NATO-Gipfel: Ein Lehrstück für Dealmaker?

By The White House from Washington, DC (Foreign Leader Visits) [Public domain], via Wikimedia Commons

Die Handels­po­litik Trumps und seine Infra­ge­stel­lung der NATO hängen zusammen, meint Gustav C. Gressel: Indem der US-Präsident Zweifel sät, ob die Verei­nigten Staaten Europa gegen russische Aggres­sionen noch vertei­digen würden, nötigt er Osteuropa und das Baltikum, in Brüssel auf Konzes­sionen gegenüber Trump zu drängen. 

Die Schluss­de­kla­ra­tion des NATO-Gipfels in Brüssel vom 11. und 12. Juli lässt kaum erahnen, dass sich das Bündnis in einer der kritischsten Phasen seiner Geschichte befindet. Über Monate hinweg wurde das Dokument von den Vertei­di­gungs- und Außen­mi­nis­te­rien der Mitglied­staaten vorbe­reitet und enthält die üblichen Formu­lie­rungen. Die NATO Kommando- und Logis­tik­struktur werde weiter ausgebaut, um komplexe multi­na­tio­nale Opera­tionen zur Bünd­nis­ver­tei­di­gung führen und die dazu notwen­digen Kräfte zeitnah verlegen zu können. Für die NATO Response Force (NRF) – die ständige Bereit­schafts­truppe der NATO – habe man sich auf ein genaues Größen­ziel geeinigt; 30 mittlere oder schwere Batail­lone sowie 30 Staffeln Kampf­flug­zeuge sollen innerhalb von 30 Tagen einsatz­be­reit sein können, wodurch die NRF nicht größer, aber den Erfor­der­nissen der Bünd­nis­ver­tei­di­gung angepasst würde. Die Erklä­rungen zu Koope­ra­tionen, Open-Door-Policy, Rüstungs­kon­trolle und nuklearer Abschre­ckung waren zu erwarten. Enttäu­schend ist, dass im Abschluss­do­ku­ment keine Ziel­ver­ein­ba­rungen zu NATO-Manövern an der Ostflanke und der Über­prü­fung der Einsatz­be­reit­schaft zu finden sind. Auch konnte dem Bündnis nicht abge­rungen werden, die Kompe­tenzen des mili­tä­ri­schen Komman­danten der NATO Streit­kräfte Europas (SACEUR) zu erweitern, damit dieser im Krisen­fall selbst­ständig die Erhöhung der Einsatz­be­reit­schaft oder die Verlegung von Trup­pen­teilen anordnen darf.

Es wäre nicht verwun­der­lich, wenn sich einige euro­päi­sche Staaten genötigt sehen, auch innerhalb der EU Trumps außen­wirt­schafts­po­li­ti­sche Inter­essen zu vertreten, um weiterhin auf den mili­tä­ri­schen Schutz durch die Verei­nigten Staaten zählen zu können. 

Trump setzt der Allianz das Messer an den Hals

Doch das Problem des Gipfels sind nicht dessen Ergeb­nisse. Es sind die Zweifel, ob die wich­tigste Macht im Bündnis – die Verei­nigten Staaten – überhaupt daran denken, an ihrer Umsetzung mitzu­ar­beiten. Schon dass Trump die 79 Punkte der Erklärung gelesen, geschweige denn verstanden hat, ist fraglich. Und seine Drohung, die USA werden „ihr Ding“ machen, wenn die Alli­ierten nicht bis Januar 2019 ihre Vertei­di­gungs­aus­gaben auf 2 Prozent des BIPs anheben, setzt der Allianz das Messer an den Hals – auch wenn unklar ist, was Trump wirklich vorhat. Denn wenn­gleich es richtig ist, die euro­päi­schen Vertei­di­gungs­aus­gaben zu erhöhen, damit die NATO die Fähigkeit zur Bünd­nis­ver­tei­di­gung wieder­erlangt, müsste der US-Präsident doch wissen, dass es schwer­lich möglich ist, einen derart sprung­haften Mittel­zu­wachs in sinnvolle Programme und Beschaf­fungs­vor­haben zu gießen.

Zweifel an der NATO

Tatsäch­lich geht es Trump weder um die euro­päi­sche Vertei­di­gungs­be­reit­schaft, noch um Burdens­ha­ring innerhalb der NATO. Seine Forderung schafft einen Vorwand, die tragende Rolle der Verei­nigten Staaten im Vertei­di­gungs­bündnis gänzlich in Frage zu stellen. Die Zeiten, in denen Trump mangels Wissen über poli­ti­sche Steue­rungs­pro­zesse und Regie­rungs­ar­beit seine wirren Vorstel­lungen nicht umsetzen konnte und auf prag­ma­ti­sche Minister und Sicher­heits­be­rater ange­wiesen war, und deshalb inhalt­liche Abstriche machen musste, sind vorbei. Gerade in der Außen­po­litik hat der Präsident eine Fülle von Kompe­tenzen, die der Zustim­mung des Kongresses nicht bedürfen. Zwar hatte der Kongress mit den Russland-Sank­tionen versucht, eine Annä­he­rung der Verei­nigten Staaten an Moskau zu verhin­dern. Doch die äußerst lücken­hafte und selektive Imple­men­ta­tion dieser Sank­tionen durch die Trump-Admi­nis­tra­tion und das konzi­li­ante Treffen mit Putin in Helsinki zeigen, wie begrenzt die Wirk­sam­keit dieser Methode ist. 

Portrait von Gustav C. Gressel

Gustav C. Gressel ist Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations (ECFR).

Geht es letzlich um Handelspolitik?

Es liegt auf der Hand, dass Trump das Fort­be­stehen der ameri­ka­ni­schen Rolle in der NATO von einem besseren Handels­deal mit der EU oder bilateral mit Deutsch­land abhängig machen will. Hier jagt Trump aber Illu­sionen hinterher, denn bila­te­rale Handels­deals mit einzelnen EU Mitglied­staaten sind rechtlich unmöglich. Auch die Meist­be­güns­ti­gungs­klausel der WTO engt die Spiel­räume der EU-Kommis­sion, Trump entge­gen­zu­kommen, ein. Zudem ist es höchst erstaun­lich, wie wenig der ameri­ka­ni­sche Präsident, der ja bekannt­lich aus der Wirt­schaft kommt, von inter­na­tio­nalem Handels­recht, Wirt­schafts- und Finanz­be­zie­hungen versteht.

Doch da für Trump die Außen­wirt­schafts­be­zie­hungen im Mittel­punkt seiner Politik stehen, muss man daran zweifeln, ob er sich durch die Stei­ge­rung der euro­päi­schen Vertei­di­gungs­haus­halte von einem Handels­kon­flikt überhaupt abbringen ließe. Die Wirrnis seiner Behaup­tung, Amerika „zahle“ die NATO, deutet eher darauf hin, dass er eine argu­men­ta­tive Verhand­lungs­masse aufbaut, um die Europäer wirt­schaft­lich unter Druck zu setzen. In Wahrheit geben die USA einen weitaus geringen Prozent­satz ihres Vertei­di­gungs­haus­haltes für die mili­tä­ri­sche Präsenz in Europa aus, als Trump behauptet. Der starke Anstieg ameri­ka­ni­scher Vertei­di­gungs­aus­gaben ist nicht der euro­päi­schen Sicher­heit geschuldet, sondern den Einsätzen in Afgha­ni­stan und Irak.

Warum Deutsch­land jetzt in der Pflicht steht

Bei aller Kritik an der Haltung Trumps muss man aber auch Kritik an der Bundes­re­gie­rung üben. Deutsch­land liegt in zentraler euro­päi­scher Lage und ist wichtige Dreh­scheibe für die NATO. Aufgrund seiner Nähe zur Ostflanke und der Stärke der Bundes­wehr wäre Deutsch­land im Fall einer russi­schen Aggres­sion ein entschei­dender „Erst­helfer“, von dessen Entschlos­sen­heit und mili­tä­ri­scher Einsatz­be­reit­schaft im Ernstfall abhinge, ob die NATO in einer poli­ti­schen Krise Russland vom Einsatz mili­tä­ri­scher Mittel abhält oder nicht.

Vor diesem Hinter­grund ist der bekla­gens­werte Zustand der Bundes­wehr durch nichts zu recht­fer­tigen. Dass es zur Erhöhung der Einsatz­be­reit­schaft und Moder­ni­sie­rung der Bundes­wehr auch finan­zi­elle Mittel braucht, muss jedem klar sein – unab­hängig von der 2 Prozent-Debatte. Die Inwärts-Gewandt­heit der poli­ti­schen Diskus­sion in Deutsch­land (Stichwort Asyl­streit) und die zöger­liche Haltung der SPD haben es der Kanzlerin unmöglich gemacht, die Diskus­sion in der NATO mit einer eigenen poli­ti­schen Agenda zu prägen. Weder zu NATO Manövern in der Ostflanke, noch zu einem Ausbau der „Enhanced Forward Presence“ oder dem Wieder­aufbau von Sicher­heits­struk­turen im Nordirak nach dem Sieg über ISIS hat Deutsch­land Vorschläge einge­bracht. Dabei steht es in der Pflicht. Eine Euro­päi­sche Leitmacht (oder „Framework Nation“), an die sich andere Staaten mit ihrer Vertei­di­gungs­be­reit­schaft anlehnen, darf sich mit Verweis auf die innen­po­li­ti­sche Lage nicht einfach aus der Verant­wor­tung stehlen.

Die schwache Haltung Berlins lässt die Glaub­wür­dig­keit Deutsch­lands, die durch Nord­stream 2 ohnehin schon Schaden genommen hat, weiter erodieren. Außerhalb des Berliner S‑Bahnringes wird Deutsch­land zunehmend als gelähmt und hand­lungs­un­fähig wahr­ge­nommen – kein gutes Zeichen, will Berlin in den anste­henden handels­po­li­ti­schen Streit­fragen mit Washington die Europäer hinter sich bringen.

Die Zweifel, ob Europa auch ohne die USA vertei­di­gungs­fähig wäre, wird Trump für sich zu nutzen wissen: Es wäre nicht verwun­der­lich, wenn sich einige euro­päi­sche Staaten genötigt sehen, auch innerhalb der EU Trumps außen­wirt­schafts­po­li­ti­sche Inter­essen zu vertreten – so absurd diese auch sein mögen – um weiterhin auf den mili­tä­ri­schen Schutz durch die Verei­nigten Staaten zählen zu können. 

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