Das eigene Bündnis als Feindbild: Ungarn und Polen gegen die EU

Festwagen zum Tag der Arbeit 2017 in Prag Foto: Shutterstock, Jolanta Wojcicka
Festwagen zum Tag der Arbeit 2017 in Prag Foto: Shut­ter­stock, Jolanta Wojcicka

Auch ehemalige Muster­de­mo­kra­tien und EU-Mitglieder sind nicht immun gegen das Gift des auto­ri­tären Popu­lismus, wie Polen und Ungarn belegen. Kaczynski und Orban bauen ihre Länder nach Lehrbuch in Auto­kra­tien um – und insze­nieren die EU, deren Subven­tionen sie gerne aber undankbar kassieren, als äußeren Feind. Teil 2 unserer Serie zum Auto­ri­ta­rismus 2020. 

Der Harvard-Professor Daniel Ziblatt beschreibt in seinem Buch “Wie Demo­kra­tien sterben”, mit welch’ eiskalter Methodik und Berech­nung Auto­kraten die Demo­kra­tien unter­wan­dern, in denen sie an die Macht gewählt wurden. Ihnen geht es zuerst darum, die unab­hän­gigen Gerichte, vor allem das Verfas­sungs­ge­richt, unter Kontrolle zu bringen und zum anderen, die öffent­liche Meinung so zu formen, dass sie der Linie der herr­schenden Partei entspricht. Das bedeutet in der Praxis nichts anderes, als unab­hän­gige Medien zu schleifen. Um bei solch dras­ti­schen Mass­nahmen die eigenen Anhänger elek­tri­siert und die Gegner in Schach zu halten, brauchen solche Macht­haber, nach Ziblatt, einen äußeren Feind, von dem sie behaupten könnten, dass er danach trachte, dem Land seine Souve­rä­nität und Kultur nehmen zu wollen.

An dieses Drehbuch haben sich die Macht­haber in Polen und Ungarn glei­cher­maßen gehalten. Nach dem Zusam­men­bruch der Sowjet­union wurden diese beiden Länder zu Vorrei­tern der Demo­kra­ti­sie­rung Osteu­ropas: in Polen legte die Gewerk­schaft Soli­da­rität die Axt an den Einpar­tei­en­staat, die nach Ungarn geflo­henen Ostdeut­schen konnten nach West­deutsch­land weiter­reisen. Heute erkennt man beide Länder nicht wieder: in Budapest weht nirgendwo eine euro­päi­sche Fahne (was eigent­lich Vorschrift ist). Das einzige, das Herr Orban und seine Komplizen von der Fidesz-Partei an Europa erquickt, sind die finan­zi­ellen Zuwen­dungen aus Brüssel. Herr Orban beschwört die katho­li­sche Religion als Dreh- und Angel­punkt der unga­ri­schen Kultur, was in seiner Logik all jene zu Menschen zweiter Klasse macht, Muslime beispiels­weise, die dieser Glau­bens­ge­mein­schaft nicht angehören. Im Polen hört man das gern. Die herr­schende Prot­ago­nisten der Partei “Recht und Gerech­tig­keit”, ihr Vorsit­zender Jaroslav Kaczynski genauso wie sein Minis­ter­prä­si­dent Mateusz Mora­wi­ecki, beklat­schen so genannte “LGBTQ”-freie Zonen im Land, was so viel heißen soll, dass Menschen, deren Sexua­lität abwei­chend von der katho­li­schen Lehre ist, uner­wünscht sind. Auch für Frauen wird das Leben im patri­ar­cha­lisch-katho­li­schen Polen schwie­riger: zuletzt wurde Schwan­ger­schafts­ab­bruch per Gesetz verboten.

Der liberale Denker Ralf Dahren­dorf legt im Kapitel “The New Social Contract” (im Buch Citi­zen­ship and the Modern Social Conflict) dar, dass es das Fundament unserer gegen­wär­tigen Gesell­schaft ist, Zuge­hö­rig­keit über die Staats­bür­ger­schaft herzu­stellen. Unab­hängig vom Geschlecht, dem Alter, dem Gesund­heits­zu­stand, der Ethnie, der sexuellen Orien­tie­rung, der Sprache, der Religion oder Konfes­sion, sind die Menschen als Staats­bürger Glieder des Staates und gehören zu ihm. Wenn in Ungarn Muslime und in Polen Homo­se­xu­elle ausge­grenzt und verfolgt werden, dann ist das die schlimmste Verkeh­rung der Ideale, für die die Euro­päi­sche Union steht. So werden die Länder, die von Auto­kraten regiert werden, zurück geführt in eine archai­sche Vergan­gen­heit, in der Blut und Boden zählen. Parameter, die heute in der Welt keine Bedeutung mehr haben. Polen und Ungarn versinken so in der Bedeu­tungs­lo­sig­keit. Auch das wünschen Autokaten, da sie dann, unbe­hel­ligt von der Welt­ge­mein­schaft, mit den Menschen in ihrem Land machen können, was sie wollen.

Polen und Ungarn können in dieser Verfas­sung keine Mitglieder der Euro­päi­schen Union mehr sein. Sie scheuen aller­dings den Austritt, denn das würde das Ende des Geld­flusses aus Brüssel bedeuten. Europa, das ist das wider­sprüch­liche, ist eigent­lich der Lieb­lings­feind der Orbans und Kaczynskis. Denn von dort, so werden sie nicht müde zu behaupten, werde eine Gender-Ideologie verfolgt, die den eigenen, natio­nalen Werten wider­spreche. Aber bei Geld hört bekannt­lich die Feind­schaft auf.

Es ist ein Sieg des Guten, für die Menschen­rechte und für die Euro­päi­sche Union, dass sie Warschau und Budapest die Stirn geboten und Grenzen aufge­zeigt haben. Gleich­zeitig hat der Konflikt, um den euro­päi­schen Haushalt offen gelegt, dass die inter­na­tio­nale Ordnung nur dann funk­tio­niert, wenn alle, die daran teil­nehmen, auch wirklich konstruktiv mitwirken wollen. Wenn es diese intrin­si­sche Moti­va­tion nicht gibt, wird aus Empathie Ressen­ti­ment und aus konstruk­tivem destruk­tives Tun.

Können Demo­kra­tien wieder­be­lebt werden? Das kommt darauf an, wie sehr der insti­tu­tio­nelle Abbau voran­ge­schritten und wie sehr die Presse beschnitten ist, wenn es zur nächsten Wahl kommt. In den USA haben die demo­kra­ti­schen Insti­tu­tionen, denen sich Donald Trump auf ähnliche Weise bemäch­tigen wollte, wie es in Polen und Ungarn geschehen ist, seinen Angriffen stand­ge­halten. Ob dies weitere vier Jahre gut gegangen wäre, bezwei­felten etliche Kommen­ta­toren. Die Menschen in den USA haben die Wahl genutzt und für den Wechsel gestimmt. Ob die jungen Demo­kra­tien in Osteuropa eine weitere Chance bekommen und den Angriff der Auto­kraten über­stehen, steht in den Sternen.

Den ersten Teil unserer Serie zum Auto­ri­ta­rismus 2020, in dem wir nach Asien blicken, finden Sie hier.

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