Deutsch­land hatte die Wahl. Hat Polen jetzt die Qual?

Der Tagebau und das Kraftwerk TurówCC BY-SA 4.0 Petr Vodička

Anders als in vielen andere EU-Staaten war der Bundes­tags-Wahlkampf im wirt­schaft­lich eng mit Deutsch­land verbun­denen Polen kein Thema für die Schlag­zeilen. Erst seit dem Wahlabend änderte sich das. Irene Hahn-Fuhr und Gert Röhrborn blicken gen Osten, denn die gravie­renden innen- und euro­pa­po­li­ti­schen Gründe für den schein­baren Wider­spruch aus gegen­sei­tiger Ange­wie­sen­heit und Desin­ter­esse könnten bald auch die neue Bundes­re­gie­rung in Zugzwang bringen.

Die als Trou­ble­maker der EU geltende polnische Regierung der Partei Recht und Gerech­tig­keit (PiS) steht derzeit an mehreren Fronten unter heftigem Beschuss. Der seit Jahren schwe­lende Konflikt mit den euro­päi­schen Insti­tu­tionen um die Poli­ti­sie­rung des Justiz­we­sens strebt gerade auf seinen Höhepunkt zu: Die Kommis­sion macht nun wie vom Euro­päi­schen Parlament gefordert die Annahme des polni­schen Post-COVID19-Aufbau­plans vom weiteren Verhalten Polens in der Rechts­staats­frage abhängig. Die damit verbun­denen Milli­arden hat die PiS aber fest für weitere sozi­al­po­li­ti­sche Wohltaten vor den Wahlen 2023 einge­plant. Sollte die Regierung über den von ihr de facto kontrol­lierten Verfas­sungs­ge­richtshof nun kurzer­hand den gene­rellen Vorrang polni­schen vor euro­päi­schem Recht erklären, würde diese Tragödie mit einem Schlag zu einem Thriller von euro­päi­scher Tragweite. Schon geistert wieder das Gespenst eines Polexits durch die Medien.

Hinzu kommt ein hand­fester Streit Polens mit der tsche­chi­schen Regierung um den Tagebau und das Kohle­kraft­werk in Turów, glei­cher­maßen Symbol für den verzö­gerten Kohle­aus­stieg und die diplo­ma­ti­sche Takt­lo­sig­keit der PiS. Der EuGH gab der Forderung Tsche­chiens Recht, den Betrieb dieser sieben Prozent des landes­weiten polni­schen Ener­gie­be­darfs abde­ckenden Anlage aus umwelt­recht­li­chen Gründen einzu­stellen. Polen miss­ach­tete das Urteil und muss nun Strafen zahlen – ein weiteres poli­ti­sches Desaster.

Als wäre all dies nicht schon genug, spielt sich an der polnisch-bela­rus­si­schen Grenze gerade auch noch ein offenbar von Aljaksandr Lukaschenka zynisch provo­ziertes Immi­gra­ti­ons­drama ab. Dessen Spezi­al­ein­heiten trans­por­tieren täglich hunderte Menschen aus arabi­schen Ländern mit Bussen an die Grenze. Die polnische Regierung spricht von hybrider Kriegs­füh­rung zur Desta­bi­li­sie­rung der EU-Außen­grenzen und hat im direkten Grenz­ge­biet den Ausnah­me­zu­stand ausge­rufen. Unter offen­sicht­li­cher Rücken­de­ckung euro­päi­scher Partner führen Militär und Grenz­po­lizei hier Push-Backs durch, in deren Folge bereits mehrere Immi­granten in Wäldern beider­seits der Grenze erfroren oder an Krank­heiten und Erschöp­fung gestorben sind.

Während also in Südeuropa Wälder in Flammen standen, brennt in Polen, salopp gespro­chen, die Hütte. Da die Natio­nal­kon­ser­va­tiven aber das Doppel­spiel aus Brand­stifter und Feuerwehr beinahe zur poli­ti­schen Perfek­tion getrieben haben, steht ein Wechsel an der poli­ti­schen Spitze Polens weiterhin nicht zu erwarten.

Zwie­späl­tiger, berech­nender Blick auf den Nachbarn

Die Wahl­kampf­de­batten im deutschen Fernsehen wurden auch in Polen verfolgt, jedoch erfolgte eine vertiefte Beschäf­ti­gung mit den Themen erst unmit­telbar vor der Wahl. Der Besuch Armin Laschets in Warschau und die Visite des polni­schen Außen­mi­nis­ters Zbigniew Rau Ende Juli bei Annalena Baerbock und Olaf Scholz in Berlin wurden schon eher wahr­ge­nommen. Breit kommen­tiert wurde auch die Weigerung von Staats­prä­si­dent Andrzej Duda, Angela Merkel ein Treffen auf ihrer Abschieds­tour durch Europa zu gewähren, obwohl es die PiS doch gerade dem mäßi­genden Einfluss, der dem Soli­dar­ność-Erbe emotional verbun­denen Bundes­kanz­lerin zu verdanken hat, dass die Ausein­an­der­set­zung in der Rechts­staats­frage bisher von EU-Seite nicht auf die Spitze getrieben wurde.

Hier und da wurde (wie etwa in der Zeitung Rzecz­pos­po­lita) Erstaunen darüber geäußert, dass Deutsch­land als zentrales euro­päi­sches Land kaum über Außen­po­litik, hingegen ausgiebig über soziale Fragen sowie insbe­son­dere Klima­schutz und Inves­ti­tionen in die digitale Zukunft disku­tierte. Dahinter steht die Sorge, dass der Druck auf Polen weiter wachsen könnte, sollte Deutsch­land unter einer neuen Regierung den Weg zur Klima­neu­tra­lität beschleu­nigen. So behaup­tete Justiz­mi­nister Zbigniew Ziobro, bei der Ausein­an­der­set­zung um Turów werde der Klima­schutz nur vorge­schoben, um das angeblich ener­gie­po­li­tisch autarke Polen seiner Unab­hän­gig­keit zu berauben: „Das ist eine groß­an­ge­legte Aktion von Deutsch­land und Russland.“

Das Wahl­er­gebnis selbst wurde von verschie­denen Seiten mit Gelas­sen­heit aufge­nommen; man inter­pre­tierte es als Zeichen künftiger Stabi­lität, dass auch in Zeiten zuneh­mender poli­ti­scher Frag­men­tie­rung keine extreme Linke oder Rechte das Ruder über­nehmen wird. Die wirt­schaft­liche Koope­ra­tion mit Deutsch­land könne weiterhin zum gegen­sei­tigen Vorteil blühen, wenn die ökolo­gi­sche Trans­for­ma­tion auf ökono­misch rationale Weise ange­gangen werde – fast scheint es, als würde die FDP für Polen zum favo­ri­sierten Gesprächs­partner. Damit wird gege­be­nen­falls die Hoffnung verbunden, die Liberalen würden allzu radikale Forde­rungen der Grünen im Bereich Klima­po­litik ausbremsen, beide Juni­or­partner gemeinsam aber SPD oder CDU/​CSU dazu drängen, bei für Polen wichtigen Themen wie Geschichts­po­litik oder den heraus­for­dernden Bezie­hungen zu Russland – inklusive Nord Stream 2 – ein offen­si­veres Vorgehen an den Tag zu legen. Aus polni­scher Perspek­tive dürfte eine CDU-geführte Drei­er­ko­ali­tion aber definitiv die erträg­li­chere Alter­na­tive sein, auch wenn Olaf Scholz hier ebenfalls als Prag­ma­tiker gesehen wird.

Warten auf den nächsten „anti­deut­schen“ Schachzug

Sollte Berlin aller­dings seine Zurück­hal­tung gegenüber einer direkten Sank­tio­nie­rung Polens für seine Verfeh­lungen im Rechts­staats­be­reich aufge­geben, hätte dies schmerz­liche Konse­quenzen für Warschau. Daher können einige im natio­nal­kon­ser­va­tiven Lager Polens einer verlän­gerten Regie­rungs­bil­dung durchaus etwas abge­winnen. Denn die mit sich selbst beschäf­tigten Deutschen werden „in diesen Verhand­lungen verschie­dene Schwächen dieses Landes offen­legen“, so der PiS-Euro­pa­ab­ge­ord­nete Zdzisław Kras­no­dębski im Staats­fern­sehen TVP, die dann zu passender Gele­gen­heit ausge­nutzt werden könnten. Nicht ausge­schlossen, dass, wie die Magazine Wprost und Tygodnik Pows­zechny vermuten, das Thema der polni­schen Repa­ra­ti­ons­for­de­rungen wieder als poli­ti­sches Druck­mittel aus der Schublade geholt wird, zumal nun mit Grünen und auch FDP neue, poten­ziell offenere Gesprächs­partner bereit­stünden. Die PiS könnte auch versucht sein, in ihrer Politik gegenüber Russland, Belarus und Ukraine die deutschen Koali­ti­ons­par­teien gegen­ein­ander auszuspielen.

Egal, ob Jamaika oder Ampel­ko­ali­tion, die neue deutsche Bundes­re­gie­rung täte gut daran, Polen weit oben auf ihrer Prio­ri­tä­ten­liste zu haben. Denn weitere Desta­bi­li­sie­rungen durch desin­te­gra­tive EU-Exit-Debatten würden alle poli­ti­schen Bemü­hungen für eine klima­neu­trale Moderne konterkarieren.

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