Populismus: Asymme­trische Demobi­li­sierung eines Schimpfworts

Quelle: Aleph/​Wikimedia

Unsere Autorin Karen Horn stolperte über ein Interview der NZZ mit Jan Philipp Reemtsma: Angela Merkel eine Populistin? Wann passt diese Bezeichnung und wann nicht? Die Infla­tio­nierung dieses Begriffs beraubt ihn seiner Treff­ge­nau­igkeit und Substanz.

Niemand wird gern als Populist bezeichnet. Irgendwie ist das immer als Schimpfwort gemeint. Da liegt es auf der Hand, zurück­zu­schießen. Das Reakti­ons­muster kennt jedes Kleinkind, es heißt Trotz. Ich soll ein Populist sein? Du aber erst recht! Oder, etwas subtiler: Ich bin ein Populist? Und wenn schon! Die hohe Schule der Retour­kut­schen gegen den Populismus-Vorwurf hingegen sieht so aus, dass man da einsteigt, wo das Gelände noch vermint ist, um später auf neutralem Terrain entspannt wieder auszu­steigen. Unterwegs jedoch biegt man sich das Konzept, das sich mit dem Begriff des Populismus verbindet, nach Belieben zurecht und hofft, dass es niemand merkt.

Es ist ein Katego­rien­fehler, Angela Merkel eine Populistin zu nennen, wie Reemtsma das tut, und sie, gemeinsam mit Emmanuel Macron und Barack Obama, auf dieselbe Stufe zu stellen wie den Ausgrenzer Donald Trump. 

Ein Lehrbuch­bei­spiel für diese Übung in asymme­tri­scher Demobi­li­sierung eines Schimpf­worts hat soeben die ansonsten hochge­schätzte NZZ am Sonntag geliefert. Sie bewarb ein – übrigens ausge­sprochen lesens­wertes – Interview mit Jan Philipp Reemtsma mit der reiße­ri­schen Lockvogel-Ankün­digung, dass dieser Bundes­kanz­lerin Angela Merkel als Populistin bezeichne. Das tat er tatsächlich, aller­dings nicht in der Bedeutung, die diesem Begriff zukommt und der es natürlich zu verdanken ist, dass der Artikel im Netz ordentlich Clicks generierte. Nach Reemtsmas oberfläch­licher, seines intel­lek­tu­ellen Kalibers unwür­diger Definition ist der Populismus bloß politische PR. Der Populismus mag aufdringlich sein, intel­lek­tuell armselig – aber, diese Folgerung drängt sich dann auf, was soll bitte schon verwerflich daran sein, wenn Politiker dem Volk nach dem Munde reden? In einer Demokratie ist ja doch der Souverän das Maß aller Dinge.

Welch eine Verharm­losung, welch eine Irreführung! Es hätte Reemtsma auffallen müssen, dass diese Äußerungen zum Missbrauch einladen – der auch prompt folgte. Denn die Werbe­zeile „Angela Merkel ist auch eine Populistin“ spielt damit, dass die Leser wissen, wie übel Populismus ist, wenn man nur eine etwas anspruchs­vollere Definition dieses Begriffs zugrunde legt. Er ist nicht einfach das Haschen nach Popula­rität. Er ist eine gefähr­liche politische Ideologie und Methode, den Gegensatz zwischen einem „Wir“ und den „Anderen“ bewirt­schaftet und in ihrem Kern völkisch ist.

Der Populismus hat zwei wesent­liche Merkmale. Das eine ist der histo­risch aus Amerika überkommene Kult des einfachen Mannes, also das Eliten-Bashing und die Überhöhung des Plebiszits, das autoritäre Demagogen ohne große Mühe in eine von lästigen rechts­staat­lichen Verfas­sungs­prin­zipien nicht länger einge­hegte Tyrannei zu verwandeln verstehen. Das andere ist das Ausgren­zungs­prinzip, das sich damit schnell verbunden hat und nach dem man eine biolo­gisch oder kulturell festste­hende Identität der eigenen „Volks­ge­mein­schaft“ postu­liert, sich selber als deren Bewahrer aufspielt und allen, die zu dieser völki­schen Idee nicht passen, die soziale Anerkennung und schlimms­ten­falls die Rechte entzieht. Mit dieser bewusst betrie­benen Polari­sierung öffnet sich die Tür zu Natio­na­lismus, Nativismus und Rassismus. Genau das ist der Grund, warum der  Populismus ganz zu Recht verschrien ist.

Deshalb ist es ein Katego­rien­fehler, Angela Merkel eine Populistin zu nennen, wie Reemtsma das tut, und sie, gemeinsam mit dem franzö­si­schen Staats­prä­si­denten Emmanuel Macron und dem früheren ameri­ka­ni­schen Präsi­denten Barack Obama, auf dieselbe Stufe zu stellen wie den Ausgrenzer Donald Trump. Und es ist unsäglich, die Assoziation mit den einschlä­gigen echten Populisten der Gegenwart auch nur zu wecken, wie die Zeitung es tut, als da wären beispiels­weise Viktor Orban (Ungarn), Recep Tayyip Erdogan (Türkei), Heinz-Christian Strache (Öster­reich), Marine Le Pen (Frank­reich), Alexander Gauland (Deutschland), Nigel Farage (Großbri­tannien), Geert Wilders (Nieder­lande) oder Christoph Blocher (Schweiz). Der darin angelegte Dreisatz, nach dem man diese und ähnliche Leute nicht verur­teilen darf, wenn man nicht auch Merkel gleicher­maßen unerträglich findet, ist schau­derhaft. Und er geht nicht auf.

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