Aufbruch in die Ökologische Moderne
Für ein fortschrittsmüdes, zukunftsängstliches Schrumpfeuropa interessiert sich kein Mensch. Wenn wir relevant bleiben wollen, müssen wir den Aufbruch in die ökologische Moderne wagen. Ralf Fücks skizziert den Weg in eine öko-soziale Marktwirtschaft als Antwort auf den Klimawandel.
Der Klimawandel kündigt das Ende einer Epoche an. Einem Zauberlehrling gleich, hat die industrielle Moderne einen Prozess globaler Erwärmung in Gang gesetzt. Seit der Entfesselung fossiler Energien stieg die mittlere globale Temperatur um 1,1 Grad; aktuell bewegen wir uns Richtung 2,7 Grad bis Ende dieses Jahrhunderts. Das wäre eine dramatisch veränderte Welt mit prekären Lebensbedingungen für Milliarden Menschen.
Mit dem Klimawandel gerät auch der expansive Lebensstil der Moderne in die Kritik. Die entgrenzte Mobilität, die jährlich wechselnden Moden, der verschwenderische Umgang mit Ressourcen und die permanente Steigerung der Bedürfnisse gelten als ökologischer Sündenfall. Für die Anhänger eines neuen Öko-Puritanismus ruiniert unser Streben nach „immer mehr“ den Planeten. „Tuet Buße und kehrt um!“ ist deshalb der neue ökologische Imperativ, „Degrowth“ das Credo der Fridays-for-Future-Generation.
Die bisherige Wirkung dieser Reformationspredigten ist allerdings sehr überschaubar. Zwar geht unter den Jungen und Gebildeten der Fleischkonsum zurück, die akademische Mittelschicht kauft Bio, Fair Trade und handgemacht. Gleichzeitig steigen die Zulassungszahlen für SUVs, die Wohnfläche pro Kopf und der Stromverbrauch der digitalen Kommunikation. Sobald uns die Pandemie nicht mehr im Würgegriff hält, wird auch der Flugverkehr wieder anziehen. Die Zahl derjenigen, die ihre persönliche CO2-Bilanz durch selbst auferlegte Abstinenz radikal gesenkt haben, fällt kaum ins Gewicht.
Mehr Tempo fürs Klima
Auch die umweltbewusste Avantgarde steht mit beiden Beinen in der Moderne: Sie ist global vernetzt, hoch mobil, modebewusst, kommuniziert auf allen Kanälen und hängt an den Errungenschaften der wissenschaftlich-technischen Zivilisation. Die Kehre zur Askese vollziehen die wenigsten. Allerdings würden auch drastische Eingriffe in die persönliche Lebensführung den Klimawandel allenfalls abbremsen. Dazu ist die Wucht des Energie- und Ressourcenverbrauchs von bald 10 Milliarden Erdenbürgern zu groß.
Das ist kein Freibrief für ökologische Gewissenlosigkeit. Es ist gut und richtig, wo immer möglich Rad oder Bahn zu fahren, sich umweltbewusst zu ernähren und keine Produkte zu kaufen, für die Menschen geschunden werden oder Tiere leiden. Auch steht es jedem frei, das gute Leben in einem Mehr an Muße und menschlichen Beziehungen zu suchen. Wer aber die Antwort auf den Klimawandel in der freiwilligen oder erzwungenen Einschränkung von Produktion und Konsum sucht, springt nicht nur zu kurz – er schlägt die falsche Richtung ein.
In einer schrumpfenden Ökonomie sinken auch die Investitionen und das Innovationstempo. Im Wettlauf mit dem Klimawandel brauchen wir jedoch ein höheres Innovationstempo und steigende Investitionen in den Umbau des Produktionsapparats, des Energiesystems und der öffentlichen Infrastruktur. Daraus kann eine neue ökonomische Dynamik entstehen, eine lange Welle umweltfreundlichen Wachstums. Ohnehin ist die Frage, ob die Weltwirtschaft weiterhin wächst, längst entschieden. Angesichts der wachsenden Weltbevölkerung und des rapiden wirtschaftlichen Aufstiegs der Länder des Südens lautet die alles entscheidende Frage, ob es gelingt, Wertschöpfung und Naturverbrauch zu entkoppeln.
Dabei ist hauptsächlich der Staat gefragt
Die gute Nachricht lautet, dass dieser Prozess in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften schon begonnen hat. In Deutschland sanken die Treibhausgasemissionen seit 1990 um rund 40 Prozent, während sich die Wirtschaftsleistung verdoppelte. Der Trend zur absoluten Entkopplung gilt auch nach Verrechnung von Importen und Exporten. Er geht vor allem auf steigende Energieeffizienz und die Substitution von Kohle durch erneuerbare Energien und Erdgas zurück.
Bei einer jährlichen Wachstumsrate von 3 Prozent wird sich die globale Wirtschaftsleistung in den kommenden 25 Jahren in etwa verdoppeln. Im gleichen Zeitraum müssen die Netto-Treibhausgasemissionen gegen null sinken, um den Temperaturanstieg im Zaum zu halten. Die Auflösung dieses Rätsels liegt in der Entfesselung einer grünen industriellen Revolution. Sie erfordert erstens den Übergang von fossilen Energiequellen zu erneuerbaren Energien; zweitens eine kontinuierliche Steigerung der Ressourceneffizienz – aus weniger Rohstoffen mehr Wohlstand erzeugen; und drittens die Wende zu einer modernen Kreislaufwirtschaft, in der jeder Reststoff wieder in die biologische oder industrielle Produktion zurückgeführt wird. In letzter Instanz muss eine umweltfreundliche Ökonomie auf der Kombination von biologischer und technischer Photosynthese aufbauen: der Umwandlung von Sonnenlicht, Wasser und CO2 in chemische Energie. Was die „biologische Fabrik“ der Erde antreibt, muss auch die Energiebasis der technischen Welt werden.
Die Versuchung liegt nahe, die ökologische Transformation als einen Masterplan anzugehen, der detailliert vorgibt, welche Ziele wie und bis wann zu erreichen sind. Die Metapher des „Umbaus der Industriegesellschaft“ legt die Vorstellung nahe, es ließe sich eine hochkomplexe, in vielfältige Außenbeziehungen eingewobene Industriegesellschaft nach einem vorgefassten Plan umbauen wie eine Maschine. Fraglos braucht die ökologische Transformation einen aktiven, regulierenden und investierenden Staat, der die Weichen für privatwirtschaftliche Initiativen stellt. Milliardenschwere Investitionen in klimafreundliche Chemieanlagen und Stahlwerke werden nur erfolgen, wenn die Unternehmen damit rechnen können, dass grüner Strom und Wasserstoff in großen Mengen verfügbar sind. Die betrieblichen Mehrkosten gegenüber konventionellen Verfahren müssen sich entweder am Markt amortisieren oder kompensiert werden.
Aufbruch bevor wir abgehängt werden
Die öffentliche Hand muss Leitmärkte für klimafreundliche Schlüsseltechnologien fördern und kritische Engpässe im Stromnetz beseitigen. Aber eine Top-down-Steuerung mit engmaschigen staatlichen Vorgaben kann niemals die Innovationskraft der Marktwirtschaft ersetzen, die das Wissen und die Eigeninitiative von Abermillionen Produzenten und Konsumenten bündelt.
Zu glauben, wir wüssten schon, wie Energiesystem, Mobilität und Landwirtschaft im Jahr 2045 aussehen werden, schreibt die Gegenwart in die Zukunft fort. Die Internationale Energieagentur geht davon aus, dass etwa die Hälfte der nötigen Treibhausgasreduktionen von Innovationen abhängt, die heute noch im Forschungs- und Entwicklungsstadium sind. Weder wissen wir, zu welchen Innovationssprüngen die rasante technische Entwicklung führen wird, noch können wir die relativen Kosten unterschiedlicher Technologiepfade voraussagen. Eine erfolgreiche Klimastrategie muss darauf abzielen, eine selbsttragende Dynamik ökologischer Innovationen und Investitionen in Gang zu setzen. Sie muss ambitionierte Ziele mit dem Wettbewerb um die besten Lösungen verbinden. Und sie muss Reserven für ökonomische Engpässe und geopolitische Konflikte einkalkulieren.
Der effektivste Hebel einer marktwirtschaftlich orientierten Umweltpolitik bleibt die Einbeziehung ökologischer Kosten in die Preisbildung. Steigende CO2-Preise im eigenen Land müssen in den EU-Emissionshandel eingebettet sein; eine ambitionierte europäische Klimapolitik ist darauf angewiesen, möglichst viele Partner für ein internationales CO2-Regime zu gewinnen. Multilaterale Abkommen sind auch ein Schlüssel für die Energiewende. Der forcierte Ausbau von Wind- und Solarstrom im eigenen Land muss mit einem weiträumigen Verbund erneuerbarer Energien von Skandinavien bis Nordafrika verknüpft werden.
Deutschland hat alle Voraussetzungen, Vorreiter für eine klimaneutrale Industriegesellschaft und ein Kompetenzzentrum ökologischer Innovation zu sein. Umweltfreundliche, global anschlussfähige Lösungen für die Bedürfnisse einer wachsenden Weltbevölkerung zu entwickeln ist unser wichtigster Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel. Für ein fortschrittsmüdes, zukunftsängstliches Schrumpfeuropa interessiert sich kein Mensch. Wenn wir relevant bleiben wollen, müssen wir den Aufbruch in die ökologische Moderne wagen.
Der Beitrag erschien im Original in der FAZ vom 15. Februar 2022.
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