Populismus: Asymmetrische Demobilisierung eines Schimpfworts
Unsere Autorin Karen Horn stolperte über ein Interview der NZZ mit Jan Philipp Reemtsma: Angela Merkel eine Populistin? Wann passt diese Bezeichnung und wann nicht? Die Inflationierung dieses Begriffs beraubt ihn seiner Treffgenauigkeit und Substanz.
Niemand wird gern als Populist bezeichnet. Irgendwie ist das immer als Schimpfwort gemeint. Da liegt es auf der Hand, zurückzuschießen. Das Reaktionsmuster kennt jedes Kleinkind, es heißt Trotz. Ich soll ein Populist sein? Du aber erst recht! Oder, etwas subtiler: Ich bin ein Populist? Und wenn schon! Die hohe Schule der Retourkutschen gegen den Populismus-Vorwurf hingegen sieht so aus, dass man da einsteigt, wo das Gelände noch vermint ist, um später auf neutralem Terrain entspannt wieder auszusteigen. Unterwegs jedoch biegt man sich das Konzept, das sich mit dem Begriff des Populismus verbindet, nach Belieben zurecht und hofft, dass es niemand merkt.
Es ist ein Kategorienfehler, Angela Merkel eine Populistin zu nennen, wie Reemtsma das tut, und sie, gemeinsam mit Emmanuel Macron und Barack Obama, auf dieselbe Stufe zu stellen wie den Ausgrenzer Donald Trump.
Ein Lehrbuchbeispiel für diese Übung in asymmetrischer Demobilisierung eines Schimpfworts hat soeben die ansonsten hochgeschätzte NZZ am Sonntag geliefert. Sie bewarb ein – übrigens ausgesprochen lesenswertes – Interview mit Jan Philipp Reemtsma mit der reißerischen Lockvogel-Ankündigung, dass dieser Bundeskanzlerin Angela Merkel als Populistin bezeichne. Das tat er tatsächlich, allerdings nicht in der Bedeutung, die diesem Begriff zukommt und der es natürlich zu verdanken ist, dass der Artikel im Netz ordentlich Clicks generierte. Nach Reemtsmas oberflächlicher, seines intellektuellen Kalibers unwürdiger Definition ist der Populismus bloß politische PR. Der Populismus mag aufdringlich sein, intellektuell armselig – aber, diese Folgerung drängt sich dann auf, was soll bitte schon verwerflich daran sein, wenn Politiker dem Volk nach dem Munde reden? In einer Demokratie ist ja doch der Souverän das Maß aller Dinge.
Welch eine Verharmlosung, welch eine Irreführung! Es hätte Reemtsma auffallen müssen, dass diese Äußerungen zum Missbrauch einladen – der auch prompt folgte. Denn die Werbezeile „Angela Merkel ist auch eine Populistin“ spielt damit, dass die Leser wissen, wie übel Populismus ist, wenn man nur eine etwas anspruchsvollere Definition dieses Begriffs zugrunde legt. Er ist nicht einfach das Haschen nach Popularität. Er ist eine gefährliche politische Ideologie und Methode, den Gegensatz zwischen einem „Wir“ und den „Anderen“ bewirtschaftet und in ihrem Kern völkisch ist.
Der Populismus hat zwei wesentliche Merkmale. Das eine ist der historisch aus Amerika überkommene Kult des einfachen Mannes, also das Eliten-Bashing und die Überhöhung des Plebiszits, das autoritäre Demagogen ohne große Mühe in eine von lästigen rechtsstaatlichen Verfassungsprinzipien nicht länger eingehegte Tyrannei zu verwandeln verstehen. Das andere ist das Ausgrenzungsprinzip, das sich damit schnell verbunden hat und nach dem man eine biologisch oder kulturell feststehende Identität der eigenen „Volksgemeinschaft“ postuliert, sich selber als deren Bewahrer aufspielt und allen, die zu dieser völkischen Idee nicht passen, die soziale Anerkennung und schlimmstenfalls die Rechte entzieht. Mit dieser bewusst betriebenen Polarisierung öffnet sich die Tür zu Nationalismus, Nativismus und Rassismus. Genau das ist der Grund, warum der Populismus ganz zu Recht verschrien ist.
Deshalb ist es ein Kategorienfehler, Angela Merkel eine Populistin zu nennen, wie Reemtsma das tut, und sie, gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron und dem früheren amerikanischen Präsidenten Barack Obama, auf dieselbe Stufe zu stellen wie den Ausgrenzer Donald Trump. Und es ist unsäglich, die Assoziation mit den einschlägigen echten Populisten der Gegenwart auch nur zu wecken, wie die Zeitung es tut, als da wären beispielsweise Viktor Orban (Ungarn), Recep Tayyip Erdogan (Türkei), Heinz-Christian Strache (Österreich), Marine Le Pen (Frankreich), Alexander Gauland (Deutschland), Nigel Farage (Großbritannien), Geert Wilders (Niederlande) oder Christoph Blocher (Schweiz). Der darin angelegte Dreisatz, nach dem man diese und ähnliche Leute nicht verurteilen darf, wenn man nicht auch Merkel gleichermaßen unerträglich findet, ist schauderhaft. Und er geht nicht auf.
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