Gegen Anony­mität – Wie sich der Fake-News-Dschungel lichten lässt

Quelle: Flickr/​Jeso Carneiro

LibMod-Autor Edward Lucas fälscht den Mail-Account eines Abge­ord­neten und führt vor, wie scho­ckie­rend einfach es ist, falsche Infor­ma­tionen zu verbreiten. Er fordert: Wir müssen die Anony­mität im Internet beschränken, um Verbre­chern und Provo­ka­teuren das Handwerk zu legen. 

Vor Sonder­aus­schüssen des US-Kongresses oder des briti­schen Parla­ments Rede und Antwort zu stehen, bestärkt norma­ler­weise meinen Glauben in die Demo­kratie. Die Fragen sind wohl­in­for­miert; Partei­zu­ge­hö­rig­keiten kaum auszu­ma­chen; die Stimmung für gewöhn­lich von höchster Ernst­haf­tig­keit geprägt.

Diesen Monat geriet ich in Zweifel. Der Ausschuss für Digi­ta­li­sie­rung, Kultur, Medien und Sport des briti­schen Unter­hauses, dem Damian Collins vorsitzt, unter­suchte das Thema Fake News. Also begann ich meine Ausfüh­rungen mit einer Darstel­lung, wie lächer­lich einfach es ist, im Internet die Iden­ti­täten von Orga­ni­sa­tionen und Personen zu kapern. Einige Tage vorher hatte ich unter dem Namen damian.collins.mp.office@gmail.com einen GMail-Account einge­richtet. Dann nutzte ich das E‑Mail-Konto, um unter dem Namen Damian Collins Accounts bei Facebook und Twitter einzu­richten. Um mein Vorhaben abzu­runden, machte ich mich an den Aufbau von Damian Collins Inter­net­seite (damian-collins-mp.org.uk) sowie einer weiteren unter dem Namen des Ausschusses. Das Ganze dauerte rund zehn Minuten. Hätte ich eine volle Stunde drauf verwendet, hätte ich noch weiter gehen können und Fotos und andere Mate­ria­lien hochladen, um die Inter­net­seite über­zeu­gender aussehen zu lassen. Ich hätte sie mit echten Doku­menten bestückt (und lediglich ein paar Fakes darun­ter­ge­mischt). Voraus­ge­setzt, ich würde damit kein Geld verdienen, ist nichts davon rechts­widrig. Und es wäre für alle, die auf die Fake-Accounts gestoßen wären, unmöglich gewesen zu bemerken, dass sie sich im Cyber-Dschungel verirrt haben.

Einen Penny per Inter­net­ban­king zu über­weisen, wenn man ein E‑Mail-Konto oder einen Account in den sozialen Medien eröffnet, wäre ein Indiz für die Echtheit einer Person. 

Ich habe jedoch lediglich Screen­shots von meinem Streich gemacht und alles wieder gelöscht – Mr. Collins kann beruhigt schlafen. Wir jedoch können das nicht. All die Fälschungen, die uns in unserem Online-Leben heim­su­chen, entspringen der Anony­mität: Es ist schwer zu erfahren, mit wem wir es zu tun haben und ob wir uns auf dem richtigen Weg befinden. Durch Anony­mität gewinnen fiktive Inter­net­seiten und E‑Mail-Konten ihren Einfluss. Für Cyber­kri­mi­nellen sind sie ein Segen, beispiels­weise können sie leicht von korrekten Adressen falsche Rech­nungen versenden. Was wir auf dem Bild­schirm sehen, begreifen wir als Realität und sind uns nicht im Klaren, dass Spinner, Ganoven, skru­pel­lose Agents Provo­ca­teurs auslän­di­scher Regime und Unter­nehmen wie Cambridge Analytica diese „Realität“ uns nur vorsetzen.

Sperren ist der falsche Weg

Leicht sind wir versucht, einfach die Sperrung falscher Inhalte zu verlangen. Aller­dings ist es heikel und schwierig, das Internet zu kontrol­lieren. Die Geschmä­cker sind verschieden. Was für den einen eine gemeine Lügen­ge­schichte ist, mag für den anderen bissige Satire sein. Die Grenze zwischen Wahrheit und Fälschung ist oft verschwom­mener als wir meinen. Ist etwas verant­wor­tungs­lose Erfindung oder lebhaft betrie­bene Speku­la­tion? Ist es unsäglich tenden­ziös oder kraftvoll formu­liert? Ist es einseitig berichtet oder eine einfache, aber wort­mächtig erzählte Geschichte? Je weniger Fragen dieser Art in einer offenen Gesell­schaft vor Gericht geklärt werden, umso besser!

Ich habe dem Ausschuss empfohlen, statt­dessen die „gesichts­losen“ Infor­ma­ti­ons­quellen an den Rand zu drängen. Anony­mität hat ihre Daseins­be­rech­ti­gung (beispiels­weise bei sensibler, im Verbor­genen agie­render Menschen­rechts­ar­beit). Aber sie sollte nicht zur Grund­ein­stel­lung von Inter­net­nut­zern werden, schließ­lich ist das Internet zum zentralen Nerven­system der modernen Zivi­li­sa­tion geworden.

Kein Mailkonto ohne Identitätsnachweis

Es gibt bereits Instru­mente zur Iden­ti­täts­prü­fung. Twitter verteilt blaue Häkchen an Accounts, bei denen die Identität überprüft worden ist. Mein falscher Twitter-Account unter dem Namen von Damian Collins hatte kein Häkchen und konnte leicht als Fake oder Parodie erkannt werden. Eine solche Über­prü­fung sollte Standard sein. Und sie sollte sich auf den Main­stream des Internet erstre­cken, auf Facebook, Google und die anderen großen Anbieter von Kommunikationsdienstleistungen.

Glaub­wür­dig­keit herzu­stellen, sollte einfach sein. Einen Penny per Inter­net­ban­king zu über­weisen, wenn man ein E‑Mail-Konto oder einen Account in den sozialen Medien eröffnet, wäre ein Indiz für die Echtheit einer Person. Ein Anruf von einem echten Telefon wäre der nächste Schritt. Ein weiterer Baustein der Nachweise über Steu­er­zah­lungen, die Wahl­be­rech­ti­gung, eine Einstu­fung der Kredit­wür­dig­keit oder das Vorliegen eines Passes. Im Idealfall würde keiner dieser persön­li­chen Daten­sätze tatsäch­lich über­mit­telt. Entschei­dend wäre zu belegen, dass man über sie verfügt. Das Ergebnis wäre nicht rundum sicher, aber es wäre ausrei­chend, um den Großteil der Betrüger abzuschrecken.

Ähnliches ist für Websites nötig. Jeder, der für sich eine Internet-Adresse regis­triert und Kapa­zi­täten eines Computers erwirbt, um seine Website dort zu hosten, sollte Fragen über seine Existenz beant­worten müssen: Die geogra­phi­sche Adresse, die Tele­fon­nummer? Wer hat die Leitung inne? Wie wurde gezahlt? Wenn ein Webmaster, der allzu hart­nä­ckig anonym bleiben will, Infor­ma­tionen dieser Art nicht vorlegt, ist das sein gutes Recht. Dann sollte die Website aber auch entspre­chend markiert werden.

Warn­hin­weise für anonyme Konten

Ich habe dem Ausschuss die roten Warnungen gezeigt, die uns anzeigen, dass man nicht auf die betref­fende Website gehen sollte, weil sie unsere Computer mit Schad­soft­ware infi­zieren könnte. Wir sollten ähnliche Warnungen erhalten, wenn wir eine Seite anklicken, deren Ursprung absicht­lich verschleiert ist.

Das würde das Leben der Mani­pu­la­toren erschweren. Wir könnten in unseren E‑Mail-Fächern und Facebook-Accounts erkennen, ob die Leute, mit denen wir es zu tun haben, echt sind. Wir hätten eine bessere Vorstel­lung von den Links, die wir anklicken. Ein Skandal ist weniger elek­tri­sie­rend, wenn man weiß, dass er einem anonymen „Nach­rich­ten­portal“ entstammt, das weder einen Heraus­geber noch eine Adresse hat.

Recht auf Daten­schutz nicht unantastbar

Der gleiche Ansatz sollte auch für Werbung gelten. Wir müssen wissen, wer uns beein­flusst und mit welchem Interesse. Das erfordert ein Umdenken, wir müssen akzep­tieren, dass jeder, der Werbung schaltet, damit sein Recht auf Daten­schutz teilweise verliert. Wenn wir auf eine Werbung klicken, sollten wir erkennen können, wer dafür bezahlt hat; Firmen, die eine Werbe­fläche verkaufen, sollten Infor­ma­tionen wie diese in einem öffent­lich zugäng­li­chen Register speichern.

Diese Ände­rungen würden für die Internet-Riesen einen unbe­quemen, kost­spie­ligen und mitunter pein­li­chen Wandel bedeuten. Doch ange­sichts der verhee­renden Schäden, die diese Firmen unserem Gemein­wesen zugefügt haben, sollten wir und unsere Politiker auf einem solchen Wandel bestehen.

 

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