China handelt – der Westen grübelt

Illus­tra­tion: Shut­ter­stock, Raymond Cassel

Jüngst ist China erstmals die Landung auf dem Mars geglückt. Die Mission auf dem Roten Planeten zeigt: Das Reich der Mitte ist eine Weltmacht, die die Regeln von morgen bestimmt. Drei Beispiele für Bereiche, in denen der Westen droht, den Anschluss zu verlieren.

Wach­wechsel im Weltraum

Nur kurz nach den USA ist China jüngst die Landung auf dem Mars geglückt. Bereits im vergan­genen Juli war das chine­si­sche Raum­schiff „Tianwen‑1“ von der Erde aufge­bro­chen. Im Februar erreichte es die Mars-Umlauf­bahn. Im Mai setzte dann ein Lande­modul auf dem Roten Planeten auf. Kurz darauf rollte ein Erkun­dungs-Fahrzeug, der Rover „Zhurong“, benannt nach dem chine­si­schen Feuergott, auf die Mars­ober­fläche. Der 240 Kilogramm schwere „Zhurong“ soll drei Monate auf dem Mars bleiben. Er soll die Geologie und das Klima des Roten Planeten erkunden. Für China war es die erste Mars­lan­dung. Die USA hatten im Februar den Rover „Perse­ver­ance“ auf die Mars­ober­fläche geschickt.

Die chine­si­sche Mars-Mission hat auch hier­zu­lande für Schlag­zeilen gesorgt, aller­dings am ehesten im Wissen­schafts-Jour­na­lismus. Aber wer die Bericht­erstat­tung verfolgt hat, muss sich fragen, ob mit den stau­nenden Artikeln die poli­ti­sche, wirt­schaft­liche und mili­tä­ri­sche Tragweite ermessen worden ist, die diese Mission hat. Bislang ist es nur den USA gelungen, Rover auf den Mars zu schicken. In anderen Worten: Chinas Mars-Mission ist eine Zeiten­wende. Sie signa­li­siert, dass das Reich der Mitte nicht nur Weltmacht, sondern auch Welt­raum­macht ist. Und dass es mit seinem großen Sprung ins All erst gerade loslegt.

Ein paar Beispiele:

Bis 2030 plant China die erste bemannte Mond­lan­dung. Bis 2035 will das Land mit Russland eine gemein­same Mond­for­schungs­sta­tion aufbauen. Und schon Ende des kommenden Jahres will China den Bau der Raum­sta­tion CSS abschließen. Wenn der Betrieb der Inter­na­tio­nalen Raum­sta­tion ISS, wie derzeit geplant, um 2024 einge­stellt wird, könnte China die einzige Nation sein, die permanent im All vertreten ist. Wach­wechsel im Weltraum.

Aber die geglückte Mars-Landung ist für Peking nicht nur aus wissen­schaft­lich-erkennt­nis­theo­re­ti­scher Sicht von Nutzen. Sie gibt der Volks­re­pu­blik auch im Wett­streit mit den USA Auftrieb. Und sie ist – im 100. Jahr der Gründung der Kommu­nis­ti­schen Partei Chinas (KPCh) – eine Quelle für propa­gan­dis­tisch verwert­baren Stolz.

Aber mehr noch: Die Expansion ins All liefert China handfeste poli­ti­sche, wirt­schaft­liche und mili­tä­ri­sche Trümpfe. Peking könne besonders die Raum­sta­tion CSS zu seinem Vorteil nutzen, schreiben Matthew P. Funaiole und Brian Hart, Experten an dem Washing­toner Thinktank CSIS: „In einer Post-ISS-Welt könnten sich andere Länder, die wissen­schaft­liche Forschung und Expe­ri­mente im Weltraum durch­führen wollen, an China wenden.“ (https://www.csis.org/analysis/chinas-new-space-station-stepping-stone-achieving-broader-ambitions) Die Volks­re­pu­blik hat schon erkennen lassen, dass sie die CSS als poli­ti­sches Instru­ment nutzen will. 2018 lud sie die Mitglied­staaten der Vereinten Nationen ein, sich für die Durch­füh­rung von Expe­ri­menten an Bord der CSS zu bewerben.

Es ist nur ein Beispiel dafür, wie die Volks­re­pu­blik sich anschickt, die Regeln der Welt von morgen zu bestimmen. „Die Bedeutung der Mars-Mission kann im Zusam­men­hang mit Pekings Ambi­tionen, zur Weltmacht aufzu­steigen, nicht hoch genug einge­schätzt werden“, schreibt Rebecca Arcesati, Expertin am Berliner Thinktank Merics. (https://merics.org/de/briefing/der-rote-planet-marslandung-ist-meilenstein-fuer-chinas-raumfahrtprogramm‑0)

Ein anderes Beispiel ist digitales Geld.

Die KPCh hat zu Bitcoin ein gespal­tenes Verhältnis. Einer­seits hat sie eine natür­liche Abneigung gegen die Kryp­to­wäh­rung. Bitcoin basiert auf einem dezentral orga­ni­sierten Buchungs­system. Die Kryp­to­wäh­rung lässt keinen Raum für eine kontrol­lie­rende Instanz wie eine Zentral­bank. Für die auf Kontrolle und Zensur fixierte KPCh ist diese Dezen­tra­lität ein Graus.

Aber ander­seits hat die KPCh verstanden, dass sie mit einer digitalen Währung zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen kann. China ist schon heute das Land mit dem größten elek­tro­ni­schen Zahlungs­ver­kehr. Und die Volks­re­pu­blik treibt auch die Entwick­lung einer Digi­tal­wäh­rung voran. Im vergan­genen Jahr fanden bereits Pilot­pro­jekte in mehreren chine­si­schen Städten statt.

Der wich­tigste Unter­schied zwischen Bitcoin und der chine­si­schen Digi­tal­wäh­rung: In China ist digitales Geld in der Hand der Zentral­bank. Das ist in Europa und den USA, wo der absolute Grossteil aller Trans­ak­tionen digital abge­wi­ckelt wird, nicht grund­sätz­lich anders. Doch im Westen beschränkt sich die staat­liche Banken­re­gu­lie­rung auf Buch­prü­fungen. Die chine­si­sche Zentral­bank hingegen bezieht für Trans­ak­tionen die elek­tro­ni­schen Zahlungs­platt­formen der Unter­nehmen Alibaba und Tencent mit ein. Der Vorteil für die KPCh: Sie kann sogar einzelne Trans­ak­tionen überwachen.

„Lassen Sie China nicht das Geld der Zukunft prägen“ 

Aber darüber hinaus hat eine chine­si­sche Digi­tal­wäh­rung noch einen anderen Vorteil: Sie könnte die Macht der USA mindern.

Denn der US-Dollar ist global – etwa was Devi­sen­re­serven angeht – die wich­tigste Währung. Wenn die USA ein Land per Sank­tionen vom inter­na­tio­nalen Abrech­nungs­system SWIFT abschneiden, trennen sie es auch vom Fluss des US-Dollars – was das betrof­fene Land, etwa Iran, vor große wirt­schaft­liche Probleme stellt.

Genau hier kommt die chine­si­sche Digi­tal­wäh­rung ins Spiel: Sie würde den Einfluss der USA auf den globalen Zahlungs­ver­kehr aufbre­chen und Sank­tionen zahnlos machen. Mit einer weit verbrei­teten Digi­tal­wäh­rung könnte sich Peking also – besonders in Zeiten des zuge­spitzten Wett­streits mit Washington – gegen US-Sank­tionen immunisieren.

All das – und das euro­päi­sche und ameri­ka­ni­sche Zögern gegenüber Digi­tal­wäh­rungen – hat der britische Histo­riker Niall Ferguson jüngst in einem Artikel für die Finanz­nach­rich­ten­agentur Bloomberg beschrieben. Der Artikel trägt die Schlag­zeile: „Lassen Sie China nicht das Geld der Zukunft prägen“. Ferguson schluss­fol­gert unter Anspie­lung auf Robux, die virtuelle Währung eines Compu­ter­spiels: „Wenn die Zukunft des Geldes so schnell kommt, wie ich denke, nämlich in Form eines weit verbrei­teten digitalen Renminbi, dann seien Sie nicht über­rascht, wenn alles, was wir unseren Kindern zu bieten haben, Robux sind.“

Der Mobil­funk­stan­dard von übermorgen

Die Debatte darüber, ob 5G-Tech­no­logie des chine­si­schen Herstel­lers Huawei ins deutsche Mobil­funk­netz eingebaut werden soll, tobt seit etwa zwei Jahren. 5G gilt als der Mobil­funk­stan­dard von morgen. China hat die Entwick­lung dieser Tech­no­logie früh und entschieden voran­ge­trieben. Huawei gilt deswegen als fort­schritt­li­cher und preis­werter als die euro­päi­sche Konkurrenz.

Der Haken: Der Firma, die auf dem Papier ein Privat­un­ter­nehmen ist, wird nach­ge­sagt, ein Spionage-Vehikel der KPCh zu sein. Der deutsche Auslands­ge­heim­dienst BND rät von Huawei ab, viele andere Länder haben das Unter­nehmen vom 5G-Ausbau ausge­schlossen. Die Bundes­re­gie­rung hat sich noch nicht entschieden.

Aber was schon bei 5G passiert ist, droht sich bei 6G zu wieder­holen. 6G ist die nächste Gene­ra­tion, also sozusagen der Mobil­funk­stan­dard von über­morgen. Er soll 100-mal schneller sein als 5G. Und auch hier scheint China dem Rest der Welt zu enteilen. Schon 2019 richtete das Minis­te­rium für Wissen­schaft und Tech­no­logie eine Arbeits­gruppe ein. Im vergan­genen Jahr schickte das Reich der Mitte die weltweit ersten 6G-Test­sa­tel­liten in den Orbit.

Das Ziel, eigene tech­no­lo­gi­sche Standards zu setzen, ist im 14. Fünf­jah­res­plan fest­ge­schrieben, der im März vom chine­si­schen Parlament ange­nommen worden ist. Fünf­jah­res­pläne gelten als der wich­tigste Wegweiser für die wirt­schaft­liche und poli­ti­sche Entwick­lung Chinas.

Ziel des neuen Plans sei es, die Abhän­gig­keit von auslän­di­scher Tech­no­logie so schnell wie möglich zu redu­zieren, schreiben die Experten Nis Grünberg und Vincent Brussee vom Berliner Thinktank Merics: „Der 14. Fünf­jah­res­plan zielt nicht auf wirt­schaft­liche Abkopp­lung ab. Aber er will die Weichen stellen, damit China seine Abhän­gig­keit von auslän­di­schen Ressourcen und Tech­no­lo­gien beenden kann – und zum Welt­markt­führer in stra­te­gisch wichtigen Indus­trien, Spit­zen­tech­no­logie und Wissen­schaft wird.“

Die Weitsicht und Entschlos­sen­heit, die aus dem 14. Fünf­jah­res­plan spricht, scheint etwas zu sein, dass deutschen Poli­ti­kern abgeht. Die Bundes­re­gie­rung grübelt immer noch darüber nach, ob es Huawei erlaubt sein sollte, am 5G-Ausbau mitzu­wirken. So wie es aussieht, wird sie die Entschei­dung wohl aussitzen – und der nächsten Bundes­re­gie­rung überlassen.

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