Der illi­be­rale Kern des Populismus

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Warum auch pro-demo­kra­ti­sche Wähler für illi­be­rale Kandi­daten stimmen und wir popu­lis­ti­sche Parteien nicht unter­schätzen sollten – Marcel Lewan­dowsky über den aktuellen Stand der Popu­lis­mus­for­schung und die Wahl­mo­ti­va­tion der Anhänger illi­be­raler Parteien.

Nicht zuletzt seit dem jüngsten Umfra­ge­hoch der Alter­na­tive für Deutsch­land (AfD) ist hier­zu­lande das Interesse am Popu­lismus groß. Ob in Polen, Ungarn oder den USA (derzeit vor allem in Florida): Popu­lismus fordert die Demo­kra­tien nicht nur heraus, sondern verändert sie. Insbe­son­dere wo Popu­listen rechter Couleur regieren, sind demo­kra­ti­sche Errun­gen­schaften wie Gewal­ten­tei­lung, Minder­hei­ten­recht und Plura­lismus auf dem Rückzug. Angriffe auf die Insti­tu­tionen, Pola­ri­sie­rung, Patronage prägen das Regierungsgeschäft.

Nicht nur im Wahlkampf verstärken und nutzen Popu­listen Feind­bilder und charak­te­ri­sieren die Insti­tu­tionen (insbe­son­dere das Parlament und das Verfas­sungs­ge­richt) als „Sumpf“ (Donald Trump), besetzt von einer gesichts­losen, eigen­nüt­zigen poli­ti­schen Klasse. Sie präsen­tieren sich als dieje­nigen, die im Namen des Volkes die Macht über­nehmen und mit den abge­ho­benen Eliten aufräumen. Insbe­son­dere rechts­po­pu­lis­ti­sche Parteien regieren nach einem Lehrbuch, an dessen Ende eine andere Ordnung steht.

„Es geht um die Demo­kratie selbst“

Noch immer jedoch erscheint vielen der Popu­lismus lediglich als rheto­ri­scher Trick, als Form des Oppor­tu­nismus („dem Volk aufs Maul schauen“), viel­leicht der Demagogie. Oftmals verloren geht in der Debatte der substan­zi­elle Gehalt des Popu­lismus: das illi­be­rale Demo­kra­tie­ver­ständnis. Mehr noch: die erfolg­rei­chen popu­lis­ti­schen Parteien und Bewe­gungen auf der radikalen Rechten – unter anderen AfD, Rassem­blement National, inzwi­schen auch die US-Repu­bli­kaner – sind Anzie­hungs­punkt für Wähler mit unter­schied­li­chen illi­be­ralen Einstel­lungen zur Demo­kratie: Popu­listen, Auto­ri­täre, Rechts­extreme, womöglich aber auch solche, denen das Fort­be­stehen der Demo­kratie im Zweifel schlicht egal zu sein scheint. Verein­facht ausge­drückt: Es geht nicht allein um Migration und „Wokeness“. Es geht um die Demo­kratie selbst. Es lohnt sich also, die Einstel­lungen, die zur Wahl rechts­po­pu­lis­ti­scher Parteien beitragen, in den Blick zu nehmen.

Welche Einstel­lungen haben Rechtswähler?

Verschie­dene Studien haben die der Wahl rechts­po­pu­lis­ti­scher Parteien zugrunde liegenden Einstel­lungen offen­ge­legt. Gemein ist den Wählern – bei allen Unter­schieden hinsicht­lich Status, Einkommen und Bildung – zum einen die negative Einstel­lung zu Migration (und wohl auch anderen gesell­schaft­li­chen Themen) und das Miss­trauen in die herr­schende Politik .

Bei genauerem Hinsehen verbergen sich dahinter unter­schied­liche Ausprä­gungen der Unzu­frie­den­heit und des Strebens nach einer anderen poli­ti­schen Ordnung. Erstens ziehen rechts­po­pu­lis­ti­sche Parteien jene an, die tatsäch­lich auto­ri­täre Einstel­lungen haben. Auf der poli­ti­schen Ebene bedeutet das, dass sie ein hier­ar­chi­sches System bevor­zugen, in dem eine Führungs­per­sön­lich­keit über alles schnell entscheiden kann – ohne Begren­zung durch andere Gewalten. Gesell­schaft­lich hängen sie der Vorstel­lung einer natür­li­chen Ordnung an – zwischen Nationen, Geschlech­tern, Kulturen.

Der Glaube an einen „Volks­geist“

Zweitens werden recht­po­pu­lis­ti­sche Parteien von jenen gewählt, die popu­lis­ti­sche Einstel­lungen aufweisen. Das bedeutet zum einen, dass sie an einen homogenen Willen eines moralisch „guten“ Volkes glauben: Der kleine Mann, der einfache Bürger, die arbei­tende Bevöl­ke­rung sind in gewisser Weise Arche­typen des „wahren Volkes“. Aus der Weisheit, dem common sense, der diesem Volk innewohnt, ergibt sich jener gemein­same Wille: das, was als politisch richtig, vernünftig, erstre­bens­wert gilt. Jan-Werner Müller spricht in seinem Buch „Was ist Popu­lismus?“ (Suhrkamp, 2016) treffend vom „Volks­geist“.

Abgren­zung zum poli­ti­schen „Estab­lish­ment“

Demge­gen­über grenzt sich der Popu­lismus zum anderen von einer als nicht minder homogen gedachten Gruppe ab: dem poli­ti­schen „Estab­lish­ment“, also der poli­ti­schen Klasse als solches. Politiker gelten im Allge­meinen als korrupt, unfähig, abgehoben, gar poten­ziell kriminell, mit anderen Worten: die herr­schende Politik vertritt nur sich selbst, nicht aber die Inter­essen des „wahren“ Volkes. „Demo­kra­tisch“ erscheint Menschen mit popu­lis­ti­schen Einstel­lungen nur, wenn der vermeint­lich wahre Wille des vermeint­lich wahren Volkes ohne Abstriche umgesetzt wird. Da Demo­kra­tien aber auf Kompro­misse ausgelegt sind, erscheint ihnen die herr­schende Politik als Verrat.

Auto­ri­täre und Popu­listen: Unter­schied­liche Formen illi­be­raler Einstellungen

Auto­ri­täre und Popu­listen weisen jeweils unter­schied­liche Formen illi­be­raler Einstel­lungen auf. Diese können gemeinsam auftreten: Menschen können also autoritär und popu­lis­tisch einge­stellt sein. Aber das ist nicht zwingend der Fall. Menschen, die sich einen auto­ri­tären Führer wünschen, müssen nicht zwingend an einen gemein­samen Volks­willen glauben, und Personen, die popu­lis­tisch einge­stellt sind, wollen den Willen des Volkes nicht unbedingt durch eine auto­ri­täre Führungs­per­sön­lich­keit verwirk­licht sehen. Beide Gruppen tragen jedoch zum Erfolg rechts­po­pu­lis­ti­scher Parteien bei.

Dass Menschen mit illi­be­ralen Einstel­lungen zur Wahl von Parteien wie der AfD (Deutsch­land), der FPÖ (Öster­reich) oder des Rassem­blement National (Frank­reich) neigen, ist für sich genommen nicht über­ra­schend. Jüngere Studien deuten jedoch auf eine weitere Gruppe hin. Demnach werden illi­be­rale Parteien bzw. Kandi­daten unter bestimmten Umständen auch von jenen unter­stützt, die weder popu­lis­ti­sche noch auto­ri­täre, sondern durchaus pro-demo­kra­ti­sche Einstel­lungen haben.

Auch pro-demo­kra­ti­sche Wähler stimmen für illi­be­rale Kandidaten

Für die Verei­nigten Staaten haben Graham und Svolik auf die Bedeutung der partei­po­li­ti­schen Loyalität hinge­wiesen. Weisen Wähler zu einer Partei eine stärkere Bindung auf als zur anderen, dann wählen sie den illi­be­ralen Kandi­daten, sofern er ihrer Partei­prä­fe­renz entspricht. Selbst, wenn man dies auf das extrem pola­ri­sierte Zwei-Parteien-System der USA zurück­führen könnte: Für Deutsch­land wurde ein ganz ähnlicher Effekt nach­ge­wiesen.

Expe­ri­ment zum Wahl­ver­halten: Position in Sach­fragen entschei­dender als Haltung zur Demokratie

In einem Expe­ri­ment wurden Probanden zwei Kandi­daten zur Auswahl gestellt. Beide Kandi­daten posi­tio­nierten sich in Sach­fragen wie Einwanderungs‑, Umwelt- oder Steu­er­po­litik jeweils diametral unter­schied­lich. Zusätz­lich hatten sie unter­schied­liche demo­kra­tie­po­li­ti­sche Profile. Ein Kandidat wollte das Verfas­sungs­ge­richt kontrol­lieren, den öffent­li­chen Rundfunk unter Aufsicht stellen und der Regierung legis­la­tive Kompe­tenzen über­tragen, verfügte also über ein illi­be­rales Programm. Der andere Kandidat wollte den demo­kra­ti­schen Status quo beibe­halten. Das Expe­ri­ment zeigte: Wenn ein illi­be­raler Kandidat in einer bestimmten Frage dem Wähler näher­steht als die liberale Alter­na­tive, werden auch Wähler ohne popu­lis­ti­sche oder auto­ri­täre Einstel­lung den illi­be­ralen Kandi­daten unter­stützen. Der Effekt ist unter auto­ri­tären und popu­lis­ti­schen Wählern lediglich nochmals stärker. Und das gilt unab­hängig von der partei­po­li­ti­schen Präferenz, den Sach­fragen, dem poli­ti­schen Interesse oder der Zufrie­den­heit mit der Demokratie.

„Demo­kra­ti­sche Indif­fe­renz“ der Wähler als stille Reserve der Rechtspopulisten

Man kann dieses Phänomen viel­leicht als „demo­kra­ti­sche Indif­fe­renz“ bezeichnen. Diese Haltung ist nicht an spezi­fi­sche Parteien gebunden. Sie muss sich jenseits des Expe­ri­ments auch nicht zwingend in der Wahl der Popu­listen nieder­schlagen. Hier geht es nicht darum, sich gegen die liberale Demo­kratie zu posi­tio­nieren, sondern – zuge­spitzt – deren Abschaf­fung in Kauf zu nehmen. Das spiegelt in gewisser Weise wider, was Foa und Mounk für jüngere Kohorten in einigen west­li­chen Demo­kra­tien fest­ge­stellt haben: Der explizite Wunsch danach, in einem demo­kra­ti­schen System zu leben, hat abge­nommen, während die Skepsis gegenüber der Demo­kratie ange­stiegen ist.

Diese Befunde legen die Vermutung nahe, dass Rechts­po­pu­listen von vier verschie­denen Wähler­gruppen profi­tieren. Eine Gruppe ist popu­lis­tisch, die andere autoritär, die dritte beides. Die vierte Gruppe ist durch demo­kra­ti­sche Indif­fe­renz charak­te­ri­siert. Sie neigt den Rechts­po­pu­listen nicht aus Über­zeu­gung zu. Ihre pro-demo­kra­ti­sche Haltung ist lediglich nicht stark genug, um in einer konflikt­be­la­denen Entschei­dungs­si­tua­tion für einen liberalen Kandi­daten zu stimmen. Zuge­spitzt könnte man sie viel­leicht als „stille Reserve“ der Rechts­po­pu­listen betrachten.

Welche Gegen­stra­te­gien könnten wirken?

Warum ist all das von Bedeutung? Weil mit der Frage, wer die Rechts­po­pu­listen aus welchen Gründen wählt, auch immer die Suche nach Gegen­stra­te­gien einher­geht. Wie lassen sich die Unter­stützer von Parteien wie der AfD zurückgewinnen?

„Eine Annä­he­rung konser­va­tiver Parteien an die Rechts­po­pu­listen funk­tio­niert nicht“

Die Antwort hierauf ist ernüch­ternd. Wir wissen zweierlei. Zum einen ist klar, dass die Strategie konser­va­tiver Parteien, sich den Rechts­po­pu­listen thema­tisch anzu­nä­hern, nicht funk­tio­niert. Gewinner sind, wenn überhaupt, die Rechts­po­pu­listen selbst, denn sie erhalten dadurch Aufmerk­sam­keit und Legitimität.

Rechts­po­pu­listen werden nicht nur aus Protest gewählt

Zum anderen muss man sich von dem Miss­ver­ständnis lösen, dass Menschen die Rechts­po­pu­listen allein aus Protest wählen. Sie tun dies, weil sie sowohl mit deren gesell­schafts­po­li­ti­schen Profil als auch mit dem Popu­lismus über­ein­stimmen. Das ist auch der Grund, warum sie so schwer in den Kreis der libe­ral­de­mo­kra­ti­schen Parteien zurück­zu­holen sind. Selbst konser­va­tive Parteien, die sich rechts posi­tio­nieren, sind Teil jener Elite, denen popu­lis­tisch oder autoritär einge­stellte Wähler miss­trauen. Hinzu kommt, dass konser­va­tive Parteien nicht nur rechts­ori­en­tierte Unter­stützer haben. Ein Rechts­kurs könnte viele liberale Konser­va­tive abschre­cken und zu einem Null­sum­men­spiel werden, in dem nur die Rechts­po­pu­listen gewinnen.

Zugegeben: Es gibt keine „One size“-Strategie. Noch wissen wir nicht, wie man den Rechts­po­pu­listen beikommt. Jüngere Studien fördern hier Verblüf­fendes zutage: Nicht alle Wähler mit popu­lis­ti­schen Einstel­lungen lehnen auch die liberale Demo­kratie als Ganzes ab. Vielmehr sind sie damit unzu­frieden, wie sie funk­tio­niert. Das weist darauf hin, dass zumindest ein Teil der popu­lis­ti­schen Wähler für andere Parteien zurück­zu­ge­winnen sein könnte. Die Entwick­lung von Gegen­stra­te­gien steht nach wie vor am Anfang.

Textende

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