„Islamisten nicht verharm­losen“ – Appell eines säkularen Immigranten

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Auch in der Özil-Debatte hieß es wieder, der Grund für den Erdogan-Hype unter Deutsch­türken sei eine rassis­tische Mehrheits­ge­sell­schaft, die Migranten die kalte Schulter zeige. Ali Ertan Toprak hält dagegen: Die Erdogan-Unter­stützer seien keine armen Opfer. Sie lehnen die liberalen Demokratie aus Überzeugung ab. Ein Plädoyer für Festigkeit gegenüber dem politi­schen Islam – und eine Kritik am links­al­ter­na­tiven Appeasement. 

Was ist nur mit der deutschen Linken los? Das frage ich mich schon seit den 90’ern. Ich bin in eine links-säkular politi­sierte Migran­ten­fa­milie hinein­ge­boren und in Deutschland eher in linken Kreisen sozialisiert.

Im Ruhrgebiet hatte ich Kommu­nal­po­litik für die Grünen gemacht und war 2005 in meiner Heimat­stadt Direkt­kan­didat für den Bundestag. Aber bereits Anfang der 2000’er Jahre bemerkte ich, wie ich mich zunehmend von meiner Partei entfremdete. Schließlich trat ich 2011 aus der Grünen Partei aus und ging 2014 zur CDU. Vorher aber gab ich in der Welt am Sonntag noch ein langes Interview.

Während es den Parteien der politi­schen Linken schwer­fällt, diesen Umstand zu kriti­sieren, werden die Vertreter des politi­schen Islam unter­würfig hofiert: Vertreter dieser Verbände sind gern gesehene Redner auf Partei­tagen oder in Frakti­ons­sit­zungen. Sie sitzen bei bedeut­samen, feier­lichen Staats­akten in der ersten Reihe. 

Darin warf ich der damaligen rot-grünen Landes­re­gierung vor, dass sie den politi­schen Islam hofiere und ihn salon­fähig mache, denn sie hatte sich entschieden, den islami­schen Religi­ons­un­ter­richt an staat­lichen Schulen allein mit den reaktio­nären, natio­nal­is­la­mi­schen Verbänden zu organi­sieren. Jede Kritik, jede Warnung wurde überhört. Komischer­weise empfand man gerade säkulare Migranten in einer linken und säkularen Partei wie den Grünen als Störer. Man hatte in den „links­li­be­ralen“ deutschen Kreisen entschieden: Alle Migranten sind Opfer. Auf der anderen Seite des politi­schen Spektrums heißt es heute, alle Migranten seien poten­tielle Kriminelle.

Während das politische Selbst­ver­ständnis der politi­schen Linken selbst­ver­ständlich gegen deutsche Rechts­ra­dikale ausge­richtet war, wurden die türki­schen Natio­nal­is­la­misten – die ebenfalls einer rechten extre­mis­ti­schen Gesinnung anhängen –  in erster Linie als Opfer der angeblich rassis­ti­schen deutschen Integra­ti­ons­po­litik angesehen. Dieser holzschnitt­artige Erklä­rungs­versuch gilt bis heute.

Erinnern wir uns: Als in den letzten Jahren Erdogans fulmi­nante Wahler­folge unter den in Deutschland lebenden Türken analy­siert wurden, stellten die sogenannten links­li­be­ralen Kreise die Erdogan-Wähler als Opfer der deutschen Mehrheits­ge­sell­schaft dar. In vielen Kommen­taren hieß es: „Wir haben die Türken all die Jahre so schlecht behandelt, deswegen wählen Sie jetzt Erdogan!“

Links­al­ter­na­tiver Paternalismus

Selbst für den aufkei­menden, türki­schen Islam­fa­schismus wollte man in erster Linie Deutschland verant­wortlich machen.

Was ist das für eine absurde Selbst­gei­ßelung? Hier gewährt man rechts­ra­di­kalen und radikal-islami­schen Migranten einen „kultur­sen­siblen“ Rabatt. Man spricht ihnen die Selbst­ver­ant­wortung und eine eigene politische Positio­nierung ab. Ich mache mir bisweilen einen Spaß daraus, diese Betrach­tungs­weise ironisch als einen „linken Rassismus“ zu bezeichnen: Wer Migranten nur als Opfer und sich selbst ausschließlich als deren Anwälte sieht, begegnet ihnen von oben herab. Die politische Linke diskri­mi­niert Migranten, spricht ihnen die Fähigkeit zur politi­schen Meinungs­äu­ßerung ab – und erklärt im gleichen Atemzug, Diskri­mi­nierung und Fremd­be­stimmung bekämpfen zu wollen. 

Portrait von Ali Ertan Toprak

Ali Ertan Toprak ist Bundes­vor­sit­zender der Kurdi­schen Gemeinde Deutsch­lands und Präsident der Bundes­ar­beits­ge­mein­schaft der Immigrantenverbände

Ein weiterer Aspekt bereitet mir bis heute regel­recht körper­liche Schmerzen. Ich kann es nicht verstehen, dass ausge­rechnet die politische Linke die Ideale und Errun­gen­schaften der Aufklärung verrät, die ihre gesell­schaftlich-politische Emanzi­pation erst möglich machte. Wie ist es möglich, dass ausge­rechnet jene, die sich als aufge­klärt und emanzi­pa­to­risch beschreiben, die kritische Ausein­an­der­setzung mit dem radikalen Islam jenen überlassen, die eine offene und liberale Gesell­schaft ablehnen, nämlich den Rechts­po­pu­listen? An die Stelle fundierter Islam­kritik ist vielerorts eine selbst­kas­teiende Appeasement-Politik gegenüber den reaktio­nären Islam­ver­bänden getreten. Allein schon, wer den politi­schen Islam als eine frauen­feind­liche, dogma­tische und rassis­tische Ideologie mit tödlichen Folgen für Anders­den­kende verortet, wird der Islamo­phobie und des Rassismus beschuldigt. Dabei galt Religi­ons­kritik seit der Aufklärung doch als Selbstverständlichkeit.

Tabui­sie­rungs­kultur

Eine sich politisch links veror­tende Relati­vie­rungs- und Tabui­sie­rungs­kultur, die dazu auffordert, den Islam ausschließlich als Berei­cherung der „pluralen Republik“ Deutschland anzusehen, belässt die zugewan­derten Muslime in einem unreflek­tierten Identi­täts­ge­fängnis aus Religion, Tradition und antieman­zi­pa­to­ri­schen Reflexen.

All die Jahre stritt ich mich vor allem mit grünen und sozial­de­mo­kra­ti­schen Politikern über die Islam­fun­da­men­ta­listen in der Türkei. Sie wollten in Erdogans AKP viel zu lange partout eine musli­mische CDU sehen. Meine These, dass eine überzeugt islamische Bewegung keine Demokraten hervor­bringen kann, ist bei den Grünen bis heute eine Minder­hei­ten­meinung. Die arrogante Ignoranz, mit der die leidvollen Alltags­er­fah­rungen liberaler Muslime mit dem Mehrheits­islam überhört werden, ist ein unver­zeih­licher Fehler.

Die Appeasement-Fraktion ist nicht einmal gewillt, die Schüler in der Grund­schule oder in der KITA vor dem Zugriff des politi­schen Islam zu beschützen. Da wird allen Ernstes das Kopftuch in der Kita und Grund­schule mit dem fehlge­lei­teten Argument der Religi­ons­freiheit verteidigt, obwohl der Koran die Verschleierung von Kindern gar nicht verlangt. Ohne Sachkenntnis übernimmt man die Argumente des politi­sierten Islam. Wie kann es sein, dass der Kampf für die Gleich­be­rech­tigung und die Emanzi­pation der Frau, die der Grund­pfeiler der Grünen-Bewegung ist, ein ums andere Mal verraten wird, wenn es um Muslime und den Islam geht?

Religi­ons­kritik ist riskant geworden

Ein weiteres, schmerz­haftes Erlebnis war die Mutlo­sigkeit der „Initiative kultu­relle Integration“, einem breiten Zusam­men­schluss wichtiger, zivil­ge­sell­schaft­licher Akteure wie Kirchen, Medien, Wohlfahrts- und musli­mische Verbänden, Migran­ten­or­ga­ni­sation sowie der Politik, der 2017 unter der Koordi­nation des Kulturrats im Bundes­kanz­leramt zusammen kam, um ein Thesen­papier zu entwi­ckeln. Es sollte ein Bekenntnis zu gemein­samen Werten in einer pluralen Republik formu­liert werden – ein an sich selbst­ver­ständ­liches Anliegen. Doch das von mir als Präsi­denten der Bundes­ar­beits­ge­mein­schaft der Immigran­ten­ver­bände vorge­schlagene Bekenntnis zur säkularen Demokratie wurde abgeschmettert.  Der Formu­lie­rungs­vor­schlag hatte gelautet: „Zu unserer Religi­ons­kultur gehört ebenfalls die Religi­ons­kritik. Genauso selbst­ver­ständlich wie die Religion im öffent­lichen Leben einen Platz einnimmt, müssen die Religi­ons­ge­mein­schaften in einer säkularen Gesell­schaft auch öffent­liche Kritik an Religion ertragen können. Niemand darf in einer freiheit­lichen Gesell­schaft wegen Religi­ons­kritik mundtot gemacht werden.“ Tatsächlich ist es längst nicht nur in islami­schen Staaten, sondern auch in unserer freiheit­lichen Demokratie an der Tages­ordnung, dass Menschen wegen ihrer Religi­ons­kritik unter Polizei­schutz leben müssen.

Während es den Parteien der politi­schen Linken schwer­fällt, diesen Umstand zu kriti­sieren, werden die Vertreter des politi­schen Islam unter­würfig hofiert: Vertreter dieser Verbände sind gern gesehene Redner auf Partei­tagen oder in Frakti­ons­sit­zungen. Sie sitzen bei bedeut­samen, feier­lichen Staats­akten in der ersten Reihe. Mit ihnen werden, wie beispiels­weise im rot-grün regierten Stadt­staat Hamburg, Staats­ver­träge geschlossen, deren Kerngehalt die Verwei­gerung zur Demokratie festschreibt und das Staatsziel der Integration konter­ka­riert. Dabei verteidigt die Politik sie bis heute gegenüber jeder berech­tigten Kritik: gleich ob Vertreter dieser Verbände den antise­mi­ti­schen „Al-Quds-Tag“ in Berlin unter­stützen oder die von Erdogan gelenkte DITIB Anders­den­kende ausspio­nieren und denun­zieren lässt.

Die autoritäre Wende in der Türkei sollte der Appeasement-Fraktion eine Warnung sein. Wie nach der Ajatollah-Revolution im Iran zeigt der politische Islam dort sein wahres Gesicht: liberale und säkulare Geister werden verfolgt, inhaf­tiert und einge­schüchtert. Es ist ein Weckruf, die Feinde der Freiheit in die Schranken zu weisen. Wer sich in dieser Frage von den säkular-liberalen Muslimen nicht überzeugen lässt, wird sich am Ende schmerzhaft von den Islamisten überzeugen lassen müssen.

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