Brief aus Amerika: Warum ich trotz allem optimistisch auf Amerika blicke
Rüdiger Bachmann über den verpatzten Wahlkampfauftakt von Donald Trump, seine schlechten Umfragewerte, Nadelstiche des Supreme Court und die Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt.
Ich freue mich dieses Jahr ganz besonders auf den 4. Juli, den amerikanischen Nationalfeiertag. An diesem Tag feiern wir Amerikaner die Unabhängigkeitserklärung. Am 4. Juli 1776 sagten wir dem Britischen Imperium Good Bye. Die Präambel der Unabhängigkeitserklärung beginnt mit einem der schönsten politischen Sätze überhaupt: „We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.” Es sei einfach vollkommen selbstevident, heißt es hier, dass die Menschen gleich geschaffen sind und es ihnen niemand nehmen kann, nach Leben, Freiheit und Glück zu streben. Hier wird selbst die Möglichkeit bestritten, dass es auch anders sein könnte; dass es diese fundamental gleichen Rechte für alle nicht geben könnte. Die Präambel der Unabhängigkeitserklärung ist damit ähnlich sympathisch apodiktisch wie der erste Artikel des deutschen Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Auch hier wird man quasi zum Leugner offenkundiger Wahrheiten erklärt, wenn man anders dächte. Ausnahmsweise ist hier einmal das Deutsche kürzer als das Englische.
Ich freue mich dieses Jahr ganz besonders auf den 4. Juli, und das trotz der vielen Covid-19-bedingten Einschränkungen, die das übliche Programm mit Hot Dogs, Burgern und vielen Freunden eher schwierig zu realisieren lassen werden. Denn dieses Jahr darf ich das erste Mal als Staatsbürger mitfeiern. Ich bin nun Bürger zweier Staaten, beide mit, wie gesehen, unglaublich guten Gründungstexten. Das macht mich zwar nicht stolz, aber doch dankbar.
Und dennoch werden sich die deutsche Leserin, der deutsche Leser vielleicht jetzt fragen: wie kann man optimistisch sein für ein Land mit einer Mischung aus Narr und xenophobem Bösewicht als Präsidenten, mit einem Verlauf der Corona-Pandemie, der so viel schlechter ist als in Deutschland, und mit Unruhen und Protesten, die auf schlimmste, rassistisch motivierte Polizeigewalt reagieren. Ich hatte ja schon im letzten Brief angedeutet, dass die USA durchaus ein beachtenswertes, auch sozial ausgewogenes Rettungspaket für Menschen und Firmen gegen die ökonomischen Folgen der Corona-Maßnahmen geschnürt haben und dass in einigen Bundesstaaten eine vorbildliche Pandemiepolitik betrieben wird. Aber ich blicke auch noch aus anderen Gründen vorsichtig optimistisch auf meine zweite Heimat.
Fangen wir mit der völlig vergeigten Wiederaufnahme des Präsidentschaftswahlkampfes durch Donald Trump in Tulsa, Oklahoma an. In einer Halle für nahezu 20.000 Zuschauer schaffte es Trump gerade einmal, etwas über 6.000 Anhänger zu versammeln. Der geplante Auftritt vor der Halle musste mangels Interesses gleich ganz abgesagt werden. Wohlgemerkt: hier handelt es sich um Oklahoma, also einen der am meisten trumpbegeisterten Bundesstaaten überhaupt. Aber selbst Trumpistas ist dann wohl die Sicherheit von Leib und Leben wichtiger, als das große Idol zu sehen. Auch irgendwie beruhigend. Am meisten musste man aber von der amerikanischen Jugend beeindruckt sein, die den Präsidenten und sein Wahlkampfteam einfach gnadenlos trollte. Über die sozialen Medien generierte sie viele Fakeanmeldungen und ließen die Organisatoren im Vorfeld in dem Glauben, einen Riesenerfolg für den Wahlkampfwiederauftakt zu erleben. Es darf davon ausgegangen werden, dass das Wahlkampfteam wegen dieser Illusion auf weitere Mobilisierungskampagnen verzichtete. Die Teenager haben auf diese Weise indirekt zur Pleite mit nur 6.000 Teilnehmern beigetragen. Der Präsident und sein engster Kreis wurden einmal mehr als Unfähige dargestellt, die sich selbst von Jugendlichen narren lassen. Wie soll man da noch Vertrauen haben, dass dieser Präsident es mit den Vladimir Putins, Xi Jingpings und Kim Jong-Uns dieser Welt aufnehmen kann? Auf der anderen Seite stimmt die Cleverness und das politische Engagement der amerikanische Generation Z doch ausgesprochen zukunftsfreudig.
Auch die Umfragen laufen schlecht für den Präsidenten und seine Partei. Gegenwärtig führt Herausforderer Joe Biden im Durschnitt der nationalen Umfragen mit knapp 10 Prozent vor Trump. Das sind immerhin fast fünfmal mehr, als der Vorsprung Hillary Clintons auf Donald Trump 2016 betrug. Auch in den sogenannten Swingstates, also in den Staaten, auf die es wegen des komplizierten amerikanischen Wahlsystems im November hauptsächlich ankommen wird, sieht es gut aus für Biden, der bereits Vizepräsident von Obama war. Die Nettozustimmung des Präsidenten (das ist der Prozentsatz der Zustimmenden minus des Prozentsatzes der Ablehnenden – Anm. d. Red.) ist in den Umfragen zwar noch nicht ganz auf einem historischen Tiefststand, aber selbst für diesen so polarisierenden Amtsinhaber auf einem sehr niedrigen Wert. Und schließlich ist im November auch die republikanische Mehrheit im Senat in Gefahr. Das bedeutete, das ein Präsident Biden „durchregieren“ könnte. Wenn man sich die Umfragen noch etwas genauer anschaut, dann findet man weitere interessante Details: So schneidet Trump sowohl in automatisierten Umfragen als auch in solchen mit einer Person als Interviewer etwa gleich schlecht ab. Das deutet darauf hin, dass es wohl keine verborgene Reserve mehr für den Präsidenten gibt, die ihn nur heimlich wählt.
Der oberste Gerichtshof der USA, der Supreme Court, überraschte in den letzten Wochen mit spektakulären Entscheidungen gegen die Trump-Administration. Ganz wichtig für das moderne liberale Amerika war die Entscheidung, dass LGBTQ-Arbeitnehmer nicht diskriminiert werden dürfen. Die Entscheidung war auch deshalb so spektakulär, weil ein eigentlich extrem konservativer, von Trump nominierter Richter, Neil Gorsuch, sich der Mehrheit der Richterkollegen anschloss, ja sogar das Urteil verfasste. Und es gab noch weitere Niederlagen für Trump und die Trumpistas: Der oberste Richter John Roberts, eigentlich auch ein – zumindest moderater – Konservativer, stimmte in einer Reihe von anderen Fällen mit den liberalen Richtern. Das Aufenthaltsprogramm für Kinder, die von ihren Eltern illegal in die USA gebracht wurden, die sogenannten Dreamer, darf vorerst nicht von der Administration beendet werden. Das oberste Gericht verweigerte der Trump-Administration darüber hinaus eine Anhörung zum Thema der sogenannten Sanctuary Cities, also der Städte, die illegalen Immigranten besonderen Schutz gewähren und denen Trump Bundesgelder kürzen will. Weitere kleine Nadelstiche gegen die Trump-Administration setzte der Supreme Court bei der Volkszählung, die in den USA alle zehn Jahr durchgeführt werden muss, außerdem bei Covid-19-Maßnahmen in Gefängnissen und bei der Verschärfung von Waffengesetzen. Alle diese Entscheidungen, insbesondere die Entscheidung gegen Diskriminierung von LGTBQ zeigen, wie unabhängig die Justiz in den USA immer noch ist. Ein weiteres hoffnungspendendes Moment.
Zum Schluss noch ein Wort zu den schlimmen Vorkommnissen um den Mord an George Floyd durch Polizisten in Minneapolis und einige Tage später an Rayshard Brooks in Atlanta. Beide Opfer waren Afroamerikaner. Nachdem die ersten Unruhen jetzt etwas abgeklungen sind, bin ich doch ganz optimistisch, dass endlich die lange überfällige Diskussion zu den Themen Polizeibrutalität, Militarisierung der Polizei, Justizreform und struktureller Rassismus geführt wird. Viel zu wenig versteht sich die amerikanische Polizei als Bürgerpolizei, sondern eher als Kampftruppe gegen vermeintliche Bösewichte, die oft durch eine rassistische Brille wahrgenommen werden. Das bedeutet einerseits eine irrsinnige Aufrüstung der Polizei sowohl mit Waffen als auch mit juristischen Tricks, die heutzutage Polizisten nahezu immun vor Strafverfolgung machen. Andererseits zieht eine solche Polizei weniger den Freund und Helfer, sondern eher den Kriegertypus an, der zudem häufig über rassistische Einstellungen verfügt. Es gibt inzwischen gerade auch bei Konservativen, die für einen schlanken Staat eintreten, kritische Fragen, ob hier der Bogen nicht überspannt wurde. Auch das lässt für Amerika hoffen – ebenso wie die von mir wahrgenommene Stimmung, dass das Thema Rassismus und Polizeigewalt jetzt einfach reif ist.
Als Ökonom sehe ich hier übrigens ein Institutionenproblem. Das dürfte auch darin bestehen, dass Polizei und teilweise das Justizsystem sehr lokal organisiert und mit Wahlämtern ausgestattet sind. Die Intention dahinter ist eigentlich, beide Institutionen bürgernäher zu machen. Stattdessen gewinnt aber immer der härteste Ansatz beim Wähler – wer will schon mehr Verbrechen in der Nachbarschaft? Und wenn dann doch einmal ein Stadtrat kritisch bei der Polizei nachfragt, dann gehen die Polizisten, in mächtigen lokalen Polizeigewerkschaften hervorragend organisiert, einfach ein bisschen in den Bummelstreik. Was dann bei den nächsten Wahlen mit dem Stadtrat passiert, kann man sich ausrechnen. Diese Art der lokalen politischen Erpressung durch die Polizei ist in Deutschland zwar nicht gänzlich ausgeschlossen – die Probleme in der Polizei Sachsens lassen dort ähnliche Mechanismen vermuten. Sie ist dort aber unwahrscheinlicher, da man sich schon im ganzen Bundesland gegen die Politik organisieren müsste. Das ist eindeutig schwieriger als auf lokaler Ebene in einer Stadt.
Natürlich können Donald Trumps Wahlkampf noch an Fahrt aufnehmen, die Umfragen für Joe Biden sich eintrüben, der oberste Gerichtshof bei der nächsten Entscheidung wieder gegen das liberale Amerika votieren und die Debatte über Rassismus und Polizeigewalt wieder abflachen, wie es schon hundert Mal zuvor geschah. Ich will jedoch Optimist bleiben, was Amerika angeht.
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