Energie­po­li­tische Bilanz der Ampel: Besser performt als kommuniziert

Foto: Imago

Es war nicht alles schlecht – jeden­falls war es weitaus besser, als es öffentlich kommu­ni­ziert wurde, so Christoph Maurers energie­po­li­tische Bilanz der Ampel-Regierung. Was gut lief, was schei­terte, wo Verbes­se­rungs­bedarf besteht und vor allem: Was die künftige Regierung in Sachen Energie­po­litik von der schei­denden erbt, das verrät uns der promo­vierte Ingenieur, Energie­ökonom und Experte für Energie­po­litik in seiner Analyse.

1.  Ad-hoc-Krisen­be­wäl­tigung statt langfris­tiger Pläne

Nach den letzten Regie­rungs­jahren von Angela Merkel, die nicht nur hinsichtlich ihrer Klima­po­litik recht unambi­tio­niert waren, haben viele energie- und klima­po­li­tisch Inter­es­sierte mit dem Antritt der Ampel-Regierung Ende 2021 große Hoffnungen verbunden: Im besten Fall würde es gelingen, entschlossene und zielge­richtete Klima­schutz­maß­nahmen mit markt­wirt­schaft­lichen Ansätzen zu kombi­nieren. Der kurz nach der Regie­rungs­über­nahme erfolgte Überfall Russlands auf die Ukraine hat diese Fragen aber zunächst in den Hinter­grund treten lassen. Bei der Sicherung der Energie­ver­sorgung Deutsch­lands und Europas angesichts ausfal­lender Gaslie­fe­rungen aus Russland und einer präze­denz­losen Verfüg­bar­keits­krise der franzö­si­schen Nukle­ar­flotte hat die Ampel­ko­alition schnell und pragma­tisch gehandelt.

Markt­me­cha­nismen statt staat­licher Eingriffe

Die Errichtung von LNG-Terminals und Sicher­stellung des Zugangs zu LNG in einer zuvor für unmöglich gehal­tenen Geschwin­digkeit ist nur ein Aspekt. Auch auf europäi­scher Ebene hat die Ampel während der Energie­krise sinnvoll und mäßigend agiert. Während viele Akteure aus EU-Kommission und Mitglieds­staaten massiven Markt­ein­griffen wie der Einführung von – in einer Situation akuter Knappheit die Lage nur verschär­fenden – Preis­ober­grenzen und ökono­misch unsin­nigen Eingriffen in den Preis­bil­dungs­me­cha­nismus das Wort geredet haben, hat die Bundes­re­gierung  – zumindest weit überwiegend – dafür plädiert, Markt­me­cha­nismen zur Krisen­be­wäl­tigung und Mobili­sierung von Ressourcen zu nutzen. Das hat sich letzt­endlich auch als erfolg­reich erwiesen. Auch die Umsetzung der „Preis­bremsen“ für Strom und Gas ist im Vergleich zu Inter­ven­tionen in anderen Mitglieds­staaten gelungen. Denn die imple­men­tierten Instru­mente haben den Preis­me­cha­nismus eben gerade nicht ausge­hebelt, sondern vor allem auf eine Begrenzung der Energie­kosten für vulnerable Verbraucher bei Erhalt von Einspar­an­reizen und Preis­si­gnalen gezielt. Leider hat die politische Kommu­ni­kation sehr viel stärker den Eindruck von tatsäch­lichen Preis­ein­griffen erweckt und damit den Erfolg in der Sache zumindest konterkariert.

Partei­po­li­tische Inter­essen statt Sachlage kommuniziert

Insbe­sondere kommu­ni­kativ wenig überzeugend bleibt auch der Umgang der Koalition mit der Frage des Weiter­be­triebs bzw. der Still­legung der letzten verblie­benen Kernkraft­werke. Die zum Teil schrillen, sachlich schwer begründ­baren State­ments zu Vor- und Nachteilen der Kernener­gie­nutzung sowie die Notwen­digkeit, eine Sachent­scheidung durch die – in der politi­schen Praxis der Bundes­re­publik völlig unübliche – explizite Ausübung der Richt­li­ni­en­kom­petenz des Bundes­kanzlers herbei­zu­führen, haben den Eindruck vermittelt, dass die Koali­tionäre kurzfristige partei­po­li­tische Inter­essen über Sachfragen stellen. Leider hat dieser Eindruck in der Folge, gerade auch bei der unseligen Debatte zum Gebäu­de­en­er­gie­gesetz, die Wahrnehmung der energie­po­li­ti­schen Arbeit der Koalition vielfach, teilweise zu Unrecht, geprägt.

2. Erheb­liche Fortschritte bei erneu­er­baren Energien und Netzausbau

Neben der kurzfris­tigen Substi­tution von Gasim­porten aus Russland hat die Energie­krise 2022 auch die Notwen­digkeit aufge­zeigt, das europäische Energie­system schneller von fossilen Energie­trägern unabhängig zu machen. Eine diesbe­züglich in der öffent­lichen Debatte wenig beachtete, aber praktisch sehr relevante Konse­quenz der Energie­krise, war die auch auf deutsche Initiative hin zustande gekommene EU-Notfall­ver­ordnung für einen beschleu­nigten Ausbau der Nutzung erneu­er­barer Energien und die schnelle Überführung in natio­nales Recht durch die Ampel­ko­alition. Zusammen mit der entschlos­senen Erhöhung der EE-Ausbau­ziele in der Änderung des Erneu­er­baren-Energien-Gesetztes im Jahr 2023 sowie weiteren Maßnahmen wie Vorgaben zur Flächen­be­reit­stellung wurden damit die Grund­lagen für eine deutliche Beschleu­nigung beim Ausbau der erneu­er­baren Energien und der Strom­netze gelegt.

Hohes Tempo bei Solar­energie, Onshore Wind, Netzausbau

Am spürbarsten ist das beim Ausbau der Solar­energie, wo die instal­lierte Kapazität seit Ende 2021 von ca. 60 GW auf rund 100 GW gewachsen ist. Für das langfristige Gelingen der Energie­wende und eine erfolg­reiche Dekar­bo­ni­sierung des Energie­systems bei möglichst geringen Kosten sind die durch oben genannte Maßnahmen möglich gewor­denen Zuwächse bei Geneh­mi­gungen für Onshore Wind und Netzaus­bau­maß­nahmen jedoch entschei­dender. Bei Onshore Wind, wo die Deckung der Nachfrage in den staat­lichen EE-Ausschrei­bungen und die Errei­chung der Ausbau­ziele mangels geneh­migter Projekte über Jahre verfehlt wurde, hat die Zahl der Geneh­mi­gungen 2024 bei ca. 14 GW und damit mehr als dreimal höher als im Jahr 2021 gelegen. Auch beim Übertra­gungs­netz­ausbau, lange Zeit ein Nadelöhr der Energie­wende, lagen die Geneh­mi­gungen gegenüber 2021 um einen Faktor vier höher und steigen weiter an. Spätestens gegen Ende der nächsten Legis­la­tur­pe­riode dürften die Inbetrieb­nahmen neuer Leitungen deutlich zunehmen.

3. Baustelle Strom­markt­design: steuerbare Leistung, Flexi­bi­lität, lokale Signale

Schon bei Amtsan­tritt der Ampel­re­gierung war klar: Soll der im Koali­ti­ons­vertrag angestrebte Kohle­aus­stieg 2030 umgesetzt werden, müssen die heute noch im Markt operie­renden Kohle­kraft­werke durch einen Zubau verlässlich verfüg­barer, steuer­barer Erzeu­gungs­leistung in der Größen­ordnung von bis zu 20 GW substi­tuiert werden.

Kraft­werks­stra­tegie

Der im Koali­ti­ons­vertrag ebenfalls angekün­digten allge­meinen Debatte um das Strom­markt­design wurde deshalb eine sogenannte Kraft­werks­stra­tegie vorge­schaltet. Sie zielte auf eine schnelle Ausschreibung von Kraft­werks­leistung und wurde nicht primär als Maßnahme zur Gewähr­leistung der Versor­gungs­si­cherheit, sondern als Dekar­bo­ni­sie­rungs­in­strument angekündigt. Die Kraft­werks­stra­tegie steht im Spannungsfeld zwischen natio­nalen, stark durch die Kosten geprägte Debatten und EU-beihil­fe­recht­lichen Anfor­de­rungen an ein solches Instrument. Diese beinhalten auch die Notwen­digkeit einer zeitnahen, aber poten­ziell teuren und risiko­be­haf­teten Umstellung auf Wasser­stoff als Brennstoff.

Die Kraft­werks­stra­tegie wurde im Lauf der Legis­latur im Umfang reduziert und hat sich zudem auch immer weiter verzögert. Schließlich hat das dringend benötigte Kraft­werks­si­cher­heits­gesetz deshalb den Entwurfs­status nicht mehr verlassen.

Die Wieder­auf­nahme dieses Prozesses wird eine der dring­lichsten Aufgaben für die neue Bundes­re­gierung darstellen.

Strom­markt­design

Handlungs­bedarf gibt es beim Strom­markt­design aber auch darüber hinaus, wie die gerade in 2024 stark gestie­genen Preis­vo­la­ti­li­täten klarmachen – es hatte in diesem Jahr einer­seits eine Rekordzahl an Stunden mit negativen Preisen und damit einher­ge­henden Wohlfahrts­ver­lusten aufgrund einer nicht auf Preis­si­gnale reagie­renden Solar­ein­speisung. Anderer­seits kam es im Winter bei niedrigen EE-Verfüg­bar­keiten zu Preis­spitzen, die in Häufigkeit und Ausmaß die Werte der Vergan­genheit deutlich überstiegen. Im Rahmen der Plattform Klima­neu­trales Strom­system startete 2023 ein Stake­holder-Dialog-Prozesses, der im Sommer 2024 in ein vom BMWK vorge­legtes Optio­nen­papier zum Strom­markt­design mündete. Dabei wurden verschiedene Ansätze zur Weiter­ent­wicklung aufge­zeigt. Auch weil die Plattform krisen­be­dingt erst relativ spät in der Legis­latur starten konnte, ist es hier jedoch nicht mehr zur legis­la­tiven Umsetzung gekommen. Auch dieser Prozess muss zeitnah wieder­auf­ge­nommen werden. Dabei wird es darum gehen, die Grund­satz­ent­scheidung zur Einführung eines Kapazi­täts­markts, also eines Vergü­tungs­in­stru­ments für steuerbare Leistung unabhängig von der Energie­lie­ferung, konkret und zügig umzusetzen. Außerdem muss das EE-Förder­system so refor­miert werden, dass erneu­erbare Energien möglichst vollständig und optimal auf Markt­preis­si­gnale reagieren, damit durch flexible Nachfrage und Speicher das schwan­kende Dargebot erneu­er­barer Energien aufge­fangen werden kann. Gerade letzteres ist eine vielschichtige Aufgabe.

Aufteilung des Stromgroßhandelsmarktes

Der Rollout von Smart Metern, unabdingbare Voraus­setzung für digitale Geschäfts­mo­delle zur Flexi­bi­li­sierung des Energie­systems, ist in vielen westeu­ro­päi­schen Ländern sehr weit fortge­schritten. In Deutschland ist es hingegen aufgrund eines überam­bi­tio­nierten Konzepts kaum gestartet. Die Netzent­gelt­sys­te­matik fördert bisher eher die Infle­xi­bi­lität als die Flexi­bi­lität der Nachfrage. Der Zubau flexibler Nachfrager und Speicher gewinnt erheblich an Dynamik. Doch es ist unklar, wie diese system­dienliche Standort- und Einsatz­ent­schei­dungen zielführend treffen sollen, wenn die zur Koordi­nierung genutzten Preis­si­gnale gegenüber der Netzsi­tuation blind sind. Von EU-Kommission und Nachbar­staaten wird eine denkbare Aufteilung des Strom­groß­han­dels­marktes in mehrere Gebots­zonen zur Einführung lokaler Preis­si­gnale gefordert. Vermutlich wird dies auch im demnächst erschei­nenden sogenannten EU-Bidding Zone Review als wohlfahrts­stei­gernd identi­fi­ziert.  Zugleich aber wird eine solche Aufteilung des Strom­groß­han­dels­marktes von politi­schen Entschei­dungs­trägern, Wirtschafts­ver­bänden und Gewerk­schaften in Deutschland vehement abgelehnt.

4. Indus­trielle Transformation

Um die Koordi­na­ti­ons­pro­bleme beim Wasser­stoff­hochlauf zu begrenzen, war der Beschluss zur Errichtung und Finan­zierung eines Wasser­stoff­kern­netzes mit Blick auf die Trans­for­mation der Industrie ein wichtiger Schritt. Gleich­zeitig ist – auch bei optimierter Umsetzung der Energie­wende – nicht absehbar, ob die Energie­kosten in Deutschland wieder auf das Vorkri­sen­niveau fallen bezie­hungs­weise ob sich diesbe­züg­liche Stand­ort­nach­teile im inter­na­tio­nalen Wettbewerb verringern werden. Damit stellt sich zunehmend die Frage nach der langfris­tigen Vorteil­haf­tigkeit einer auf den Erhalt bestehender indus­tri­eller Struk­turen setzenden Indus­trie­po­litik. Diese könnte nicht nur zu dauer­haftem, schwer durch­zu­hal­tendem Subven­ti­ons­bedarf führen, sondern letzt­endlich auch knappe Personal- und Kapital­res­sourcen in wenig produk­tiven Anwen­dungen binden. Damit würde sie das Wachs­tums­po­tenzial der Volks­wirt­schaft hemmen.

Zusam­men­fassung

Viele Kommen­ta­toren haben das Scheitern der Ampel­ko­alition auch und gerade an der Energie- und Klima­po­litik festge­macht. Dabei hat die Regierung in diesen Politik­feldern einiges erreicht. Nicht nur das pragma­tische Management der Energie­krise, sondern auch die Beschleu­nigung des Ausbaus von Erneu­er­baren Energien und Strom­netzen sind unbestreitbare Erfolge. Bedau­erlich bleibt, dass infolge der allsei­tigen Kommu­ni­kation, die auf „virtue signaling“ zielte, reale politische Fortschritte von der Öffent­lichkeit vielfach nicht wahrge­nommen wurden.

Gleich­zeitig sind gerade im Bereich des Strom­markt­de­signs viele drängende Probleme noch ungelöst. Die Gewähr­leistung der Versor­gungs­si­cherheit durch Zubau steuer­barer Erzeu­gungs­leistung und die Flexi­bi­li­sierung des Strom­systems müssen von der neuen Regierung mit hoher Priorität angegangen werden.

Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unter­stützen damit die publi­zis­tische Arbeit von LibMod.

Spenden mit Bankeinzug

Spenden mit PayPal


Wir sind als gemein­nützig anerkannt, entspre­chend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spenden­be­schei­nigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adress­daten bitte an finanzen@libmod.de

Verwandte Themen

Newsletter bestellen

Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regel­mäßig Neuig­keiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mungen
erklären Sie sich einverstanden.