Das eigene Bündnis als Feindbild: Ungarn und Polen gegen die EU
Auch ehemalige Musterdemokratien und EU-Mitglieder sind nicht immun gegen das Gift des autoritären Populismus, wie Polen und Ungarn belegen. Kaczynski und Orban bauen ihre Länder nach Lehrbuch in Autokratien um – und inszenieren die EU, deren Subventionen sie gerne aber undankbar kassieren, als äußeren Feind. Teil 2 unserer Serie zum Autoritarismus 2020.
Der Harvard-Professor Daniel Ziblatt beschreibt in seinem Buch “Wie Demokratien sterben”, mit welch’ eiskalter Methodik und Berechnung Autokraten die Demokratien unterwandern, in denen sie an die Macht gewählt wurden. Ihnen geht es zuerst darum, die unabhängigen Gerichte, vor allem das Verfassungsgericht, unter Kontrolle zu bringen und zum anderen, die öffentliche Meinung so zu formen, dass sie der Linie der herrschenden Partei entspricht. Das bedeutet in der Praxis nichts anderes, als unabhängige Medien zu schleifen. Um bei solch drastischen Massnahmen die eigenen Anhänger elektrisiert und die Gegner in Schach zu halten, brauchen solche Machthaber, nach Ziblatt, einen äußeren Feind, von dem sie behaupten könnten, dass er danach trachte, dem Land seine Souveränität und Kultur nehmen zu wollen.
An dieses Drehbuch haben sich die Machthaber in Polen und Ungarn gleichermaßen gehalten. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden diese beiden Länder zu Vorreitern der Demokratisierung Osteuropas: in Polen legte die Gewerkschaft Solidarität die Axt an den Einparteienstaat, die nach Ungarn geflohenen Ostdeutschen konnten nach Westdeutschland weiterreisen. Heute erkennt man beide Länder nicht wieder: in Budapest weht nirgendwo eine europäische Fahne (was eigentlich Vorschrift ist). Das einzige, das Herr Orban und seine Komplizen von der Fidesz-Partei an Europa erquickt, sind die finanziellen Zuwendungen aus Brüssel. Herr Orban beschwört die katholische Religion als Dreh- und Angelpunkt der ungarischen Kultur, was in seiner Logik all jene zu Menschen zweiter Klasse macht, Muslime beispielsweise, die dieser Glaubensgemeinschaft nicht angehören. Im Polen hört man das gern. Die herrschende Protagonisten der Partei “Recht und Gerechtigkeit”, ihr Vorsitzender Jaroslav Kaczynski genauso wie sein Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, beklatschen so genannte “LGBTQ”-freie Zonen im Land, was so viel heißen soll, dass Menschen, deren Sexualität abweichend von der katholischen Lehre ist, unerwünscht sind. Auch für Frauen wird das Leben im patriarchalisch-katholischen Polen schwieriger: zuletzt wurde Schwangerschaftsabbruch per Gesetz verboten.
Der liberale Denker Ralf Dahrendorf legt im Kapitel “The New Social Contract” (im Buch Citizenship and the Modern Social Conflict) dar, dass es das Fundament unserer gegenwärtigen Gesellschaft ist, Zugehörigkeit über die Staatsbürgerschaft herzustellen. Unabhängig vom Geschlecht, dem Alter, dem Gesundheitszustand, der Ethnie, der sexuellen Orientierung, der Sprache, der Religion oder Konfession, sind die Menschen als Staatsbürger Glieder des Staates und gehören zu ihm. Wenn in Ungarn Muslime und in Polen Homosexuelle ausgegrenzt und verfolgt werden, dann ist das die schlimmste Verkehrung der Ideale, für die die Europäische Union steht. So werden die Länder, die von Autokraten regiert werden, zurück geführt in eine archaische Vergangenheit, in der Blut und Boden zählen. Parameter, die heute in der Welt keine Bedeutung mehr haben. Polen und Ungarn versinken so in der Bedeutungslosigkeit. Auch das wünschen Autokaten, da sie dann, unbehelligt von der Weltgemeinschaft, mit den Menschen in ihrem Land machen können, was sie wollen.
Polen und Ungarn können in dieser Verfassung keine Mitglieder der Europäischen Union mehr sein. Sie scheuen allerdings den Austritt, denn das würde das Ende des Geldflusses aus Brüssel bedeuten. Europa, das ist das widersprüchliche, ist eigentlich der Lieblingsfeind der Orbans und Kaczynskis. Denn von dort, so werden sie nicht müde zu behaupten, werde eine Gender-Ideologie verfolgt, die den eigenen, nationalen Werten widerspreche. Aber bei Geld hört bekanntlich die Feindschaft auf.
Es ist ein Sieg des Guten, für die Menschenrechte und für die Europäische Union, dass sie Warschau und Budapest die Stirn geboten und Grenzen aufgezeigt haben. Gleichzeitig hat der Konflikt, um den europäischen Haushalt offen gelegt, dass die internationale Ordnung nur dann funktioniert, wenn alle, die daran teilnehmen, auch wirklich konstruktiv mitwirken wollen. Wenn es diese intrinsische Motivation nicht gibt, wird aus Empathie Ressentiment und aus konstruktivem destruktives Tun.
Können Demokratien wiederbelebt werden? Das kommt darauf an, wie sehr der institutionelle Abbau vorangeschritten und wie sehr die Presse beschnitten ist, wenn es zur nächsten Wahl kommt. In den USA haben die demokratischen Institutionen, denen sich Donald Trump auf ähnliche Weise bemächtigen wollte, wie es in Polen und Ungarn geschehen ist, seinen Angriffen standgehalten. Ob dies weitere vier Jahre gut gegangen wäre, bezweifelten etliche Kommentatoren. Die Menschen in den USA haben die Wahl genutzt und für den Wechsel gestimmt. Ob die jungen Demokratien in Osteuropa eine weitere Chance bekommen und den Angriff der Autokraten überstehen, steht in den Sternen.
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