Amerikas Demo­kratie wankt

Afro­ame­ri­ka­ni­sche Unter­stützer Donald Trumps bei einer Wahl­kampf­ver­an­stal­tung im Juni 2019 Foto: Hernando Sorzano, Shutterstock

An der Schick­sals­ent­schei­dung Biden gegen Trump betei­ligte sich eine Rekord­zahl an Wählern. Doch viele in der tief gespal­tenen US-Gesell­schaft erkennen das Ergebnis und die demo­kra­ti­schen Grund­re­geln nicht mehr an. Droht das auch in Europa?

Die Präsi­dent­schafts­wahl in den USA, das Mega­er­eignis für Demo­kraten der ganzen Welt mitten in Corona, endete mit einem Patt. Wie 2016 war das Rennen äußerst eng. Viele Politiker, Beob­achter und Medien auch hier­zu­lande haben Donald Trump erneut sträflich unter­schätzt. Aus dem von ihnen erhofften Erdrutsch­sieg Joe Bidens wurde ein verbissen umkämpfter, längst noch nicht fest­ste­hender Erfolg. Trotz Trumps chao­ti­schem, menschen­ver­ach­tenden Umgang mit der Pandemie, der großen Zahl an Toten, folgender Wirt­schafts­krise und hoher Arbeits­lo­sig­keit; trotz seiner brutalen Reaktion auf die Anti­ras­sismus-Proteste nach dem Tod von George Floyd; und trotz oder gerade wegen seines bizarren Auftre­tens konnte er wieder fast die Hälfte der Wähler hinter sich vereinen. Mehr Ameri­kaner haben ihn in absoluten Zahlen gewählt als 2016: mehr weiße Frauen, mehr Latinos und sogar mehr (wenn auch wenige) Schwarze.

Ausschlag­ge­bend dürften drei Faktoren gewesen sein:

  1. Trump hat, was in Europa oft übersehen wird, in den Augen seiner Anhänger geliefert: Wieweit „Amerika first“, seine protek­tio­nis­ti­sche Handels­po­litik und Steu­er­sen­kungen für Unter­nehmen und Reiche die US-Wirt­schaft gestärkt haben, ist umstritten– für seine Wähler hat er damit bis zum Ausbruch der Coro­na­krise Millionen Arbeits­plätze geschaffen. Er hat die Einwan­de­rung reduziert, auch wenn er die Mauer zu Mexiko nicht gebaut hat. Er hat das Pariser Klima­ab­kommen aufge­kün­digt und Soldaten aus Kriegs­ge­bieten zurück­ge­holt. Und er hat verun­si­cherten Ameri­ka­nern wieder Selbst­be­wusst­sein gegeben. Sein rück­sichts­loser Popu­lismus und aggres­siver, isola­tio­nis­ti­scher Natio­na­lismus wirken weiter. Ungeis­tes­ver­wandte in Europa und anderen Teilen der Welt wird das ermuntern: Ihre Zeit ist nicht vorbei.
  2. Biden begeis­terte nicht genug Unent­schlos­sene, um die Bürger wieder einen zu können. Er sollte der Kontrast zu Trump sein, ein Mann des Ausgleichs. Doch gegen einen im Schluss­spurt des Wahl­kampfs nach kurzer Covid-Erkran­kung kraft­strot­zenden Amts­in­haber wirkte er ausge­laugt. Program­ma­tisch blieb er schwammig, geschuldet dem Spagat zwischen den Lagern der Demo­kraten. Deren linke Anhänger unter­stützten ihn ähnlich wie Hillary Clinton vor vier Jahren nur halb­herzig. Sie hätten sich seine Vize­kan­di­datin Kamala Harris oder jemand anderes, jüngeres gewünscht, wie viele Amerikaner.
  3. Mit ihrem linken, stark auf Minder­heiten zielenden Programm konnten die Demo­kraten nur einen Teil ihrer früheren Stamm­wähler, weiße Arbeiter vor allem im Rustbelt, dem einstigen Indus­trie­zen­trum der USA, die sich abgehängt fühlen, zurück­ge­winnen. Trump lockte sie erneut mit dem Verspre­chen, Jobs zu schaffen. Und das bewegte die Mehrzahl der Wähler offen­kundig mehr als alles andere, mehr als Corona, Rassismus, Obamacare oder das Klima. Auch unter den Einwan­de­rern aus Mittel- und Südame­rika, der inzwi­schen größten Minder­heit im Land. „It‘s the economy, stupid“, wusste schon Bill Clinton. Eine Lektion für SPD und Die Linke.

Der Trum­pismus bleibt

Dass Trump sich schon in der Wahlnacht, als die Auszäh­lung in etlichen Bundes­staaten noch lange nicht zu Ende war, dreist zum Sieger ausrief und ankün­digte, das von ihm neu besetzte Oberste Gericht anzurufen, um die Auszäh­lung von Millionen Brief­wahl­stimmen zugunsten Bidens zu stoppen, und Neuaus­zäh­lungen in einigen Bundes­staaten und Regionen zu erreichen, war nicht anders zu erwarten. Er hat immer klar gemacht, dass ihn demo­kra­ti­sche Prozesse nicht scheren und er wie alle Auto­ri­tären nur ein Ergebnis anerkennt: seinen Sieg. Da mögen alle anderen noch so schäumen.

Auch wenn Biden sich am Ende durch­setzen sollte, der Supreme Court und andere Gerichte nicht inter­ve­nieren und Trump das Weiße Haus verlässt, ohne bürger­kriegs­ähn­liche Zustände zu provo­zieren, wird das Land pola­ri­siert bleiben. Trump wird weiter an der Legende stricken, dass ihm, dem Mann des Volkes, der Wahlsieg gestohlen wurde. Seine Fans in der repu­bli­ka­ni­schen Partei und ihre Abge­ord­nete werden ihm darin folgen. Sie werden Bidens Präsi­dent­schaft von Anfang an dele­gi­ti­mieren und ihm mit ihrer Mehrheit im Senat, die sie wahr­schein­lich behalten, das Leben so schwer machen, wie sie nur können. Der neue Präsident wird deshalb vermut­lich nur wenig bewegen können – neues Futter für Trump und die Trumpisten.

Der Grund­kon­sens bricht weg

Das ist das schlimmste Alarm­zei­chen der Wahl: Zwischen den verfein­deten poli­ti­schen Lagern gibt es keine Verstän­di­gung mehr. Nicht einmal darüber, die Grundlage der Demo­kratie zu respek­tieren: die Legi­ti­mität von Wahlen. Dass jede Stimme gleich zählt und gezählt werden muss. Dass niemand sich selbst zum Sieger erklären darf wie Diktator Lukaschenko in Belarus. Und dass der unter­le­gene Kandidat, die unter­le­gene Partei die Nieder­lage einge­steht, sofern sie ordnungs­gemäß fest­ge­stellt ist – in der Hoffnung, beim nächsten Mal zu gewinnen.

In den USA gilt das schon lange nicht mehr. Schon die Wahl 2000 entschied auf höchst frag­wür­dige Weise das Oberste Gericht, indem es die endlosen Nach­zäh­lungen in Florida abbrach und George W. Bush so zum hauch­dünnen Sieger über Al Gore machte. Der rettete die Wahl und die Demo­kratie, indem er dies aner­kannte. Biden dagegen hat ebenfalls ein Heer von Anwälten engagiert, um bis zum Äußersten vor Gericht um seinen Wahlsieg zu kämpfen. In den Augen eines beträcht­li­chen Teils seiner Anhänger war Trump ein ille­gi­timer Präsident, egal wie die Wahl ausfiel.

Die Feind­schaft der poli­ti­schen Lager spiegelt die Zerris­sen­heit der ameri­ka­ni­schen Gesell­schaft, die abgrund­tiefen Konflikte zwischen Arm und Reich; Weißen, Schwarzen, Latinos und andere Minder­heiten; Stadt und Land, Küsten­be­woh­nern und die des riesigen Landes dazwi­schen mit ihren völlig unter­schied­li­chen Lebens­stilen und kultu­rellen Vorstel­lungen. Die ameri­ka­ni­sche Demo­kratie, Vorbild für die Welt, ist nicht am Ende. Das zeigt die hohe Wahl­be­tei­li­gung. Aber eine

Verstän­di­gung über gemein­same Ziele, ein Ausgleich von Inter­essen und Wünschen, wird immer schwie­riger. Deshalb werden Wahlen zu Schlachten, die mit allen Mitteln, auch unsau­bersten ausge­fochten werden. Bis zum bitteren Ende. Oder ohne.

Auch bei uns frag­men­tiert die Gesell­schaft. Das Vertrauen in das poli­ti­sche System und die Regie­renden ist im Vergleich zu den USA noch ziemlich hoch, in der Pandemie ist es zeitweise sogar gewachsen. Doch die Warn­zei­chen sind auch hier­zu­lande nicht zu übersehen. Die AfD konnte nur deshalb so stark werden, weil eine beacht­liche Minder­heit in Ost wie West der liberalen Demo­kratie grund­sätz­lich misstraut und sich nicht mehr reprä­sen­tiert fühlt. Mehr noch: Selbst ein Konsens über Grund­fakten ist mit Rechts­po­pu­listen und Verschwö­rungs­fa­na­ti­kern nicht mehr möglich, wie die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen zeigen. Auch auf der linken Seite gibt es manche, die demo­kra­ti­sche Prozesse für obsolet halten, wenn es um den Schutz des Klimas, des globalen Über­le­bens und von Minder­heiten geht.

Wie beim Virus können Einzelne, kann eine Minder­heit die Mehrheit infi­zieren. Kein Wunder daher, dass die AfD über Trumps „Erfolg“ frohlockt. Und Slowe­niens rechts­na­tio­naler Minis­ter­prä­si­dent Janez Jansa ihm voreilig gratu­lierte. Der Popu­lismus-Erreger soll sich weiter­ver­breiten. Auch in Europa.

Textende

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