Eckpunkte zur Zukunft der deutschen Chemie-Industrie

Foto: Pexels /​ Tom Fisk

Die chemische Industrie gehört zu den energie- und emissi­ons­in­ten­siven Indus­trien in Deutschland. Gleich­zeitig hat sie enorme Poten­ziale für eine Reduzierung der Emissionen. In einem gemein­samen Projekt mit dem VCI haben wir mit Stake­holdern aus Politik, Wirtschaft und Zivil­ge­sell­schaft Eckpunkte eines Konsenses darüber erarbeitet, wie eine nachhaltige Trans­for­mation der Chemie-Industrie gelingt.

Die chemische Industrie ist eine der tragenden Säulen der deutschen Indus­trie­land­schaft. Es handelt sich um eine global ausge­richtete, beschäf­ti­gungs- und export­starke, innovative Branche mit hoher Wertschöpfung und relativ hohen Löhnen. Sie ist gleicher­maßen relevant für unseren Alltag als Konsu­men­tinnen und Konsu­menten wie als Vorlie­ferant für andere zentrale Wirtschafts­zweige wie die Autoin­dustrie, die Landwirt­schaft, die verar­bei­tende Industrie oder den Bausektor. Die chemische Industrie steht dabei in der öffent­lichen Wahrnehmung vor dem Paradox, dass sie sowohl als Innova­ti­ons­trei­berin und gleich­zeitig mögliche Auslö­serin von Gefahren für Mensch und Umwelt wahrge­nommen wird.

Neben dem sicheren Umgang mit Chemi­kalien ist ein neues Megathema die Frage nach den Klima­wir­kungen der Chemie, die in den kommenden Jahren noch an Relevanz gewinnen wird – und zwar in doppelter Hinsicht: Die chemische Industrie ist eine sehr energie­in­tensive Branche mit einem hohen Anteil fossiler Energie­träger und entspre­chend hohen CO2-Emissionen. Gleich­zeitig hat sie enorme Poten­ziale für eine Reduzierung der Treib­haus­gas­emis­sionen sowohl in den eigenen Produk­ti­ons­pro­zessen sowie durch den Einsatz ihrer Produkte in anderen Wirtschafts­zweigen. Die entspre­chenden Anwen­dungs­felder sind vielfältig: Kreis­lauf­wirt­schaft, Batte­rie­technik, Wasser­stoff und synthe­tische Kraft­stoffe, Leicht­bau­ma­te­rialien, bioba­sierte Kunst­stoffe, Dämmstoffe für Gebäude und die biotech­nische Optimierung von Nutzpflanzen sind nur einige Beispiele.

Für den Klima­schutz ist die Chemie­in­dustrie gleich­zeitig ein Problem und ein Problem­löser, sie kann und muss eine zentrale Rolle beim Übergang in eine klima­neu­trale Indus­trie­ge­sell­schaft spielen. Die deutsche chemische Industrie steht – nicht zuletzt aufgrund der kriegs­be­dingt stark gestie­genen Energie­preise – vor enormen Heraus­for­de­rungen. Gleich­zeitig bietet die Trans­for­mation zu einer klima­neu­tralen, nachhal­tigen Chemie auch große Chancen.

Wie die Zukunft der Branche erfolg­reich gestaltet werden kann, haben wir zwischen Juli 2021 und April 2022 mit Vertre­te­rinnen und Vertretern der chemi­schen Industrie, Gewerk­schaften und Umwelt­ver­bänden sowie Politi­ke­rinnen und Politikern von SPD, Grünen, FDP und CDU disku­tiert. In dem Konsens­papier Eckpunkte einer klima­neu­tralen Chemie­in­dustrie in Deutschland haben wir die während der Fachge­spräche entwi­ckelten Ideen für eine nachhaltige und zukunfts­fähige Chemie­in­dustrie zusam­men­ge­fasst. Die Diskus­sionen zwischen den unter­schied­lichen Akteuren waren geprägt vom Willen, gemeinsame Antworten auf die vielfäl­tigen Heraus­for­de­rungen zu finden. Dabei wurden Diffe­renzen und Streit­punkte nicht ausge­klammert. Große Einigkeit bestand aber im Ziel, eine nachhaltige Chemie­in­dustrie entlang der ökono­mi­schen, ökolo­gi­schen sowie sozialen Dimension in Deutschland zu halten und weiter­zu­ent­wi­ckeln. Das zeigt sich auch während der Diskussion der erarbei­teten Themen, die wir mit unter­schied­lichen Inter­es­sens­gruppen Ende September geführt haben.

Zu den Diskus­sionen der Einzelthemen

Grundlage für eine nachhaltige Entwicklung der chemi­schen Industrie ist die Entwicklung neuer Anwen­dungen, Produkte und Verfahren sowie deren schnellen Fortent­wicklung zur Markt­reife. Zwar hat Deutschland mit seinen vielfäl­tigen großen und kleinen Unter­nehmen, den Hochschulen mit ihrer Grund­la­gen­for­schung und anwen­dungs­be­zo­genen Forschung eine gute Ausgangs­si­tuation für die Trans­for­mation. Aller­dings ist die Anmeldung neuer Patente in Europa gesunken, in Asien dagegen von 26 Prozent auf ca. 50 Prozent gestiegen. Allein diese Zahlen verdeut­lichen, dass das Freisetzen von Erfin­der­geist und Unter­neh­mertum wichtiger ist denn je.

Chemie­konsens: Executive Summary

  • Die nachhaltige Trans­for­mation der chemi­schen Industrie ist eine Chance für Wachstum, neue Geschäfts­felder, innovative Produkte und Anwendungen.
  • Infra­struk­turen für ausrei­chend erneu­er­baren Strom, grünen Wasser­stoff, Energie­speicher sowie die Rahmen­be­din­gungen für einen günstigen Indus­trie­strom­preis müssen schnell geschaffen werden.
  • Für die Trans­for­mation ist mehr Grund­la­gen­for­schung sowie wie eine noch stärkere Vernetzung der privaten sowie univer­si­tären Forschung nötig.
  • Die Kreis­lauf­wirt­schaft wird eine zentrale Rolle in einer nachhal­tigen Chemie­in­dustrie spielen. Ziel ist eine „zero waste“-Chemie, bei der jeder Reststoff wieder in den Wertstoff­kreislauf zurück­ge­führt wird.
  • Eine leistungs­fähige Pharma­in­dustrie ist Voraus­setzung für eine sichere Gesund­heits­ver­sorgung. Der Patent­schutz ist eine Voraus­setzung für die Refinan­zierung aufwän­diger FuE-Prozesse. Für die Versorgung ärmerer Entwick­lungs­länder mit modernen Arznei­mitteln gibt es alter­native Modelle, die mit dem Schutz geistigen Eigentums vereinbar sind.
  • Eine moderne Landwirt­schaft muss nachhaltig, aber nicht ‚bio‘ im tradi­tio­nellen Verständnis sein. Die Maxime ist: hohe Produk­ti­vität und Umwelt­schutz schließen sich nicht aus. Dafür sind synthe­ti­scher Dünger sowie Pflan­zen­schmutz­mittel unver­zichtbar, sie werden aber präziser und schonender eingesetzt.
  • Angesichts des raschen Klima­wandels und der steigenden Nachfrage nach Agrar­pro­dukten ist ein neuer politi­scher und gesell­schaft­licher Konsens über Nutzen, Risiken und Kriterien der grünen Gentechnik und der synthe­ti­schen Biologie nötig. Andern­falls verlieren Deutschland und die EU den Anschluss an eine der wichtigsten Zukunftstechnologien.
  • Die Ziele der EU-Chemi­ka­li­en­stra­tegie für Nachhal­tigkeit (CSS) werden von der Chemie­in­dustrie unter­stützt, jedoch darf diese nicht zum Hemmschuh für Innova­tionen und Inves­ti­tionen werden. Das Ziel der Gefah­ren­ver­meidung für Mensch und Umwelt und die sichere Verwendung gefähr­licher, aber essen­ti­eller Chemi­kalien durch profes­sio­nelle Anwen­de­rinnen und Anwender schließen sich nicht aus.

Sie können das Konsens­papier unter­halb dieses Texts einfach lesen oder als PDF her­un­ter­la­den.

LibMod_​Konsenspapier_​Chemie

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