Brief aus Amerika: Warum ich trotz allem optimis­tisch auf Amerika blicke

Fireworks erupt over the National Mall, July 4, 2012. (Official White House Photo by Pete Souza)

Rüdiger Bachmann über den verpatzten Wahlkampf­auftakt von Donald Trump, seine schlechten Umfra­ge­werte, Nadel­stiche des Supreme Court und die Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt.

Ich freue mich dieses Jahr ganz besonders auf den 4. Juli, den ameri­ka­ni­schen Natio­nal­fei­ertag. An diesem Tag feiern wir Ameri­kaner die Unabhän­gig­keits­er­klärung. Am 4. Juli 1776 sagten wir dem Briti­schen Imperium Good Bye. Die Präambel der Unabhän­gig­keits­er­klärung beginnt mit einem der schönsten politi­schen Sätze überhaupt: „We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unali­enable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.” Es sei einfach vollkommen selbst­evident, heißt es hier, dass die Menschen gleich geschaffen sind und es ihnen niemand nehmen kann, nach Leben, Freiheit und Glück zu streben. Hier wird selbst die Möglichkeit bestritten, dass es auch anders sein könnte; dass es diese funda­mental gleichen Rechte für alle nicht geben könnte. Die Präambel der Unabhän­gig­keits­er­klärung ist damit ähnlich sympa­thisch apodik­tisch wie der erste Artikel des deutschen Grund­ge­setzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Auch hier wird man quasi zum Leugner offen­kun­diger Wahrheiten erklärt, wenn man anders dächte. Ausnahms­weise ist hier einmal das Deutsche kürzer als das Englische.

Portrait von Rüdiger Bachmann

Rüdiger Bachmann ist Professor am Department of Economics an der Univer­sität Notre Dame, USA

Ich freue mich dieses Jahr ganz besonders auf den 4. Juli, und das trotz der vielen Covid-19-bedingten Einschrän­kungen, die das übliche Programm mit Hot Dogs, Burgern und vielen Freunden eher schwierig zu reali­sieren lassen werden. Denn dieses Jahr darf ich das erste Mal als Staats­bürger mitfeiern. Ich bin nun Bürger zweier Staaten, beide mit, wie gesehen, unglaublich guten Gründungs­texten. Das macht mich zwar nicht stolz, aber doch dankbar.

Und dennoch werden sich die deutsche Leserin, der deutsche Leser vielleicht jetzt fragen: wie kann man optimis­tisch sein für ein Land mit einer Mischung aus Narr und xenophobem Bösewicht als Präsi­denten, mit einem Verlauf der Corona-Pandemie, der so viel schlechter ist als in Deutschland, und mit Unruhen und Protesten, die auf schlimmste, rassis­tisch motivierte Polizei­gewalt reagieren. Ich hatte ja schon im letzten Brief angedeutet, dass die USA durchaus ein beach­tens­wertes, auch sozial ausge­wo­genes Rettungs­paket für Menschen und Firmen gegen die ökono­mi­schen Folgen der Corona-Maßnahmen geschnürt haben und dass in einigen Bundes­staaten eine vorbild­liche Pande­mie­po­litik betrieben wird. Aber ich blicke auch noch aus anderen Gründen vorsichtig optimis­tisch auf meine zweite Heimat.

Fangen wir mit der völlig vergeigten Wieder­auf­nahme des Präsi­dent­schafts­wahl­kampfes durch Donald Trump in Tulsa, Oklahoma an. In einer Halle für nahezu 20.000 Zuschauer schaffte es Trump gerade einmal, etwas über 6.000 Anhänger zu versammeln. Der geplante Auftritt vor der Halle musste mangels Inter­esses gleich ganz abgesagt werden. Wohlge­merkt: hier handelt es sich um Oklahoma, also einen der am meisten trump­be­geis­terten Bundes­staaten überhaupt. Aber selbst Trumpistas ist dann wohl die Sicherheit von Leib und Leben wichtiger, als das große Idol zu sehen. Auch irgendwie beruhigend. Am meisten musste man aber von der ameri­ka­ni­schen Jugend beein­druckt sein, die den Präsi­denten und sein Wahlkampfteam einfach gnadenlos trollte. Über die sozialen Medien generierte sie viele Fakean­mel­dungen und ließen die Organi­sa­toren im Vorfeld in dem Glauben, einen Riesen­erfolg für den Wahlkampf­wie­der­auftakt zu erleben. Es darf davon ausge­gangen werden, dass das Wahlkampfteam wegen dieser Illusion auf weitere Mobili­sie­rungs­kam­pagnen verzichtete. Die Teenager haben auf diese Weise indirekt zur Pleite mit nur 6.000 Teilnehmern beigetragen. Der Präsident und sein engster Kreis wurden einmal mehr als Unfähige darge­stellt, die sich selbst von Jugend­lichen narren lassen. Wie soll man da noch Vertrauen haben, dass dieser Präsident es mit den Vladimir Putins, Xi Jingpings und Kim Jong-Uns dieser Welt aufnehmen kann? Auf der anderen Seite stimmt die Cleverness und das politische Engagement der ameri­ka­nische Generation Z doch ausge­sprochen zukunftsfreudig.

Auch die Umfragen laufen schlecht für den Präsi­denten und seine Partei. Gegen­wärtig führt Heraus­for­derer Joe Biden im Durschnitt der natio­nalen Umfragen mit knapp 10 Prozent vor Trump. Das sind immerhin fast fünfmal mehr, als der Vorsprung Hillary Clintons auf Donald Trump 2016 betrug. Auch in den sogenannten Swings­tates, also in den Staaten, auf die es wegen des kompli­zierten ameri­ka­ni­schen Wahlsystems im November haupt­sächlich ankommen wird, sieht es gut aus für Biden, der bereits Vizeprä­sident von Obama war. Die Netto­zu­stimmung des Präsi­denten (das ist der Prozentsatz der Zustim­menden minus des Prozent­satzes der Ableh­nenden – Anm. d. Red.) ist in den Umfragen zwar noch nicht ganz auf einem histo­ri­schen Tiefst­stand, aber selbst für diesen so polari­sie­renden Amtsin­haber auf einem sehr niedrigen Wert. Und schließlich ist im November auch die republi­ka­nische Mehrheit im Senat in Gefahr. Das bedeutete, das ein Präsident Biden „durch­re­gieren“ könnte. Wenn man sich die Umfragen noch etwas genauer anschaut, dann findet man weitere inter­es­sante Details: So schneidet Trump sowohl in automa­ti­sierten Umfragen als auch in solchen mit einer Person als Inter­viewer etwa gleich schlecht ab. Das deutet darauf hin, dass es wohl keine verborgene Reserve mehr für den Präsi­denten gibt, die ihn nur heimlich wählt.

Der oberste Gerichtshof der USA, der Supreme Court, überraschte in den letzten Wochen mit spekta­ku­lären Entschei­dungen gegen die Trump-Adminis­tration. Ganz wichtig für das moderne liberale Amerika war die Entscheidung, dass LGBTQ-Arbeit­nehmer nicht diskri­mi­niert werden dürfen. Die Entscheidung war auch deshalb so spekta­kulär, weil ein eigentlich extrem konser­va­tiver, von Trump nominierter Richter, Neil Gorsuch, sich der Mehrheit der Richter­kol­legen anschloss, ja sogar das Urteil verfasste. Und es gab noch weitere Nieder­lagen für Trump und die Trumpistas: Der oberste Richter John Roberts, eigentlich auch ein – zumindest moderater – Konser­va­tiver, stimmte in einer Reihe von anderen Fällen mit den liberalen Richtern. Das Aufent­halts­pro­gramm für Kinder, die von ihren Eltern illegal in die USA gebracht wurden, die sogenannten Dreamer, darf vorerst nicht von der Adminis­tration beendet werden. Das oberste Gericht verwei­gerte der Trump-Adminis­tration darüber hinaus eine Anhörung zum Thema der sogenannten Sanctuary Cities, also der Städte, die illegalen Immigranten beson­deren Schutz gewähren und denen Trump Bundes­gelder kürzen will. Weitere kleine Nadel­stiche gegen die Trump-Adminis­tration setzte der Supreme Court bei der Volks­zählung, die in den USA alle zehn Jahr durch­ge­führt werden muss, außerdem bei Covid-19-Maßnahmen in Gefäng­nissen und bei der Verschärfung von Waffen­ge­setzen. Alle diese Entschei­dungen, insbe­sondere die Entscheidung gegen Diskri­mi­nierung von LGTBQ zeigen, wie unabhängig die Justiz in den USA immer noch ist. Ein weiteres hoffnungs­pen­dendes Moment.

Zum Schluss noch ein Wort zu den schlimmen Vorkomm­nissen um den Mord an George Floyd durch Polizisten in Minnea­polis und einige Tage später an Rayshard Brooks in Atlanta. Beide Opfer waren Afroame­ri­kaner. Nachdem die ersten Unruhen jetzt etwas abgeklungen sind, bin ich doch ganz optimis­tisch, dass endlich die lange überfällige Diskussion zu den Themen Polizei­bru­ta­lität, Milita­ri­sierung der Polizei, Justiz­reform und struk­tu­reller Rassismus geführt wird. Viel zu wenig versteht sich die ameri­ka­nische Polizei als Bürger­po­lizei, sondern eher als Kampf­truppe gegen vermeint­liche Bösewichte, die oft durch eine rassis­tische Brille wahrge­nommen werden. Das bedeutet einer­seits eine irrsinnige Aufrüstung der Polizei sowohl mit Waffen als auch mit juris­ti­schen Tricks, die heutzutage Polizisten nahezu immun vor Straf­ver­folgung machen. Anderer­seits zieht eine solche Polizei weniger den Freund und Helfer, sondern eher den Krieger­typus an, der zudem häufig über rassis­tische Einstel­lungen verfügt. Es gibt inzwi­schen gerade auch bei Konser­va­tiven, die für einen schlanken Staat eintreten, kritische Fragen, ob hier der Bogen nicht überspannt wurde. Auch das lässt für Amerika hoffen – ebenso wie die von mir wahrge­nommene Stimmung, dass das Thema Rassismus und Polizei­gewalt jetzt einfach reif ist.

Als Ökonom sehe ich hier übrigens ein Insti­tu­tio­nen­problem. Das dürfte auch darin bestehen, dass Polizei und teilweise das Justiz­system sehr lokal organi­siert und mit Wahlämtern ausge­stattet sind. Die Intention dahinter ist eigentlich, beide Insti­tu­tionen bürger­näher zu machen. Statt­dessen gewinnt aber immer der härteste Ansatz beim Wähler – wer will schon mehr Verbrechen in der Nachbar­schaft? Und wenn dann doch einmal ein Stadtrat kritisch bei der Polizei nachfragt, dann gehen die Polizisten, in mächtigen lokalen Polizei­ge­werk­schaften hervor­ragend organi­siert, einfach ein bisschen in den Bummel­streik. Was dann bei den nächsten Wahlen mit dem Stadtrat passiert, kann man sich ausrechnen. Diese Art der lokalen politi­schen Erpressung durch die Polizei ist in Deutschland zwar nicht gänzlich ausge­schlossen – die Probleme in der Polizei Sachsens lassen dort ähnliche Mecha­nismen vermuten. Sie ist dort aber unwahr­schein­licher, da man sich schon im ganzen Bundesland gegen die Politik organi­sieren müsste. Das ist eindeutig schwie­riger als auf lokaler Ebene in einer Stadt.

Natürlich können Donald Trumps Wahlkampf noch an Fahrt aufnehmen, die Umfragen für Joe Biden sich eintrüben, der oberste Gerichtshof bei der nächsten Entscheidung wieder gegen das liberale Amerika votieren und die Debatte über Rassismus und Polizei­gewalt wieder abflachen, wie es schon hundert Mal zuvor geschah. Ich will jedoch Optimist bleiben, was Amerika angeht.

Textende

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