China ist kein Sieger im Systemvergleich

Foto: Shutterstock, Mark Brandon
Foto: Shut­ter­stock, Mark Brandon

Peking bemüht sich, den Erfolg Chinas bei der Pande­mie­be­kämp­fung als syste­mi­schen Vorteil zu vermarkten. Doch schon ein Blick auf Taiwan zeigt, dass auto­ri­täre Staaten keines­wegs besser aufge­stellt sind, um Krisen zu begegnen, als liberale Demo­kra­tien, erklärt Prof. Sandra Heep.

„Never let a good crisis go to waste.” Ganz im Sinne dieses Chur­chill­schen Diktums verfährt der chine­si­sche Partei­staat bei der propa­gan­dis­ti­schen Vermark­tung seiner erfolg­rei­chen Bekämp­fung der Corona-Pandemie. So war bereits im Mai im Partei­organ „People’s Daily“ ein Loblied auf das chine­si­sche Regie­rungs­system zu lesen, das die Welt ange­sichts der Pandemie mit „Weisheit” und „Kraft” versorge und inter­na­tio­nale Beob­achter neugierig auf die „Geheim­nisse hinter Chinas Erfolg” gemacht habe. Dass dieses Regie­rungs­system durch seine fehlende Trans­pa­renz, seine strikten Hier­ar­chien und seine Prio­ri­sie­rung der Inter­essen der Kommu­nis­ti­schen Partei gegenüber denen der Bevöl­ke­rung über Wochen hinweg ein entschie­denes Vorgehen gegen das Corona-Virus verhin­dert und damit die Weichen für die globale Ausbrei­tung des Virus gestellt hatte, durfte in diesem Zusam­men­hang selbst­ver­ständ­lich nicht thema­ti­siert werden. In den darauf­fol­genden Monaten wurden die Sprach­rohre der Kommu­nis­ti­schen Partei nicht müde, Chinas vermeint­li­chen Sieg im System­wett­be­werb zu zele­brieren. So verkün­dete die für ihre natio­na­lis­ti­schen Töne bekannte Global Times Anfang dieses Jahres, dass Chinas „effi­zi­entes poli­ti­sches System” es ermög­licht habe, „korrekte Entschei­dungen zur Prio­ri­sie­rung des Lebens der Menschen” zu treffen, wohin­gegen einige westliche Regie­rungen den Fehler gemacht hätten, sich auf wirt­schaft­liche Inter­essen oder „‚soge­nannte ‚Menschen­rechte oder Freiheit’” zu konzen­trieren und damit bei der Virus­ein­däm­mung ins Hinter­treffen geraten seien.

Keine deutsche Selbstblockade

Während die Volks­re­pu­blik ihre Erfolge feiert, setzt in Deutsch­land ange­sichts des Schei­terns bei der Pande­mie­be­kämp­fung sowie der zunehmend als bedroh­lich empfun­denen wirt­schaft­li­chen Entwick­lung Chinas eine selbst­kri­ti­sche Diskus­sion über die globale Wett­be­werbs­fä­hig­keit liberaler Demo­kra­tien ein.

Doch während es dringend geboten ist, den Ursachen für das klägliche Abschneiden Deutsch­lands in der zweiten Virus­welle nach­zu­gehen, schießt über das Ziel hinaus, wer die Ursachen für die Probleme in den Artikeln des Grund­ge­setzes sucht. Zwar eilt liberalen Demo­kra­tien der Ruf voraus, dass sie aufgrund von Gewal­ten­tei­lung und Rechts­staat­lich­keit selbst in Krisen­zeiten nur im Schne­cken­tempo Entschei­dungen von begrenzter Reich­weite treffen können.

Doch hat sich im Ausnah­me­zu­stand des vergan­genen Jahres gezeigt, dass die Bundes­re­gie­rung durchaus dazu in der Lage ist, weit­rei­chende Entschei­dungen innerhalb kürzester Zeit zu treffen, ohne sich dabei vom Bundestag oder von der Justiz ausbremsen zu lassen. Ein Jahr nach dem Ergreifen der ersten Maßnahmen zur Eindäm­mung der Pandemie in Deutsch­land hält die Exekutive nach wie vor das Heft fest in der Hand, das Parlament spielt weiterhin die zweite Geige, und die Gerichte lassen bei der Ausübung ihrer Kontroll­funk­tion gegenüber der Exekutive große Zurück­hal­tung walten, wie bereits der Rechts­wis­sen­schaftler Josef Franz Lindner fest­stellte. Zu beklagen ist hier also eher ein Defizit in der demo­kra­ti­schen und rechts­staat­li­chen Praxis, das mitunter zu Problemen hinsicht­lich der Verhält­nis­mä­ßig­keit und Legi­ti­mität einzelner Maßnahmen führt, als eine Selbst­blo­ckade des demo­kra­ti­schen Systems durch sich in die Quere kommende Gewalten.

Wer sich auf die Suche nach den Ursachen für das Scheitern der deutschen Strategie zur Pande­mie­be­kämp­fung macht, wird neben einzelnen poli­ti­schen Fehl­ent­schei­dungen auf zwei grund­le­gende Probleme stoßen: einen als sakro­sankt verstan­denen Daten­schutz, der zu einer unzu­rei­chenden Durch­set­zung bestehender Quaran­täne- und Isola­ti­ons­be­stim­mungen führt, sowie ein in Teilen der Bevöl­ke­rung verbrei­tetes Miss­trauen gegenüber der Regierung, das sich in Verstößen gegen Vorschriften zur Virus­ein­däm­mung mani­fes­tiert. Eine Über­le­gen­heit auto­ri­tärer Systeme lässt sich aus diesen Hinder­nissen bei der Virus­be­kämp­fung aller­dings nicht ableiten. Zwar kommt dem Schutz persön­li­cher Daten in einer frei­heit­li­chen Ordnung eine größere Bedeutung zu als in einem auto­ri­tären Regime. Doch wie bereits die Sozi­al­wis­sen­schaftler Jürgen Gerhards und Michael Zürn betonten, wäre es auch in einer Demo­kratie möglich, eine diffe­ren­zierte Debatte über die Abwägung zwischen Daten­schutz und Frei­heits­rechten im Kontext einer globalen Ausnah­me­si­tua­tion zu führen und sich auf eine vorüber­ge­hende Auswei­tung staat­li­cher Über­wa­chungs­be­fug­nisse in einem klar defi­nierten recht­li­chen Rahmen zu verständigen.

Vorbild Taiwan

Eine größere Hürde stellt das mangelnde Vertrauen in die Regierung dar, zumal hier die paradoxe Situation vorliegt, dass die trans­pa­rent agierende Bundes­re­gie­rung weniger Vertrauen genießt als der auf Infor­ma­ti­ons­re­pres­sion und Propa­ganda setzende chine­si­sche Partei­staat. Vor diesem Hinter­grund erscheint es dringend notwendig, insbe­son­dere für Krisen­zeiten neue Wege der poli­ti­schen Kommu­ni­ka­tion zu entwi­ckeln und gleich­zeitig der Ausbil­dung von Medi­en­kom­pe­tenz und kriti­scher Refle­xi­ons­fä­hig­keit im Bildungs­wesen höhere Priorität einzu­räumen. Orien­tie­rung bietet in diesem Zusam­men­hang die taiwa­ne­si­sche Regierung, die unter Präsi­dentin Tsai Ing-wen nicht zuletzt ange­sichts gezielter Desin­for­ma­ti­ons­kam­pa­gnen seitens der Volks­re­pu­blik China eine auf digitale Parti­zi­pa­tion und Trans­pa­renz setzende Kampagne zur Förderung des Vertrauens in die Regierung lancierte und damit zeigte, dass es nicht unum­gäng­lich ist, vor dem auto­ri­tären Vertrau­ens­vor­teil zu kapi­tu­lieren. Wie schon die ameri­ka­ni­sche Asien-Kennerin Rorry Daniels fest­stellte, ist es nicht zuletzt dieser Vorarbeit zu verdanken, dass Taiwan die Corona-Pandemie weitest­ge­hend unbe­schadet über­standen hat.

Mangelnde Effizienz der chine­si­schen Strategie

Ohnehin ist ein Blick nach Taiwan dazu geeignet, sich davon zu über­zeugen, dass eine erfolg­reiche Pande­mie­be­kämp­fung auch in einer liberalen Demo­kratie möglich ist. Denn trotz der geogra­phi­schen Nähe zu China ist es in Taiwan gelungen, durch weit­rei­chende Einrei­se­ver­bote und konse­quent durch­ge­setzte Quaran­täne- und Isola­ti­ons­vor­schriften die Ausbrei­tung des Virus zu stoppen, ohne auf einen Lockdown zu setzen. Im Gegensatz zur chine­si­schen Regierung, die auf lokale Virus­aus­brüche nach wie vor mit dras­ti­schen Maßnahmen wie der Abrie­ge­lung ganzer Städte reagiert und auch nicht davor zurück­schreckt, Bewohner in ihren Wohnungen einzu­schließen, hat es die taiwa­ne­si­sche Regierung damit geschafft, das Virus nicht nur effektiv, sondern auch effizient einzu­dämmen. Dabei kann die mangelnde Effizienz in der chine­si­schen Strategie zur Virus-Bekämp­fung durchaus auf Chinas auto­ri­täres Regie­rungs­system zurück­ge­führt werden. Denn das Prinzip der Gewal­ten­kon­zen­tra­tion und die damit einher­ge­hende Abwe­sen­heit von Kontroll­me­cha­nismen führt in Kombi­na­tion mit nicht nur im Krisen­fall gegebenen umfas­senden Eingriffs­mög­lich­keiten in Wirt­schaft und Gesell­schaft häufig dazu, dass eine Prüfung der Verhält­nis­mä­ßig­keit ausbleibt. Zu beob­achten war dies bereits während der Globalen Finanz­krise, auf die Beijing mit einem ohne Zaudern verab­schie­deten gigan­ti­schen Stimu­lus­pro­gramm reagierte, das die Wirt­schaft zwar effektiv stabi­li­sierte, dafür aber eine immense Fehl­al­lo­ka­tion von Ressourcen und einen erheb­li­chen Anstieg der Verschul­dung aller betei­ligter Akteure in Kauf nahm, die die chine­si­sche Wirt­schaft bis heute belasten.

Eine Über­le­gen­heit des chine­si­schen Systems bei der Virus­be­kämp­fung kann also mitnichten konsta­tiert werden. Zudem zeigt sich bei genauerem Hinsehen, dass der vermeint­liche Sieger im System­wett­be­werb auch im Hinblick auf seine wirt­schaft­liche Leis­tungs­fä­hig­keit auf einem wackligen Podest steht. Zwar ist es der Kommu­nis­ti­schen Partei gelungen, innerhalb von vier Jahr­zehnten Hunderte Millionen Menschen aus der Armut zu befreien und eine inter­na­tional weitest­ge­hend isolierte Wirt­schaft in eine der weltweit einfluss­reichsten Volks­wirt­schaften zu verwan­deln. Doch darf dabei nicht übersehen werden, dass die globale Bedeutung der chine­si­schen Wirt­schaft in starkem Kontrast zu einem Brut­to­in­lands­pro­dukt pro Kopf steht, das sich im Jahr 2019 kauf­kraft­be­rei­nigt auf gerade einmal 30 Prozent des deutschen und ein Viertel des ameri­ka­ni­schen belief.

Hürden für Chinas wirt­schaft­liche Entwicklung

Dass es China in abseh­barer Zeit gelingen wird, auch im Hinblick auf das BIP pro Kopf aufzu­holen, ist dabei keine ausge­machte Sache. Denn die erfolg­reiche Entwick­lung der vergan­genen Jahr­zehnte hat dazu geführt, dass sich die wirt­schaft­li­chen Rahmen­be­din­gungen grund­le­gend verändert haben. Der Spielraum für nach­ho­lende Entwick­lung auf der Grundlage von Tech­no­lo­gie­trans­fers aus den führenden Indus­trie­na­tionen ist mit Chinas tech­no­lo­gi­schem Fort­schritt deutlich geschrumpft. Gleich­zeitig sinkt in den entwi­ckelten Ländern die Bereit­schaft, Tech­no­lo­gien mit China zu teilen, da dies zunehmend als Risiko für die eigene wirt­schaft­liche Konkur­renz­fä­hig­keit betrachtet wird. Zudem ist die Verschie­bung von Arbeits­kräften von der Land­wirt­schaft in die Industrie in China nahezu abge­schlossen, was zu Lohn­stei­ge­rungen führt und eine wichtige Quelle für Produk­ti­vi­täts­zu­wächse versiegen lässt. Erschwe­rend hinzu kommt eine schrump­fende Bevöl­ke­rung im erwerbs­fä­higen Alter, die die Lohn­stei­ge­rungen weiter verschärft und damit die Konkur­renz­fä­hig­keit chine­si­scher Produkte auf dem Weltmarkt bedroht.

Proble­ma­tisch ist nicht zuletzt auch die hohe Inves­ti­ti­ons­quote der chine­si­schen Wirt­schaft, die aufgrund der wach­senden Schwie­rig­keit bei der Iden­ti­fi­ka­tion sinn­voller Inves­ti­ti­ons­pro­jekte zunehmend zur Vergeu­dung von Ressourcen führt. Die chine­si­sche Regierung ist sich dieser Heraus­for­de­rungen durchaus bewusst und versucht insbe­son­dere durch indus­trie­po­li­ti­sche Programme, die Weichen für eine erfolg­reiche Entwick­lung unter verän­derten Rahmen­be­din­gungen zu stellen. Doch bleibt abzu­warten, ob Chinas auto­ri­täres System mit einem auf Inno­va­tion und Effizienz beru­henden Wachs­tums­mo­dell vereinbar ist oder ob die Kombi­na­tion eines Mangels an Rechts­si­cher­heit, eines Übermaßes an Kontrolle und eines begrenzten und schrump­fenden Raums für kritische Diskurse das Land in die Falle des mittleren Einkom­mens führen wird. Ein Blick auf die Staaten, denen der Aufstieg zu einem entwi­ckelten Land mit hohem Einkommen gelungen ist, dürfte Chinas Macht­haber jeden­falls mit Sorge erfüllen. Denn bei den meisten dieser Staaten handelt es sich um Demo­kra­tien. Und die wenigen auto­ri­tären Länder in dieser Liga kommen aufgrund ihrer geringen Größe bzw. ihres Ressour­cen­reich­tums nicht als Modell für Chinas weitere Entwick­lung in Frage.

Dass sich das chine­si­sche System bei genauerer Betrach­tung weder bei der Pande­mie­be­kämp­fung noch bei der Wirt­schafts­ent­wick­lung als Sieger erweist, darf für die Verfechter der liberalen Demo­kratie aller­dings keinen Grund zur Selbst­zu­frie­den­heit darstellen, sondern sollte vielmehr zu einer diffe­ren­zierten Analyse der Konkur­renz­fä­hig­keit verschie­dener Systeme moti­vieren, die Erfolge bzw. Miss­erfolge einzelner Länder nicht blind­lings auf ihre Regie­rungs­form zurück­führt. Wünschens­wert wäre es zudem, dass sich die neu gefundene Bereit­schaft, von anderen Ländern zu lernen, nicht auf das die Schlag­zeilen domi­nie­rende China beschränken, sondern sich auf vergleichs­weise junge Demo­kra­tien wie Taiwan ausweiten würde, die den Demo­kra­tien der west­li­chen Welt neue Impulse liefern können. Nicht zuletzt aber wird es für die Konkur­renz­fä­hig­keit demo­kra­ti­scher Systeme entschei­dend sein, dass ihre Befür­worter nicht nur die Schwächen der Demo­kratie reflek­tieren, sondern auch an ihre Stärken erinnern, um einen Kontra­punkt zu ihrer gezielten Diskre­di­tie­rung durch Chinas Propa­gan­da­ma­schi­nerie zu setzen, die ihrem welt­weiten Ansehen einen erheb­li­chen Schaden zuzufügen droht.

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