Chinas Geisel­di­plo­matie – Gefängnis für die „falsche“ Staatsbürgerschaft

Foto: Jonathan Cheng, Twitter

Zwei Urteile innerhalb von zwei Tagen: China geht auf Konfron­tation zu Kanada – und bringt mehr als 20 westliche Staaten gegen sich auf. Beide Urteile sind Beispiele für Pekings „Geisel­di­plo­matie“.

Am Mittwoch­morgen fanden sich mehr als 20 Diplo­maten vor der Botschaft Kanadas in Peking ein. Die Diplo­maten, darunter auch Vertreter der deutschen Botschaft, versam­melten sich, um ihre Solida­rität mit Ottawa auszu­drücken. Sie reagierten damit auf ein Urteil, das ein chine­si­sches Gericht zuvor erlassen hatte und das die Diplo­maten als politisch motiviert betrachten. Das Foto des Treffens wurde so zum Mahnmal – nicht nur für das Zerwürfnis im kanadisch-chine­si­schen Verhältnis, sondern für den Graben, der dieser Tage zwischen der Volks­re­publik und westlichen Staaten klafft.

Am Dienstag verur­teilte ein chine­si­sches Gericht den Kanadier Michael Spavor zu elf Jahren Gefängnis. Dem Geschäftsmann wird Spionage vorge­worfen. Er soll 2018 Geheim­dienst­in­for­ma­tionen weiter­ge­leitet haben, die er angeblich von einem anderen Kanadier, Michael Kovrig, erhalten hat. Spavor war im Dezember 2018 festge­nommen worden. Im März 2021 begann der Prozess gegen ihn.

Der Fall Spavor führt ins Herz eines Konflikts zwischen Kanada und China, der auf drama­tische Weise eskaliert ist – und in den, das Foto der Diplo­maten zeigt es, inzwi­schen rund zwei Dutzend weitere Staaten verwi­ckelt sind.

Verstoß gegen Sanktionen gegen Iran – oder Geisel­di­plo­matie der Trump-Regierung?

2018 – noch vor der Inhaf­tierung Spavors – nahmen kanadische Behörden auf Ersuchen der USA Meng Wanzhou fest, die damalige Finanz­chefin des chine­si­schen Konzerns Huawei. Die US-Behörden warfen ihr vor, die HSBC über Geschäfts­be­zie­hungen ihres Unter­nehmens belogen zu haben, was die Bank dazu hätte bringen können, gegen die Iransank­tionen zu verstoßen. Derzeit befindet sich die Chinesin in Hausarrest in Kanada. Das Urteil über ihre Überstellung in die USA wird in den kommenden Wochen erwartet.

Mit der Festnahme der Chinesin Mengs entspann sich ein diplo­ma­ti­sches Gebaren, das Kritiker als „Retour­kutsche“ und „Geisel­di­plo­matie“ brand­marken. Chine­sische Behörden nahmen die Kanadier Michael Spavor und Michael Kovrig fest. Kritiker gehen davon aus, dass die „zwei Michaels“,wie sie in der englisch­spra­chigen Presse oft genannt werden, von Peking als Geisel genommen wurden – um die Managerin Meng freizu­pressen. Der kanadische Premier­mi­nister Justin Trudeau nannte das Urteil gegen Spavor in einer Presse­mit­teilung vom Mittwoch „absolut inakzep­tabel und ungerecht“.

Ein politi­scher oder juris­ti­scher Fall?

Die chine­sische Seite wies den Vorwurf der „Geisel­di­plo­matie“ stets zurück. Aller­dings ließen Äußerungen von Politikern und Partei­pro­pa­gan­disten den Schluss zu, dass Peking die „zwei Michaels“ durchaus als politi­schen Fall und nicht als juris­tische Causa betrachtet – und dass die Urteile gegen die Kanadier durch politische Verhand­lungen verhindert werden können. „Dies ist (...) ein politi­scher Vorfall, bei dem Kanada eine sehr unrühm­liche Rolle als Komplize spielte“, sagte etwa eine Sprecherin des chine­si­schen Außen­mi­nis­te­riums, Hua Chunying“, im März. Bereits 2018 warnte Hu Xijin, der Chefre­dakteur des Propa­gan­da­me­diums „Global Times“, dass „Chinas Rache“ im Falle einer Auslie­ferung Mengs an die USA weitaus schlimmer ausfallen werde als die „Inhaf­tierung eines kanadi­schen Bürgers“.

Die Gefäng­nis­strafe gegen Spavor ist nur der vorläufige Höhepunkt einer ganzen Reihe von chine­si­schen Urteilen gegen Kanadier. Erst am Dienstag hatte ein chine­si­sches Gericht die Todes­strafe für Robert Schel­lenberg bestätigt. Der Kanadier soll laut Gerichts­akten 222 Kilogramm Crystal Meth geschmuggelt haben. Zunächst wurde er im November 2018 zu 15 Jahren Haft verur­teilt. Im Januar 2019, nur einen Monat nach der Festnahme von Meng, kam es aber zu einem neuen Prozess, an dessen Ende die Todes­strafe gegen ihn verhängt wurde – für viele Kritiker ein Indiz für eine „Retour­kutsche“.

Michael Kovrig, der für die Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sation Inter­na­tional Crisis Group arbeitete, wurde ebenfalls im Dezember 2018 unter dem Vorwurf der Spionage festge­nommen. Sein Urteil steht noch aus. Über den Zeitpunkt des Urteils ist derzeit nichts bekannt.

In Kanada sorgte nicht nur der Verdacht der „Geisel­di­plo­matie“ für einen Aufschrei. Auch die offen­sicht­liche Ungleich­be­handlung der Festge­nom­menen empörte das Land.

Luxushaft in der Villa mit Fußfessel, Malun­ter­richt und Massagen

Die Managerin Meng führt in Vancouver ein Luxus­leben. Sie wohnt – mit einer Fußfessel – in einer Villa mit sieben Schlaf­zimmern in einem gehobenen Viertel der westka­na­di­schen Stadt. Nach Medien­be­richten nimmt sie in ihren Gemächern private Malstunden. Auch Masseure gehen demnach ein und aus. Für Gelächter sorgte, als die US-Nachrich­ten­agentur Bloomberg berichtete, dass Meng bei ihrer Festnahme drei Geräte des US-Konzerns Apple bei sich trug, einem der größten Konkur­renten von Huawei.

Im Gegensatz dazu wurden die Kanadier Spavor und Kovrig mehr als zwei Jahre in geheimen Gefäng­nissen festge­halten. Sie waren von ihren Familien abgeschnitten und hatten nur einge­schränkten Zugang zu kanadi­schen Diplo­maten. Nach Angaben seiner Frau wurde Michael Kovrig so stark isoliert, dass er erst im Oktober 2021 von der Covid-Pandemie erfuhr.

Für Spavor bestehe noch die Hoffnung, frühzeitig abgeschoben zu werden, sagt Janka Oertel, Leiterin des Asien­pro­gramms des Thinktanks European Council on Foreign Relations. Aller­dings hänge die Abschiebung vor allem davon ab, wie die Lösung im Fall der Managerin Meng aussehen werde. „Die Verur­teilung zu elf Jahren Gefängnis ohne wirklichen Prozess und nach jahre­langer Haft unter katastro­phalen Bedin­gungen ist ein sehr trauriger vorläu­figer Schluss­punkt“, sagt Oertel.

Das Urteil zeige, dass Peking Geisel­nahme und fingierte Verur­tei­lungen von Ausländern als normales Werkzeug zwischen­staat­licher Inter­es­sen­ver­tretung sehe, um Druck auf andere Regie­rungen auszuüben, sagt Thorsten Benner, der Chef des Berliner Thinktanks Global Public Policy Institute: „Es macht einmal mehr deutlich, daß es in China keinen Rechts­staat, sondern nur einen Partei­staat gibt, der das Recht beugt.“

Benner veröf­fent­lichte im Mai einen Gastbeitrag im Berliner „Tages­spiegel“. Darin erklärte er, warum er nicht mehr nach China reise. Die Festnahme der „zwei Michaels“ sei für ihn ein Dammbruch gewesen: „Mir wurde klar, dass ein auslän­di­scher Pass Forscher nicht mehr davor schützt, jahrelang in ein chine­si­sches Gefängnis geworfen zu werden“, schrieb er damals. Gleich­ge­sinnte Staaten sollten Kanada beistehen“, sagt Benner jetzt, „und sicher­stellen, dass Peking einen politi­schen Preis für seine Geisel­di­plo­matie zahlt.“

Textende

Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unter­stützen damit die publi­zis­tische Arbeit von LibMod.

Spenden mit Bankeinzug

[/​vc_​column_​text]

Spenden mit PayPal


Wir sind als gemein­nützig anerkannt, entspre­chend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spenden­be­schei­nigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adress­daten bitte an finanzen@libmod.de

Verwandte Themen

Newsletter bestellen

Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regel­mäßig Neuig­keiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mungen
erklären Sie sich einverstanden.