USA und Deutschland brauchen eine neue ‘Partnership in Leadership’!

Foto: Nicola Maeter­linck /​ Imago Images

Thomas Weber, Experte für inter­na­tionale Bezie­hungen im Interview: Trump verliert momentan Einfluss. Deutschland, Amerika und die Demokratien der Welt müssen genau jetzt im globalen System­wett­kampf zusammenfinden.

Das Interview führte Alexander Görlach für LibMod.

Görlach: Die Mid-Terms in den USA nahen, Donald Trump macht sich warm für einen neuen Anlauf auf das Weiße Haus. In welchem Zustand befinden sich Ihrer Meinung nach die Verei­nigten Staaten im zweiten Jahr der Biden-Präsidentschaft?

Weber: Dies ist die Art von Frage, die viele deutsche Experten und Amerika-Missver­steher lieben. Sie gibt ihnen einmal mehr die Gelegenheit über Amerika vom Leder zu ziehen, so wie wir es gewohnt waren aus all den Jahren, in denen in keiner guten deutschen Talkshow ein Russland-Versteher fehlen durfte. Dennoch befinden sich die Verei­nigten Staaten in einem schlechten Zustand. Wir sollten dies aber ohne deutsche Häme und ohne europäische Arroganz sagen, denn in Amerika sehen wir eine extremere oder weit fortge­schrittene Form von vielem, was wir auch bei uns selbst erleben.

Görlach: Was meinen Sie damit?

Weber: Politische Gegner und ganze Bevöl­ke­rungs­gruppen sehen sich nicht mehr als Gegner, sondern als Feinde. Viele Leute hören nur noch auf die Stimmen aus ihrem eigenen Resonanz­körper. Sie meinen die absolute Wahrheit zu hören und verteufeln oftmals ungeprüft, was alle anderen sagen. Das gilt leider nicht nur – wie man oftmals in Deutschland meint – für die Anhänger Donald Trumps. Joe Biden war mit dem Versprechen angetreten, wieder eine ‘Bipar­tis­anship’ und eine Kultur des Kompro­misses zu etablieren, hat dies aber bisher kaum umsetzen können. Aber ohne die Bereit­schaft, in Anders­den­kenden politische Gegner und nicht Feinde zu sehen, kann Libera­lismus und Demokratie nicht dauerhaft überleben.

Görlach: Hat die gemeinsame Anstrengung des Westens unter der Führung der USA gegen die Kreml-Aggression in der Ukraine nicht dazu beitragen können, das Land zu einen?

Weber: Nein. Dafür ist das Thema innen­po­li­tisch nicht dominierend genug. Es berichten zwar alle über den Krieg in der Ukraine und auch auf den Nachrich­ten­web­sites der extremen ameri­ka­ni­schen Rechten kann man für die Ukraine spenden, aber es wird über den Krieg eher im Stil von ‘unter ferner liefen’ berichtet. Falls der Krieg doch noch ein dominie­rendes Thema werden sollte, würden wohl auch wieder die alten Verschwö­rungs­theorien über die Ukraine aufge­brüht werden, wie etwa die über die Verbin­dungen des Präsi­den­ten­sohnes, Hunter Biden, in die Ukraine. Auch sagte mir allen Ernstes ein Taxifahrer in Chicago vor ein paar Tagen, dass wir alle ja gar nicht verstehen würden, worum es im Krieg in der Ukraine wirklich gehen würde. Und dann sagte er etwas, was auch direkt aus Putins Mund hätte kommen können: es ginge doch darum, das geheime Biowaf­fen­pro­gramm der Ukraine zu zerstören. Unter der Oberfläche brodeln in den U.S.A. überall Verschwörungstheorien.

Görlach: Selbst ein Teil der republi­ka­ni­schen Partei hat Partei für Putin ergriffen. Ist dies ein weiteres Resultat der russi­schen Einfluss­nahme auf die ameri­ka­nische Öffent­lichkeit oder wie würden Sie diese Entwicklung erklären?

Weber: Seit einigen Jahren gibt es Bewun­derung für Putins Russland in Teilen der ameri­ka­ni­schen Rechten. Für sie ist Putins Russland eine Art Gegen­entwurf zu allem, was angeblich in den letzten Jahren in Amerika aus dem Ruder gelaufen ist: es ist ein Land mit scheinbar intakten Famili­en­werten, ohne Cancel Culture und bevölkert von richtigen Kerlen. Einige Abgeordnete wurden daher schon scherzhaft ‘Red Square Republicans’ genannt. Dazu kommt Donald Trumps von Respekt bis Bewun­derung reichendes Verhalten gegenüber Putin. Und Tucker Carlson, der vielleicht einfluss­reichste TV-Journalist der Trump­jahre, beschreibt auch heute noch die Ukraine als Vasal­len­staat Bidens. Natürlich hat der Kreml seit Jahren in seinem Infor­ma­ti­ons­krieg gegen Amerika diese Grund­stimmung zu verstärken versucht. Ich finde aber etwas ganz anderes inter­essant: nicht, dass ein Teil der republi­ka­ni­schen Partei für Putin Partei ergriffen hat, sondern dass dieser Teil nicht grösser ist. Laut einer neuen Pew-Umfrage gibt es nur gering­fügige Unter­schiede zwischen den Einstel­lungen von Anhängern der Demokraten und Republi­kaner zum Krieg in der Ukraine. Auch unter­stützt eine deutliche Mehrheit der Anhänger der Republi­kaner Sanktionen gegen Russland, Waffen­lie­fe­rungen an die Ukraine und eine Statio­nierung von ameri­ka­ni­schen Streit­kräften in den NATO-Nachbar­ländern der Ukraine. Ich sehe das als eines von vielen Indizien, dass der Stern Trumps und Carlsons sinkt.

Görlach: Korre­spon­diert damit auch eine wachsende Zustimmung zu Allianzen mit anderen Demokratien auf der Welt, zum Militär­bündnis der NATO? Unter Trump galt “America First”, Joe Bidens Traum hingegen ist eine Liga der Demokratien.

Weber: Bezüglich der NATO kann ich mit einem klaren ‘Ja’ antworten. Seit Donald Trump das Weiße Haus verlassen hat, steigt unter Anhängern der Republi­kaner die Zustimmung für die NATO wieder langsam. Mittler­weile hat sogar wieder eine Mehrheit der Republi­kaner eine positive Einstellung zur NATO, auch wenn die Wirkung von Trumps Worten zur NATO noch nicht ganz verpufft ist. Noch 2018 hatte Trump gesagt ’NATO bores the shit out of me’ und gemeint, es sei einfacher mit Putin als mit der NATO umzugehen. Es gibt auch unter Republi­kanern eine steigende Zustimmung für infor­melle oder halb-formelle gegen die chine­sische Regierung gerichtete Bündnisse, wie zum Beispiel dem aus Australien, Indien, Japan und den USA bestehenden Quad-Bündnis. Bidens Traum einer Liga der Demokratien hingegen stößt auf keine Gegen­liebe. Dies zeigt sich auch darin, dass die American Conser­vative Union vor Kurzem eine inter­na­tionale CPAC-Konferenz in Viktor Orbáns Ungarn durch­ge­führt hat. Wie sich aber langfristig die Einstellung von Republi­kanern zur NATO und zu inter­na­tio­nalen Bündnissen verändern wird, wird maßgeblich vom Ausgang der nächsten Präsi­dent­schafts­wahlen abhängen.

Görlach: Wie wird denn in dem Kontext dieser Wieder-Orien­tierung, wenn ich die Zeit nach Trump einmal so nennen darf, Deutschland gesehen? Schließlich gab es hier auch nach sechzehn Jahren einen entschei­denden Wechsel in der Bundes­po­litik. Sieht man Deutschland als verläss­lichen, gar wichtigen Partner? Oder schlägt – Stichwort Bündnisse – die abwar­tende Haltung Berlins in Sachen Ukraine-Unter­stützung in negativer Weise ins Kontor?

Weber: Mit geballter Faust in der Tasche versucht die Biden-Adminis­tration im Moment so zu tun, als ob die deutsch-ameri­ka­ni­schen Bezie­hungen wie am Schnürchen liefen. Natürlich hatte man in Washington die ‘Zeitenwende’-Rede von Olaf Scholz positiv aufge­nommen, aber auch schnell gemerkt, dass Scholz’ Zeiten­wende noch nicht so ganz in der Praxis angekommen ist. Nach außen wird nach wie vor, und anders als zu Zeiten Trumps, trans­at­lan­tische Einigkeit demons­triert, aber hinter den Kulissen fliegen die Fetzen. Das ging so weit, dass Emily Haber, Deutsch­lands Botschaf­terin in Washington, im Januar eine geheime Nachricht nach Berlin sandte, die mit den Worten begann: „Berlin, wir haben ein Problem.” Haber warnte die deutsche Regierung, dass Deutschland in den Korri­doren der Macht in Washington als unver­läss­licher Partner gesehen wird. Die deutsche Regierung lässt gerade eine erstklassige, vielleicht einmalige Gelegenheit verstreichen, ein neues deutsch-ameri­ka­ni­sches ‘Partnership in Leadership’ einzu­gehen und so zu helfen, eine neue freie Welt aufzu­bauen. Und meine Kritik richtet sich nicht an die Adresse von Annalena Baerbock oder Emily Haber.

Görlach: Das heißt, Deutschland ist als ernst zu nehmender Bündnis­partner in Sachen NATO und Liga der Demokratien abgemeldet? Was müsste Berlin denn tun, um das Ruder, wenn man denn wollte, herumzureißen?

Weber: Abgemeldet? Das klingt mir zu sehr nach ‘alles oder nichts’. Joe Biden braucht Deutschland. Deshalb kriti­siert er Deutschland nicht öffentlich und nimmt das, was er bekommen kann. Das ist aber herzlich wenig. Putin wird es freuen. Offene Gesell­schaften und eine freie, liberale Welt bleiben durch den mangelnden deutschen Willen, das trans­at­lan­tische Bündnis zu erneuern, auf der Strecke. Wir brauchen deutsche Ameri­ka­ex­perten und eine deutsche politische Klasse, die bei Rufen nach einem neuen deutsch-ameri­ka­ni­schen Bündnis nicht instinkthaft mit dem Verweis abwinken, Trump könne ja wieder gewählt werden und Joe Biden sei auch nicht viel besser. Entweder Deutschland, Amerika und die Demokratien der Welt finden zusammen oder die freie Welt wird im globalen System­wett­kampf auf der Strecke bleiben. Hierzu bedarf es deutsch-ameri­ka­ni­scher Führung.

Görlach: Und wie soll das bewerk­stelligt werden?

Weber: Daher meine Forderung nach einer deutsch-ameri­ka­ni­schen ‘Partnership in Leadership’, wie sie schon in den späten achtziger Jahren George H.W. Bush vorschwebte. Ein solches allum­fas­sendes ‘Partnership in Leadership’ kann es aber nur geben, wenn Deutschland sich auf ein solches Bündnis einlässt. Dafür brauchen wir in Deutschland neues, weniger verkrus­tetes deutsch-ameri­ka­ni­sches Denken und neue oder erneuerte deutsch-ameri­ka­nische Insti­tu­tionen. Vor allem ist hier Olaf Scholz gefordert. Er ist ja eigentlich sogar mehr als viele andere in seiner Partei ein Trans­at­lan­tiker, aber das hat er als Erster Bürger­meister Hamburgs eher unter Beweis gestellt als er dies als Bundes­kanzler tut. Man sollte Scholz da eine wirkliche Chance geben. Wenn Scholz diese Chance nicht nutzt, würde es einer neuen Regierung bedürfen, um das trans­at­lan­tische Steuer herum­zu­reißen. Wenn sich Robert Habeck oder Annalena Baerbock mit Friedrich Merz im Kanzleramt abwechseln würden, so wie wir es aus Israel kennen, und Alexander Graf Lambs­dorff am Werder­schen Markt residieren würde, sollte es nicht zu lange dauern, bis es eine deutsch-ameri­ka­nische ‘Partnership in Leadership’ gäbe.

Thomas Weber ist Professor of History and Inter­na­tional Affairs und Direktor des Centre for Global Security and Gover­nance an der University of Aberdeen. Er ist ferner Senior Associate am Centre for European, Russian and Eurasian Studies der Munk School of Global Affairs and Public Policy der University of Toronto. Von ihm erscheint diesen Herbst bei Herder: „Als die Demokratie starb: Die Macht­er­greifung der Natio­nal­so­zia­listen – Geschichte und Gegenwart”.

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