Heimat für Law & Order? Soldaten und Polizisten in den AfD-Fraktionen
Gibt es in den AfD-Fraktionen mehr Soldaten und Polizisten als in anderen Parteien? Die Investigativjournalisten Annelie Naumann und Alexej Hock haben nachgezählt und kamen zu einem bemerkenswerten Ergebnis. Der Beitrag erschien zunächst im Sammelband „Extreme Sicherheit – Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz“.
Als der AfD-Verteidigungspolitiker Jan Nolte Ende November 2018 ein Foto von sich und seinem Mitarbeiter twitterte, konnte er sich der öffentlichen Empörung sicher sein. Der hessische AfD-Bundestagsabgeordnete blickt triumphierend in die Kamera. Neben ihm sein Mitarbeiter, in der Hand hält er einen hellblauen Ausweis mit weißem Bundesadler. Es ist seine Zutrittsberechtigung für den Deutschen Bundestag. Zuvor durfte er das Parlamentsgebäude nur als Besucher betreten.
Der Oberleutnant war in die Schlagzeilen geraten, weil er aus dem Umfeld des unter Terrorverdacht stehenden Bundeswehrsoldaten Franco A. stammt – die jungen Männer dienten in der gleichen Einheit. Franco A. hatte sich seit Ende 2015 als syrischer Asylbewerber ausgegeben. Der Generalbundesanwalt (GBA) ist sich sicher: Franco A. hatte eine schwere staatsgefährdende Gewalttat geplant – möglicherweise unter seiner neuen Identität als Syrer.
Noltes Mitarbeiter soll damals die Dienstabwesenheiten von Franco A. unter erfundenen Vorwänden bei seinen Vorgesetzten in der deutsch-französischen Brigade im elsässischen Illkirch-Grafenstaden entschuldigt haben, auch als dieser möglicherweise Straftaten plante. Die Bundesanwaltschaft vermutete zudem, der Mann habe mitgeholfen, sogenannte Feindeslisten zu erstellen. Nach mehrwöchiger Untersuchungshaft wurde das Ermittlungsverfahren im Herbst 2018 gegen A.s mutmaßlichen Komplizen eingestellt. „Frau von der Leyen darf nun gerne Verbindung mit dem Büro Nolte aufnehmen, um sich persönlich bei ihm zu entschuldigen“, heißt es in dem erwähnten Tweet, in dem sich Nolte mit seinem nun zutrittsberechtigten Mitarbeiter zeigte. Dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) jedoch gilt Noltes Mitarbeiter als Rechtsextremist. Es lägen bei ihm und einem weiteren Mitarbeiter der AfD-Bundestagsfraktion „tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung vor“.
Soldaten und Polizisten als AfD-Parlamentarier
Der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion Nolte griff mit seinem Tweet seine frühere oberste Dienstherrin an, die damalige Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Bis er für die AfD in den Bundestag zog, diente Nolte als Oberbootsmann in der Burgwaldkaserne im nordhessischen Frankenberg an der Eder.
Mit seiner Personalentscheidung hat er die Debatte um rechte Netzwerke in Polizei und Bundeswehr, die seit den Ermittlungen gegen Franco A. deutschlandweit diskutiert werden, auch auf die eigene Bundestagsfraktion gelenkt. Dass ihm dies bewusst war, liegt nahe. Noltes Entscheidung wirft die Frage auf, welche Anziehungskraft die AfD auf Soldaten und Polizisten ausübt – und wie sich dies auch langfristig auf die parlamentarische Arbeit in Deutschland auswirkt.
Um der Frage nachzugehen, wie attraktiv die AfD für ehemalige und aktive Bundeswehrangehörige sowie Polizisten ist, wurden für diesen Text alle Dienste berücksichtigt, die Abgeordnete bis Mai 2019 auf ihren jeweiligen persönlichen Internetseiten oder gegenüber den Parlamenten angegeben haben. Jene Dienste reichen im Fall der Bundeswehr von Reserveoffizieren über Soldaten auf Zeit (SaZ) bis hin zu Berufssoldaten. Im Fall der Polizei erstreckt sich die Spanne vom Vollzugsbeamten bis hin zu dem Rang eines Kriminaloberrats.
Jan Nolte ist einer von 14 Abgeordneten unter den insgesamt 91 Mitgliedern der AfD-Bundestagsfraktion, die mehr als den Grundwehrdienst geleistet haben. Das entspricht einem Anteil von 15,4 Prozent. Damit sind in der AfD-Fraktion proportional mehr Abgeordnete mit Militärhintergrund vertreten als in anderen Fraktionen im Bundestag (CDU 9,8; SPD 2,6; Grüne, Linke, FDP unter 2).
Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei der Zahl der ehemaligen und für die Zeit ihrer Mandatsausübung freigestellten Polizeibeamten ab. Die sieben Abgeordneten in der AfD-Bundestagsfraktion entsprechen einem Anteil von 7,7 Prozent. (Bei allen anderen Parteien sind weniger als zwei Prozent der Abgeordneten ehemalige oder vom Dienst freigestellte Polizeibeamte.)
Von den 191 Abgeordneten in den AfD-Fraktionen der 16 Landesparlamente haben mindestens 19 und damit zehn Prozent eine entsprechende Vergangenheit bei der Bundeswehr. Bei CDU und CSU sind es mindestens 36 von 610 Mandatsträgern, was einer Quote von knapp sechs Prozent entspricht. Die Zahl der AfD-Abgeordneten mit beruflichen Laufbahnen bei der Polizei liegt bei mindestens 13 (6,8 Prozent). Bei CDU und CSU ist der Anteil mit 20 Personen nur halb so groß (3,3 Prozent).
Die beiden AfD-Abgeordneten Sebastian Wippel (Sachsen) und Nikolaus Kramer (Mecklenburg-Vorpommern) tauchen in beiden Gruppen auf, da sie zuerst als Zeitsoldaten bei der Bundeswehr dienten und später als Polizeibeamte arbeiteten. Auch der Fuldaer AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann, dessen Rede zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2003 mit antisemitischen Klischees spielte und schließlich zu seinem Ausschluss aus der CDU und der CDU/CSU-Bundestagsfraktion führte, hat es bis zum Major der Reserve gebracht. Er arbeitete nach seinem Jurastudium vier Jahre lang beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden, zuletzt als Kriminaloberrat.
Die in Bezug auf die AfD-Abgeordneten im Bund und in den Ländern ausgewerteten Zahlen erlauben jedoch keine Rückschlüsse auf die Verhältnisse innerhalb der Partei mit ihren 33 651 Mitgliedern, da die Parlamentarier nur einen geringen Anteil der Gesamtmitglieder stellen. Für den Sozialwissenschaftler Jan Schedler von der Ruhr-Universität Bochum deuten die Zahlen darauf hin, „dass politische Einstellungen, wie sie die AfD etwa in puncto Einwanderung und innerer Sicherheit vertritt, innerhalb der Bundeswehr stärker vertreten sind als in der Gesamtgesellschaft“. Einen unmittelbaren Beleg dafür stellten sie jedoch nicht dar. Möglich sei auch, dass AfD-Politiker, die etwa mit einer Tätigkeit in der Bundeswehr aufwarten können, bei der Kandidatenkür in den jeweiligen Parteigliederungen einen besseren Eindruck machen und so eher auf einen vorderen Listenplatz gewählt werden als Vertreter anderer Berufsgruppen.
Für die AfD-Abgeordneten im Bundestag selbst erscheint diese Häufung naheliegend. Der langjährige Vorsitzende der Landsmannschaft Ostpreußen Wilhelm von Gottberg, der nach 40 Jahren Mitgliedschaft 2011 wegen des EU-Rettungsschirms für Griechenland aus der CDU austrat und seit 2017 Bundestagsabgeordneter der AfD ist, sagte auf Anfrage, Polizeibeamte bekämen im Berufsleben „tagtäglich die Auswirkungen der Rechtsbrüche“ in der Bundesrepublik zu spüren. Das könne dazu führen, dass gerade Polizisten sich in der AfD engagieren, da die AfD die einzige Partei sei, die deren Erfahrungen thematisiere. Fraglich ist, inwieweit sich von Gottberg bei dieser Bewertung auf eigene Erfahrungen stützen kann: Er selbst war von 1960 bis 1969 beim Bundesgrenzschutz tätig, danach arbeitete er als Lehrer bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2005 an einer Fachschule des Bundesgrenzschutzes, der heutigen Bundespolizei, in der Ausbildung für junge Bundespolizisten. Der heute 81-jährige von Gottberg ist dafür bekannt, dass er mehrfach öffentlich den Holocaust relativiert hat: als langjähriger Herausgeber des Ostpreußenblattes ebenso wie bei seiner Kandidatur für einen Listenplatz der AfD in Niedersachsen, als er erklärte, er wolle sich für ein Ende des „Kults mit der Schuld“ einsetzen. Auch wegen solcher Äußerungen sollte von Gottberg als Alterspräsident im Bundestag verhindert werden. Deswegen beschlossen die Abgeordneten vor der Bundestagswahl 2017 sogar eine Änderung der Geschäftsordnung.
AfD: Nationalstaat gelte in anderen Parteien nichts
Auch der Potsdamer AfD-Bundestagsabgeordnete René Springer, der u. a. als persönlicher Referent von Alexander Gauland den Rechtsaußenkurs der AfD mitgeprägt hat, gehört zu den Zeitsoldaten in der Bundestagsfraktion: Seine Dienstzeit absolvierte er von 1997 bis 2009 bei der Marine. Springer sagt, Polizisten und Soldaten stünden „oftmals für Stabilität und die Einhaltung klarer Regeln“ und seien „bereit, diese Werte auch gegen Widerstände durchzusetzen“. Daraus ergebe sich vielleicht eine „natürliche Neigung zur Rechtsstaatspartei AfD“.
Der auch als Vorsitzender der „Jungen Alternative Hessen“ umstrittene AfD-Verteidigungspolitiker Jan Nolte sagt: „Da das deutsche Volk und der deutsche Nationalstaat von anderen Parteien meist negativ gesehen werden, sind diese für Soldaten und Polizisten eher unattraktiv.“ Bei Polizeibeamten, so Nolte weiter, spielten auch die „vollkommen realitätsfremden Aussagen zur Kriminalität eine Rolle“, die von anderen Parteien kämen.
Dienstrechtlich ist es wie folgt: Polizeibeamte und auch Soldaten müssen im Dienst politische Neutralität wahren – privat aber dürfen sie sich politisch positionieren. Werden sie in Parlamente gewählt, ruht das Beamten- beziehungsweise Soldatenverhältnis und damit auch das Neutralitätsgebot.1
Verstöße gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung können für aktive Soldaten und Polizeibeamte neben disziplinarischen und strafrechtlichen Konsequenzen auch eine Entlassung aus dem Dienstverhältnis nach sich ziehen. In der Bundeswehr gilt: Bei Anzeichen für einen extremistischen Hintergrund schaltet sich das Bundesamt für Militärischen Abschirmdienst der Bundeswehr (MAD2) ein. Spätestens nachdem das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) den „Flügel“, einen völkisch-nationalistischen Teil der Partei, sowie die Jugendorganisation Junge Alternative (JA) im Januar 2019 als „Verdachtsfälle“ eingestuft hat, stellt sich für die staatlichen Arbeitgeber und die Gewerkschaften die Frage, wie mit AfD-Mitgliedern in den eigenen Reihen umzugehen ist.
Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) sagte gegenüber den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland, es sei „problematisch“, wenn Flügel- oder JA-Sympathisanten, die sich zur Wahl für ein politisches Amt aufstellen lassen, als Polizisten oder Lehrer arbeiteten. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ließ die Vereinbarkeit von Beamtenstatus und Parteimitgliedschaft überprüfen. Das Ergebnis Anfang April 2019: Die Mitgliedschaft in der AfD sei mit der Arbeit als Beamter vereinbar – das gelte auch für Anhänger des radikaleren Flügels. Entscheidend laut Innenministerium sei das „konkrete Verhalten“ des Beamten.
Dass Polizisten und Soldaten für rechte Positionen empfänglich sind, hat sich schon einmal gezeigt – in der Hochzeit der Partei „Die Republikaner“, die ebenfalls auf die Themen Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit setzte und in den 1990er Jahren sowohl im Landtag von Baden-Württemberg vertreten war als auch mit sieben Prozent der Wählerstimmen ins Europaparlament und ins Berliner Abgeordnetenhaus einzog. 1990 waren nach Angaben der Parteiführung viele Mitglieder Polizeibeamte und Bundeswehrsoldaten.
Der Soziologe Jan Schedler weist jedoch auf die unterschiedliche historische Situation hin: „Damals war die Bundeswehr als Institution nicht so weit mit der Vergangenheitsbewältigung wie heute.“ Die gesellschaftlichen und politischen Umbrüche Ende der 1980er Jahre sowie die institutionelle Veränderung, die seinerzeit in der Bundeswehr in Gang gekommen waren, hätten damals für mehr Aufruhr in der Truppe gesorgt als heute. Ein Beispiel dafür waren die bundesweiten Proteste gegen die Ausstellungen „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht: 1941 – 1944“ des Hamburger Instituts für Zeitgeschichte, die Ende der 1990er Jahre ein breites gesellschaftliches Spektrum – nicht nur in den Leserbriefspalten, sondern auch zu Aufmärschen – mobilisierten. Entsprechend groß war die Zahl derer, die sich etwa an neuen Formen der Auseinandersetzung mit den NS-Traditionslinien in der Bundeswehr störten. „Die Republikaner“, so Schedler, „schwangen sich zu deren Verteidigern auf.“ Ähnliches versuche jetzt auch die AfD – etwa mit Äußerungen wie der des Parteivorsitzenden Alexander Gauland, der Hitler und die Nationalsozialisten als „Vogelschiss“ in 1000 Jahren deutscher Geschichte bezeichnete.
Kritik der Gewerkschaften an AfD-nahen Polizisten
Die Polizeigewerkschaften hatten vor der Bundestagswahl 2017 noch bestritten, dass Polizisten mehr Sympathien für die AfD hegen als andere Berufsgruppen. Grundsätzlich gebe es keine besondere Nähe von Polizisten und AfD, hieß es damals. „Die Aussagen einiger AfD-Politiker passen nicht zu unserer Sozialisation als Bürgerpolizei“, sagte Oliver Malchow, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), vor den Wahlen der Zeitung Die Welt. Generell seien Polizisten weniger anfällig für Parolen von rechts oder links.
Heute wie damals sagt Malchow: „Grundsätzlich gilt: Polizeibeamtinnen und ‑beamte dürfen dieser Partei angehören, solange sie ihre Pflichten als Beamtinnen und Beamte nicht verletzen.“ Verstöße dagegen würden jedoch zu internen Ermittlungen führen. Er fügt hinzu: „Die AfD macht Politik gegen die Gewerkschaften und damit auch gegen die GdP.“ Dennoch sei ihm bewusst, dass Kolleginnen und Kollegen an Gedankengut der AfD hängen bleiben können. „Das respektieren wir, halten es aber aus gewerkschaftspolitischer Sicht für falsch“, sagt der Gewerkschaftler.
Der genaue Blick auf die AfD-Parlamentsfraktionen zeigt auf jeden Fall, dass Angehörige aus dem Beamten- und Soldatenapparat in der AfD durchaus Karrierechancen und Führungsposten haben. Und was sagt die Zusammensetzung der AfD-Fraktionen über die Bundeswehr und die Polizei aus? Schon der Blick in die Biografien der älteren AfD-Abgeordneten und deren teilweise jahrzehntelangen CDU-Mitgliedschaften zeigt, dass die AfD einerseits Polizeibeamte und Soldaten anzieht, die Positionen einer traditionellen Law-and-Order-Politik nach dem Muster der alten CDU vertreten – wie etwa die als vergleichsweise gemäßigt geltenden AfD-Abgeordneten Martin Hess im Bundestag (Polizeihauptkommissar) oder Georg Pazderski im Abgeordnetenhaus von Berlin (Generalstabsoffizier).
Andererseits zieht die Partei aber auch Soldaten und Polizeiangehörige an, die für rechtsextreme Positionen und Radikalisierung stehen. So führt das Gutachten des BfV als Beweis für die Gefährlichkeit der AfD gleich mehrere Äußerungen von Jan Nolte und vom brandenburgischen AfD-Politiker Andreas Kalbitz an, der zwölf Jahre bei den Fallschirmjägern diente. Kalbitz leitete bis 2015 einen von Neonazis, SS-Offizieren und NPD-Funktionären gegründeten Verein namens „Kultur und Zeitgeschichte, Archiv der Zeit“. 2007 hatte Kalbitz ein Pfingstlager der zwei Jahre später durch das Bundesinnenministerium verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) besucht. Zudem beschäftigte er in der Vergangenheit ein ehemaliges NPD-Mitglied.
Anmerkungen
1 Vgl. Beitrag von Jost Müller-Neuhof auf S. 302
2 Das Bundesamt für den Militärischen Abwehrdienst (BAMAD) führt den Militärischen Abwehrdienst (MAD) als Bundesbehörde. In diesem Sammelband wird die geläufigere Bezeichnung MAD verwendet
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