Israelische Araber – oder israelische Palästinenser?
Just als erstmalig in der Geschichte Israels eine Regierungsbeteiligung einer arabischen Partei realistisch erschien, begannen parallel zum jüngsten Gazakrieg die schwersten Ausschreitungen zwischen Arabern und Juden innerhalb Israels. Die Integration der zwei Millionen arabischer Israelis in die Zivilgesellschaft ist die nun anstehende große Aufgabe.
Irgendwann wird der Krieg in Gaza vorbei sein. Und er wird enden wie die vorherigen drei Kriege: ohne Ergebnis, aber mit vielen Toten. Und am Tag nach dem Waffenstillstand bereiten sich beide Seiten auf den nächsten Krieg vor, der in drei, vier oder fünf Jahren kommen wird. Was aber bleiben wird, sind die Spannungen zwischen arabischen und jüdischen Israelis innerhalb Israels. Bilder wie in der letzten Woche hatte man Jahrzehnte nicht mehr gesehen. In sogenannten „gemischten“ Städten wie Jaffa, Ramle, Lod oder Akko kam es zu massiven Ausschreitungen von Arabern gegen ihre jüdischen Nachbarn. Und umgekehrt. Autos wurden angezündet, es gab Straßenschlachten, Molotov-Cocktails wurden geworfen, eine Synagoge angezündet, Menschen kamen zu Schaden oder starben. Das delikate und schwierige Zusammenleben zwischen Juden und Arabern innerhalb Israels scheint zerstört zu sein. Zumindest ist es schwer erschüttert und die israelische Gesellschaft wird sich etwas einfallen lassen müssen, um diese Wunde wieder zu schließen. Dass es soweit kam, ist kein Wunder. Die Wut der „arabischen Israelis“, wie sie die jüdischen Israelis nennen, hat ihre Gründe. Jahrzehntelange Benachteiligung und Diskriminierung im Alltag, selbst wenn das Gesetz keinen Unterschied zwischen den Staatsbürgern macht. Rassistische Wahlkämpfe von Netanyahu und seinen rechtsradikalen und rechtsextremen Verbündeten, vor allem aber ein Nationalstaatgesetz von 2018, das explizit jüdische Bürger bevorzugt. In diesem Gesetz wird zwar von anderen Bürgern explizit nicht gesprochen und die „Basic Laws“, eine Art Grundgesetz, sehen weiterhin vor, dass alle Bürger vor dem Gesetz gleich sind. Aber dennoch: Israel ist nach diesem rechten Machwerk der Staat der jüdischen Bürger. Und die anderen können schauen, wo sie bleiben.
Brennende Autos, Angst und Misstrauen – aber auch Nachbarschaftshilfe
In den Straßen der gemischten Städte herrscht Angst, Misstrauen und Verzweiflung, von allen Seiten. Ich selbst lebe in Jaffo, in meiner Straße wurden letzte Woche alle Autos auf der Straße angezündet. Doch wir Bewohner der Straße haben eine Whatsapp-Gruppe gebildet, Juden und Araber, um Nachbarschaftshilfe zu leisten. Wir wollen uns von Extremisten das einigermaßen funktionierende Zusammenleben im Alltag nicht kaputt machen lassen. Inzwischen gibt es im ganzen Land solche Initiativen, arabische und jüdische Bürgermeister haben gemeinsam aufgerufen, den Frieden zu bewahren, arabische und jüdische Ärzte, Schwestern und Pfleger in verschiedenen Krankenhäusern haben gemeinsam für ein friedliches Zusammenleben demonstriert. Vielleicht also bringt dieses Chaos etwas Gutes? Ein größeres Bewusstsein für die Tatsache, dass man miteinander auskommen muss, dass man voneinander abhängt, dass das Wohlergehen des einen auch das Wohlergehen des anderen bedeuten muss?
Ein arabisches Stück vom israelischen Kuchen
Was hier gerade geschieht, ist ein Prozess, der asymetrisch ist. Während die israelischen Juden sich in der Mehrheit keine große Gedanken um die rund zwei Millionen Araber in ihrer Mitte machten, durchliefen diese in den letzten Jahren eine höchst komplexen Prozess der Identitätsfindung. Vor allem die gebildeteren Schichten unter den Arabern wollten allmählich in der israelischen Gesellschaft „ankommen“. Mit Ayman Odeh, dem Vorsitzenden der „Joint List“ Partei, trat zum ersten Mal ein arabischer Politiker an, der nicht nur seinen Platz in der Knesset einforderte, sondern sich als Teil der israelischen Gesellschaft begriff. Das war ein Novum. Immer mehr Araber, vor allem aus sozial besser stehenden Schichten akzeptierten, dass sie mitmachen, sich „einmischen“ müssten, um für sich und ihre Community einen Stück vom israelischen Kuchen zu ergattern. Zugleich aber stieß der wachsende, von der Regierung mit verbreitete Rassismus immer mehr israelische Araber vor den Kopf, von denen sich dann viele „Palästinenser mit israelischer Staatsangehörigkeit“ zu nennen begannen. So entstand neben der Zuwendung zur israelischen Identität zugleich auch eine Abspaltung, eine Rückbesinnung auf ihr „Palästinenser“-Sein, eine Verweigerungshaltung gegenüber Israel, von dem man sich nichts erhoffte oder erwartete. So wuchs der Frust zugleich mit dem immer stärkeren Bemühen, endlich akzeptiert zu werden. Doch bei den letzten Wahlgängen traute sich nicht einmal die israelische Linke mit der „Joint List“ zu koalieren und damit ein Tabu zu brechen, das seit der Staatsgründung existierte: eine politische Mehrheit darf immer nur „zionistisch“, also jüdisch sein.
Araber in der Regierung – „dank“ Netanjahu
Ausgerechnet Benjamin Netanyahu brach nach den vierten Wahlen innerhalb von zwei Jahren dieses „No-Go“. Da er nicht in der Lage war eine jüdische Mehrheit zustande zu bringen, war er auf die Ra’am Partei angewiesen, die einzige arabische Partei, die zunächst bereit war, ausgerechnet mit „Bibi“ zusammen zu arbeiten. Mansour Abbas, der Führer der Partei, die den Muslimbrüdern nahesteht, erklärte, man müsse endlich realistisch sein und mit jedem Premier kooperieren, wenn man etwas für die arabische Bevölkerung erreichen will. Erst nachdem Netanyahu keine Mehrheit von 61 Mandaten erzielen konnte, traute sich die Opposition ebenfalls mit Ra‘am über eine Kooperation zu sprechen, ausgerechnet Netanyahu hatte es möglich gemacht. Der Vorwurf, man sei ein Verräter, wenn man mit Arabern paktiert, funktionierte nicht mehr.
Für die arabische Bevölkerung hätte etwas Neues beginnen können. Doch just in diesem Moment begann der Gaza-Krieg. Und man musste erkennen, dass vor allem jüngere israelische Araber längst im Stillen auf der Seite der islamistischen Hamas waren, da sie das Gefühl hatten, nur die Islamisten verteidigen noch die Interessen aller Palästinenser und ihr Heiligtum, die al-Aksa-Moschee in Jerusalem, gegenüber den Zionisten. Die rassistische Radikalisierung der israelischen Rechten trieb die Menschen geradezu logisch in die Arme der Hamas. Dass heißt nicht, dass die zwei Millionen Araber nun für Israel verloren sind. Und abgesehen davon, es sind natürlich nicht alle Araber hier gemeint, die Rede ist von Strömungen und Entwicklungen, die zwar etliche wie eine Welle erfassen, aber nicht einheitlich sind, vor allem, es gibt nach wie vor viele, die eher resignativ und frustriert leben als aktivistisch in die eine oder andere Richtung.
Wohin sich die zwei Millionen Araber mit israelischem Pass letztendlich hinwenden werden, wird wesentlich davon abhängen, wie die israelische Regierung sie behandeln wird, aber auch, ob die Israelis bereit sein werden, auf ihre arabischen „Mit-Bürger“ im ganz normalen Alltag wirklich zuzugehen. Wenn sie sich das nach den Unruhen und Angriffen überhaupt noch trauen. Denn zunächst einmal wird Angst und Misstrauen das Zusammenleben bestimmen. Auf die israelische Gesellschaft wartet viel, sehr viel Arbeit.
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