Zum Stand der russi­schen Invasion in der Ukraine – Was Deutsch­land jetzt tun kann und muss

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Der Mili­tär­ex­perte Gustav C. Gressel zum Krieg in der Ukraine: Sein Ausgang hängt auch davon ab, dass der Westen der Ukraine die nötigen Waffen liefert. Gleich­zeitig muss die russische Ökonomie rasch lahm­ge­legt werden, damit Putin keine Reserven für den Krieg mobi­li­sieren kann. Ein hartes Öl- und Gasem­bargo kann nach einem russi­schen Rückzug schritt­weise gelockert werden.

1. Kurze Zusammenfassung

  • Die russische Führung zielt auf die Zerschla­gung der Ukraine als Staat und Nation ab. Dieses Ziel soll durch eine Vernich­tung der poli­ti­schen, kultu­rellen und intel­lek­tu­ellen Eliten und eine dauer­hafte Besatzung des Landes erreicht werden.
  • Im Falle eines russi­schen Sieges droht Europa kein fest­ge­fro­rener Kalter Krieg, sondern eine volatile, instabile Situation an seiner Ostflanke, an der Russland durch ständige Provo­ka­tion und mili­tä­ri­sche Einschüch­te­rung den Westen davon abschre­cken wird, sich in „innere Ange­le­gen­heiten“ Russlands wie seiner Besat­zungs­re­gime in Belarus und der Ukraine einzumischen
  • Mili­tä­ri­sche Drohungen gegen die NATO – konven­tio­nell wie nuklear – sind so lange reine Psycho­logie, als es in der Ukraine orga­ni­sierten mili­tä­ri­schen Wider­stand gibt. Sollte dieser Zusam­men­bre­chen ist eine Auswei­tung der russi­schen Aggres­sion über die Ukraine denkbar, bis zu einem gewissen Grad sogar wahrscheinlich.
  • Die Ukraine hat die Chance, Russland in einen Ermat­tungs­frieden zu zwingen, ähnlich wie das Finnland 1939/​40 im Winter­krieg gelang. Hierzu braucht sie aber dringend westliche Unterstützung.
  • Die Vertei­di­gungs­fä­hig­keit der Ukraine kann nicht alleine durch die Bereit­stel­lung von infan­te­ris­ti­scher Panzer­ab­wehr und Flie­ger­ab­wehr­lenk­waffen sicher­ge­stellt werden. Es braucht zum beweg­li­chen Abwehr­kampf auch mecha­ni­sierte Reserven. Diese schmelzen ohne west­li­chen Nachschub in den nächsten Wochen ab.
  • Auch im Bereich der Flie­ger­ab­wehr ist der Erhalt von Waffen­sys­temen zum Abfangen hoch flie­gender Flugzeuge von entschei­dender Bedeutung.
  • Aus russi­scher Sicht ist das Datum des 1. April 2022 – die Einbe­ru­fung einer neuen Staffel von Wehr­pflich­tigen – entschei­dend zur Gene­rie­rung weiterer Kräfte. Erst wenn die Ukraine die dann erfol­gende neue Welle an Angriffen abwehren kann, wird Russland zu ernst­haften Verhand­lungen bereit sein.
  • Ein weit­ge­hender Zusam­men­bruch der russi­schen Wirt­schaft vor dem 1. April wäre wohl die einzige Chance, diesen Krieg mit west­li­chen Sank­tionen entschei­dend zu beeinflussen.
  • In der West­ukraine könnte orga­ni­sierter mili­tä­ri­scher Wider­stand noch lange geleistet werden. Ein Aufwachsen ukrai­ni­scher Kräfte und die Ausrüs­tung mit komple­xeren Waffen­sys­temen wäre möglich, wenn man zunächst stark geschützte Kern­ge­biete im Westen aufbaut.
  • Dazu bräuchte es aber zuerst eine robuste, über symbo­li­sche Soli­da­ri­täts­gesten hinaus­ge­hende mili­tä­ri­sche Präsenz der NATO an ihrer Ostflanke. Erst eine solche Präsenz würde weiter mili­tä­ri­sche und politisch-diplo­ma­ti­sche Schritte erlauben.

2. Russische Kriegsziele

Der russische Angriffs­krieg gegen die Ukraine zielt auf die Unter­wer­fung und Besetzung des gesamten ukrai­ni­schen Staats­ge­bietes. Seine primäre Absicht ist die Auslö­schung der natio­nalen und kultu­rellen Identität der Ukraine. Dies schließt die physische Vernich­tung ihrer poli­ti­schen, intel­lek­tu­ellen, jour­na­lis­ti­schen, kultu­rellen und admi­nis­tra­tiven Eliten und ihrer Armee ein, soweit sie Wider­stand leisten. Die anfangs offen propa­gierte „Demi­li­ta­ri­sie­rung und Entna­zi­fi­zie­rung“ der Ukraine war eine kaum verhüllte Ankün­di­gung dieser Ziele. Zahl­reiche Verhaf­tungen von ukrai­ni­schen Vertre­tern von Verwal­tung und Zivil­ge­sell­schaft in Cherson, von denen niemand zurück­ge­kommen oder wieder aufge­taucht ist, sowie die Werbung für die Ausstel­lung russi­scher Pässe in besetzten Gebieten ist ein klarer Hinweis auf die impe­rialen und kolo­nialen Ziele Russlands.

Das lang­fris­tige Ziel des Kremls, die ukrai­ni­sche geistige Elite flächen­de­ckend zu vernichten, ist nicht ohne die Einrich­tung von Konzen­tra­ti­ons­la­gern zu erreichen. Es sollte insbe­son­dere deutschen Entschei­dungs­trä­gern klar sein, was der ukrai­ni­schen Gesell­schaft im Falle der Nieder­lage droht.

Russland versucht durch blanken Terror die ukrai­ni­sche Gesell­schaft von der Unter­stüt­zung des Wider­standes abzu­bringen und zu einer Akzeptanz russi­scher Herr­schaft zu zwingen. Dazu gehört das gezielte Bombar­de­ment ziviler Einrich­tungen – Kinder­gärten, Schulen, Kran­ken­häuser, Pfle­ge­heime – sowie Verhaf­tungen, Erschie­ßungen und Ernied­ri­gungen einschließ­lich Verge­wal­ti­gungen in den von russi­schen Truppen besetzten Gebieten. Der Angriff auf die besonders schwachen und unge­schützten Teile der Gesell­schaft (Frauen, Kinder, Kranke, Alte) ist dabei gezielt gewählt, um zu demons­trieren, dass die ukrai­ni­sche Armee ihre Bürger nicht schützen könne. Niemand soll im Irrglauben sein, dass es sich beim Bombar­de­ment von Geburts­kli­niken und Schulen um „Versehen“ handelt.

Sollte Russland in diesem Krieg als mili­tä­ri­scher Sieger hervor­gehen, ist nicht nur in der Ukraine mit einer Terror­herr­schaft zu rechnen, wie sie es seit dem Vormarsch der Wehrmacht in dieses Gebiet nicht mehr gegeben hat. Eine Flücht­lings­welle, die – wenn man die Zahlen aus dem Donbas auf die gesamte Ukraine hoch­rechnet – weit über die 10 Millionen gehen kann, ist dann noch das geringste Problem Europas. Russland wird nicht nur in der Ukraine eine gegen die NATO gerich­tete Mili­tär­struktur aufbauen. Putin schreibt auch jede Art des Wider­standes gegen ihn – seien es die Unab­hän­gig­keits­be­stre­bungen in Tsche­tschenen oder Bürger­pro­teste in russi­schen Groß­städten – den USA und der NATO in die Schuhe. Da man ange­sichts der russi­schen Bruta­lität mit weiterem bewaff­neten Wider­stand in der Ukraine rechnen muss, ist davon auszu­gehen, dass Russland den Westen dafür verant­wort­lich macht und ihn durch mili­tä­ri­schen Druck, inklu­siver nuklearer Drohungen, einzu­schüch­tern und abzu­schre­cken versucht, sich nicht „in die inneren Ange­le­gen­heiten Russlands“ einzumischen.

Dass auch nach einem mili­tä­ri­schen Sieg in der Ukraine noch erheb­liche Teile der russi­schen Armee, der Natio­nal­garde und des FSB in der Ukraine statio­niert bleiben müssten, um die eroberten Terri­to­rien zu beherr­schen, ist sicher. Diese Teile werden syste­ma­tisch in Kriegs- und Mensch­heits­ver­bre­chen invol­viert. Damit werden sie wiederum an das Regime gebunden, da ihnen sonst der Prozess droht. Die russi­schen Truppen kehren verroht aus der Ukraine nach Russland zurück. Das wiederum zieht eine weitere Stei­ge­rung der inneren Repres­sion in Russland und eine Mili­ta­ri­sie­rung seiner Außen­po­litik nach sich. Europa wird keinen „stabilen“ Kalten Krieg ernten, wie wir ihn aus den 1970er und 1980er Jahren in Erin­ne­rung haben. Vielmehr wird er den insta­bilen 1940ern und 1950ern gleichen, als Stalin die neu eroberten Terri­to­rien in das sowje­ti­sche Imperium zwang, jeden Wider­stand brach und mit der Berlin-Blockade die Grenzen seiner Macht austes­tete. Es ist keines­wegs sicher, dass sich alle daraus erfol­genden Krisen friedlich lösen und entschärfen lassen.

3. Nukleare Eskalation?

Moskaus Ankün­di­gung, seine Nukle­ar­streit­kräfte in erhöhte Einsatz­be­reit­schaft zu versetzten, hat im Westen für einige Verun­si­che­rung gesorgt. Dabei handelt es sich um nichts anderes als psycho­lo­gi­sche Kriegs­füh­rung. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass die russi­schen Nukle­ar­streit­kräfte Schritte unter­nehmen, die über den regulären Übungs­be­trieb (in den letzten Wochen fanden die „Grom 2022“-Übungen der Nukle­ar­streit­kräfte statt) hinaus­gehen. Sowohl ein Einsatz von Atom­waffen in der Ukraine als auch gegen den Westen sind derzeit höchst unwahrscheinlich.

In der Ukraine kann das russische Militär durch ther­mo­ba­ri­sche Waffen ähnliche Zerstö­rungs- und Einschüch­te­rungs­wir­kung erzielen, ohne sich das inter­na­tio­nale Stigma eines Atom­waf­fen­ein­satzes zuzu­ziehen. Aufgrund der west­li­chen Sank­tionen ist Russland auf die neutrale Haltung von Staaten im Rest der Welt (Indien, Vietnam, Israel, etc.) ange­wiesen. Ein Atom­waf­fen­ein­satz würde das ohne zusätz­li­chen mili­tä­ri­schen Nutzen gefährden. Zudem entsteht das Problem der radio­ak­tiven Rück­wir­kungen auf Russland.

Auch der Einsatz nuklearer Waffen gegen die NATO ist unwahr­schein­lich. Dieser hätte den sofor­tigen Eintritt des Bünd­nisses in den Krieg zu Folge. Das kann sich Russland mili­tä­risch nicht leisten, da seine Armee zurzeit in der Ukraine gebunden ist. Weite Teile Russlands, besondere der fern­öst­liche Mili­tär­be­zirk sind mili­tä­risch entblößt. Es müsste, um eine Eroberung des eigenen Staats­ge­bietes auszu­schließen sofort auf die Ebene des stra­te­gi­schen Nukle­ar­krieges eska­lieren, was einem Selbst­mord gleichkommt.

Putin und der russische Mili­tär­ge­heim­dienst (GU, vormals GRU) fürchten die stra­te­gi­sche und nukleare Über­le­gen­heit der USA. Die Einsatz­be­reit­schaft ameri­ka­ni­scher stra­te­gi­scher Atom­waf­fen­träger ist in der Praxis um vieles höher als das russische. Zudem über­schätzt man in Russland die Leis­tungs­fä­hig­keit der ameri­ka­ni­schen Rake­ten­ab­wehr. Der Krieg in der Ukraine hat eindrucks­voll unter Beweis gestellt, wie tief ameri­ka­ni­sche Nach­rich­ten­dienste Einblick in die operative Planung Russlands haben. Russland könnte also die USA kaum mit einem nuklearen Angriff über­ra­schen. In der russi­schen Denke könnten die USA bei Anzeichen russi­scher Vorbe­rei­tungen einen präven­tiven Atom­schlag anordnen, der das russische Potential weit­ge­hend ausschaltet. Das US-Rake­ten­ab­wehr­system würde dann einzelne russische Inter­kon­ti­nen­tal­ra­keten abfangen.

Dass dieses Szenario auf einer Über­schät­zung der ameri­ka­ni­schen Entschlos­sen­heit und der ameri­ka­ni­schen tech­ni­schen Fähig­keiten beruht, tut hier wenig zur Sache. Denn solche Szenarien sind mitt­ler­weile zur Glau­bens­welt im Kreml geworden, so wie man glaubt, Ukrainer und Russen sein ein Volk. Es ist daher sehr unwahr­schein­lich, dass Russland hier zu nuklearen Mitteln greifen würde.

Nach geltenden russi­schen Prin­zi­pien der nuklearen Abschre­ckung und impli­ziten Erfah­rungen aus russi­schen Manövern, Fach­ver­öf­fent­li­chungen und Diskus­sionen ist die Option der nuklearen Eska­la­tion für den Fall einer direkten mili­tä­ri­schen Konfron­ta­tion Russlands mit der NATO vorbe­halten. Waffen­lie­fe­rungen, Sank­tionen und andere Formen der Unter­stüt­zung der Ukraine sind weit unterhalb der nuklearen Reiz­schwelle. Nur wenn die NATO mit geschlos­senen mili­tä­ri­schen Forma­tionen – etwa mehreren Panzer­di­vi­sionen – in den Krieg eingreifen würde und sich durch die daraus resul­tie­rende mili­tä­ri­sche Situation eine erste Gefahr für Kern-Russland entwi­ckeln würde, wäre der Einsatz dieser Waffen eine realis­ti­sche Option.

Indes hat Russland erkannt, das die Furcht vor dem Atomkrieg das beste Mittel ist, die westliche Öffent­lich­keit von einer Unter­stüt­zung der Ukraine abzu­halten, nachdem alle anderen Mittel der Infor­ma­ti­ons­kriegs­füh­rung und Meinungs­b­ein­flus­sung versagt haben. 30 Jahre nach Ende des Kalten Krieges herrscht auch in den Reihen der poli­ti­schen Entschei­dungs­träger im Westen blanke Unwis­sen­heit über alle Fragen nuklearer Abschre­ckung vor. In diese Lücke stoßen die russi­schen Drohungen und Verun­si­che­rungen – in diesem Stadium rein als psycho­lo­gi­sches Druck­mittel, nicht in der Substanz.

Der Einzige Einsatz von Massen­ver­nich­tungs­waffen, der derzeit realis­tisch erscheint, wäre der Einsatz primi­tiver chemi­scher Kampf­stoffe (Chlorgas etc.) oder radio­ak­tiver Substanzen (radio­lo­gi­sche Waffen), um der Ukraine einen Unfall im Bereich der Lagerung solcher Substanzen oder einen Anschlag in die Schuhe zu schieben. Ziel wäre die Diskre­di­tie­rung der ukrai­ni­schen Führung in der eigenen Bevöl­ke­rung und im Westen.

4. Stand der Offensive

Russland begann den Krieg als „spezielle mili­tä­ri­sche Operation“ mit dem Ziel, schnell die Haupt­stadt Kyiv und andere wichtige Städte einzu­nehmen und so eine Kapi­tu­la­tion der Ukraine zu erzwingen. Diese Phase des Krieges ist in den ersten Tagen des Krieges kläglich geschei­tert. Man unter­schätze den ukrai­ni­schen Wider­stand komplett. Die Folgen dieser Fehl­ent­schei­dung wirken sich bis heute mili­tä­risch aus.

Zu Beginn des Krieges setzte Russland etwa 120 Batail­lons­kampf­gruppen (engl. Battalion Tactical Groups, BTG) gegen die Ukraine ein. Eine BTG besteht jeweils aus dem ersten Bataillon eines Motschützen- oder Panze­re­gi­ments, verstärkt durch die erste Kompanie der Kampf­un­ter­stüt­zungs­ba­tal­lione der entspre­chenden Brigade oder Division: einer Batterie Rohr­ar­til­lerie, einer Batterie Rake­ten­ar­til­lerie, einer Panzer­ab­wehr­kom­panie, einer Batterie Flie­ger­ab­wehr, einer Pionier­kom­panie, sowie einigen Versor­gungs­ele­menten (Transport, Betriebs­mittel, Sanität). Der Grund für die Heraus­lö­sung der jeweils ersten (manchmal auch zweiten) Batail­lone bzw. Kompanien ist, dass diese jeweils aus Berufs- und Vertrags­sol­daten bestehen. Manchmal werden zwar Wehr­pflich­tige nach Abschluss ihres Wehr­dienstes recht unsanft „überredet“ einen einjäh­rigen Vertrag zu unter­schreiben, aber auf dem Papier sind es Frei­wil­lige, die dann in den Krieg geschickt werden können.

Dieses System erlaubt es Russland, rasch Kräfte zu formieren und zu verlegen. Die innen­po­li­tisch umstrit­tene Verwen­dung von Grund­wehr­pflich­tigen und Reser­visten wird vermieden. Das System geht auf Erfah­rungen des Tsche­tsche­ni­en­krieges zurück, aller­dings gab es erst nach dem Geor­gi­en­krieg den Willen und die finan­zi­ellen Ressourcen, um es zu imple­men­tieren. Aber da liegt auch das Problem: es eignet sich für „show of force“ Opera­tionen oder zur Gene­rie­rung von Truppen für koloniale Konflikte wie Tsche­tsche­nien oder Georgien. Für den großen Krieg hoher Inten­sität wie in der Ukraine ist das System wenig geeignet.

Von den jewei­ligen Armee­kom­manden direkt geleitete Operative Manö­ver­gruppen bestehend aus 12 bis zu 20 BTGs sind zu umständ­lich in der takti­schen Führung und Koor­di­na­tion. Die Armee­kom­man­danten müssen sich um zu viele Einheiten kümmern, spielen quasi gleich­zeitig Corps- und Briga­de­kom­mando auf einmal. Wichtige Lage­infor­ma­tionen oder Befehle werden übersehen oder zu spät gegeben. Schlechte Funk­ge­räte verstärken das Problem. Dann müssen komman­die­rende Generäle nach vorne, um sich selbst ein Bild der Lage zu machen, sie werden damit ein leichtes Ziel für Attacken des Gegners. Die Moral der Truppe und das Vertrauen in die Führung hat unter den falschen Kriegs­vor­wänden (vielen Soldaten wurde nicht gesagt, dass sie in einen echten Krieg marschieren) stark gelitten und wurde durch das orga­ni­sa­to­ri­sche Chaos weiter verstärkt.

Die Koor­di­na­ti­ons­schwie­rig­keiten sind umso größer bei den Kampf­un­ter­stüt­zungs­truppen, insbe­son­dere der Flie­ger­ab­wehr. Vier zusam­men­ge­stop­pelte Batterien sind noch lange kein Bataillon. Hier wirkt sich das Fehlen der über­ge­ord­neten Batail­lons- und Regi­ments­kom­mandos besonders schwer aus, da diese die Feuer­sek­toren mit den Luft­streit­kräften koor­di­nieren. Ohne diese Komman­do­struk­turen wissen die russi­schen Flie­ger­ab­wehr­kräfte nicht, welche Flug­be­we­gungen eigene sind, und verhalten sich dementspre­chend zurück­hal­tend (und werden dann von ukrai­ni­schen Bayraktar Drohnen ange­griffen). Die russische Luftwaffe ihrer­seits kann kaum effektive Luft­nah­un­ter­stüt­zung fliegen aus Furcht, von eigenen Flie­ger­ab­wehr­sys­temen abge­schossen zu werden. Da Russland und die Ukraine dieselben Systeme mittlerer Reich­weite einsetzten, muss sie auch bei Angriffen auf Radar- und Feuer­leit­stel­lungen Vorsicht walten lassen, um nicht die eigene Flie­ger­ab­wehr auszu­schalten. All diese Schwächen kommen den ukrai­ni­schen Vertei­di­gern zugute, die sich taktisch sehr geschickt auf ihren Gegner einstellen.

Zu guter Letzt sei auch erwähnt, dass Einrich­tungen der Feld­in­stand­set­zung (Werk­stätten, etc.) Einrich­tungen der Brigade und Divi­si­ons­ebene sind, die nicht mit ins Feld geführt wurden, da in ihnen Wehr­pflich­tige dienen. Da sich die russi­schen Kräfte zum Teil seit Oktober schon in Übungen befanden, und routi­ne­mä­ßige Instand­set­zungs­ar­beiten nicht erledigt wurden, ist der Zustand des Materials (Räder, Ketten, Schmier­mittel in Motoren und Getrieben, etc.) dementspre­chend schlecht und führt zu hohen tech­ni­schen Ausfällen.

Hinzu kommt, dass wohl viele zum Vertrags­ab­schluss gezwun­gene „Frei­wil­lige“ nach Über­schreiten der Grenze deser­tiert sind.

Die russische Armee verfügt nach eigenen Angaben über 168 BTGs, etwa 110 bis 120 davon wurden am 24. Februar gegen die Ukraine einge­setzt. Der erste Ansatz erfolgte mit mindes­tens 34 BTG auf Kyjiw, 24 BTG auf Charkiw, 13 BTG zusätz­liche BTG zu den Kräften der DNR und LNR aus dem Donbas, und mindes­tens 20 BTG aus der Krim auf Cherson und Richtung Mariupol. Etwa 20 bis 30 BTG wurden als Reserve zurück­be­halten und wurden erst in der zweiten Woche des Krieges einge­setzt. Es wurden auch mindes­tens 10 weitere BTG (vermut­lich mehr) in die Ukraine verlegt bzw. befinden sich in Marsch.

Selbst mit diesem massiven Kräf­te­ein­satz konnte die russische Armee keines ihrer anfäng­lich gesteckten Ziele erreichen. Sie verfügt über maximal 38 weitere BTG die dem Kampf zugeführt werden können, ohne auf Wehr­pflich­tige und Reser­visten zurück­greifen zu müssen. Bedenkt man, dass durch Kampf­hand­lungen, Deser­ta­tion, und Kapi­tu­la­tion Kräfte von etwa 30 BTG ausge­fallen sind, ist das nicht viel. Es reicht zur Fort­set­zung des Krieges, aber nicht um unmit­telbar eine stra­te­gi­sche Entschei­dung zu erzwingen.

5. Neue Kräfte?

Für Moskau ist es daher besonders wichtig, neue Kräfte aufzu­bieten. Das Zuführen von Wagner-Söldnern (etwa 4000 an der Zahl) und ange­wor­benen Truppen aus dem Nahen Osten und Afrika kann die Lücken im russi­schen Kräf­t­e­dis­po­sitiv nicht schließen. Dafür sind diese Kräfte entweder zu wenig (Wagner) oder in Kampf­kraft, Ausbil­dung und Moral der Aufgabe nicht gewachsen (Kano­nen­futter aus Syrien). Teil­mo­bil­ma­chungen in länd­li­chen Räumen (Dagestan) dient der Heraus­lö­sung weiterer Berufts- und Vertrags­sol­daten aus dem Ausbil­dungs- und Frie­dens­be­trieb, um Verluste ausglei­chen zu können. Aber auch dem sind Grenzen gesetzt.

Die Kriegs­pro­pa­ganda und das Schüren von Begeis­te­rung für den Krieg laufen auf Hoch­touren. Das Regime ist, was den Einsatz von Grund­wehr­die­nern angeht, noch vorsichtig, da eine Konfron­ta­tion breiter gesell­schaft­li­cher Schichten mit der Realität des Krieges in der Ukraine erheb­liche innen­po­li­ti­sche Risiken birgt. Inwieweit die gegen­wär­tige Propa­ganda hier für die entspre­chende Geschlos­sen­heit sorgen kann, ist nicht abzusehen. Eine volle Mobil­ma­chung Russlands würde den Krieg zuun­gunsten der Ukraine entscheiden, aber womöglich auf Kosten der Regime­sta­bi­lität in Moskau. Diese Fragen wägt Putin und die Regime-Entourage gerade ab, Ausgang ungewiss.

Entschei­dend für die Frage ob Russland im gegen­wär­tigen Rahmen den Krieg wird fort­setzen können, wird der 1. April 2022 sein. An diesem Einrü­ckungs­termin rücken nicht nur hundert­tau­sende Wehr­pflich­tige in die Armee ein, sondern scheiden auch ebenso viele wieder aus (im preu­ßi­schen Mili­tär­jargon „ausmus­tern“ genannt). Diese werden für Vertrags­ver­hält­nisse in der Armee ange­worben, um sie in den Krieg schicken zu können. Insbe­son­dere freilich die Wehr­pflich­tigen jener kriti­schen Elemente, die den BTGs bisher fehlen). Dann könnte man die fehlenden Werk­stätten und andere Ausrüs­tung samt der schon fertig ausge­bil­deten Soldaten in die Ukraine verlegen. Nach diesem Datum ist also mit einer quali­ta­tiven und quan­ti­ta­tiven Verbes­se­rung der russi­schen Lage zu rechnen.

Ziel des Westens muss es daher sein, in der noch verblie­benen Zeit die ukrai­ni­sche Armee soweit zu unter­stützen, dass die diesem neuen Angriff stand­halten kann und durch schnelle, harte und breite Sank­tionen die russische Wirt­schaft vor diesem Datum lahmzulegen.

6. Ukrai­ni­sche Verteidigung

Die ukrai­ni­schen Vertei­diger haben sich nicht nur als äußerst tapfer, sondern auch als taktisch und operativ versiert und flexibel vertei­di­gend erwiesen. Dass die an Tag 15 noch einsatz­be­reite Kampf­flug­zeuge und funk­ti­ons­fä­hige Flie­ger­ab­wehr­sys­teme mittlerer Reich­weite verfügen, über­trifft die posi­tivsten Erwar­tungen. Aber auch die Ukrai­ni­sche Armee hat Verluste hinnehmen müssen und der Verbrauch von Munition wird mit zuneh­mender Dauer des Krieges zum Problem.

Die ukrai­ni­sche Armee verfügte vor dem Krieg über etwa 70 Batail­lone an Kampf­truppen (Panzer­kräfte, Mecha­ni­sierte Infan­terie, Infan­terie). Diese bilden nach wie vor den harten Kern der Vertei­di­gung an allen Front­ab­schnitten. Hinzu kamen etwa 50.000 Mann einbe­ru­fene Reser­visten und 100.000 Mann Terri­to­ri­al­ver­tei­di­gung, hinzu Frei­wil­lige aus dem In- und Ausland. Die ukrai­ni­schen Kräfte konnten also in den letzten Tagen stark anwachsen, aller­dings bestehen die frischen Kräfte aus leichter Infan­terie: sie kann den mecha­ni­sierten Kräfte Russlands nur stand­halten, wenn sie vertei­di­gungs­güns­tiges Gelände nützen kann – in diesem Fall Städte. Außerhalb der Städte, insbe­son­dere im flachen Agrarland in der Südukraine, können sie das nicht.

Auch haben die ukrai­ni­schen Vertei­diger das Problem, dass es mehr Raum als Kräfte gibt, um diesen abzu­de­cken. Russische Truppen finden immer wieder Lücken zwischen den ukrai­ni­schen Vertei­di­gern, um an diesen vorbei in die Tiefe zu stoßen. Dann müssen die Ukrainer diesen den Nachschub abscheiden, und die einge­drun­genen Spitzen mit mecha­ni­sierten Reserven vernichten. Dies gelang insbe­son­dere um Kyjiw und Tscher­nihiw recht gut. Aller­dings kostet es auch der Ukraine Kräfte und Material, insbe­son­dere das ihrer mecha­ni­sierten Reserven.

So viele Panzer­ab­wehr­waffen die Ukraine auch bekommen mag, allein aufgrund des Geländes ist eine rein infan­te­ris­ti­sche Vertei­di­gung auf Dauer nicht durch­haltbar. Um die ukrai­ni­sche Vertei­di­gungs­fä­hig­keit zu erhalten ist ein Nachschub auch mit schwerem Gerät – Panzer, Artil­lerie, Schüt­zen­panzer und der dazu­ge­hö­rigen Munition dringend notwendig.

Selbiges gilt für die Luft­ver­tei­di­gung. In der vergan­genen Woche konnte die Ukraine der russi­schen Luftwaffe die höchsten Verluste seit dem zweiten Weltkrieg zufügen. Aller­dings halfen das schlechte Wetter und die dicke Wolken­decke. Um Ziele iden­ti­fi­zieren und angreifen zu können, mussten die russi­schen Piloten die Wolken­decke unter­fliegen und kamen so in den Bereich der ukrai­ni­schen Luft­ab­wehr, der es an schul­ter­ge­stützten Raketen (Stinger, Igla, und polnische Grom) nicht mangelt. Nun macht sich aber ein Hoch­druck­ge­biet über der Ukraine breit, und russische Flugzeuge können größere Höhen für ihre Angriffe nutzen.

Die Ukraine verfügt noch über einsatz­fä­hige Flie­ger­ab­wehr­ra­ke­ten­sys­teme mittlerer und großer Reich­weite, insbe­son­dere Buk-M1 und S‑300. Auch fliegt die Luftwaffe Abfang­ein­sätze. Solange diese Waffen­sys­teme eine Bedrohung auch für hoch­flie­gende russische Flugzeuge darstellen, wird die russische Luftwaffe ihrer­seits Systeme zurück­halten, die sie keinem großen Risiko aussetzen will. Das betrifft insbe­son­dere Bomber (Tu-22M3, Tu-95/142, Tu-160), die das Rückgrat der luft­ge­stützen nuklearen Abschre­ckung stellen, ande­rer­seits bei wenig Risiko (wie etwa in Syrien) zum Flächen­bom­bar­de­ment von Städten einge­setzt werden. Die weitere Verfüg­bar­keit solcher Kampf­mittel hat einen entschei­denden, unmit­tel­baren Einfluss auf die huma­ni­täre Lage.

7. Welche Militärhilfe

Die ukrai­ni­sche Armee braucht unsere unmit­tel­bare Unter­stüt­zung: umfassend, unbü­ro­kra­tisch und sofort.

Kurz­fristig imple­men­tier­bare Hilfe besteht vor allem im Über­lassen von Ausrüs­tung, Gerät und Munition, die in der Ukraine keinerlei logis­ti­schen- oder Trai­nings­vor­lauf benötigen. Von Kalasch­nikow Sturm­ge­wehren über RPG‑7 und Munition hinauf zu Kampf­pan­zern (T‑72, PT-91), Schüt­zen­pan­zern (BMP‑1/​2), Mann­schafts­trans­port­panzer (MT-LB, BTR) findet sich vor allem in den Armeen unserer östlichen Verbün­deten vieles, was die Ukraine brauchen und verwenden kann. Auch MiG-29 Kampf­flug­zeuge gehören dazu, wie finnische Buk-M1 und slowa­ki­sche und grie­chi­sche S‑300 und polnische und grie­chi­sche 9K33 Osa Fliegerabwehrraketen.

Insbe­son­dere Nachschub an gepan­zerten Kampf- und Gefechts­fahr­zeugen ist für den Erhalt mecha­ni­sierter Reserven wichtig. Flie­ger­ab­wehr­lenk­waffen halten die Bedrohung russi­scher Bomber durch diese aufrecht. Hier sind in erster Linie die östlichen Verbün­deten Deutsch­lands gefragt, aller­dings muss bei vielen Geräten aus NVA Bestand auch eine deutsche Export­ge­neh­mi­gung eingeholt werden. Deutsch­land sollte den NATO-Partnern, die ihre eigenen Armeen und Muni­ti­ons­be­stände durch diese Hilfs­lie­fe­rungen entblößen, direkt helfen, sowohl in der Nach­be­schaf­fung, als auch durch Statio­nie­rung von Truppen zum Erhalt der örtlichen Sicherheit.

Weitere unmit­telbar nützliche Ausrüs­tungs­ge­gen­stände sind Winter­uni­formen, Schutz­westen, Helme, Nacht­sicht­ge­räte, Wärme­bild­ge­räte, verschlüs­selte Funk­ge­räte, schwere Scharf­schüt­zen­ge­wehre, Panzer­ab­wehr­waffen aller Art, Flie­ger­f­äußte (MANPADS), Klein­drohnen mit Wärme­bild­ge­räten, Dronen­störer, Panzer­minen, Pionier- und Baugerät.

Einen nicht zu unter­schät­zenden Wert haben die Weiter­gabe von Aufklä­rungs­er­geb­nissen, insbe­son­dere nach­rich­ten­dienst­liche Erkennt­nisse, Lage­bild­in­for­ma­tionen aus Satel­li­ten­bil­dern, elek­tro­ni­scher Über­wa­chung der russi­schen Kommu­ni­ka­tion und Radar­si­gnale, der Luft­raum­daten insbe­son­dere zu Früh­war­nung vor Luft­an­griffen. Eine dementspre­chende Verstär­kung der Aufklä­rungs­tä­tig­keiten der NATO durch die Bundes­wehr und den BND ist mit aller Kraft zu forcieren.

Die Lieferung bewaff­neter Drohnen und Munition für diese, sowie selbst­ziel­su­chende Munition (loitering munition) wäre ein wirkungs­volles Mittel, die Reich­weite der ukrai­ni­schen Artil­lerie zu steigern und der Ukraine zu ermög­li­chen, hoch­wer­tige Ziele im Rücken des Feindes (Reserven, Gefechts­stände, Nachschub, Bela­ge­rungs- und Rake­ten­ar­til­lerie) anzu­greifen. Aller­dings hat Deutsch­land die vergan­genen 20 Jahre mit frucht­losen Debatten um ein Verbot solcher Waffen vergeudet. Solch ein Verbot war von Anfang an unrea­lis­tisch und fußte einzig und allein auf Wunsch­denken, dass durch „Frie­dens­for­scher“, die Abrüs­tungs­lobby und Politiker ohne mili­tä­ri­sche Kennt­nisse perp­etu­iert wurde. Deutsch­land hat hier nichts Verwert­bares anzu­bieten. Man könnte allen­falls Finanz­mittel für ihre Beschaf­fung aus anderen Quellen bereitstellen.

Schwe­di­sche Strix Granat­wer­fer­mu­ni­tion zur Panzer­ab­wehr wäre eine wirkungs­volle Unter­stüt­zung für die ukrai­ni­sche Infan­terie im Ortskampf. Aller­dings verfügen nur Schweden und die Schweiz über diese Munition.

Mittel­fristig ist es damit aber nicht getan. Der Krieg in der Ukraine wird deutlich länger dauern als ursprüng­lich ange­nommen, und eine mili­tä­ri­sche Besetzung der west­lichsten Oblaste durch das russische Militär scheint derzeit kaum möglich. Es bietet sich also sowohl die Zeit, als auch die Möglich­keit, die Ukraine in technisch ausge­reif­tere Waffen­sys­teme einzu­schulen und diese auszu­lie­fern. In der West­ukraine könnte man dafür auch die entspre­chende Infra­struktur zur Wartung aufbauen. Würde man hierzu einmal die deutsche Büro­kratie über Bord kippen und bedenken, dass die Ukrainer hierfür mehr als 40 Stunden die Woche arbeiten, ginge das je nach System auch schneller als in Friedenszeiten.

Systeme mittlerer Komple­xität, die es in euro­päi­schen Lagern gibt, würden etwa diverse Varianten des Kampf­pan­zers Leopard 1 und 2, der Panzer­hau­bitze M‑109, diverse Varianten des M‑113 und ähnlicher Fahrzeuge und anderer Mann­schafts­trans­port­panzer umfassen. So in Deutsch­land noch vorhanden wären LARS Rake­ten­ar­til­le­rie­sys­teme und Skorpion Minen­werfer, beide zum Verschuss der der AT‑2 Panzer­mine geeignet, in Erwägung zu ziehen. Der Bereich Flie­ger­ab­wehr ist hier der proble­ma­tischste, da moderne westliche Systeme erheb­liche Komple­xität aufweisen, und sich zum großen Teil nur im Erprobung- und Vorse­ri­en­sta­dium befinden. In Washington macht man sich aber schon Gedanken darüber, was man liefern könnte, dementspre­chend wären Abspra­chen mit anderen liefer­fä­higen Verbün­deten zu treffen. Dementspre­chende Vorbe­rei­tungen sind aber jetzt in die Wege zu leiten, damit sie in einigen Monaten wirksam werden können.

Die in der Öffent­lich­keit oft disku­tierten Systeme Patriot eignen sich für die Ukraine wenig. Nicht nur ist Patriot in diversen Varianten über­kom­plex, und nur mit erheb­li­chem logis­ti­schem Aufwand und lang­wie­riger Ausbil­dung (insbe­son­dere bei älteren Geräten) zu betreiben, auch ist das System zu statisch für die beweg­liche Kampf­füh­rung der Ukrainer (die ja ständig russi­schen Rake­ten­an­griffen auswei­chen müssen). Das fran­zö­si­sche VL-MICA und SAMP/​T (Aster) System ist deutlich einfacher zu bedienen und mobiler, bräuchte aber unmit­tel­bare logis­ti­sche Anschluss­un­ter­stüt­zung durch Frank­reich in Polen. Dies­be­züg­liche Entschei­dungen wären aber jetzt tu treffen, da solche Liefe­rungen in jedem Fall erheb­li­chen Vorlauf an Ausbil­dung und logis­ti­scher Vorbe­rei­tung brauchen.

8. NATO Force Posture

Der Krieg in der Ukraine, der mili­tä­ri­sche Aufmarsch in Belarus und der Krim stellen auch eine direkte Bedrohung für die Sicher­heit der östlichen Nach­bar­staaten Deutsch­lands dar. Von Russland gibt es bereits Drohungen, auch Flüch­tende, Hilfs­lie­fe­rungen oder Waffen­trans­porte anzu­greifen, und nicht nur im Grenz­ge­biet sondern auch auf NATO-Territorium.

Hätte die NATO bereits im Oktober ange­fangen, den russi­schen Trup­pen­auf­marsch durch entspre­chende eigene Verle­gungen zu spiegeln, hätte man die russische Furcht vor einem Eingreifen des Westens als Druck­mittel nutzen und so die russische operative Planung verkom­pli­zieren, wenn nicht sogar vor einem Angriff abschre­cken können. Aber diese Chance wurde verpasst.

Nun gilt es der Situation hinter­her­zu­laufen und einen glaub­wür­digen, abschre­ckungs­fä­higen Aufbau eigener Kräfte an der Ostflanke einzu­leiten. Es darf keine Grauzone entstehen, in der Russland eine Provo­ka­tion lancieren könnte, ohne dass die NATO reagieren könnte. Auch ist die Sicher­heit jener Staaten, die Waffen an die Ukraine liefern (siehe oben) und sich dadurch entblößen, durch direkte Trup­pen­sta­tio­nie­rungen auszu­glei­chen. Das muss über das gegen­wär­tige Maß symbo­li­scher Statio­nie­rungen hinaus­gehen. Die gesamte NRF muss jetzt vorwärts statio­niert werden. Eine einheit­liche Führung unter NATO-Komman­do­struktur für den Kriegs­schau­platz Nordost und Südost  muss die Führung der alli­ierten Kräfte im Raum über­nehmen. Vor allem im Bereich Flieger und Rake­ten­ab­wehr müssen zusätz­liche Verstär­kungen einbe­zogen werden. Das deutsche Vertei­di­gungs­mi­nis­te­rium hat lange verspro­chen, im Krisen­fall bis zu divi­si­ons­starke Kräfte bereit­stellen zu können. Die Krise ist schon lange da.

Frank­reich hat gestern eine Staffel Kampf­flug­zeuge nach Polen verlegt. Die Luftwaffe der Bundes­wehr kann das Gleiche tun, ein Geschwader wäre freilich besser.

Erst wenn die Grenze der NATO ein absolutes und glaub­wür­diges Tabu für russische Angriffe ist (das kann man nicht mit Worten, sondern nur mit mili­tä­ri­schen Taten unter­strei­chen), kann man die Tabuzone auf Grenz­über­gänge und Flücht­lings­ko­lonnen jenseits der Grenze ausdehnen. Von da an kann man situativ, Schritt für Schritt, durch Ausrüs­tung und nach­rich­ten­dienst­liche Unter­stüt­zung der Ukrainer die Hand­lungs­frei­heit der russi­schen Luftwaffe einschränken.

Über eine Flug­ver­bots­zone zum gegen­wär­tigen Stand zu disku­tieren ist sinnlos. Es fehlen die Kräfte, um diese überhaupt durch­zu­setzen. Auch politisch ist nicht zu erwarten, dass ein solcher Beschluss in der NATO einfach durchgeht. Selbst wenn, hätte Russland genügend Möglich­keiten, Flugzeuge der NATO vom Boden oder aus der Luft anzu­greifen und somit die NATO wieder vor die Wahl zu stellen, entweder mili­tä­risch zu eska­lieren oder klein beizu­geben. Aus den oben genannten Gründen – man schlit­tert nicht so schnell in einen Atomkrieg – würde Russland eher konven­tio­nell eska­lieren. Wenn man aber einmal ein mili­tä­risch ernst zu nehmendes Streit­kräf­t­e­dis­po­sitv an der Ostflanke aufge­stellt hätte, könnte man zumindest den öffent­li­chen Druck für eine Flug­ver­bots­zone bzw. ein Eingreifen gegen Russland diplo­ma­tisch ins Felde führen, um die russische Führung zu verun­si­chern und zu ernst­haften Verhand­lungen zu bringen. Das Vorhan­den­sein starker Kräfte allein erweitert bereits den eigenen diplo­ma­ti­schen Handlungsspielraum.

9. Sank­tionen

Das russische Kalkül folgt gegen­wärtig einzig und allein der mili­tä­ri­schen Logik. Wirt­schaft­liche Zwangs­maß­nahmen müssen daher zeitlich und in der Inten­sität an die mili­tä­ri­sche Zeit­leiste angepasst werden. Das Postulat, Sank­tionen müssten lang­fristig angelegt sein und nach­hal­tige Wirkung entfalten ist fehl am Platz.  Es ist Putin egal, was in fünf Jahren mit der russi­schen Wirt­schaft passiert, sein Entschei­dungs­ho­ri­zont geht kaum über den ersten April hinaus.

Der Haupt­zweck von Sank­tionen muss in dieser Situation sein, die russische Wirt­schaft so hart, so schnell und so breit wie möglich zum Erliegen zu bringen. Ein vor dem ersten April einset­zender Zusam­men­bruch der russi­schen Wirt­schaft und der Staats­fi­nanzen würde die oben beschrie­bene Auswei­tung des Krieges durch Russland schwer bis unmöglich machen. Die innen­po­li­ti­schen Folgen wären zu hoch. Diesem Ziel sind alle anderen Maßnahmen unterzuordnen.

Dafür müssen Sank­tionen nicht lang­fristig durch­haltbar sein. Ein komplettes Öl und Gasem­bargo gegen Russland könnte „für die Dauer der Kampf­hand­lungen“ verhängt werden. Öl und Gasex­porte sind die wich­tigsten Einnahmen und Devi­sen­quellen des russi­schen Staates. Russland kann seine Ener­gie­ex­porte nicht so schnell diver­si­fi­zieren. Gemein­same Gas- und Ölein­käufe durch die Kommis­sion (ähnliche Instru­mente gibt es bei Kern­brenn­stäben) würden die Gasbe­schaf­fung für kauf­kraft­schwä­chere Staaten erschwing­lich machen.

Ale bishe­rigen Sank­tionen und Einschrän­kungen müssen auf den gesamten Unions­staat ausge­dehnt werden (Russland und Belarus) um ein Umgehen der Sank­tionen über die bela­rus­si­sche Kolonie zu verhindern.

Eine Auswei­tung und Vertie­fung der Banken­sank­tionen, etwa das Verbot in Euro zu handeln und wech­sel­seitig Depen­denzen zu unter­halten, muss rasch ergriffen werden. Ebenso sollten exter­ri­to­riale Sank­tionen, insbe­son­dere Druck auf chine­si­sche und indische Banken, sich vom russi­schen Markt zurück­zu­ziehen, ausge­weitet werden.

Wenn wir heute nicht alles tun, um den Abwehr­kampf der Ukraine zu unter­stützen, werden wir morgen für uns kämpfen müssen.

 

Textende

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