Die Wutge­sell­schaft

Es knirscht im Gebälk der Republik. In den Umfragen liegt die AfD bundesweit vor der Union. Im Osten ist sie sowieso die mit Abstand stärkste Partei. Der Bannfluch „gesichert rechts­extrem“ schreckt nicht ab. Eher wird er als Versuch gewertet, unliebsame Positionen aus dem öffent­lichen Diskurs auszu­schließen, kommen­tiert Ralf Fücks.

Lange Zeit wurde der Aufstieg der AfD vor allem mit dem Unbehagen an der Massen­ein­wan­derung von Menschen andere Hautfarbe, Religion und Lebens­weise verbunden. Dieses Motiv hat noch immer eine große Spreng­kraft. Aber wir sollten aufhören, den Erfolg der AfD allein an diese oder jene politische Frage zu knüpfen – verbunden mit der Hoffnung, dass sie wieder auf Klein­format schrumpfen wird, wenn „die Politik“ nur endlich handelt. Es macht die Ultra­rechten nicht klein, wenn der Kanzler darauf verweist, dass seit Antritt der neuen Regierung die Asylbe­wer­ber­zahlen auf die Hälfte gedrückt wurden.

Ein Klima der Wut und wachsenden Gereiztheit

Vieles spricht dafür, dass die AfD – wie ihre Verwandten in anderen westlichen Ländern – die politische Inkar­nation eines tiefer liegenden Problems ist: Die Rechts­po­pu­listen spiegeln den wachsenden Wutpegel in liberalen Demokratien. Seine Phänomene sind vielfach beschrieben: eine wachsende Gereiztheit auf allen Seiten; Unduld­samkeit und militante Recht­ha­berei; wachsende Politik­ver­achtung und alltäg­liche Drohungen gegen gewählte Reprä­sen­tanten. Auch Ärzte, Polizisten und Mitar­beiter in Bürger­ämtern können ein Lied davon singen. Was in den „sozialen Medien“ längst Alltag ist – die enthemmte Aggression – springt ins reale Leben über.

Krisen als Triggerpunkte

Die wutge­tränkte Stimmungslage baute sich über einen langen Zeitraum auf. Mit jedem Krisen­ein­schlag wuchs der Pegel. Die erste Welle wurde 2008/​2009 losge­treten, als die ameri­ka­nische Banken­krise in eine europäische Finanz­krise mündete. Sie wirkte als Urerfahrung für den latenten Kontroll­verlust im Zuge der Globa­li­sierung und erschüt­terte das Vertrauen in die europäische Währungsunion.

Ein zweiter Trigger war die Flücht­lings­krise von 2015. Sie riss eine Kluft zwischen etablierten Parteien und Teilen der Bevöl­kerung auf, die seither noch tiefer wurde. Erneut spielte die Angst vor Kontroll­verlust eine zentrale Rolle. Während die Parteien der rechten und linken Mitte sich hinter Kanzlerin Merkel verei­nigten, wurden Zweifel und Ablehnung ihrer Politik der Grenz­öffnung an die extremen Ränder abgedrängt. Vertieft wurde der Konflikt durch seine moralische Überfrachtung: hier das humane, geläu­terte, bessere Deutschland – dort das dunkle Deutschland der Fremden­feinde und Rassisten.

Der dritte Schub kam mit der Corona­krise. Auch hier wieder­holte sich das Muster einer Allpar­tei­en­ko­alition der demokra­ti­schen Mitte, die sich im „Team Vorsicht und Rücksicht“ versam­melte und Kritik an der Einschränkung persön­licher Freiheiten und der Drosselung des öffent­lichen Lebens als antiwis­sen­schaftlich und verant­wor­tungslos zurückwies. Die Erbit­terung, mit der diese Ausein­an­der­setzung geführt wurde, wirkt bis heute fort.

Vertrau­ens­verlust und Abstiegsängste

Seither haben Verun­si­cherung und Unzufrie­denheit immer weiter zugenommen. Die Zumutungen der Klima­po­litik, Sorge vor wirtschaft­lichem Niedergang und sozialem Abstieg, Kriegs­angst, Regulie­rungsflut und Bürokratie sind neue Quellen des Volks­zorns. Laut einer reprä­sen­ta­tiven Umfrage der Körber-Stiftung vom August 2023 stieg der Anteil der Deutschen, die nur geringes Vertrauen in die Demokratie haben, innerhalb von zwei Jahren von 30 auf 54 Prozent. 71 Prozent stimmten der Aussage zu, die Verant­wort­lichen in Politik und Medien lebten in ihrer eigenen Welt, aus der sie auf den Rest der Bevöl­kerung hinab­sehen. In der ebenfalls 2023 veröf­fent­lichten „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung teilten 30 Prozent der Befragten die Ansicht: „Die regie­renden Parteien betrügen das Volk.“ Auch hier ein rasanter Anstieg.

Der Begriff des „Wutbürgers“ machte mit den Protesten gegen das Bahnhofs­projekt „Stuttgart 21“ Karriere. Schon damals fragten sich viele, woher die Vehemenz dieser Ablehnung kam. Mir ging es unter die Haut, als ein vieltau­send­stim­miger Chor auf dem Stutt­garter Schloss­platz „Lügenpack“ skandierte und damit nicht nur die damalige Landes­re­gierung meinte. Man spürte, wie durch­lässig die Grenze zwischen berech­tigter Empörung und populis­ti­schem Ressen­timent ist.

Wut, Zorn, Ressentiments

Der Philosoph Peter Sloterdijk hatte eine feine Nase für den Stimmungs­wandel, als er 2008 mit seinem Werk „Zorn und Zeit“ aufschlug. Zorn – die edlere Version der Wut – ist der Stoff, aus dem disruptive Politik gemacht ist. „Heiliger Zorn“ ist die „Empörung über Unfug, den man mit ansehen muss und das Unrecht, das man nicht dulden kann.“ Als verletzter Stolz ist er eine eruptive Emotion mit großer Spreng­kraft, wenn sie über die Zeit aufge­staut wird.

Radikale politische Parteien sind „Wutbanken“, Sammel­stellen des Zorns. Das galt für die kommu­nis­tische Inter­na­tionale wie für die NSDAP. Heute sind es die Populisten aller Couleur, die den Volkszorn schüren und in politi­sches Kapital umwandeln. Seine vergiftete Form ist das Ressen­timent mit seinen hässlichen Verwandten: Intoleranz, Missgunst, Hass, Gewalt­be­reit­schaft. Man muss keinen neuen Faschismus herauf­be­schwören, um zu erkennen, wie explosiv dieses Gebräu ist.

Ein steigender Wutpegel ist typisch für Krisen- und Umbruch­zeiten, in denen Unsicherheit und Zukunfts­angst um sich greifen. Das Gefühl von Ohnmacht gegenüber Entwick­lungen, die man nicht mehr steuern kann, verstärkt diese psycho­po­li­tische Dynamik. Der Eindruck, dass Politik sich überwiegend um tonan­ge­bende Minder­heiten dreht und den Kontakt zur Lebens­rea­lität der „normalen Leute“ verloren hat, fördert den Verdruss.

Politik braucht Dialog- und Entscheidungsfähigkeit

Daraus kann man Lehren ziehen, was man tun und lassen sollte. Ausgrenzung und Stigma­ti­sierung ganzer Bevöl­ke­rungs­gruppen ist so wenig hilfreich wie die moralische Überfrachtung politi­scher Konflikte. Zuhören, ohne den Leuten nach dem Munde zu reden, wäre eine gute Devise. Vertrauen in die Handlungs­fä­higkeit der Demokratie zu stiften eine andere. Wenn Regie­rungen vor allem ihre selbst­be­züg­lichen Diffe­renzen pflegen, statt drängende Probleme energisch anzugehen, füttern sie das antide­mo­kra­tische Ressen­timent.  Vertrauen in politische Führung entsteht durch Dialog­be­reit­schaft und Entschei­dungs­stärke, ambitio­nierte Ziele und Augenmaß im Handeln. Wenn Politik aus Furcht vor den Wählern vor unbequemen Verän­de­rungen zurück­schreckt, trägt sie zur Demokra­tie­ver­achtung bei.

Der Artikel erschien zunächst in der „Welt am Sonntag“ 

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