Ungarn: Hexenjagd auf George Soros

Der unga­ri­sche Minis­ter­prä­si­dent Viktor Orbán ist ein Meister der schreck­li­chen Verein­fa­chung und der Erfindung von Sünden­bö­cken. Im Fokus der staatlich gelenkten Kampagne gegen George Soros stehen Migranten, Minder­heiten und imaginäre Feinde. Damit soll die Aufmerk­sam­keit von der zuneh­menden Spaltung der Gesell­schaft, von Korrup­tion, Vettern­wirt­schaft, Gängelung der öffent­li­chen Medien und dem Abbau zivil­ge­sell­schaft­li­cher Rechte abgelenkt werden.

Viktor Orbán am 19 Januar in seinem Frei­tags­in­ter­view im Buda­pester Kossuth Radio: „George Soros bekennt offen, dass er die Migration mit sehr viel Geld unter­stützt – er hat einen Plan. Er hat gesagt, dass das Problem der Grenzzaun ist, wir sagen aber, dass die Migration das Problem ist und der Zaun die Lösung.“ Soros, der jüdisch-ungarisch-ameri­ka­ni­sche Milli­ardär, soll den euro­päi­schen Kontinent mit Millionen musli­mi­scher Migranten „über­schwemmen“ wollen, um das christ­liche Europa zu zerstören und die Natio­nal­staaten aufzulösen.

Diese Behaup­tungen sind offen­kundig absurd und vielfach widerlegt.  Um sie dennoch tief im unga­ri­schen Bewusst­sein zu verankern, bedient sich die Regie­rungs­pro­pa­ganda anti­se­mi­ti­scher Klischees. So startete sie 2017 millio­nen­schwere Aktionen: eine Plakat­kam­pagne zeigte George Soros einmal als Puppen­spieler, der die Oppo­si­ti­ons­po­li­tiker tanzen lässt, ein anderes Mal mit einem diabo­li­schen Lächeln neben der Aufschrift „Lassen wir nicht zu, dass Soros zuletzt lacht“.

In einem nächsten Schritt wurden in zwei Runden Frage­bögen, genannt „Nationale Konsul­ta­tion“ mit sugges­tiven und falschen Behaup­tungen über die Einwan­de­rung („Stoppt Brüssel“) und über den soge­nannten „Soros-Plan“ an 8 Millionen Wahl­be­rech­tigte verschickt. Ungarn wurde mit Hass­pla­katen zuge­kleis­tert: In der U‑Bahn, an Litfaß­säulen, Bushal­te­stellen, selbst auf Fried­höfen erin­nerten Anti-Soros Plakate an schlimmste Zeiten poli­ti­scher Demagogie.

Umso absurder wirkt die Nachricht, die neulich aus einem Interview der „Times of Malta“ mit dem stell­ver­tre­tenden Staats­se­kretär im Außen­mi­nis­te­rium, Kristof Altusz bekannt wurde. Ungarn soll im vergan­genen Jahr „heimlich“ 1.300 Schutz­su­chende aufge­nommen haben. Die Zahl entspricht etwa der für Ungarn vorge­se­henen Quote von Flücht­lingen, gegen die Orbán sich so weit aus dem Fenster gelehnt hatte. Ange­sichts dessen fragt die Oppo­si­tion nun, ob die Anti-Migra­tions-Kampagne nur eine Insze­nie­rung gewesen sein soll, um das Nachgeben der Regierung zu verschleiern.

Auch mit den Mitteln der Legis­la­tive wurde 2017 gegen George Soros vorge­gangen, etwa mit einer Novelle des Hoch­schul­ge­setzes, bekannt als dem LEX CEU, das die von Soros gegrün­dete Buda­pester „Central European Univer­sity“ in exis­ten­ti­elle Nöte stürzte, und mit einem neuen NGO-Gesetz. Dieses hat die Absicht, die Arbeit von Menschen­rechts­ak­ti­visten, soge­nannten „migranten-strei­chelnden Soros-Agenten“, anzu­pran­gern, indem es eine Melde­pflicht für auslän­di­sche Spenden an Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tionen einführte, die jährlich mehr als 23.000 Euro an Geldern aus dem Ausland erhalten.

George Soros wurde 1992 welt­be­kannt, als er erfolg­reich gegen das Britische Pfund speku­lierte. In seiner Rolle als Phil­an­throph engagiert er sich für den Aufbau offener Gesell­schaften, besonders in Mittel- und Osteuropa. Im Herbst 1989 bekam der junge Orbán ein Soros-Stipen­dium für ein Studium in Oxford. Auch andere FIDESZ Politiker wurden von Soros unter­stützt, da dieser damals große Hoff­nungen in die FIDESZ-Partei setzte.

Heute erinnert sich niemand in der FIDESZ gern an diese Episode. Mit Blick auf die am 8. April anste­hende Parla­ments­wahl soll der schwe­lende Hass in der Bevöl­ke­rung geschürt werden, um der zersplit­terten Oppo­si­tion jede denkbare Chance zu nehmen, die seit zwei Legis­la­tur­pe­ri­oden regie­rende FIDESZ abzulösen. Dazu dient auch der Geset­zes­ent­wurf, der unter dem Titel „Stoppt Soros“ bekannt wurde. Dieser soll NGOs einen finan­zi­ellen Riegel vorschieben, die in irgend­einer Form „illegale Migration“ fördern.

Der gesäte Hass fällt leider auf frucht­baren Boden, auch aufgrund der exis­ten­zi­ellen Unsi­cher­heit für breite Gesell­schafts­schichten. Die Regie­rungs­pro­pa­ganda, so der Soziologe Antal Örkény, ziele auf alte Reflexe und Denk­muster: Die Ungarn fühlten sich in Europa wie auf einer Insel, ständig umgeben von Feinden, man könne sich nur schützen,indem sich die Gesell­schaft nach außen verschließe. Und der Histo­riker Tamás Stark erinnert daran, dass Verschwö­rungs­theo­rien oft sympto­ma­tisch sind für poli­ti­sche Systeme, die den eigent­li­chen Heraus­for­de­rungen nicht gewachsen sind.

In einem Land, das wie Ungarn eine histo­ri­sche Opfer­rolle pflegt, wird sich daran wohl so schnell nichts ändern. Der Hass auf imaginäre Feinde und der Rückzug auf natio­na­lis­ti­sche Ressen­ti­ments mag zwar das System Orbán stützen, lähmt aber die Möglich­keiten, die Lage im Lande zu verbes­sern. Solange die realen gesell­schaft­li­chen Probleme nicht ange­gangen werden, wird sich immer ein geeig­neter Sünden­bock finden – heute Soros und morgen andere.

 

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