein Projekt, das tiefgrei­fende Verän­de­rungen in wenigen Jahrzehnten mit einem hohen Ausmaß an staat­licher Koordi­nation erfordert, fast zwangs­läufig in eine Art gelenkte Ökonomie führt. Wenn das die Zielrichtung ist, in die wir ohne große Debatte treiben, wird mir etwas schwin­delig. Richtig ist, dass wir nicht einfach bei der Maxime bleiben können: „Der Staat setzt die setzt die Rahmen­be­din­gungen und ansonsten regelt das der Markt“. Aber wie engma­schig der Staat Vorgaben für jeden Sektor der Volks­wirt­schaft setzen soll, wie weit die Steuerung über Preise oder über Gebote und Verbote erfolgt, das ist nicht ausbuchstabiert.

Machnig: Was wir brauchen ist eine ökolo­gische Indus­trie­po­litik. Und zwar Indus­trie­po­litik nicht nur im Hinblick auf Industrie, sondern auch im Hinblick auf Infra­struk­turen und ähnliches.

Jetzt habe ich einen Punkt. Im gegen­wär­tigen Klima­schutz­gesetz, das der Bundestag verab­schiedet hat, sind sektorale Ziele festgelegt mit der Auffor­derung und Verpflichtung, aus den jewei­ligen Fachmi­nis­terien nachzu­steuern, wenn die Ziele nicht erreicht werden. Damit ist ein sehr klarer Rahmen gesetzt, zumindest was das Zielport­folio angeht.

Wie muss man jetzt das Zusam­men­spiel von öffent­lichen Inves­ti­tionen, privaten Inves­ti­tionen und Rahmen­be­din­gungen und Ähnlichem denken, damit daraus ein Grand Design der Trans­for­mation wird? Und wie kommen wir – und das habe ich selber in vielen Funktionen in Regie­rungen erlebt – aus Ressort­lo­giken heraus, die so etwas nicht unbedingt befördern?

Fücks: Der Strate­giepfad, den du jetzt beschrieben hast, führt in eine immer engma­schigere Detail­steuerung, indem mittel- und langfristige Klima­ziele auf die einzelnen Sektoren herun­ter­ge­brochen und auf genau bezif­ferte Jahres­ziele umgelegt werden. Ich halte diese Vorstellung einer linearen Reduktion von CO2-Emissionen für irreal. Die Innova­tions- und Inves­ti­ti­ons­zyklen verlaufen nicht linear. Wir brauchen eine ernst­hafte Diskussion: Was ist die Reich­weite und was sind die Grenzen einer Steuerung über einen sektor­über­grei­fenden CO2-Emissi­ons­handel, der Reduk­ti­ons­ziele für die gesamte Volks­wirt­schaft festlegt – am besten auf europäi­scher Ebene – und es dann dem Wettbewerb und der Innova­ti­ons­dy­namik des Marktes überlässt, welche Lösungen optimal sind?

Stichwort Indus­trie­po­litik: Wir wissen zwar grob, was Schlüs­sel­tech­no­logien für die ökolo­gische Trans­for­mation sind: Batte­rie­speicher, Smart Grids, grüner Wasser­stoff und synthe­tische Kraft­stoffe, Rückge­winnung von CO2 aus der Atmosphäre. Aber weder wissen wir, welche spezi­fi­schen Techno­logien sich etwa in der Batte­rie­technik durch­setzen werden, noch können wir künftige Sprung­in­no­va­tionen voraus­sehen. Ich plädiere eher dafür, den Wettbewerb um die besten Lösungen zu fördern, als sich auf bestimmte Indus­trie­zweige festzulegen.

Machnig: Ich möchte auf ein paar Probleme kommen in dem Kontext. Wir haben einen Emissi­ons­handel, der sich bislang auf den Bereich Energie und Industrie konzen­triert. Es soll ein zweiter kommen im Bereich Wärme und im Bereich Verkehr. Und wir wissen eines: Allein eine Steuerung dieses „ETS 2“ über Preise wird nicht funktio­nieren, denn die Preise, die ich anlegen müsste, wären extrem prohi­bitiv – 250€ bis 300€ die Tonne. Das wird über Preise nicht gehen. Und deswegen bin ich auch nicht für Steuerung. Aber worüber wir nachdenken müssen, sind Inves­ti­tionen: Privat, öffentlich und dann natürlich auch entspre­chende Unter­stüt­zungs­leis­tungen – etwa für private Konsu­menten – beim Thema Auto, beim Thema Wärme, beim Thema Energie­ef­fi­zienz und Ähnlichem. Das muss zusammen gedacht werden und bislang wird das nicht zusammen gedacht, sondern es wird der Ressort­logik unter­worfen, die eine spezi­fische ist. Und die Frage ist: Brauche ich dazu nicht ein neues Verständnis, einen neuen Blick darauf, wie solche Prozesse in den nächsten Jahren durch ein intel­li­gentes Zusam­men­spiel von Staat, Markt, intel­li­genter Regulierung und sozialem Ausgleich reali­siert werden können? Das ist das magische Viereck, das ich im Auge haben muss.

Fücks: Ich will noch mal zurück auf dein Argument. Das ist ja ein geläu­figer Einwand gegen einen sektor­über­grei­fenden CO2-Emissi­ons­handel als dem Kernstück ökolo­gi­scher Trans­for­ma­ti­ons­po­litik, dass die Grenz­kosten in bestimmten Bereichen, wie etwa im Verkehr, so hoch lägen, dass die entspre­chenden CO2-Preise politisch gar nicht durch­setzbar sind. Der Witz ist aber, dass die Kosten so oder so anfallen. Der CO2-Preis bildet die tatsäch­lichen Kosten des Umbaus dieser Sektoren ab, etwa den Ersatz von fossilen Energie­trägern durch erneu­erbare Kraft­stoffe. Bleibt die Frage: Wer trägt diese Kosten? Werden sie allein über den Preis weiter­ge­geben oder braucht man kompen­sa­to­rische Instru­mente, die diese Mehrkosten für die Unter­nehmen, die sonst nicht mehr wettbe­werbs­fähig sind, wie für private Haushalte ein Stück weit kompen­sieren. Das halte ich für absolut notwendig, weil man sonst die soziale Akzeptanz für den ökolo­gi­schen Umbau ruiniert. Aber – ohne dass ich dafür schon fertige Antworten hätte – wir müssen sehen, dass wir uns nicht zu sehr in Detail­maß­nahmen verlieren.

Machnig: Es darf keine Übersteuerung geben.

Fücks: Ja, genau! Am Ende sollten nicht Beamten­stäbe das letzte Wort haben über die „richtigen“ Inves­ti­tionen und Technologien.

Machnig: Du bist ja ein erfah­rener Politiker und was wir hier disku­tieren, findet nicht im luftleeren Raum statt. Jetzt sind es noch ein paar Tage bis zur Wahl. Die Wahrschein­lichkeit, dass eine Dreier-Koalition oder Vierer-Koalition ein denkbares Ergebnis sein können, ist nicht gering. Das wiederum heißt, dass in jedem Fall unter­schied­liche Denktra­di­tionen aufein­an­der­stoßen werden, egal wie die Farbzu­sam­men­setzung ist. Eine grüne Denktra­dition ist anders als eine sozial­de­mo­kra­tische, eine sozial­de­mo­kra­tische ist anders als eine liberale. Eine CDU ist nochmal anders als Grüne und SPD und FDP usw.

Wenn man sagt, dass wir einen neuen ordnungs­po­li­ti­schen Ansatz, ein neues Denken über das Zusam­men­spiel von Staat und Markt brauchen, was könnten Brücken sein? Brücken, die nicht nur nett in Koali­ti­ons­texten nieder­gelegt sind, die ja häufig nur ein Zwischen­er­gebnis sind, aber noch nicht die Realität. Die einen wollen Steuer­sen­kungen machen, etwa FDP und CDU, und auf der anderen Seite, im sozial­de­mo­kra­ti­schen Spektrum, werden staat­liche Inves­ti­tionen disku­tiert und ein Trans­for­ma­ti­ons­fonds, der eben private Inves­ti­tionen antriggert und unter­stützt. Das sind ja unter­schied­liche Denktra­di­tionen. Was können Brücken sein, die diese unter­schied­lichen Ausgangs­punkte zusammenführen?

Fücks: Man muss offen die Zielkon­flikte disku­tieren: Können wir gleich­zeitig die Schul­den­bremse halten und die öffent­lichen Inves­ti­tionen steigern? Das gilt ja nicht nur für Öko-Inves­ti­tionen, sondern auch für den Bildungs­sektor und die digitale Infra­struktur. In welchen Bereichen ist eine steuer­liche Entlastung sinnvoll – etwa zur Absenkung der kalten Progression oder bei der Abschreibung von Forschungs­aus­gaben? Mindestens so wichtig wie höhere staat­liche Inves­ti­tionen ist ja die Inves­ti­ti­ons­fä­higkeit der Unter­nehmen. Die kann der Staat nie und nimmer ersetzen.

Wir müssen aufpassen, dass wir nicht vom Mantra „der Markt regelt alles“ ins Gegenteil fallen – „der Staat regelt alles.“ Wer auch immer die nächste Regie­rungs­ko­alition stellt, muss eine Balance zwischen einem aktiven Staat und leistungs­fä­higen Unter­nehmen finden. Das Spannende an einer Koalition mit Sozial­de­mo­kraten, Grünen und Liberalen wäre ja gerade, die unter­schied­lichen Priori­täten zwischen Staat und Markt, Regulierung und Bürokra­tie­abbau, Zukunfts­in­ves­ti­tionen und nachhal­tiger Finanz­po­litik, Solida­rität und Eigen­ver­ant­wortung auszu­handeln. Wenn das klappt, kann daraus etwas Inter­es­santes entstehen.

Machnig: Herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch finden Sie hier im Original beim Blog politische Ökonomie.

Textende

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