Die autokra­tische Pandemie

Proteste in Thailand Foto: Shutterstock kan Sangtong
Proteste in Thailand Foto: Shutter­stock kan Sangtong

Die Corona-Pandemie hat nicht nur mehr als 1,6 Millionen Menschen­leben vernichtet, sie war gleich­zeitig auch eine große Verheerung für die Demokratie auf der Welt. Die NGO Freedom House hat das Papier “Demokratie im Lockdown” veröf­fent­licht, in dem sie aufzählt, dass durch Covid-19 die Demokratie in 80 Ländern geschwächt, jedoch nur in einem gestärkt wurde. Regie­rungen machen sich entweder ohnehin bereits schwache demokra­tische Insti­tu­tionen untertan oder sie nutzen Corona als Vorwand, um schärfere Gesetze zu erlassen, die darauf abzielen, die Rede- und Meinungs­freiheit einzu­schränken. Teil eins unserer Serie zum Thema.

Besonders dreist ist hier die Volks­re­publik China vorge­gangen, die den Moment genutzt und die Demokratie Hongkongs geschliffen hat. Zuerst machte die Pandemie den Massen­de­mons­tra­tionen in der autonomen Handels­me­tropole den Garaus, dann versetzte ein so genanntes “Sicher­heits­gesetz“ die Bewohner der Hafen­stadt, ganz gleich ob Chinesen oder Ausländer, in Schrecken. Künftig kann jeder, der nachts von Demokratie träumt, tagsüber dafür belangt, in die Volks­re­publik überführt und dort vor Gericht gestellt werden. Es gibt Berichte, wonach Demokratie-Aktivisten aus Hongkong heraus verschleppt werden. Jüngst wurden führende Köpfe der Demostito-Partei, darunter auch der in Deutschland bekannte Joshua Wong zu einer Haftstrafe verur­teilt, weil sie im Sommer 2019 Proteste organi­sierten, in einer Zeit, als es so aussah, als würde die Demokratie gegenüber Peking und Macht­haber Xi Jinping triumphieren.

Doch dann kam Corona und die Verbün­deten der Menschen in Hongkong, allen voran Großbri­tannien und die Verei­nigten Staaten, hatten auf einmal anderes zu tun. Dass das Demokra­tielager bei den Regio­nal­wahlen im November 2019 von den 19 Bezirken der Stadt 17 gewonnen hatte, konnte Peking nicht auf sich sitzen lassen. Bereits im April wurde Martin Lee verhaftet, der Anwalt, der in Hongkong “Vater der Demokratie” genannt wird, weil er das Basic Law, das Grund­gesetz Hongkongs geschrieben hatte. Im Juli erließ die Kommu­nis­tische Partei schließlich das “Sicher­heits­gesetz”. Hongkongs Demokratie ist am Ende und Peking trachtet sogar danach, die Bewohner der Stadt dort einzu­sperren. Auf die Ankün­digung Großbri­tan­niens, dass Hongkonger mit einem Überseepass auf die Insel emigrieren konnten, reagierte Peking mit der Drohung, alle solche Pässe einzu­ziehen. Wenn es nach Xi Jinping geht, soll aus Hongkong eine Art Nordkorea von seinen Gnaden werden.

Das Blut der Märtyrer aber, so möchte man in Abwandlung einer frühchrist­liche Sentenz sagen, ist der Samen der Demokratie: denn was in Hongkong von Millionen Menschen erstritten wurde, hat Strahl­kraft weit über die Grenzen der Stadt hinaus. In Thailand, einem Land, das von Covid-19 Gottseidank nicht hart getroffen wurde, sind in diesem Sommer tausende Menschen auf die Straße gegangen, um mehr Demokratie zu fordern. Von Bangkok aus wurde die „Milk Tea”-Bewegung ins Leben gerufen, eine demokra­tische Protest­be­wegung, vornehmlich von Studie­renden getragen, die sich in ihrem Tun in Thailand an dem orien­tieren, was in Hongkong von der Regen­schirm-Bewegung und in Taiwan von der Sonnen­blumen-Bewegung gestoßen und erreicht wurde.

Amerika muss heilen

Es ist sieht so aus, dass in Asien die Demokratie eine Strahl­kraft besitzt, die in vielen “alten” demokra­ti­schen Nationen verloren zu gehen droht. Was dabei Demokratie heißen kann, ist inter­essant: in Hongkong und in Talar forderten und fordern Demons­tranten, dass Polizei­gewalt aufge­klärt wird. In den USA, einem Land, dessen Demokratie der nun aus dem Amt schei­dende Donald Trump arg zugesetzt hat, verlangen die Menschen, die für “Black Lives Matter” auf die Straße gehen, das gleiche: die Polizei, die hoheit­liche Aufgaben ausübt, ist in einer Demokratie dem Volk verpflichtet und muss sich nicht den Launen eines Autokraten, Monarchen oder Populisten wie Donald Trump genügen, der die Natio­nal­garde einsetzt, Demons­tranten vertreibt, um so eine gutes Foto schießen zu können, dass ihn bei seinen Anhängern als „starken Mann“ zeigt.

Zu den Ländern, deren Demokratie während Corona geschwächt wurde, zählt, leider, auch Amerika. Solange das Mutterland der Demokratie und die Patin der freien Welt mit der Heilung ihrer Wunden beschäftigt sein wird, die die Republi­ka­nische Partei und Donald Trump ihr gerissen haben, fällt sie als Vertei­di­gerin der Freiheit und der Menschen­rechte aus. Eine gute Nachricht gibt es dennoch in dem “Demokratie im Lockdown”-Report: in 111 Ländern ist die Demokratie von den Regie­renden nicht angetastet worden und ist dort in Form. Auch wenn sie im Moment unter Dauer­feuer liegt, hat sie, was man in Thailand und Hongkong — im benach­barten Taiwan ebenso — sehen kann, nach wie vor eine enorme Anzie­hungs­kraft. Das ist es vor allem, was es Despoten wie dem chine­si­schen Macht­haber Xi Jinping die Zornesröte ins Gesicht legt. Deswegen wurde Hongkong von Peking planiert. Taiwan, die frei schwim­mende Insel­de­mo­kratie vor der Küste der Volks­re­publik könnte daher das nächste Opfer Pekings werden. Wir leben in einer Zeit, in der Demokra­tinnen und Demokraten überall auf der Welt auf der Hut sein müssen.

Von Asien lernen

Auch in Deutschland. Die AfD verliert in den Umfragen, mehr als drei und vier Prozent, verglichen mit ihrem Ergebnis bei der Bundes­tagswahl 2017, das bei 12,6 Prozent lag. Am 19. Dezember kam die selbst ernannte Alter­native für Deutschland bei Emid auf zehn, bei Forsa auf neun Prozent. Das ist eine gute Nachricht für alle jene im Land, die die Demokratie lieben. Wie bei den Vorgängern von DVU und Republi­kanern verlieren die Menschen nun auch das Interesse an dieser rechts­ra­di­kalen Partei, nachdem sie sich durch Unfähigkeit in ihrer Parla­ments­arbeit ausge­wiesen hat. In der Covid-19-Pandemie scheint die Partei, wie andere Opposi­ti­ons­par­teien auch, erst einmal abgemeldet. Auch das mag den Rückgang an Zustimmung erklären.

Aber bedeutet das zur gleichen Zeit, dass mit diesen Werten auch die innere Zustimmung zu der Politik, für die die AfD steht, sinkt? Hier Entwarnung zu geben wäre zu früh! Sicherlich, die Deutschen sehnen sich weniger nach einem „starken Anführer” als dies in anderen Ländern der Fall sein mag. Die “Man wird doch noch sagen dürfen”-Rhetorik der neuen Rechten impli­ziert aller­dings, dass die aktuelle Führung nicht das sagt, was sie sagen sollte, also eine schwache Führung ist, die in Konse­quenz ausge­tauscht werden müsse.

Und so klingen der “Merkel muss weg”-Sound, der in der AfD als Reaktion auf die Flücht­lings­krise angestimmt wurde, und jener, der aus lebens­ret­tenden Masken „Maulkörbe“ macht, gleich. In Deutschland dürfe nicht mehr gesagt werden, was der Fall sei. Einzig die “Alter­native” wisse hier Abhilfe. Dabei generiert die Partei eine neue Zuhörer­schaft in den Reihen derer, die sich als Querdenker und Impfgegner profi­lieren. Anhänger dieser Gruppen marschieren zusammen auf, sie eint der Groll auf die Pandemie, auf der Grundlage gemein­samer rechter Ideologie. Denn Ebola ist für Afrika reser­viert, SARS für Asien. Hier in Europa, wo die weißen Menschen wohnen, kann eine Pandemie nicht auftreten, kann nicht die Gesundheit aller anfallen, können keine Massnahmen wie soziale Distan­zierung oder Masken notwendig werden. Eine Hybris aus kolonialen Zeiten weht durch diese Veran­stal­tungen. Es waren doch schließlich die Weißen, die den Koloni­sierten die Medizin brachten und nicht umgekehrt.

Da fällt es schwer zu glauben, dass Länder wie der Volks­re­publik China, Taiwan, Südkorea oder Japan mit der Pandemie besser umgehen. Dort werden eben seit der SARS-Epidemie vor 18 Jahren Masken ganz selbst­ver­ständlich getragen. Man könnte von diesem Wissens­vor­sprung, den die Menschen in anderen Teile der Welt haben, lernen. Oder auf jene herein­fallen, die behaupten, dass die ganze Covid-Angele­ge­nehit eine Scharade von Jeff Bezos, Bill Gates und George Soros sei. Gottseidank fällt die Mehrheit der Deutschen auf diesen Unsinn nicht herein. Aber die Zahl derer, die nicht bereit sind, sich impfen zu lassen, ist gigan­tisch hoch: haben im April in einer Umfrage noch 79 Prozent angegeben, sich impfen zu lassen, waren es am 10. November nur noch 54 Prozent! Um Herden­im­mu­nität in Deutschland zu erreichen, sind aller­dings rund 70 Prozent geimpfte Einwohner notwendig. Es stimmt traurig: die AfD schürt die Angst vor der Wirksamkeit des Corona-Impfstoffes, der daraufhin auch nicht die Wirkung in der Bevöl­kerung entfalten kann, zu der er das Potential hat.

Allen Impfskep­tikern mit Überle­gen­heits­fan­tasien ihre Kultur betreffend muss man zurufen: dass wir hier wallen und wesen wie wir es tun, dass Gesell­schaften funktio­nieren, das wir ökono­misch voran­kommen und Leben planen und gestalten können, verdanken wir nicht dem Chris­tentum, nicht der deutschen Sprache und Kultur, sondern allein dem medizi­ni­schen Fortschritt: ohne Impfungen wäre die Kinder­sterb­lichkeit unbeschreiblich hoch für unsere Tage: 1850 erreichten weltweit rund 45 Prozent der lebend geborenen Kinder ihren fünften Geburtstag nicht. Heute sind es nur noch rund fünf Prozent. Masern, Mumps, Röteln Windpocken sind besiegt. Der Kinder­lähmung ist der Gar noch nicht völlig ausge­macht, aber gute Erfolge wurden erzielt. Daneben wird heute gegen Tuber­kulose, Diphtherie, Keuch­husten und Wundstarr­krampf geimpft. Das waren alles einmal Krank­heiten, die den sicheren Tod brachten.

Vorde­mo­kra­tische Gesell­schaften versuchten ihr Überleben mit dem Verweis auf Gott, Erwählung und nationale Erzählung zu sichern. Demokratien können nur dann überleben, wenn in ihnen die Wissen­schaft, Logik und Vernunft den Ton angeben. Parteien wie die AfD sind den Weg zurück angetreten. Sie bieten Zuflucht vor Gefahren, die sie selbst zuerst geschürt haben. Im Herbst 2021 haben die Menschen in Deutschland die Gelegenheit zu demons­trieren, ob sie es mit Wissen­schaft und Vernunft halten oder mit Aberglaube und Bauchgefühl.

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