Meinung und Medien: hier gibt es Haltungsnoten

Willy Barton /​ Shutter­stock

„Haltung“ – im Zusam­menhang mit Journa­lismus ist dieses Wort in Misskredit geraten. Heute wird er häufig mit „Meinungs­mache“ gleich­ge­setzt. Unsere Kolum­nistin Alexandra Borchardt verteidigt das Eigen­recht dieses zwischen „Meinung“ und „Neutra­lität“ einge­zwängten Begriffs.

Zunächst klang es nach einer Geschichte, die Hoffnung machte: Die bis dahin weitgehend unbekannten Software-Millionäre Silke und Holger Friedrich kauften der Kölner Dumont Medien­gruppe den tradi­ti­ons­reichen Berliner Verlag ab, der die Berliner Zeitung und den Berliner Kurier herausgibt. Und anders als Finanz­in­ves­toren, die so etwas vor allem tun, um die Objekte ihrer Begierde finan­ziell auszu­pressen und dann ihrem Schicksal zu überlassen, schien bei dem Unter­neh­merpaar gesell­schaft­liches Engagement dahinter zu stecken. Schlum­merte hier womöglich eine Art Washington Post-Story? Die ameri­ka­nische Zeitung war 2013 von Amazon-Gründer Jeff Bezos übernommen worden, und hat sich seitdem zu einem Vorzei­ge­be­trieb entwi­ckelt. Ein techno­lo­gi­sches Power-Haus, das dennoch keinen Zweifel an seiner journa­lis­ti­schen Kraft und Unabhän­gigkeit lässt.

Presse­kodex als Grundgerüst

Im Fall Berlin freilich währte die Begeis­terung kurz. Mitte November kam heraus, dass Holger Friedrich in den Achtzi­ger­jahren als IM für die Staats­si­cherheit der DDR tätig war. Für die Redaktion der Berliner Zeitung mit ihrem großen Stamm­pu­blikum im Osten der Stadt heißt es seitdem: Haltung zeigen. Die Chefre­dak­teure Jochen Arntz, Elmar Jehn und Margit J. Mayer versprachen ihren Leserinnen und Lesern, man werde sich „sachlich und angemessen“ mit der Situation ausein­an­der­setzen: „Wir stehen für unabhän­gigen Journa­lismus und werden wie bereits in der Vergan­genheit unseren Beitrag zur Aufar­beitung der DDR-Geschichte leisten.” 

Portrait von Alexandra Borchardt

Alexandra Borchardt ist Journa­listin und Autorin von ‚Mehr Wahrheit wagen – Warum die Demokratie einen starken Journa­lismus braucht‘

Haltung – im Zusam­menhang mit Journa­lismus ist dieses Wort in jüngster Zeit in Misskredit geraten. Der schöne deutsche Begriff, für den es übrigens im Engli­schen keine Entspre­chung gibt, stand mal für Rückgrat. Heute wird er häufig mit „Meinungs­mache“ gleich­ge­setzt. Er beschreibt eine Bericht­erstattung, die in ähnlicher Atemlo­sigkeit den Daumen über die Weltlage hebt oder senkt, wie es die Nutzer beim Sichten der nimmer­müden Nachrichten-Fließ­bänder in den sozialen Netzwerken tun. Dabei ist Journa­lismus ohne Haltung nicht denkbar. Viel mehr: Journa­lismus braucht Haltung. Er muss Unabhän­gigkeit vom Staat und anderen mächtigen Inter­essen beweisen. Nur so kann er den Bürgern, der Demokratie und den Grund­werten dienen, die ihr Fundament sind. Tut er das nicht, hat er das Prädikat „Journa­lismus“ nicht verdient. Er ist dann Propa­ganda oder PR.

Nun ist das ein hehres Ideal. Im Tages­ge­schäft stehen die Grund­werte oft in Konkurrenz mit journa­lis­ti­schen Begehr­lich­keiten und tatsächlich auch dem Arbeits­auftrag von Repor­te­rinnen und Reportern. Die Würde von Menschen zum Beispiel wird schon mal angetastet, selbst wenn es nicht um ein größeres gesell­schaft­liches Interesse, sondern nur um eine gute Story geht. Ständig gilt es abzuwägen, was wichtiger ist: der Persön­lich­keits­schutz oder das Interesse der Allge­meinheit. Aber wie überall, wo die Freiheit des einen gegen die des anderen verhandelt wird, gibt es für diese Fälle Regeln, nach denen sich Journa­listen zu verhalten haben. In Deutschland schreibt sie der Presse­kodex in seinen 16 Grund­sätzen fest. Wer sich seiner Haltung nicht sicher ist: Diese Liste taugt schon mal recht gut als Gerüst.

Verpflichtung zur Neutralität

Weniger komplex ist der berühmte, erschöpfend zitierte Satz des ehema­ligen Tages­themen-Moderators Hanns Joachim Fried­richs, ein Journalist solle sich nicht mit einer Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten. Der 1995 verstorbene Journalist hatte diese Aussage nicht so allgemein gemeint, wie sie später verkauft wurde. Denn natürlich müssen Journa­listen immer wieder Partei ergreifen: mindestens für die Wahrheit, oder zumindest für deren beste verfügbare Version, wie es der Watergate-Reporter Carl Bernstein einmal formu­lierte. Außerdem sollen sie Anwälte der Bürger sein, die legitime Anliegen und Bedürf­nisse haben, sich damit aber nicht ausrei­chend bemerkbar machen können. Aber es gehört auch zur journa­lis­ti­schen Haltung, sich in der Politik nicht auf eine Seite zu werfen, bevor man die Fakten ausrei­chend geprüft und darge­stellt hat. Journa­lismus als öffent­liches Gut ist auch eine Dienst­leistung, damit sich mündige Bürger ihre Meinung selbst bilden können.

Besonders die öffentlich-recht­lichen Sender verpflichten sich in unter­schied­lichem Grad zur Neutra­lität – immerhin haben sie den Auftrag, für alle da zu sein. Schwedens Radio­sender Sveriges Radio ist besonders strikt. Chefre­dakteur Olle Zachrison schildert in einer Studie, die sich unter anderem mit der Motivation von Berufs­an­fängern beschäftigt: „Wie erleben es oft, dass junge Leute Journa­listen werden, weil sie die Welt verändern wollen. (…) Wir sagen ihnen dann, das ist vielleicht eine gute Motivation. Aber nun musst du deine vorge­fer­tigten Meinungen zur Seite legen, denn nun bist du ein unvor­ein­ge­nom­mener Journalist.“ Auch die britische BBC achtet streng auf das Gebot der Neutra­lität, dessen Inter­pre­tation manch einer nicht mehr zeitgemäß findet. Als die schwarze Star-Modera­torin Naga Munchetty kürzlich abgemahnt wurde, weil sie eine rassis­tische Äußerung von Donald Trump entspre­chend kommen­tiert hatte, sprangen ihr so viele Kollegen zur Seite, dass Intendant Tony Hall den Verweis zurücknahm.

Haltung kann nicht starr sein, denn Werte ändern sich, wenn sich neue Fakten offen­baren. Die Bewahrung der natür­lichen Lebens­grund­lagen ist ein solcher Wert, der sich in den vergan­genen Jahrzehnten von einem Meinungs­thema, bei dem man Experten gegen­ein­ander antreten lies, zu einem Haltungs­thema entwi­ckelt hat. Je besser sich der Klima­wandel belegen ließ, umso legitimer wurde es, Anders­den­kenden keinen Platz mehr einzu­räumen. Der britische Guardian hat sich sogar verpflichtet, der „Klima­krise“ sowohl in der Bericht­erstattung als auch in der Organi­sation „die Aufmerk­samkeit zu widmen, der sie bedarf“.

Haltung muss übrigens jede Journa­listin, jeder Journalist persönlich entwi­ckeln. Wer sich hinter seiner Redaktion versteckt mit dem Argument, dieses und jenes sei nun einmal Praxis des Hauses, handelt vielleicht nachvoll­ziehbar. Haltung zeigen aber heißt, für Werte gerade­zu­stehen – im Zweifel auch gegen den Chefredakteur.

Textende

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