Ablen­kungs­ma­növer: Öster­reichs Regierung übt sich in sinn­freier Sprache

Quelle: Dragan Tatic/​Flickr

ÖVP und FPÖ verkaufen ihre Politik mit Phrasen, Klischees und sinnlosen Sätzen. Sprach­kritik wird zur Bürgerpflicht.

Einmal mehr müssen wir darüber sprechen, wie in Öster­reich eine neue Norma­lität kreiert werden soll. Eine neue Art zu sprechen ist im Begriff, das Land zu verändern.

An der Spitze der Bewegung steht, seiner Führungs­po­si­tion ange­messen, der Bundes­kanzler. Sebastian Kurz hat nicht nur dafür gesorgt, dass die regie­rungs­seitig rigoros durch­ex­er­zierte Message Control ein etabliertes Schlag­wort im öster­rei­chi­schen Poli­tik­dis­kurs geworden ist: Die Regierung versucht, Nach­rich­ten­flüsse in einem bislang unbe­kannten Ausmaß zu steuern und zu kontrollieren

Durch schlechte Sprache will uns die Regierung verwirren, ablenken und womöglich hinters Licht führen 

Nein, Herr Kurz hat mit seiner, nun: eigen­wil­ligen Art der Fragen­be­ant­wor­tung auch erreicht, dass der Hashtag „#Answer­Li­ke­Kurz“ sich großer Beliebt­heit erfreut. Dabei geht es um eine streng inhalt­be­freite Art, auf Fragen zu reagieren. Ein (ausge­dachtes) Beispiel:

Frage: „Herr Kurz, was verstehen Sie unter ‚liberale Moderne‘?“

Antwort: „Ich bin sehr dankbar, dass Sie mir diese Frage stellen. Die liberale Moderne ist mir auch persön­lich ein wichtiges Anliegen. Libe­ra­lität und Moderne gibt es schon lange in Öster­reich. Ich habe immer betont, dass sie wichtig sind für unsere Heimat. Das gilt auch für die Zukunft. Deshalb ist es wichtig, die Balkan­route zu schließen und die Zuwan­de­rung in unser Sozi­al­system zu stoppen. Wie all das geschehen kann, muss evaluiert werden. Jeden­falls ist es legitim und verständ­lich, dass Sie diese Frage aufwerfen.“

Sinnlose Sätze

Der inhalt­lich limi­tierte und stilis­tisch befremd­liche Neusprech beschränkt sich nicht auf die Regie­rungs­spitze, sondern lässt sich bis in die Fach­mi­nis­te­rien verfolgen. Für eine Mischung aus Amüsement und Fassungs­lo­sig­keit sorgte die mit Spannung erwartete erste Budget­rede des neuen Finanz­mi­nis­ters Hartwig Löger. Der Heraus­geber des Wiener Falter, Armin Thurnher, brachte die Sache mit der Über­schrift Es lögert im System auf den Punkt.

Denn Lögers Rede glich einem sprach­li­chen Total­schaden. Der Minister sprach von „Grund­prin­zi­pien, die wir auch in Zukunft in der Verant­wor­tung haben“, ließ Sätze vom Stapel wie „Entlas­tung kommt in die Wirkung“ und „Es werden Begriffe geschürt, die Verängs­ti­gung bei den Menschen geben“ und äußerte sich über „ein ganz wichtiges Momentum, das wir mit dieser Regierung einen Aufbruch erleben“.

Alles Ablenkung?

Natürlich darf man bei seiner ersten Budget­rede nervös sein, und natürlich haben auch mächtige Männer mal schlechte Tage. Aber Lögers lingu­is­ti­sche Irrfahrt rief nicht nur Erstaunen und die Frage hervor, wie dieser Mann vorher ein erfolg­rei­cher Manager sein konnte – sondern auch Entsetzen ob des größeren Zusam­men­hangs. Der scheint zu lauten: Die Regierung will nicht nur ihre Botschaften kontrol­lieren und vorgeben, wer wie wann worüber redet – Nein, sie will uns mit schlechter Sprache verwirren, ablenken und womöglich hinters Licht führen.

Klischees verdecken inhalt­liche Mängel

Womit wir bei einem weiteren Beispiel des regie­rungs­amt­li­chen Neusprechs sind: der Nach­hal­tig­keits­po­litik. Die zustän­dige Minis­terin Elisabeth Köstinger hat letzte Woche gemeinsam mit dem „frei­heit­li­chen“ Infra­struk­tur­mi­nister Nobert Hofer „Mission 2030“ der Öffent­lich­keit vorge­stellt: die öster­rei­chi­sche Klima- und Ener­gie­stra­tegie. Diese Strategie hat bei Fach­leuten für Reak­tionen zwischen Ernüch­te­rung und Fassungs­lo­sig­keit gesorgt: Sie enthält weder konkrete Reduk­ti­ons­pfade noch konkrete budgetäre Planungen. Die inhalt­li­chen Mängel werden ergänzt – sollte man besser sagen: abge­si­chert? – durch eine Kanonade an inhalts­leeren Pres­se­ge­sprä­chen und Inter­views, die nicht selten an Loriots legendäre Bundes­tags­rede gemahnen. Die syste­ma­ti­sche und dreiste Nicht-Beant­wor­tung jour­na­lis­ti­scher Fragen wird garniert mit Füll­worten, deren camou­flie­render Charakter offen zu Tage liegt. Dass das keine Methode hat, kann niemand glauben. Es ist offen­sicht­lich: Wir sollen für dumm verkauft werden.

Natürlich kann – und soll – man über Kurzens Antwort­stil, Stögers rheto­ri­sches Desaster und Köstin­gers Nach­hal­tig­keits­sprech lachen. Das aber reicht nicht. Wegen der hoch­pro­ble­ma­ti­schen Inhalte, die der herr­schende Neusprech verdeckt, ist Sprach­kritik in diesen Tagen Bürgerpflicht.

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