Deutschland muss handeln: Ein Appell aus Georgien
Deutschland lähmt sich selbst. Das zeigt sich insbesondere in seiner Außenpolitik zu Georgien. Von einer Zeitenwende scheint man hier weit entfernt. Das muss sich dringlich ändern, auch damit Deutschland sich selbst und seine demokratischen Werte und Partner ernst nimmt! Ein Appell aus Tiflis von Hans Gutbrod.
Seit über einem Jahr werden in Georgien die noch jungen demokratischen Strukturen und Errungenschaften in immer rasanterem Tempo ausgehöhlt und zerstört. Dank massiver Wahlfälschungen sicherte sich die Regierungspartei „Georgischer Traum“ im Herbst 2024 abermals die Parlamentsmehrheit. Seither übt sie eine unerbittliche Repressionspolitik nach russischem Vorbild auf die Bevölkerung aus. Und Europa? Und Deutschland? Statt klar Stellung zu beziehen und konsequent Sanktionsmaßnahmen anzudrohen und zu verhängen, lässt sich Deutschland seit Monaten von Viktor Orbans Ungarn gängeln. Aus Berlin ist bisher zu vernehmen, dass man wesentliche Politikentscheidungen in Bezug auf Georgien nur innerhalb und mit der Europäischen Union treffen wolle. In der EU aber blockiert Orban mögliche Schritte, die den Repressionskurs des Georgischen Traumes gegen die eigene Bevölkerung stoppen könnte.
Verhaftungen, Gleichschaltungen, Gewaltanwendungen…
In Georgien sind in der Zwischenzeit die meisten Anführer der Oppositionsparteien, die im Oktober 2024 gegen den Georgischen Traum angetreten waren, mit fadenscheinigen Begründungen zu Gefängnisstrafen verurteilt worden. Das Regime hat mehr als ein Dutzend Gesetze verabschiedet, mit denen die Zivilgesellschaft und unabhängige Medien gleichgeschaltet werden. Kritik an dem Regime in den Sozialen Medien wird jetzt mit Strafverfolgung bedroht. Hunderte von Bürgern wurden von der Polizei misshandelt – nicht ein einziger dieser Fälle wurde jedoch bislang untersucht. Stattdessen wurden Polizisten, die besonders gewaltvoll und gnadenlos gegen die Menschen vorgingen, mit Orden ausgezeichnet. Und die Repressionen treffen nicht mehr nur georgische Staatsbürger: Unlängst wurde ein deutscher Journalist mit über 1500 EUR bestraft, weil er von den friedlichen, bereits seit 200 Tagen andauernden Demonstrationen vor dem Parlament berichtet hatte. Die georgischen Täter wissen dabei genau, was sie tun. Denn sowohl der Premierminister als auch der Parlamentsvorsitzende, der Chef der Staatssicherheit, sowie Schlüsselfiguren der georgischen Justiz haben – man mag es kaum glauben – in Deutschland ausgerechnet in Jura promoviert.
…bleiben folgenlos
Und was ist Deutschlands Antwort auf all die Repressionen? Sie bleibt überschaubar. Berlin hat zwar die direkte Förderung der georgischen Regierung eingestellt und meidet Kontakte mit Regimevertretern. Ansonsten aber beschränkt sich die Reaktion in den letzten Monaten auf Einreisesperren gegen jene besonders brutale Polizisten – es sind ganz neun an der Zahl. Mehr könne man nicht tun, so hört man von Personen, die sich in Berlin mit Georgien beschäftigen.
Und gerade aufgrund der ausbleibenden internationalen Reaktionen wird der inzwischen als Regime agierende „Georgische Traum“ immer selbstbewusster und dreister. Fast wöchentlich wird der deutsche Botschafter, Peter Fischer, von führenden Regimepolitikern verunglimpft. Folgen? Hatte das bislang keine.
Weshalb aber zeigt sich die deutsche Außenpolitik derart gelähmt? Der Politikwissenschaftlers Philip Manow konstatiert die „Verrechtlichung der Politik“ als zentrale Ursache für die in praktisch allen Politikbereichen beobachtbare Sklerose der demokratischen Systeme. Mit dieser Verrechtlichung hat sich Deutschland anscheinend gelähmt.
Klare Worte von Botschafter Peter Fischer
Dabei mangelt es nicht an Kenntnis der dramatischen Situation. Der deutsche Botschafter Fischer findet regelmäßig klare Worte und wird in Georgien, auch von seinen Botschafterkollegen, für seine aufrechte Haltung geschätzt.
Allein, es fehlt an klaren Reaktionen aus Berlin, während führende Mitglieder des Georgischen Traums ihre internationalen Reisen auf Instagram inszenieren, um zu zeigen, dass Europa ihnen weiterhin offensteht. Ein junger Mann genießt sein Stipendium des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes (DAAD), mit dem er schon seit Jahren in Heidelberg lebt – ungeachtet der Tatsache, dass zeitgleich sein in Deutschland promovierter Vater zuletzt als Vorsitzendes Richter des Verfassungsgerichts und nun als stellvertretender Justizminister, an vorderer Stelle die Demokratie in Georgien demontiert. (Und im Übrigen Besitzer einer Villa in einem schicken Vorort oberhalb von Tiflis ist.)
Besonders bemerkenswert ist auch der Fall von Goga Kikilashvili, einem Mitglied des sogenannten Richterclans, einer juristischen Seilschaft in Georgien. In diesem Sommer erhielt er ein Stipendium des DAAD für einen Forschungsaufenthalt in Regensburg – und das trotz seiner Tätigkeit im Hohen Justizrat, einer Schaltzentrale der Justizmanipulation. Kikilashvili hatte diesen Teil seiner Biografie bei seiner Bewerbung schlichtweg unterschlagen und damit der Auswahlkommission wesentliche Informationen vorenthalten. Auf den Sachverhalt hingewiesen, lässt der DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee antworten, dass man dem “Prinzip der Neutralität” verpflichtet bleibe. Die Einschätzung über die Vollständigkeit der Unterlagen sei dem Bewerber überlassen: “Vor diesem Hintergrund sieht der DAAD – bei allen nachvollziehbaren Vorbehalten gegenüber der Rolle von Herrn Kikilashivili als Mitglied des georgischen Hohen Justizrats – keine Grundlage dafür, das Stipendium abzuerkennen.”
Demokratien zeigen sich unfähig, ihre Werte zu verteidigen
Das undurchsichtige Netz von Vorgaben und Selbstvorschriften sichert also georgischen Tätern sogar ihren Anspruch auf deutsche Förderung. Die deutschen Steuerzahler unterstützten derzeit weiterhin einen Austausch, der auf georgischer Seite fest in der Hand des Regimeklüngels ist. Und obwohl das Problem dem DAAD und auch der Präsidentin der Humboldt-Universität zu Berlin, Julia von Blumenthal, bekannt ist, passiert… nichts. Von diesen Fällen geht eine immense Signalwirkung aus, die weit über diese Vorfälle hinauswirkt und den Regimen unmissverständlich deutlich macht, wie unfähig die Demokratien zur Verteidigung ihrer eigenen Werte sind.
Die Geschichte lehrt: Autoritären Machtpolitikern muss mit Macht und Entschlossenheit entgegengetreten werden. Doch genau damit tut man sich in Deutschland schrecklich schwer. Unterdessen machen die drei baltischen Staat Estland, Lettland und Litauen vor, wie man Täter zügig mit Reisesperren belegen kann. Das muss Deutschland ein Exempel sein: Wer zum Umfeld der Täter gehört, darf keinen Anspruch auf deutsche Förderung haben. Sich auf eine vermeintliche „Neutralität” zu berufen, bedeutet hier, die eigene Ohnmachtserklärung. Die Rechtsabteilungen in deutschen Behörden müssen die eigenen politischen Vorgaben umsetzen, statt sie selbst weiter zu untergraben.
Die Maxime muss sein, dass wer dem Unrecht entgegentritt, Unterstützung erfährt – und zwar sowohl in Georgien als auch im Exil. Bisher aber ist eine beherzte Unterstützung kaum auszumachen. Ehrlichen georgischen Juristen wurden stattdessen vor einem Monat Mittel des deutschen Justizministeriums gestrichen.
Deutschland muss für Klarheit sorgen
Deutschland muss sich entheddern. Bislang klaffen eigener Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. Wenn Deutschland ernst genommen werden will, muss es handeln können, ohne sich von Orbán und seinen autoritären Kumpanen lähmen zu lassen. In den deutschen Apparaten aber kann man sich offenbar schon gar nicht mehr vorstellen, dass man eine Auseinandersetzung überhaupt gewinnen will. Man ist in der Selbstbindung der eingefahrenen Verwaltungsabläufe gefangen. Um dem zu entkommen, ist eine Re-Politisierung des Handelns ein notwendiger Schritt. Dafür wird die neue Bundesregierung einen geeigneten Rahmen schaffen müssen.
Das kleine Georgien ist unverhofft zu einem eindringlichen Testfall dafür geworden, ob Deutschland überhaupt in der Lage ist, in einer gefährlicheren Welt eine eigene Politik zu machen. Die Zeit ohne Gegnerschaft gehört der Vergangenheit an. Jetzt muss man sich durchsetzen können – und das auch wollen. Bisher ist die Bilanz dafür bescheiden.
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