Wie Peking in Hongkong durch­re­gieren will

Foto: Shutterstock, humphery
Foto: Shutter­stock, humphery

Hongkong ist im vergan­genen Jahrzehnt immer wieder von prode­mo­kra­ti­schen Protesten ergriffen worden – aus Sicht Pekings ein Super-GAU. Vor dem wichtigsten Termin im politi­schen Kalender Chinas mehren sich die Zeichen, dass die Führung das politische System Hongkongs umbauen – und ihren Einfluss ausweiten will.

Bereits in der vergan­genen Woche gab Xia Baolong einen Vorge­schmack auf die politi­schen Umwäl­zungen, die Hongkong wohl bald erschüttern werden. Xia leitet das chine­sische Büro für Hongkong- und Macao-Angele­gen­heiten, er ist Pekings oberster Beamter für die Sonder­ver­wal­tungs­zonen im Süden des Landes.

„Schlüs­sel­po­si­tionen dürfen unter keinen Umständen von jemandem einge­nommen werden, der sich gegen China stellt und Hongkong stört“, machte Xia bei einem Webinar klar, das ein Pekinger Thinktank veran­staltete. In Zukunft müsse in Hongkong das Prinzip gelten: „Patrioten regieren Hongkong“. Wer kein Patriot sei, dem solle es nicht erlaubt sein, Ämter in der Sonder­ver­wal­tungszone zu übernehmen, fuhr Xia fort: „Nicht jetzt, nicht jemals.“

Die „Zwei Sitzungen“

Mit seinen Äußerungen gab Xia einen Hinweis darauf, was diese Woche im politi­schen Peking zu erwarten ist. Am Donnerstag beginnt das, was man auf Chine­sisch „Lianghui“ nennt: die „Zwei Sitzungen“. Erst beginnt die Politische Konsul­ta­tiv­kon­ferenz des chine­si­schen Volkes, am Freitag tagt dann die Plenar­sitzung des Natio­nalen Volks­kon­gresses (NVK), des chine­si­schen Schein­par­la­ments. Die „zwei Sitzungen“ sind das wichtigste Ereignis im politi­schen Kalender Chinas, mehr als 5000 (mit chine­si­schen Impfstoffen geimpfte) Delegierte werden dafür nach Peking reisen. Aus deutscher Lockdown-Sicht ein unerhörter Vorgang.

100 Jahre Kommu­nis­tische Partei und der 14. Fünfjahresplan

Die „zwei Sitzungen“ haben dieses Jahr eine besondere Funktion: Ein Jahr nach der – auch in China noch nicht ganz überstan­denen Pandemie – wird die Führung unter Staats- und Parteichef Xi Jinping Stärke und Selbst­be­wusstsein demons­trieren wollen. Zudem ist 2021 das 100. Gründungsjahr der Kommu­nis­ti­schen Partei (KP). Das Datum markiert einen Meilen­stein im Entwick­lungsplan der Partei: Erst jüngst erklärte sie die absolute Armut für besiegt, bis 2035 will sie die „sozia­lis­tische Moder­ni­sierung“ des Landes vorantreiben.

Wie das geschehen soll, wird im 14. Fünfjah­resplan zu lesen sein, einem Plan, der im vergan­genen Jahr vorge­stellt wurde und nun von den Delegierten abgesegnet werden soll. Zu den wirtschafts­po­li­ti­schen Zielen des Plans gehört es, grob gesagt, China autarker, reicher und grüner zu machen.

Doch in diesem Jahr werden die „zwei Sitzungen“ im Westen vor allem mit einem Thema für Schlag­zeilen sorgen: Hongkong. 

Wie von Xia Baolong angedeutet, wird Peking in der Sonder­ver­wal­tungszone wohl politische Reformen durch­drücken, die die politische Landschaft der Stadt bis zur Unkennt­lichkeit verändern könnten.

In gewisser Weise hat Peking ein Hongkong-Trauma. Im vergan­genen Jahrzehnt legten zwei Protest­be­we­gungen die Sonder­ver­wal­tungszone für mehrere Monate lahm, erst die „Regen­schirm-Revolution“ 2014, dann die gewalt­samen Demons­tra­tionen im Jahr 2019.

Im vergan­genen Sommer erließ die Volks­re­publik deswegen in Hongkong ein „Sicher­heits­gesetz“.

Das Gesetz ist als Reaktion auf die wieder­keh­renden Proteste zu sehen – und als Versuch, Demons­tranten abzuschrecken und zu krimi­na­li­sieren. Das Gesetz richtet sich gegen Delikte, die Peking als „Separa­tismus“, „Subversion“, „Terro­rismus“ und „Kolla­bo­ration mit auslän­di­schen Mächten“ betrachtet. Es steht in der Kritik, inter­na­tio­nales Recht zu verletzen. Die Wissen­schaft­lichen Dienste des Bundestags kommen in einem Gutachten außerdem zu dem Schluss, dass es typische Merkmale des politi­schen Straf­rechts aufweise und einer Krimi­na­li­sierung von menschen­rechtlich geschützten Handlungen Tür und Tor öffne.

Doch wie die Äußerungen von Xia Baolong zeigen, war das „Sicher­heits­gesetz“ wohl nur der erste Schritt, um die Proteste in Hongkong zu ersticken. Peking arbeitet bereits an einem Plan, der noch weiter reicht. 

In seiner Rede zählte Xia die politi­schen Insti­tu­tionen Hongkongs auf, die – aus Pekings Sicht – von radikalen Kräften unter­wandert sind: demnach gehören dazu die Bezirksräte, der Legis­la­tivrat und das Wahlko­mitee, das den Regie­rungschef wählt. Beobachter erwarten, dass der Nationale Volks­kon­gress Gesetze erlässt, die die Macht­ver­hält­nisse in diesen Insti­tu­tionen noch weiter zu Gunsten Pekings verschieben.

In dem Wahlko­mitee, das 2022 die nächste Regie­rungs­chefin der Sonder­ver­wal­tungszone wählt, sitzen derzeit etwa 117 Bezirksräte. Diese sind überwiegend prode­mo­kra­tisch einge­stellt. Die Hongkonger Zeitung „South China Morning Post“ berichtet unter Berufung auf anonyme Quellen, dass Peking plane, alle Bezirks­rats­sitze in dem Komitee zu streiche. Weitere Reformen erwartet die Zeitung im Legis­la­tivrat, dem Parlament der Stadt.

Eine der Ironien der Reformen, die sich abzeichnen, ist: Das politische System Hongkongs ist schon jetzt zu Gunsten Pekings ausgerichtet. 

Von den 70 Abgeord­neten im Legis­la­tivrat wählen die Bürger Hongkongs nur 35 direkt. Die andere Hälfte wird von Peking-nahen Inter­es­sen­gruppen gewählt. Auch der Regie­rungschef wird nicht von den Bürgern, sondern von einem Wahlko­mitee gewählt, das Peking-nah ist.

Demokratie als Subversion – Peking greift brutal durch

Sollten die Reformen also wie erwartet kommen, würde das unter­streichen, dass Peking selbst dieser politische Vorteil nicht mehr genug ist – und die Führung statt­dessen auf annähernd absolute Macht drängt. Dieser Macht­an­spruch zeigt sich auch diese Woche: Derzeit sind in Hongkong fast 50 Demokra­tie­ak­ti­visten wegen einer infor­mellen Wahl angeklagt, die sie im vergan­genen Jahr organi­sierten. Die Staats­an­walt­schaft wirft ihnen eine „Verschwörung zum Umsturz“ vor – und klagt sie unter Berufung auf das „Sicher­heits­gesetz“ an. Beobachter sind bestürzt. Peking betrachte schon alleine das Prakti­zieren von Demokratie als Subversion, so das Fazit.

Im Westen stoßen die erwar­teten Reformen des politische Systems in Hongkong auf schockierte Reaktionen. 

„Hongkongs neuer Loyali­tätseid verlangt von allen Abgeord­neten, China zu lieben – und die Kommu­nis­tische Partei“ titelte etwa CNN. Die „Washington Post“ schrieb: „China nutzt einen Patrio­tismus-Test, um den letzten Rest der Demokratie in Hongkong beiseite zu fegen“.

Die chine­sische Partei­presse spielt die Reformen derweil herunter – und wirft der englisch­spra­chigen Presse verzerrte Bericht­erstattung vor. „Die Überar­beitung des Hongkonger Wahlsystems ist ein Höhepunkt der zwei Sitzungen“, jubelte etwa das Propa­gan­da­blatt „Global Times“. Die Zeitung greift die Artikel von CNN und der „Washington Post“ als Beispiele angeblich verzerrter Bericht­erstattung heraus. Sie zitiert die Peking-nahe Politi­kerin Regina Ip, die sich bemüht, den Vorwurf des „Patrio­tismus-Tests“ zu zerstreuen.

In der Rede von Xia Baolong sei kein einziges Wort vorge­kommen, das sage, dass ein Patriot die KP lieben müsse, so die Hongkonger Politi­kerin. „Man muss die Partei nicht wirklich lieben oder an Kommu­nismus oder Sozia­lismus glauben“, so Ip, „aber man kann keine Aktionen unter­nehmen, die versuchen, ein von der KP geführtes China zu verändern.“

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