Weltgeschichte live: Der gescheiterte Januarputsch 2021
Spätestens seit FOX News bei der Präsidentschaftswahl am 4. November 2020 die Stimmen des Bundesstaats Arizona korrekterweise Joe Biden zugerechnet hat, begann Trumps Putschversuch. Am 6. Januar 2021 sollte der Kongress die Wahlmännerstimmen auszählen – eine Formalie. Stattdessen erlebte die Welt den ersten erfolgreichen Sturm auf das Capitol seit 1814. Diesmal nicht durch britische Soldaten, sondern durch von ihrem Anführer noch am Vormittag persönlich fanatisierte Trump-Anhänger.
Von Konfizius stammt die Einsicht, dass alles Unglück in der Politik auf eine Ursache zurückzuführen sei — die Verwirrung der Begriffe. Es ist also wichtig, eindeutige Worte zu finden: Bei dem, was Donald John Trump veranstaltet hat (vom Augenblick an, in dem klar wurde, dass er die Wahl verloren hatte), handelt es sich um einen Putschversuch. Dieser versuchte Putsch war von Anfang an lächerlich und wahnsinnig. Trumps Anwälte, die verzweifelt versuchten, Wahlfälschungen nachzuweisen, die es nicht gab, erinnerten an die Polizisten in den frühen Schwarzweißfilmen von Charlie Chaplin, die über ihre eigenen Füße fallen, sich aus Versehen gegenseitig K.O. schlagen und zum krönenden Abschluss mit zappelnden Beinen in ein Fass voller weißer Farbe fallen.
The Godfather IV
Das amerikanische Militär ließ früh wissen, dass es für einen Staatsstreich nicht zur Verfügung stehe. Die amerikanische Öffentlichkeit blieb wachsam. Aber auch ein lächerlicher Putschversuch ist ein Putschversuch. Trump rief den Staatssekretär des Bundesstaates Georgia an und ließ ihn im Ton eines Mafiabosses wissen, er erwarte von ihm, dass er irgendwo die Stimmen finden werde, die ihm, Trump, doch noch den Wahlsieg bescheren würden.
Drinking the Kool Aid
Und weite Teile der Republikanischen Partei folgten ihrem Führer in den Irrwitz nach. Sie brachen dabei mit ihren eigenen Prinzipien — schließlich waren die Republikaner seit ungefähr fünfzig Jahren die Leute, die dafür einstanden, dass die Rechte der amerikanischen Einzelstaaten gestärkt wurden: Also entscheiden über den Wahlausgang auch die Entscheidungen in den Einzelstaaten, nicht irgendein Beschluss, der selbstherrlich in Washington gefasst wird. Der „Rasmussen Report“, ein Meinungsforschungsinstitut, das Donald Trump nahesteht, berief sich auf Twitter zustimmend auf ein angebliches Zitat von Josef Stalin: Es komme gar nicht darauf an, welche Stimmen abgegeben, sondern allein darauf, welche Stimmen gezählt würden. Offenbar gehört Stalin damit von nun an zu jenen Geistesgrößen, auf die ein amerikanischer Konservativer sich guten Gewissens berufen kann. Die trumpistischen Republikaner geben sich damit als autoritäre Partei im Sinne der ungarischen „Fidesz“- oder der deutschen AfD zu erkennen, die auf Demokratie pfeift. Und sie sind von nun an unverstellt rassistisch. Denn die Stimmen, die da unausgezählt bleiben sollten, waren vor allem die Stimmen von dunkelhäutigen Leuten in Amerikas Städten und Vorstädten.
Very special people
Dass Trumps Putschversuch irgendwann zu Gewalt führen wurde, war von Anfang an vorherzusehen — am 6. Januar 2021 war es dann so weit. An diesem Mittwoch sollten im Senat und im Repräsentantenhaus die Stimmen des Wahlleutekollegiums ausgezählt werden: ein zeremonieller Akt, denn die Wahl hatte ja längst stattgefunden. Aber es kam nicht dazu. Ein faschistischer Mob stürmte das Kapitol in Washington, die Polizei stand hilflos daneben. Bald fielen Schüsse im Inneren des Gebäudes. Aufständische besetzten den Senat und das Repräsentantenhaus, während die gewählten Vertreterinnen und Vertreter des amerikanischen Volkes sich vor dem gewaltbereiten Trump-Pöbel verstecken mussten. Die Gewalttätigkeiten dauern noch an, während dieser Text geschrieben wird.
So help me God
Wie geht es weiter? Zweifellos wird die Nationalgarde irgendwann der Lage Herr werden. Zweifellos wird die zeremonielle Auszählung der Stimmen weitergehen. Zweifellos wird Joe Biden am 20. Januar seine Hand auf eine katholische Bibel legen und als 46. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt werden, und zweifellos wird Kamala Harris den ihr gebührenden Platz als Vizepräsidentin an seiner Seite einnehmen. Eine weitere gute Nachricht lautet, dass zwei Demokraten die Nachwahlen in Georgia gewonnen haben — damit stellen die Demokraten die Hälfte der Senatorinnen und Senatoren, und da die Stimme von Kamala Harris die Wippe stets nach der linken Seite ausschlagen lässt, wird Präsident Biden mit einer knappen Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat ein ehrgeiziges Reformprogramm durchsetzen können.
#DC51
Zu seinen Projekten wird wahrscheinlich gehören, den District of Columbia — in dem die amerikanische Bundeshauptstadt liegt — zum 51. Bundesstaat zu erklären. Im District of Columbia wohnen mehr Menschen als in Wyoming oder in Vermont, trotzdem gibt es keine Senatoren aus Washington. (Deshalb steht auf Nummernschildern aus DC: „Taxation without representation“ — wir werden besteuert, ohne dass wir im Kongress mitreden dürften.) Da es sich beim District of Columbia um ein urbanes Ballungsgebiet mit schwarzer Bevölkerungsmehrheit handelt, werden die zwei zusätzlichen Senatoren von dort Demokraten sein. Damit wird das Ungleichgewicht des Senats — in dem bevölkerungsarme Bundesstaaten, die vorwiegend von Weißen bewohnt werden, alles blockieren können, was von der Mehrheit gewünscht wird — wenigstens im Ansatz korrigiert.
Adrenochrome
Das ist die gute Nachricht. Hier die schlechte: Der faschistische Mob, der beim Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 seine bizarre Fratze gezeigt hat, wird nicht verschwinden. Er geht nirgendwohin. 75 Millionen Amerikaner haben für Trumps Wiederwahl gestimmt — obwohl längst deutlich war, dass es sich bei ihm um einen Möchtegernautokraten handelt, obwohl er sich kaum Mühe gab, seine Verachtung für Frauen und seinen Rassismus zu verbergen, obwohl seine sinistren Kontakte zu Putins Russland nur jene übersehen konnten, die ihr Gesicht von den Tatsachen abwandten, und obwohl er durch seine Lügen und seine Verantwortungsflucht direkte Mitschuld am Tod von Hunderttausenden von Amerikanern trägt, die der Covid-19-Seuche erlegen sind. Etwa ein Drittel der Einwohner der Vereinigten Staaten lebt in einem Paralleluniversum, in dem Tatsachen nichts gelten. In diesem Paralleluniversum sind Amerikas multikulturelle Städte die Hölle, während es sich bei Donald Trump um einen Messias handelt, der gegen jüdische, Demokratische Eliten kämpft, die Kinderblut trinken; Joe Biden hat die Wahl gestohlen, und Anhänger der Demokratischen Partei gehören eingesperrt. Zu reden ist mit jenem Drittel der Bevölkerung nicht. Und darum muss man befürchten, dass der lächerliche Putschversuch vom 6. Januar 2021 nur der Anfang war.
Lesen Sie auch unseren philosophischen Zweiteiler zur Ära Trump von Reinhard Olschanski:
Nach Trump 1: The Blame Game
Nach Trump 2: Medien, Politik und Wissenschaft
Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unterstützen damit die publizistische Arbeit von LibMod.
Spenden mit Bankeinzug
Spenden mit PayPal
Wir sind als gemeinnützig anerkannt, entsprechend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spendenbescheinigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adressdaten bitte an finanzen@libmod.de
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regelmäßig Neuigkeiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.