Wie Peking in Hongkong durchregieren will
Hongkong ist im vergangenen Jahrzehnt immer wieder von prodemokratischen Protesten ergriffen worden – aus Sicht Pekings ein Super-GAU. Vor dem wichtigsten Termin im politischen Kalender Chinas mehren sich die Zeichen, dass die Führung das politische System Hongkongs umbauen – und ihren Einfluss ausweiten will.
Bereits in der vergangenen Woche gab Xia Baolong einen Vorgeschmack auf die politischen Umwälzungen, die Hongkong wohl bald erschüttern werden. Xia leitet das chinesische Büro für Hongkong- und Macao-Angelegenheiten, er ist Pekings oberster Beamter für die Sonderverwaltungszonen im Süden des Landes.
„Schlüsselpositionen dürfen unter keinen Umständen von jemandem eingenommen werden, der sich gegen China stellt und Hongkong stört“, machte Xia bei einem Webinar klar, das ein Pekinger Thinktank veranstaltete. In Zukunft müsse in Hongkong das Prinzip gelten: „Patrioten regieren Hongkong“. Wer kein Patriot sei, dem solle es nicht erlaubt sein, Ämter in der Sonderverwaltungszone zu übernehmen, fuhr Xia fort: „Nicht jetzt, nicht jemals.“
Die „Zwei Sitzungen“
Mit seinen Äußerungen gab Xia einen Hinweis darauf, was diese Woche im politischen Peking zu erwarten ist. Am Donnerstag beginnt das, was man auf Chinesisch „Lianghui“ nennt: die „Zwei Sitzungen“. Erst beginnt die Politische Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes, am Freitag tagt dann die Plenarsitzung des Nationalen Volkskongresses (NVK), des chinesischen Scheinparlaments. Die „zwei Sitzungen“ sind das wichtigste Ereignis im politischen Kalender Chinas, mehr als 5000 (mit chinesischen Impfstoffen geimpfte) Delegierte werden dafür nach Peking reisen. Aus deutscher Lockdown-Sicht ein unerhörter Vorgang.
100 Jahre Kommunistische Partei und der 14. Fünfjahresplan
Die „zwei Sitzungen“ haben dieses Jahr eine besondere Funktion: Ein Jahr nach der – auch in China noch nicht ganz überstandenen Pandemie – wird die Führung unter Staats- und Parteichef Xi Jinping Stärke und Selbstbewusstsein demonstrieren wollen. Zudem ist 2021 das 100. Gründungsjahr der Kommunistischen Partei (KP). Das Datum markiert einen Meilenstein im Entwicklungsplan der Partei: Erst jüngst erklärte sie die absolute Armut für besiegt, bis 2035 will sie die „sozialistische Modernisierung“ des Landes vorantreiben.
Wie das geschehen soll, wird im 14. Fünfjahresplan zu lesen sein, einem Plan, der im vergangenen Jahr vorgestellt wurde und nun von den Delegierten abgesegnet werden soll. Zu den wirtschaftspolitischen Zielen des Plans gehört es, grob gesagt, China autarker, reicher und grüner zu machen.
Doch in diesem Jahr werden die „zwei Sitzungen“ im Westen vor allem mit einem Thema für Schlagzeilen sorgen: Hongkong.
Wie von Xia Baolong angedeutet, wird Peking in der Sonderverwaltungszone wohl politische Reformen durchdrücken, die die politische Landschaft der Stadt bis zur Unkenntlichkeit verändern könnten.
In gewisser Weise hat Peking ein Hongkong-Trauma. Im vergangenen Jahrzehnt legten zwei Protestbewegungen die Sonderverwaltungszone für mehrere Monate lahm, erst die „Regenschirm-Revolution“ 2014, dann die gewaltsamen Demonstrationen im Jahr 2019.
Im vergangenen Sommer erließ die Volksrepublik deswegen in Hongkong ein „Sicherheitsgesetz“.
Das Gesetz ist als Reaktion auf die wiederkehrenden Proteste zu sehen – und als Versuch, Demonstranten abzuschrecken und zu kriminalisieren. Das Gesetz richtet sich gegen Delikte, die Peking als „Separatismus“, „Subversion“, „Terrorismus“ und „Kollaboration mit ausländischen Mächten“ betrachtet. Es steht in der Kritik, internationales Recht zu verletzen. Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags kommen in einem Gutachten außerdem zu dem Schluss, dass es typische Merkmale des politischen Strafrechts aufweise und einer Kriminalisierung von menschenrechtlich geschützten Handlungen Tür und Tor öffne.
Doch wie die Äußerungen von Xia Baolong zeigen, war das „Sicherheitsgesetz“ wohl nur der erste Schritt, um die Proteste in Hongkong zu ersticken. Peking arbeitet bereits an einem Plan, der noch weiter reicht.
In seiner Rede zählte Xia die politischen Institutionen Hongkongs auf, die – aus Pekings Sicht – von radikalen Kräften unterwandert sind: demnach gehören dazu die Bezirksräte, der Legislativrat und das Wahlkomitee, das den Regierungschef wählt. Beobachter erwarten, dass der Nationale Volkskongress Gesetze erlässt, die die Machtverhältnisse in diesen Institutionen noch weiter zu Gunsten Pekings verschieben.
In dem Wahlkomitee, das 2022 die nächste Regierungschefin der Sonderverwaltungszone wählt, sitzen derzeit etwa 117 Bezirksräte. Diese sind überwiegend prodemokratisch eingestellt. Die Hongkonger Zeitung „South China Morning Post“ berichtet unter Berufung auf anonyme Quellen, dass Peking plane, alle Bezirksratssitze in dem Komitee zu streiche. Weitere Reformen erwartet die Zeitung im Legislativrat, dem Parlament der Stadt.
Eine der Ironien der Reformen, die sich abzeichnen, ist: Das politische System Hongkongs ist schon jetzt zu Gunsten Pekings ausgerichtet.
Von den 70 Abgeordneten im Legislativrat wählen die Bürger Hongkongs nur 35 direkt. Die andere Hälfte wird von Peking-nahen Interessengruppen gewählt. Auch der Regierungschef wird nicht von den Bürgern, sondern von einem Wahlkomitee gewählt, das Peking-nah ist.
Demokratie als Subversion – Peking greift brutal durch
Sollten die Reformen also wie erwartet kommen, würde das unterstreichen, dass Peking selbst dieser politische Vorteil nicht mehr genug ist – und die Führung stattdessen auf annähernd absolute Macht drängt. Dieser Machtanspruch zeigt sich auch diese Woche: Derzeit sind in Hongkong fast 50 Demokratieaktivisten wegen einer informellen Wahl angeklagt, die sie im vergangenen Jahr organisierten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen eine „Verschwörung zum Umsturz“ vor – und klagt sie unter Berufung auf das „Sicherheitsgesetz“ an. Beobachter sind bestürzt. Peking betrachte schon alleine das Praktizieren von Demokratie als Subversion, so das Fazit.
Im Westen stoßen die erwarteten Reformen des politische Systems in Hongkong auf schockierte Reaktionen.
„Hongkongs neuer Loyalitätseid verlangt von allen Abgeordneten, China zu lieben – und die Kommunistische Partei“ titelte etwa CNN. Die „Washington Post“ schrieb: „China nutzt einen Patriotismus-Test, um den letzten Rest der Demokratie in Hongkong beiseite zu fegen“.
Die chinesische Parteipresse spielt die Reformen derweil herunter – und wirft der englischsprachigen Presse verzerrte Berichterstattung vor. „Die Überarbeitung des Hongkonger Wahlsystems ist ein Höhepunkt der zwei Sitzungen“, jubelte etwa das Propagandablatt „Global Times“. Die Zeitung greift die Artikel von CNN und der „Washington Post“ als Beispiele angeblich verzerrter Berichterstattung heraus. Sie zitiert die Peking-nahe Politikerin Regina Ip, die sich bemüht, den Vorwurf des „Patriotismus-Tests“ zu zerstreuen.
In der Rede von Xia Baolong sei kein einziges Wort vorgekommen, das sage, dass ein Patriot die KP lieben müsse, so die Hongkonger Politikerin. „Man muss die Partei nicht wirklich lieben oder an Kommunismus oder Sozialismus glauben“, so Ip, „aber man kann keine Aktionen unternehmen, die versuchen, ein von der KP geführtes China zu verändern.“
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