Israe­lische Araber – oder israe­lische Palästinenser?

Ayman Odeh Foto: Wikimedia, gemeinfrei

Just als erstmalig in der Geschichte Israels eine Regie­rungs­be­tei­ligung einer arabi­schen Partei realis­tisch erschien, begannen parallel zum jüngsten Gazakrieg die schwersten Ausschrei­tungen zwischen Arabern und Juden innerhalb Israels. Die Integration der zwei Millionen arabi­scher Israelis in die Zivil­ge­sell­schaft ist die nun anste­hende große Aufgabe.

Irgendwann wird der Krieg in Gaza vorbei sein. Und er wird enden wie die vorhe­rigen drei Kriege: ohne Ergebnis, aber mit vielen Toten. Und am Tag nach dem Waffen­still­stand bereiten sich beide Seiten auf den nächsten Krieg vor, der in drei, vier oder fünf Jahren kommen wird. Was aber bleiben wird, sind die Spannungen zwischen arabi­schen und jüdischen Israelis innerhalb Israels. Bilder wie in der letzten Woche hatte man Jahrzehnte nicht mehr gesehen. In sogenannten „gemischten“ Städten wie Jaffa, Ramle, Lod oder Akko kam es zu massiven Ausschrei­tungen von Arabern gegen ihre jüdischen Nachbarn. Und umgekehrt. Autos wurden angezündet, es gab Straßen­schlachten, Molotov-Cocktails wurden geworfen, eine Synagoge angezündet, Menschen kamen zu Schaden oder starben. Das delikate und schwierige Zusam­men­leben zwischen Juden und Arabern innerhalb Israels scheint zerstört zu sein. Zumindest ist es schwer erschüttert und die israe­lische Gesell­schaft wird sich etwas einfallen lassen müssen, um diese Wunde wieder zu schließen. Dass es soweit kam, ist kein Wunder. Die Wut der „arabi­schen Israelis“, wie sie die jüdischen Israelis nennen, hat ihre Gründe. Jahrzehn­te­lange Benach­tei­ligung und Diskri­mi­nierung im Alltag, selbst wenn das Gesetz keinen Unter­schied zwischen den Staats­bürgern macht. Rassis­tische Wahlkämpfe von Netanyahu und seinen rechts­ra­di­kalen und rechts­extremen Verbün­deten, vor allem aber ein Natio­nal­staat­gesetz von 2018, das explizit jüdische Bürger bevorzugt. In diesem Gesetz wird zwar von anderen Bürgern explizit nicht gesprochen und die „Basic Laws“, eine Art Grund­gesetz, sehen weiterhin vor, dass alle Bürger vor dem Gesetz gleich sind. Aber dennoch: Israel ist nach diesem rechten Machwerk der Staat der jüdischen Bürger. Und die anderen können schauen, wo sie bleiben.

Brennende Autos, Angst und Misstrauen – aber auch Nachbarschaftshilfe

In den Straßen der gemischten Städte herrscht Angst, Misstrauen und Verzweiflung, von allen Seiten. Ich selbst lebe in Jaffo, in meiner Straße wurden letzte Woche alle Autos auf der Straße angezündet. Doch wir Bewohner der Straße haben eine Whatsapp-Gruppe gebildet, Juden und Araber, um Nachbar­schafts­hilfe zu leisten. Wir wollen uns von Extre­misten das einiger­maßen funktio­nie­rende Zusam­men­leben im Alltag nicht kaputt machen lassen. Inzwi­schen gibt es im ganzen Land solche Initia­tiven, arabische und jüdische Bürger­meister haben gemeinsam aufge­rufen, den Frieden zu bewahren, arabische und jüdische Ärzte, Schwestern und Pfleger in verschie­denen Kranken­häusern haben gemeinsam für ein fried­liches Zusam­men­leben demons­triert. Vielleicht also bringt dieses Chaos etwas Gutes? Ein größeres Bewusstsein für die Tatsache, dass man mitein­ander auskommen muss, dass man vonein­ander abhängt, dass das Wohlergehen des einen auch das Wohlergehen des anderen bedeuten muss?

Ein arabi­sches Stück vom israe­li­schen Kuchen

Was hier gerade geschieht, ist ein Prozess, der asyme­trisch ist. Während die israe­li­schen Juden sich in der Mehrheit keine große Gedanken um die rund zwei Millionen Araber in ihrer Mitte machten, durch­liefen diese in den letzten Jahren eine höchst komplexen Prozess der Identi­täts­findung. Vor allem die gebil­de­teren Schichten unter den Arabern wollten allmählich in der israe­li­schen Gesell­schaft „ankommen“. Mit Ayman Odeh, dem Vorsit­zenden der „Joint List“ Partei, trat zum ersten Mal ein arabi­scher Politiker an, der nicht nur seinen Platz in der Knesset einfor­derte, sondern sich als Teil der israe­li­schen Gesell­schaft begriff. Das war ein Novum. Immer mehr Araber, vor allem aus sozial besser stehenden Schichten akzep­tierten, dass sie mitmachen, sich „einmi­schen“ müssten, um für sich und ihre Community einen Stück vom israe­li­schen Kuchen zu ergattern. Zugleich aber stieß der wachsende, von der Regierung mit verbreitete Rassismus immer mehr israe­lische Araber vor den Kopf, von denen sich dann viele „Paläs­ti­nenser mit israe­li­scher Staats­an­ge­hö­rigkeit“ zu nennen begannen. So entstand neben der Zuwendung zur israe­li­schen Identität zugleich auch eine Abspaltung, eine Rückbe­sinnung auf ihr „Palästinenser“-Sein, eine Verwei­ge­rungs­haltung gegenüber Israel, von dem man sich nichts erhoffte oder erwartete. So wuchs der Frust zugleich mit dem immer stärkeren Bemühen, endlich akzep­tiert zu werden. Doch bei den letzten Wahlgängen traute sich nicht einmal die israe­lische Linke mit der „Joint List“ zu koalieren und damit ein Tabu zu brechen, das seit der Staats­gründung existierte: eine politische Mehrheit darf immer nur „zionis­tisch“, also jüdisch sein.

Araber in der Regierung – „dank“ Netanjahu

Ausge­rechnet Benjamin Netanyahu brach nach den vierten Wahlen innerhalb von zwei Jahren dieses „No-Go“. Da er nicht in der Lage war eine jüdische Mehrheit zustande zu bringen, war er auf die Ra’am Partei angewiesen, die einzige arabische Partei, die zunächst bereit war, ausge­rechnet mit „Bibi“ zusammen zu arbeiten. Mansour Abbas, der Führer der Partei, die den Muslim­brüdern nahesteht, erklärte, man müsse endlich realis­tisch sein und mit jedem Premier koope­rieren, wenn man etwas für die arabische Bevöl­kerung erreichen will. Erst nachdem Netanyahu keine Mehrheit von 61 Mandaten erzielen konnte, traute sich die Opposition ebenfalls mit Ra‘am über eine Koope­ration zu sprechen, ausge­rechnet Netanyahu hatte es möglich gemacht. Der Vorwurf, man sei ein Verräter, wenn man mit Arabern paktiert, funktio­nierte nicht mehr.

Für die arabische Bevöl­kerung hätte etwas Neues beginnen können. Doch just in diesem Moment begann der Gaza-Krieg. Und man musste erkennen, dass vor allem jüngere israe­lische Araber längst im Stillen auf der Seite der islamis­ti­schen Hamas waren, da sie das Gefühl hatten, nur die Islamisten vertei­digen noch die Inter­essen aller Paläs­ti­nenser und ihr Heiligtum, die al-Aksa-Moschee in Jerusalem, gegenüber den Zionisten. Die rassis­tische Radika­li­sierung der israe­li­schen Rechten trieb die Menschen geradezu logisch in die Arme der Hamas. Dass heißt nicht, dass die zwei Millionen Araber nun für Israel verloren sind. Und abgesehen davon, es sind natürlich nicht alle Araber hier gemeint, die Rede ist von Strömungen und Entwick­lungen, die zwar etliche wie eine Welle erfassen, aber nicht einheitlich sind, vor allem, es gibt nach wie vor viele, die eher resignativ und frustriert leben als aktivis­tisch in die eine oder andere Richtung.

Wohin sich die zwei Millionen Araber mit israe­li­schem Pass letzt­endlich hinwenden werden, wird wesentlich davon abhängen, wie die israe­lische Regierung sie behandeln wird, aber auch, ob die Israelis bereit sein werden, auf ihre arabi­schen „Mit-Bürger“ im ganz normalen Alltag wirklich zuzugehen. Wenn sie sich das nach den Unruhen und Angriffen überhaupt noch trauen. Denn zunächst einmal wird Angst und Misstrauen das Zusam­men­leben bestimmen. Auf die israe­lische Gesell­schaft wartet viel, sehr viel Arbeit.

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