ARD und ZDF: Rettet den Journa­lismus für alle!

Dmitri Ma /​ Shutter­stock

Es wird viel bemängelt am öffentlich-recht­lichen Rundfunk: zu kritisch, zu unkri­tisch, je nach Geschmack. Aber ohne Sender, die durch öffent­liche Finan­zierung den Zwängen des Marktes entoben sind, wäre die Demokratie in Gefahr, meint unsere Kolum­nistin Alexandra Borchardt.

Wenn sich jemand, der einst im Glitzer-Outfit auf der Bühne rockte, in Sakko und Strei­fenhemd wirft und leiden­schaftlich für den öffentlich-recht­lichen Rundfunk plädiert, muss die Lage ernst sein. Der Auftritt von Ex-Abba Björn Ulvaeus bei der Europäi­schen Broad­casting Union EBU ist zwar schon zwei Jahre her. Aber angesichts dessen, dass die großen Sender weltweit immer stärker unter Beschuss geraten, könnte man ihn womöglich zu einer Revival-Tour überreden. Immerhin geht es um eine Säule der Demokratie. 

Portrait von Alexandra Borchardt

Alexandra Borchardt ist Journa­listin und Autorin von ‚Mehr Wahrheit wagen – Warum die Demokratie einen starken Journa­lismus braucht‘

Ulvaeus erzählte sehr persönlich, wie er Schwedens öffent­liches Radio als Teenager zunächst verachtet hatte, weil dort zu wenig Pop-Musik gespielt wurde, wie er sich später jedoch zunehmend geborgen fühlte in den Werten, die es vermit­telte. Er hatte Fotos von Auschwitz gesehen und den Schatten der Sowjet­union gespürt. Ihm war bewusst geworden, dass Freiheit und Teilhabe nicht selbst­ver­ständlich sind. „Der Bildungs­auftrag durch die öffentlich-recht­lichen Sender war immer Kern des europäi­schen demokra­ti­schen Projekts“, sagte Ulvaeus.

Dieser Tage grassiert viel Verachtung für die staatlich finan­zierten Sender. Nicht unter Teenagern, die strafen sie eher mit Nicht­be­achtung. Die Attacken gegen den „Staatsfunk“ kommen vielmehr aus dem politi­schen Raum, vor allem von rechts. Politisch zu links, zu langweilig, zu irrelevant, zu teuer und aufge­bläht, zu kritisch oder zu unkri­tisch, heißt es da je nach Lesart. In einer Welt der Überin­for­mation sei das Konzept eines gemein­samen öffent­lichen Infor­ma­ti­ons­raums überholt.

Großbri­tannien: Premier Johnson gegen den Rundfunk

Und die Debatte wird zunehmend schriller. Zum Jahres­wechsel beschäf­tigte ein etwas unglücklich umgetex­tetes Lied, vorge­tragen vom Kinderchor des WDR, den politisch-medialen Komplex einschließlich Inten­danten für Wochen. Sogar die stolze BBC, weltweit Inbegriff erstklas­siger und unbestech­licher Infor­mation, ist Angriffsziel. Im Wahlkampf legte sich Premier Boris Johnson mit dem Sender an, indem er sich vor einem Interview in einen Kühlraum flüchtete. An einer dem Klima­schutz gewid­meten Sendung des Channel 4 wollte Johnson auch nicht teilnehmen, die Redaktion ersetzte ihn durch einen schmel­zenden Eisklotz. Der Premier ließ durch­blicken, Bürger könnten künftig straffrei ausgehen, wenn sie ihre Rundfunk­gebühr nicht zahlten.

Zur Unter­malung kürzen aller­orten Regie­rungen den öffent­lichen Sendern die Etats, in Dänemark waren es jüngst 20 Prozent, in der Ukraine die Hälfte. Die BBC muss 80 Millionen Pfund einsparen, einer der Gründe, warum BBC-Intendant Tony Hall Richtung National Gallery entschwindet, deren Chairman er wird.

Nerven­kitzel herrschte im März 2018 in der Schweiz, als sich die Rundfunk- und Fernseh­an­stalt SRG SSR ihre Daseins­be­rech­tigung per Referendum bestä­tigen lassen musste. Im Land der Volks­be­fra­gungen ging die Sache gut aus, 71,6 Prozent der Abstim­menden lehnten die „no Billag“–Initiative ab. Aber das muss nicht so bleiben. Denn allein der Genera­ti­ons­wechsel wird dazu führen, dass sich ein immer größerer Teil der Bevöl­kerung nicht mehr daran erinnern kann, wozu man die öffentlich-recht­lichen Anstalten braucht. Und die wiederum geben dem jungen Publikum nicht unbedingt einen Grund dazu. Das Reuters Institute for the Study of Journalism betitelte eine Studie zu den großen Sendern acht europäi­scher Länder deshalb mit „Old, educated and politi­cally diverse“, also alt gebildet und – immerhin – politisch vielfältig.

Fake News: ARD und ZDF stärken Vertrauen

Die öffentlich-recht­lichen Anstalten sind aber keineswegs verzichtbare Überbleibsel aus dem prädi­gi­talen Zeitalter, sondern zentral für die Demokratie. Dafür gibt es mindestens drei Gründe. Erstens, sie sind Horte des Vertrauens. In Zeiten der „Fake News“ traut das Publikum ihnen immer noch am ehesten zu, die Faktenlage zu überblicken und eine Vielfalt an Stimmen zu Wort kommen zu lassen – gegen­tei­ligen Anwürfen zum Trotz. Dies ergeben Umfragen wie der Digital News Report, die Langzeit­studie Medien­ver­trauen der Univer­sität Mainz oder Veröf­fent­li­chungen der EBU.

Zweitens, die Sender gehen in die Fläche. Öffentlich-recht­liche Anbieter sind auch dort präsent, wo sich kommer­zi­eller Journa­lismus nicht (mehr) rechnet. In den USA, wo Public Service Medien ein Nischen­dasein fristen, wurde mit dem Sterben von Lokal­zei­tungen der Begriff Nachrich­ten­wüste geprägt. In Europa sind solche von Journa­lismus unver­sorgten Gebiete deutlich seltener. Man könnte behaupten, dies verhindert eine ähnliche politische Polari­sierung. Zumindest trägt es aber zu Bildung und Aufklärung bei.

Drittens bemühen sich öffentlich-recht­liche Medien wie niemand sonst um Vielfalt und Inklusion. Dies betrifft die Zusam­men­setzung der Beleg­schaften und die Inhalte. Die öffent­lichen Sender müssen die Gesell­schaft abbilden. Sie sind deshalb in der Regel deutlich weiter als privat finan­zierte Häuser, was die Gleich­stellung von Frauen oder die Beschäf­tigung von Minder­heiten angeht. Dies wirkt sich auf den Facet­ten­reichtum der Programme aus, die sich an alle sozialen Schichten und Gruppen richten sollen. Die Sender bieten zudem eine verläss­liche journa­lis­tische Grund­ver­sorgung in einer Zeit, in der kommer­zielle Anbieter zunehmend auf Bezahl­mo­delle setzen.

Natürlich müssen sich die öffent­lichen Medien­häuser wandeln, und das ist inmitten gewach­sener bürokra­ti­scher Apparate eine Heraus­for­derung. Aber die entspre­chende Erkenntnis ist überall da – und dazu viele Journa­listen, die dies mit Verve und Überzeugung vorantreiben.

Abba wurde berühmt, nachdem die Gruppe 1974 den Eurovision Song Contest der EBU gewonnen hatte. Den muss man nicht mögen, aber in den Worten von Björn Ulvaeus leistet er das, was Menschen verbindet: „Er ist unter­haltsam, breit, inklusiv“. Wer das so politisch sieht, mag dem Spektakel künftig womöglich etwas abgewinnen. Und den dahin­ter­ste­henden Bastionen des Journa­lismus noch dazu.

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